Klemperers LTI-Begriff - Das sprachkritische Werk Victor Klemperers


Hausarbeit, 2006

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Klemperers LTI-Begriff
2.1 Die Entstehungsgeschichte der LTI
2.2 Warum nannte Klemperer sein Buch LTI?
2.3 Klemperers LTI-Begriff

3. Anhang
3.1 LTI im engeren Sinn
3.1.1 Charakteristika der LTI
3.1.2 Einzelmerkmale der LTI
3.1.3 Lexikon der LTI
3.2 LTI im weiteren Sinn

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Kaum jemand hat so hautnah über die Auswirkungen des nationalsozialistischen Terrors geschrieben wie der jüdische Romanist Victor Klemperer.

Klemperer war kein klassischer Held des Widerstands, der durch besonderen Witz, Charme oder Mut überlebt hat. Er war ein Mensch, der unter Ängsten litt, manchmal ungerecht war, sich irrte, aber eben auch durchhielt bis zum letzten, weil er sich durch nichts und niemanden davon abbringen ließ, Zeugnis abzulegen. Zeitlebens führte er Tagebuch und notierte akribisch alles, was sich in seinem Leben zutrug. So schildert der in Dresden lebende Klemperer, wie sich der gewöhnliche Faschismus nach und nach in den Alltag einnistet.

Im Aufbau-Verlag erscheinen 1995 jene Tagebücher, die Victor Klemperer zwischen 1933 und 1945 geschrieben hatte. Binnen kurzer Zeit avancieren die beiden Bände mit dem Titel Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten zum Bestseller und werden vier Jahre später für das Fernsehen verfilmt (1999, ARD). Seither ist der Name Victor Klemperer in Deutschland ein fester Begriff.

Auch sein Buch LTI - Notizbuch eines Philologen, eine Sprachanalyse des Dritten Reichs, die auf den Aufzeichnungen der Tagebücher basiert, wurde ein Kultbuch. In seinem Werk LTI, das eine profunde Kritik an der Sprache des Dritten Reichs liefert, verbindet Klemperer in seiner Darstellung sowohl wissenschaftliche Analysen sprachkritischer Betrachtungen als auch biographische Elemente miteinander. Diese eher ungewöhnliche Konzeption präsentiert die LTI anschaulich und verständlich ohne sich dabei im Rahmen einer rein wissenschaftlichen Abhandlung auf einen tendenziell elitären Leserkreis zu konzentrieren. Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum sich Klemperers LTI einer solchen Beliebtheit erfreut.

Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, was Klemperer dazu bewegte das Buch LTI - Notizbuch eines Philologen zu schreiben und wie seine Entstehungsgeschichte aussah, warum er es LTI nannte und vor allem, was man bzw. Klemperer unter dem LTI-Begriff versteht. Eine Analyse unter dem Gesichtspunkt des LTI-Begriffes, worauf im weiteren Verlauf immer wieder Bezug genommen wird, ist im Anhang zu finden. Dabei wurde der LTI-Begriff sowohl im engeren als auch im weiteren Sinn verstanden und unterteilt, die Charakteristika der LTI herausgearbeitet und ein Versuch eines Lexikons unternommen, welches sich wiederum in Wortarten und bestimmte Einzelmerkmale unterteilt. Grundlage dieser Analyse ist Klemperers Buch LTI. Das Lexikon und die angeführten Beispiele können allerdings nur als Auswahl verstanden werden, da selbst Klemperer seine Analyse der Sprache des Dritten Reichs als „erstes Herumtasten und Herumfragen an Dingen“[1], also sozusagen als Grundstein versteht, es aber nicht vermochte die LTI in ihrer Gesamtheit darzustellen.

Weiterführend kann man Kristine Fischer-Hupes Buch „Victor Klemperers ‚LTI. Notizbuche eines Philologen’. Ein Kommentar“ zurate ziehen, wobei sie selbst den Versuch eines Stichwortregisters unternommen hat, bei dem sie sich zusätzlich auch auf die beiden Tagebücher Klemperers bezieht.

2. Klemperers LTI-Begriff

2.1 Die Entstehungsgeschichte der LTI

Grundlage für seine geplante Abhandlung zur Sprache des Dritten Reichs, der LTI, legte Klemperer mit seinen Tagebuchaufzeichnungen, in denen er seit Beginn der Machtübergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933, neben seinem persönlichen Schicksal, hauptsächlich seine Beobachtungen über Sprache und Sprachveränderungen im Dritten Reich festgehalten hatte. Sein Werk LTI erschien erstmals 1947, unmittelbar nach Ende der Nazi-Zeit, und behandelt die lingua tertii imperii, also die Sprache des Dritten Reichs unter der Herrschaft der Nationalsozialisten.

Aus welcher Quelle seine Motivation, eine umfassende Studie zur Sprache des Dritten Reichs zu verfassen, resultierte, schildert Klemperer anekdotenhaft im Nachwort seiner LTI: „ ‚Weswegen haben Sie denn gesessen?’ fragte ich. ‚Na wejen Ausdrücken …’ […] Das war die Erleuchtung für mich. Bei diesem Wort sah ich klar. Wejen Ausdrücken. Deswegen und daherum würde ich meine Arbeit am Tagebuch aufnehmen. […] So ist dies Buch zustande gekommen, aus Eitelkeit weniger, hoffe ich, als wejen Ausdrücken.“[2] So auch beruft er sich auf eine Altberliner Anekdote um zu erklären, „warum er sich trotz der Einwände von Freunden und Leidensgenossen an seinem gefährlichen Tun festhielt“[3]: „ ‚Vater’, fragt also ein Junge im Zirkus, ‚was macht denn der Mann auf dem Seil mit der Stange?’ - ‚Dummer Junge, das ist eine Balancierstange, an der hält er sich fest.’ - ‚Au, Vater, wenn er sie aber fallen lässt?’ - ‚Dummer Junge, er hält ihr ja fest!’ Mein Tagebuch war in diesen Jahren immer wieder meine Balancierstange, ohne die ich hundertmal abgestürzt wäre.“[4]

Als Sternträger waren Klemperer allerdings alle Wirkungsmöglichkeiten genommen: 1935 enthoben ihn die Nationalsozialisten von seiner Professorenstelle in Dresden und er durfte keine Bibliothek mehr nutzen. „[…] ich arbeitete mit aller Anspannung an meinem Achtzehnten Jahrhundert der französischen Literatur. […] Aber dann traf mich das Verbot der Bibliotheksbenutzung, und damit war mir die Lebensarbeit aus der Hand geschlagen. Und dann kam die Austreibung aus meinem Haus, und dann kam alles übrige, jeden Tag ein weiteres Übriges. Jetzt wurde die Balancierstange mein notwendigstes Gerät, die Sprache der Zeit mein vorzüglichstes Interesse.“[5]

Dem Untertitel Notizbuch eines Philologen kann man entnehmen, dass Klemperer sein Buch während der zwölfjährigen Herrschaft der Nationalsozialisten nur skizzenhaft vorbereiten konnte. Um das Risiko zu reduzieren, mit seinem kritischen, literrarisch festgehaltenen Gedankengut erwischt zu werden, musste Klemperer sich auf kurzformatige, notizenhafte Aufzeichnungen beschränken, die er in seinen Tagebüchern festhielt. Die ohnehin gefährliche Situation für Verfasser systemkritischer Texte wurde im Fall Victor Klemperers dadurch verstärkt, dass er jüdischer Herkunft war. Ohne die Ehe mit seiner nichtjüdischen Frau Eva, die ihn vor der Deportation bewahrt, hätte er wahrscheinlich nicht überlebt. Seine Tagebuchskizzen, die Klemperer als lose Blattsammlung führte, ließ er in regelmäßigen Abständen durch seine Frau Eva bei einer Freundin verstecken, auf dass sie bei den permanent drohenden Hausdurchsuchungen nicht der Gestapo in die Hände fallen sollten, was fatale Folgen gehabt hätte.

Kristine Fischer Hupe unterteilt die Entstehungsgeschichte der LTI in zwei Phasen. Die erste Phase, von 1933 bis 1945, ist „die Phase der ‚Vorarbeiten’ Klemperers, des Suchens und Sammelns unter ständiger Lebensbedrohung und ohne Perspektive auf eine spätere Verwendung der Notizen“. Die zweite Phase, von Sommer 1945 bis Jahresende 1946 bezeichnet sie als „die Phase der Ausarbeitung der über das Tagebuch verstreuten Notizen zu einzelnen Kapiteln des Notizbuches eines Philologen“.[6] Doch auch in dieser zweiten Phase, in der er seine Wirkungsmöglichkeiten zurückerlangt hat und ihm die Bibliotheken wieder offen stehen, muss sich Klemperer eingestehen, dass er die Stufe des Skizzenhaften nicht überwinden kann: „[…] heute weiß ich, daß ich nun doch nicht imstande sein werde, meine Beobachtungen, meine Reflexionen und Fragen zur Sprache des Dritten Reichs aus dem Zustand des Skizzenhaften in den eines geschlossenen wissenschaftlichen Werkes hinüberzuführen. Dazu würde mehr Wissen und wohl auch mehr Lebenszeit gehören, als mir, als (vorderhand) irgendeinem einzelnen zur Verfügung stehen.“[7]

2.2 Warum nannte Klemperer sein Buch LTI?

Die drei Buchstaben LTI stehen in den philologischen Notizen Victor Klemperers als Abkürzung für Lingua Terii Imperii, die Sprache des Dritten Reichs. Sie persiflieren die sprachverarmende Abkürzungsmanie der Nationalsozialisten. „Es gab den BDM und die HJ und die DAF und ungezählte andere solcher abkürzender Bezeichnungen“[8], so beginnt Klemperer das erste Kapitel seines Buches, welches ebenfall den Namen LTI trägt. Die Abkürzung LTI habe ihm in seinen Tagebüchern gedient „als parodierende Spielerei zuerst, gleich darauf als ein flüchtiger Notbehelf des Erinnerns, als eine Art Knoten im Taschentuch, und sehr bald und nun für all die Elendsjahre als eine Notwehr, als ein an mich selbst gerichteter SOS-Ruf steht das Zeichen LTI in meinem Tagebuch. Ein schön gelehrtes Signum, wie ja das Dritte Reich von Zeit zu Zeit den volltönenden Fremdausdruck liebte […]. LTI: Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reichs.“[9] Parodierend bedient er sich so zweier wesentlicher Charakteristika der ihm so verhassten Sprache der Nationalsozialisten, nämlich zum einen der Abbreviatur, also der Abkürzung und zum anderen der Bevorzugung von Fremdwörtern (siehe Anhang).

Für das Verständnis des Buches ist es aber wichtig zu wissen, dass Klemperer es nicht von vornherein als eine systematisch angelegte Bestandsaufnahme der Sprache des Faschismus konzipiert hat, sondern dass die Idee einer Sprachanalyse erst allmählich entstand, aus ersten unsystematischen Beobachtungen heraus, in den Tagebüchern meistens mit ‚Sprache des Dritten Reichs’ gekennzeichnet, bis das lateinische lingua tertii imperii und die davon abgeleitete Abkürzung LTI sich schließlich durchsetzten und die Planung des zu schreibenden Werkes konkrete Gestalt angenommen hat.

2.3 Klemperers LTI-Begriff

Klemperer betreibt in seinem Werk LTI nicht nur eine rein philologische Analysetätigkeit, sondern verknüpft diese auch mit seinem persönlichen Schicksal. Neben offiziellen Verlautbarungen mündlicher und schriftlicher Art und Textsorten, wie Familien- oder Todesanzeigen analysiert Klemperer spezifische kommunikative Situationen vor allem des Alltags, in denen sich die Menschen befanden. Dabei stellt er die Komplexität der Einflussnahme durch den nationalsozialistischen Diskurs dar, wobei er beispielsweise die Ausbreitung der LTI bis hinein in seine unmittelbare Umgebung schildert[10], und untermauert die akribische Sammlung und Auflistung von Einzelfaktoren. Detailliert beschreibt er die Ausbreitung von Redeweisen, arbeitet die sprachlichen Fakten heraus, die die jeweilige Redeweise charakterisieren und bezieht diese Einzelfakten wiederum auf die Gesamtwirkung des Diskurses. Klemperer interessiert sich also „nicht nur für den Wandel der Sprache hin zum Nationalsozialismus, sondern mit gleicher Intensität auch für die innere Dynamik selbst“[11]. In Klemperers Blickfeld gerät so nicht nur die LTI aus rein philologischer Sicht, er will auch aus der Sprache ihren Geist feststellen, denn „nichts führt uns dichter an die Seele eines Volkes heran als die Sprache“[12]. Somit kann man Klemperers LTI als eine Auseinandersetzung mit dem Wirken und Nachwirken des Faschismus betrachten, die sich in bestimmten Sprachformen niederschlägt.

[...]


[1] Klemperer 2001, S. 24.

[2] Klemperer 2001, S. 364.

[3] Techtmeier 2001, S. 14.

[4] Klemperer 2001, S. 19.

[5] Klemperer 2001, S. 22.

[6] Fischer-Hupe 2001, S.33.

[7] Klemperer 2001, S. 24.

[8] Klemperer 2001, S. 19.

[9] Klemperer 2001, LTI, S. 19.

[10] vgl. Klemperer 2001, S. 122 ff.

[11] Techtmeier 2001, S. 22.

[12] Klemperer 2001, S. 203.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Klemperers LTI-Begriff - Das sprachkritische Werk Victor Klemperers
Hochschule
Universität Potsdam
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
28
Katalognummer
V127323
ISBN (eBook)
9783640346691
ISBN (Buch)
9783640347025
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Klemperer, Victor Klemperer, LTI, lingua tertii imperii, die Sprache des dritten Reichs, antisemitischer Sprachgebrauch, Sprachkritik
Arbeit zitieren
Silvia Asser (Autor:in), 2006, Klemperers LTI-Begriff - Das sprachkritische Werk Victor Klemperers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127323

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