Charakteristik der männlichen Hauptfiguren 'Tristan' und 'Marke' in Gottfrieds Epos und deren Beziehungsgenese


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

19 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Charakterisierung des Königs Marke
2.1 Öffentlich-berufliche Skizzierung Markes
2.2 Facetten der königlichen Privatperson

3. Charakterisierung Tristans
3.1 Typisierung Tristans in öffentlichen Kontexten
3.2 Der private Tristan

4. Beziehung beider Hauptgestalten zueinander
4.1 Das berufliche Verhältnis
4.2 Private Relation Tristans und Markes

5. Zusammenfassende Schlussbemerkungen und weiterreichende Ausblicke

6. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Die Verarbeitung des Tristan-Stoffes weist mittlerweile bereits eine weitreichende Tradition auf. Das von der unseligen Liebe zwischen Tristan und Isolde handelnde Gottfried’sche Epos verkörpert eines der klassischen Liebespaare der Weltliteratur. „Die Signatur der Liebe Tristans und Isolde ist [dabei] der alle Vernunft, alle Normen der Gesellschaft, zumal die Institution der Ehe, durchkreuzende Eros...“[1]

Ursprünglich sollte Tristan im ca. 1210 entstandenen Hauptwerk Gottfrieds lediglich für seinen Ziehvater, König Marke, als Brautwerber fungieren. Tristan und Isolde trinken jedoch beide unwissentlich von dem für Marke bestimmten Zaubertrank, welcher den König für seine zukünftige Frau in Liebe versetzen sollte. Dem König bleibt nicht lange verborgen, dass die beiden auch nach der Vermählung Isoldes weiterhin intime Beziehungen pflegen. Ein von Marke initiiertes Gottesurteil fällt zu Gunsten Isoldes aus, gar eine Verbannung in den „Venusberg“ kann ihrer Liebe keinen Abbruch tun. Als Tristan die Geliebte verlässt, um in fremde Dienste zu treten, bricht Gottfrieds Epos ab.

Die Intention der vorliegenden Arbeit ist es, das Verhältnis der männlichen Hauptfiguren zueinander innerhalb des Minneromans näher zu beleuchten. Schließlich stellt dieses für den Verlauf der Handlung eine immens wichtige Triebkraft dar. Die Beziehung beider zueinander ist gewiss als ambivalent zu bezeichnen, was im Rahmen der Arbeit differenziert betrachtet und nachgewiesen werden soll. Im Zentrum der Forschung steht zumeist die über allem stehende Liebe Tristans und Isoldes, welche in Gottfrieds Versepos durchaus nachhaltig und in aller Vielfalt variiert und psychologisiert in Erscheinung tritt. Insofern treten innerhalb dieses Epos’ die höfische Lebenswelt selbst sowie das Verhältnis weiterer Hauptfiguren zueinander im Angesicht der Darstellung überwiegend innerseelischer Vorgänge des Liebespaares in den Hintergrund. Genau jene private und öffentliche Beziehung Tristans und Markes zueinander wird nun in den folgenden Ausführungen vom Rand in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Schließlich eröffnet sie der Rezeption des Werkes nebst der alles dominierenden Betrachtung unter dem „skandalösen“ Eros[2] -Topos weitere fundamentale Zugangsweisen. Im Rahmen der nachfolgenden Charakterisierung soll eine differenzierte Kennzeichnung und treffende Schilderung der Einzelpersonen, deren Verbindung zu- sowie der Entwicklung ihres Auskommens miteinander erfolgen. In zahlreichen Momenten der Handlung gleicht Tristans und Markes Verhältnis einer einzigen Gratwanderung zwischen nahezu uneingeschränkter Zuneigung und Fürsorge einerseits sowie listreicher Rivalität andererseits – deren Kontinuum und Verstrickung soll innerhalb der vorliegenden Arbeit näher beleuchtet werden. Dabei wird jeweils zunächst erst der „private“ und „öffentliche“ Habitus jedes einzelnen Akteurs erstellt, um schließlich - auf jener Skizzierung basierend - die Untersuchung der Interaktion dieser Männer miteinander samt der Genese ihrer Wechselbeziehung anzuschließen.

Das Werk beherbergt nebst dem Hauptmotiv der ‚Liebe’ noch jede Menge weitere Untersuchungsgegenstände, denen ein hohes Maß an Erkenntnisinteresse innewohnt. Im Rahmen dieses Beleges erfolgt jedoch insbesondere aufgrund der sich stets zwangsläufig ergebenden Abgrenzungsproblematik eine Beschränkung auf die beiden besagten Hauptfiguren und deren Verhältnis zueinander. Eine Untersuchung weiterer Motive oder Personen wird bewusst nicht vorgenommen, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde.

2. Charakterisierung des Königs Marke

2.1 Öffentlich-berufliche Skizzierung Markes

Innerhalb der Forschung nimmt der König eine recht kontrovers problematisierte Stellung ein. Nicht umsonst gilt dieser deshalb auch als eine der umstrittensten Figuren der dieser Arbeit zugrunde liegenden Dichtung. Sein Auftreten wirkt häufig schwach und „wankelmütig“[3], nicht zuletzt auch deshalb, weil er sich in seiner Entschlussfähigkeit von stetigen Zweifeln durch das spontane Befolgen der Ratschläge Dritter leiten lässt.

Hollandt vermag mit ihrer Charakterisierung deshalb treffend zu konstatieren: „... dabei erscheint der König mehr oder weniger als ein Schwächling, der von Zweifeln und zweifelhaften Ratschlägen hin und her gerissen wird.“[4] Welche fast schon „Versagerrolle“[5] er in Regentschaftskontexten ein ums andere Mal spielt, dafür liefern nicht zuletzt die Gandin-Episode und der Morolt-Kampf Zeugnis: In beiden Fällen wäre der König zur Aufrechterhaltung seiner Macht dazu bereit gewesen, sich den erpresserischen Forderungen eines übermächtig erscheinenden Gegners zu beugen. Die herrscherliche Wesensart entpuppt sich folglich als eine klägliche Figur. Und dennoch kann man dem Oheim nicht absprechen, dass er nicht stets um die Aufrechterhaltung seiner königlichen Ehre und seines Ansehens bemüht gewesen ist: Selbst bei seiner überwiegend von „privat-emotionalen“ Interessen geleiteten Suche nach Indizien für den vermuteten Betrug von Gattin und Neffen wähnt Marke auch seine königliche Würde auf dem Spiel stehend. Schließlich erhält dieser darüber hinaus auch noch Hinweise aus der höfischen Gefolgschaft, derer er sich nicht einfach ungeprüft entledigen kann.

Nichtsdestoweniger steht jenem oftmals nahezu „ohnmächtig“ erscheinenden und ebenso handelnden Charakterzug ein weiteres, fast schon konträr wirkendes Bild der Persönlichkeit Markes gegenüber: Durch die Art und Weise seines Führungsstils avanciert er andererseits auch zum beispielhaften und vollkommenen Herrscher. So stilisiert ihn u.a. Hollandt in ihren Ausführungen hinsichtlich dessen königlicher Rolle zum tugendhaften, „ideale[n] Herrscher, dessen Hof in jeder Hinsicht maßgeblich ist.“[6] Er tritt ebenfalls als gerechter und teils einsichtiger König in Erscheinung, welcher fehlerhaftes Handeln auch eingesteht. So spricht er beispielsweise seine Gattin nach positiv überstandenem Gottesurteil von jedweden Beschuldigungen frei und ist um die Wiedergutmachung der verursachten Kränkung bemüht. Auch die seinen Argwohn zunichte machende inszenierte Episode Tristans und Isoldes nach Entdeckung seiner Schatten vom Ölbaum aus veranlasst ihn zu Reue.

Der König vermag demnach auch als Vorbild anderen gegenüber zu fungieren: So tritt Marke weiterhin in vorzüglicher Manier als Gastgeber auf seinem alljährlichen, internationalen Mai-Festes in Erscheinung und jeder Zeitgenosse schätzt sich glücklich, sofern er diesem Großereignis auf Geheiß des Königs hin beiwohnen darf.[7] Marke ist sogar dazu befähigt, sich als furchtloser Führer des Kriegsheeres im Kampf mit einem, sein Reich annektieren wollenden, König erfolgreich zu duellieren („er vaht mit ime und sigete im an und sluog und vienc sô mangen man, daz ez von grôzen saelden was, der dannen kam oder dâ genas...“ [V. 1131 ff.]). Alles in allem bestätigt sich also der Eindruck dieser Facette Markes (i.e. die des vorbildlichen und klugen Herrschers, welcher souverän sein Amt führt). Doch im Verlaufe der Zeit und in Anbetracht privater Verstrickungen ist ein Wandel der Genese Markes festzustellen. Seiner königlichen Machtstellung eng verbunden, muss er den durch seine Gattin und Neffen erlittenen Betrug auch als Verhöhnung seines öffentlichen Ansehens auffassen und in letzter Konsequenz die Verbannung der Liebenden vom Hofe veranlassen – nicht zuletzt auch deswegen, um dennoch fern von jedweder Racheausübung zumindest „sein Gesicht zu wahren“. Rege diskutiert Hollandt in diesem Zusammenhang - wie viele ihrer Kollegen auch - den motivatorischen Impetus dieses Akts: Im Unterschied zu den Verfechtern des großmütigen Gestus auf Seiten des Königs[8] sieht sie die Triebfeder in den negativen Kräften wie Blindheit, Zorn, Neid und Hass. All jene Attribute hindern Marke deshalb auch daran, am Ende kühn und überlegt zu handeln. Als ein weiteres Zeugnis seiner Schwäche lässt sich deshalb auch die Verbannung Tristans und Isoldes vom Hofe und die spätere Wiederaufhebung dieses Beschlusses betrachten. Hollandt betont diesen Umstand daher nüchtern kommentierend: „Aus Schwäche hatte er [Marke] sie [Tristan und Isolde] vertrieben, aus Schwäche holt er sie [wieder] heim. Nicht der Glaube an ihre Unschuld, sondern Begehrlichkeit ist die Ursache für ihre Begnadigung.“[9] Hinsichtlich dieses Verlustes an Ansehen und der gefährdeten Stellung Markes konstatiert Gruenter deshalb folgerichtig: „eine noble und sensible Natur ist den Bürden der Königswürde einfach nicht gewachsen, ihre Kräfte reichen nur für mittlere Aufgaben und bescheidenere Verantwortungen aus, als das höchste politische Amt zu übernehmen verlangt.“[10]

2.2 Facetten der königlichen Privatperson

Marke bietet dem vierzehnjährigen Gast bereits nach kurzer Zeit des gegenseitigen Kennens die Freundschaft[11] an. Nachdem er den Jungen mit all seinen Talenten kennen gelernt hat, spricht er zu ihm: „an dir iz allez, des ich ger. dû kanst allez, daz ich wil: jagen, sprâche, seitspil. nu suln ouch wir gesellen sîn, dû der mîn und ich der dîn. tages sô sul wir rîten jagen, des nahtes uns hie heime tragen mit höfschlîchen dingen: harpfen, videlen, singen...“ [V. 3722 ff.]. Gruenter fasst Markes Erscheinung und Wirken beim Aufeinandertreffen beider Figuren wie folgt zusammen:[12]

„Als man den Knaben Tristan zu Marke führt, steht er (...) vor uns als gerechter und angesehener Landesfürst, ohne militärischen Ehrgeiz, im Politischen wie im Menschlichen mehr auf Versöhnungen als auf kräftemessende Rivalität bedacht, ein Gastgeber von unverweigerlicher Schenkbereitschaft und Großzügigkeit, ein mitfühlender Freund, den weltlichen Freuden und Künsten zugetan wie kein zweiter, ohne sie zu luxuriösen Annehmlichkeiten herabzumindern, die die höfischen Sitten weniger zieren als verderben würden.“

Der Herrscher zeigt sich besonders im Moroltkampf mehr denn je von seiner privat-emotional geleiteten Seite. So stellt er mit dem Versuch, Tristan zurückzuhalten, öffentlich-berufliche Interessen klar in den Hintergrund: „War er bisher immer der auf die Mehrung von Macht und Ansehen seines Hofes und Landes Bedachte, so wird nun ein Zug handlungsbestimmend, der schon früher angeklungen war: die liebende Zuneigung zur Person Tristans und die Fürsorge für dessen Wohlergehen. Er will lieber in Kauf nehmen, dass Morolt den ungerechten Zins bekommt, als den Neffen und Thronfolger in Lebensgefahr wissen.“[13] Der König hat seinen Neffen von Anfang an bewundert. Die Eheschließung mit Isolde wiederum vermag jenen emotionalen Wesenszug Markes jedoch auf eindrucksvolle Weise zu konterkarieren: So hat er sie durchaus nicht vordergründig aus dem Motiv der Liebe heraus zur Frau genommen. Vielmehr wurde mit jenem Zeremoniell der damaligen Rechtsregelung und Versicherung gegenseitiger Zugehörigkeit Rechnung getragen. Und dennoch ersucht Marke hinsichtlich dieser Minne und ihrer damaligen Bedeutung im Bezug auf Isolde aufgrund der äußerlichen, offiziellen Eheschließung die damit verbundene „innere“ Ehre durch seine Gattin zuerkannt zu bekommen. Ein Umstand, welcher jedoch als einer der wenigen nicht erzwungen oder gefordert werden kann. Auch nicht von einem Mann seines „Kalibers“, also von keinem geringeren als dem königlichen Amtsinhaber.

[...]


[1] Dieter Kühn: Tristan und Isolde des Gottfried von Straßburg. In: Die Zeit, Bd. 59, 29. Hamburg: Zeitverlag Gerd Bucerius 2004. S. 42.

[2] In der vorliegenden Begriffsverwendung von ‚Eros’ wird auf die Bedeutung als „das der geschlechtlichen Liebe innewohnende Prinzip [ästhetisch-]sinnlicher Anziehung“ zwischen Tristan und Isolde referiert. (aus: © Duden - Das Fremdwörterbuch, 3. Aufl. Mannheim 2004 [CD-ROM].)

[3] Ein Beleg für diesen Wesenszug: So verbannt Marke z.B. die beiden Liebenden des Betruges wegen im einen Moment des Hofes, betrauert jedoch gleichermaßen im nächsten Moment diesen Entschluss.

[4] Hollandt: Die Hauptgestalten in Gottfrieds Tristan, S. 53.

[5] Vgl. Gruenter: Tristan-Studien, S. 120. Er geht sogar soweit, dass er Marke die ordnungsgemäße Ausfüllung herrscherlicher Posten abspricht. Der König wäre seinen Ämtern durch seine schwache und weichliche Art nicht gewachsen.

[6] Vgl. Anm. 4, S. 55.

[7] Markes Ruhm ist weit verbreitet.: „Der Hof des wohlerzogenen (...) Fürsten ist das Muster der Gesittung (...)“ (Gruenter: Tristan-Studien, S. 141 f.).

[8] Vgl. de Boor: Literaturgeschichte, S. 141.

[9] Hollandt: Die Hauptgestalten in Gottfrieds Tristan, S. 70.

[10] Gruenter: Tristan-Studien, S. 150.

[11] „Er bietet Tristan mit Worten, die der Minnesprache entnommen zu sein scheinen, seine Freundschaft an. Er will ihn als völlig Gleichberechtigten immer bei sich haben. Mit dieser öffentlichen Liebeserklärung erhob er den Diener zum Freund“ (Gruenter: Tristan-Studien, S. 144).

[12] Vgl. Anm. 10, S. 142.

[13] Vgl. Anm. 9, S. 57.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Charakteristik der männlichen Hauptfiguren 'Tristan' und 'Marke' in Gottfrieds Epos und deren Beziehungsgenese
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Germanistische Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Gottfried von Straßburg: Tristan
Autor
Jahr
2000
Seiten
19
Katalognummer
V128960
ISBN (eBook)
9783640351640
ISBN (Buch)
9783640351244
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Charakteristik, Hauptfiguren, Tristan, Marke, Gottfrieds, Epos, Beziehungsgenese
Arbeit zitieren
Annabelle Senff (Autor:in), 2000, Charakteristik der männlichen Hauptfiguren 'Tristan' und 'Marke' in Gottfrieds Epos und deren Beziehungsgenese, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128960

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