Komische Gegenwelten

Das Volk, die Lachkultur und der Begriff des grotesken Körpers


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grotesk: was ist Grotesk?

3 Bachtins Darstellung des grotesken Körpers
3.1 Lachkultur und Karneval
3.2 Karnevalisierung

4 Dietz- Rüdiger Moser: Lachkultur des Mittelalters. Michael Bachtin und die Folge seiner Theorie
4.1 Karneval als christliches Fest

5 Analyse: Untersuchung der Fastnachtspiele im Bezug auf die Theorie von Bachtin und Moser
5.1 Das spyl von der Vasnacht und Vaßten recht von Hans Rosenplüt als christliches Fastnachtspiel
5.2 Das Eggerziehen von Hans Rosenplüt und das Ritual des Blockziehens
5.3 Nasentanz von Hans Sachs und die groteske Darstellung des Körpers
5.4 Das Kälberbrüten von Hans Sachs und die Verkehrung der Geschlechterrollen

6 Resümee

7 Bibliographie

1 Einleitung

Das Ziel dieser Hausarbeit ist die Untersuchung der Fastnachtspiele des 15. und 16. unter dem Aspekt der zwei Theorien, und zwar einerseits unter dem Aspekt der Lachkultur von Michail Bachtin und anderseits unter dem Aspekt der religiösen Theorie von Dietz- Rüdiger Moser. Eine einleitende Annäherung zu diesem Thema bildet die Darstellung der Theorie des grotesken Körpers und der Lachkultur von M. Bachtin und von Dietz- Rüdiger Mosers als Reaktion auf die Theorie von Bachtin. Diese zwei so gegensätzlichen Theorien geben zwei verschiedene Blickwinkel der Betrachtung der mittelalterlichen Fastnachtspiele. Michail Bachtin gibt einen profanen Blick auf die Fastnachtspiele, der tief in der volkstümlichen Kultur verankert ist. Dietz- Rüdiger Moser steht mit seiner tief im christlichen Glauben festgelegten Anschauung Bachtins Theorie gegenüber. Im Hauptteil dieser Arbeit werden ausgewählte Fastnachtspiele im Bezug auf diese zwei Theorien untersucht. In dem Fastnachspiel ` Das spyl von der Vasnacht und Vaßten recht` von Hans Rosenplüt (Kapitel 5.1) versuche ich die Zusammenhänge zwischen dem Karneval und dem strengen, christlichen Glauben darzustellen. In ` Das Eggerziehen` von Hans Rosenplüt (Kapitel 5.2) wird das volkstümlicher Ritual des Blockziehens und damit verbundenes Auslachen der unverheirateten Frauen. Im Fastnachtspiel ` Nasentanz` von Hans Sachs (Kapitel 5.3) wird Bachtins groteske Darstellung des Körpers präsentiert und in ` Das Kälberbrüten` von Hans Sachs wird der Schwerpunk auf die Verkehrung der Geschlechterrolle gelegt. Die strengen Grenzen zwischen dem profanem und heiligen in Fastnachtspielen werden im Resümee erläutert.

2 Grotesk: was ist Grotesk?

Um sich mit der Erscheinungsform des Grotesken in der Literatur des Mittelalters zu beschäftigen, ist es vor allem wichtig zu erklären, wie das Leben im Mittelalter verstanden hat. Die mittelalterliche Lebensanschauung war geprägt von einem strengen Dualismus, in dem zwei Lebensbereichen parallel existierten und deren Grenzen streng definiert waren. Das eine Lebensbereich bildete das weltliche Recht mit seinen niedrigen Trieben, das das Niedere und Böse darstellte und somit verachtet wurde. Dem gegenüber stand das Reich Gottes, das das vollkommenen Schöne und Gute symbolisierte. Zwischen diesen Lebensbereichen gab es keine Zusammenhänge, sondern jede von diesen Welten folgte seinem eigenen Sinn und Zweck. Die Macht des Bösen konnte nicht immer in der Allmacht Gottes erklärt worden und darum schien nun in einer neuen Form, und zwar in der Form des Hässlichen. Das Hässliche symbolisierte das Weltliche, Verachtete und Lächerliche und bildete das Gegenstück zu dem Schönen und Sublimen. „Den Gegenpol der schönen und sublimen Welt Gottes bildete das Groteske“[1], das auf verzerrende und ungewöhnliche Art und Weise verschiedene nicht zusammenpassende Elemente, unvereinbare Gegensätze, vor allem Komisches und Grausiges, Lebensweisheit und Irrationales miteinander verband. Es existierte nur neben dem Schönen und maß sich an ihm, was bedeutet, dass das Groteske sich aus der Polarisierung der heiligen und profanen Welt ergibt.

Grotesk – als grotesk wird alles bezeichnet, was sich mit einem vernünftigen Weltbild nicht vereinbaren lässt. Es ist das Seltsame und Unglaubliche. Die Mischung aus dem Grauenerregenden und Komischen macht die Ambivalenz des Grotesken aus. Die Vermengung menschlicher und tierischer Züge ist die älteste Form der Groteske. Das Körperliche bildet den Kernbereich des Grotesken.

3 Bachtins Darstellung des grotesken Körpers

Wie ist also der groteske Körper? Mit diesem Thema setzte sich der russische Sprach- und Literaturwissenschaftler Michail Bachtin auseinander. Bachtins Modell des grotesken Körpers ist in einen karnevalesken Aufführungszusammenhang eingebetet. Bachtin schreibt in seinem Buch „Rabelais und seine Welt“, dass „ Grundlage aller grotesken Motive ist eine besondere Vorstellung vom Körperganzen und den Grenzen dieses Ganzen. Die Grenzen zwischen Körper und die Welt und zwischen verschiedenen Körpern verlaufen in der Groteske völlig anders als in klassischen oder naturalistischen Motiven“[2] Das Innovative bei Bachtin ist, dass er im Gegensatz zu den früheren Konzeptionen, die das Groteske in die Nähe des Absurden und Phantastischen rücken, von einem grotesken Realismus spricht, der das Marginalisierte wieder ins Zentrum des Geschehens rückt. „ Der klassische Realismus stellte die Wirklichkeit dar, wie sie den Normen einer kulturellen Ordnung zufolge sein sollte, der groteske Realismus zeigt die Wirklichkeit, wie sie trotz dieser Ordnung existiert.“[3]

Der groteske Leib bei Bachtin ist ein werdender Leib. „Es ist nie fertig und abgeschlossen. Es ist im Entstehen begriffen und erzeugt selbst stets einen weiteren Körper; er verschlingt die Welt und lässt sich von ihr verschlingen.“[4] Hierbei gewinnen vor allem der Unterleib, und Phaullus als wichtigste Körperteile führende Rolle, und die Ausstülpungen und Öffnungen des Körpers erhalten eine besondere Bedeutung, da „ an ihnen die Grenze zwischen zwei Körpern oder Körper und Welt überwunden wird.“[5] Nach Bachtin stellen die Ein – und Ausgänge des menschlichen Körpers alle Akte des Körperdramas (Essen, Trinken, Verdauung, Kot, Urin, Schwangerschaft, Beischlaf) dar, was als Beginn und Ende des Lebens zu verstehen ist, das immer Interaktion mit der Umgebung ist.

Der groteske Körper ist ein kollektiver, der sich nicht von anderen abschließt, sondern mit diesen zusammenhängt. Bachtin nennt dieses Motiv „ Zweileibigkeit“[6] Die Ereignisse es grotesken Körpers entwickeln sich immer an der Grenze zwischen zwei Körpern, der eine trägt seinen Tod bei, der andere seine Geburt, sie sind zusammen geschlossen zu einem zweileibigen Motiv. Dieses Motiv weist nicht nur auf den Zusammenschluss zweier Körper, sondern auch auf die Grenzlosigkeit auf. Der groteske Körper geht über das Individuelle chimärisch hinaus. Der groteske Körper gewinnt durch seine Grenzlosigkeit einen universalen Charakter und zeigt hierin, dass er aus denselben Elementen zusammengesetzt ist, die auch den großen Kosmos bilden. „Er kann mit der Natur verschmelzen, mit Bergen, Meeren, Inseln und Planeten; er kann die ganze Welt fühlen.“[7]

Die Motive des grotesken Körpers findet Bachtin in der volkstümlichen Lachkultur des Mittelalters und der Renaissance, die in späteren Zeiten immer stärker verloren gegangen sei.

3.1 Lachkultur und Karneval

Erste Zeugnisse eines närrisch- karnevalesken Weltempfindens tauchen bereits im alten Ägypten auf, wo es als ein fragmentarischer und inoffizieller Blick auf die Kehrseite der Hochkultur galt. Das närrische Weltempfinden bildete eine Gegenwelt zum streng regulierten und abgegrenzten Lebenskanon der Elite. Die auf Schönheit und Stilisierung basierte Kunst der Elite führte an ihrem Rande die Deformation ein. Sie genehmigte die Überzeichnung des einfachen Menschen. Der einfache Mensch lachte über die Verzerrung des Körpers. Immer wieder wird die groteske Darstellung des Körperlichen ein Grund zum Lachen sein. Dieses Lachen wird zu einer Lachkultur, die das Phänomen des niedrigeren Volkes wurde. Die äußern Rahmen dieser Kultur bildet dabei das Fest – der Karneval. Die mittelalterliche Lachkultur ist ein Attribut und Recht des Volkes und wird als „Universum von Lachformen und Lachäußerungen stand der offiziellen und im Ton seriösen Kultur des klerikalen und feudalen Mittelalter gegenüber“[8] verstanden. Diese Lachkultur, der Subjekt das gesamte Volk war, äußerte sich am schärfsten in den brauchtümlichen, sich zur Schau stellenden Formen des Karnevals, an dem jeder seinen Teil hatte. Die Lachkultur bildete „seine Gegenwelt gegen die offizielle Welt, seine Gegenkirche gegen die offizielle Kirche, seinen Gegenstaat gegen den offiziellen Staat.“[9] Die Feiertage setzten das ganze offizielle System mit allen seinen Verboten und hierarchischen Schranken zeitweilig außer Kraft. Der Karneval war ein komisches Gegenstück zu dem christlichen Kult und Glauben, in dem die soziale Hierarchie und alle Regeln aufgehoben wurden (Familiarität), das Verbotene und Tabuisierte hervorgehoben wurde (Exzentrizität) , in dem sich das Hohe mit dem Niedrigen und Profane mit dem Heiligen vermischten (Mesalliance) in dem heilige Texte parodiert wurden ( Profanisierung). Statt des Ernstes verstandenen als Gewalt, Verbot, Angst und Unterdrückung betrat man im Karneval oder anderen Festtagen den Bereich der Freiheit und des leiblichen Lebens- der Begattung und Geburt des Wachstums, Essens und Trinkens und der körperlichen Ausscheidungen. Der Mensch des Mittelalters war von zwei Aspekten bestimmt, einerseits von dem Aspekt der Frömmigkeit und des Ernstes und anderseits von dem Aspekt des Lachens. In Bachtins Theorie wird also das Ernste dem Lächerlichen gegenübergestellt. Diese Theorie zeigt die Koexistenz des Frommen, Ernsten und Strengen mit dem Karnevalistischen und Grotesken.

[...]


[1] O. Best: Das Groteske in der Dichtung, Darmstadt 1980, S. 2

[2] M. Bachtin: Rabelais und seine Welt, Frankfurt am Main 1995, S. 357

[3] Ebda. S. 358

[4] Ebda. S.358

[5] Ebda. S.359

[6] Ebda. S. 360

[7] Ebda. S. 360

[8] Ebda., S. 52

[9] Michail Bachtin, Lachkultur und Karneval, 1969 München S. 32 (EC 3925 B 124)

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Komische Gegenwelten
Untertitel
Das Volk, die Lachkultur und der Begriff des grotesken Körpers
Hochschule
Freie Universität Berlin
Veranstaltung
Spiele des 15. und 16. Jahrhunderts
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V129262
ISBN (eBook)
9783640355099
ISBN (Buch)
9783640355075
Dateigröße
418 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Komische, Gegenwelten, Volk, Lachkultur, Begriff, Körpers
Arbeit zitieren
Irena Glodowska (Autor:in), 2006, Komische Gegenwelten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129262

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Titel: Komische Gegenwelten



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