Nathan Zuckerman in Philip Roths Trilogie "Zuckerman Bound"

Identitätsfindung und Identitätskrisen


Magisterarbeit, 2009

60 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Philip Roth und die amerikanisch – jüdische Literatur
1.2. Die Erschaffung eines Alter Egos: Nathan Zuckerman und die Suche nach der eigenen Identität

2. „Zuckerman Bound“ – Eine Identitätskrise in drei Teilen
2.1. Von The Ghost Writer bis The Anatomy Lesson
2.2. Zuckermans Entfesselung – Zuckerman Unbound und die Auslösung einer Identitätskrise
2.3. Das „Zuckermansche“ Ende – The Prague Orgy

3. Nathan Zuckermans Diaspora
3.1. Identitätsfindung
3.2. Identitätskrisen
3.3. Die Flucht in die Fiktion – Von „Carnovsky“ bis The Human Stain

4. Die Wiederbelebung der Anne Frank
4.1. Amy Belette
4.2. Caesara O’Shea
4.3. Eva Kalinova

5. Zusammenfassung und Ergebnis

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Vom Suchen und Finden der eigenen Identität“ – so könnte ein möglicher Untertitel der Zuckerman – Trilogie von Philip Roth lauten. In dem dreiteiligen Korpus, der mit dem Epilog The Prague Orgy, abschließt, begibt sich Philip Roths Alter Ego, Nathan Zuckerman, auf eine Reise nach der eigenen und insbesondere von Jedermann akzeptierten Identität. Eine Reise, die in einer Identitätskrise, einer diasporischen Situation endet und Nathan Zuckerman die Unmöglichkeit eines Ausbruchs aus einer (jüdischen) Familie vor Augen führt.

Im Jahre 1979 erschien der erste Teil der Trilogie, The Ghost Writer, gefolgt von Zuckerman Unbound (1981) und The Anatomy Lesson (1983), 1985 der Epilog The Prague Orgy. Die allgegenwärtige Annahme, Nathan Zuckerman sei Philip Roths Alter Ego und sein politisches sowie persönliches Sprachorgan in der fiktiven Romanwelt, hatte sich spätestens mit Erscheinen des zweiten Teils, Zuckerman Unbound, in der Forschung durchgesetzt. In dem Roman kämpft Zuckerman mit den Auswirkungen seiner Romanveröffentlichung „Carnovsky“, dessen Thematisierung einer jüdisch-neurotischen Familie in den USA zu einem Skandal führte. Der Vergleich zu Philip Roths Werk Portnoy’s Complaint aus dem Jahre 1969 bleibt nicht aus. Wie Zuckerman sah sich Roth einer Welle der öffentlichen Empörung gegenüber. Im selben Jahr noch wurde Portnoy’s Complaint in Australien als „prohibited import“ deklariert.[1]

Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf der Analyse und Interpretation Nathan Zuckermans Identitätskonfliktes. Er treibt ihn von der Identitätsfindung in eine Identitätskrise. Jene Krise resultiert insbesondere aus der Erkenntnis, dass ein Ausbrechen aus (jüdischen) Familientraditionen – und Normen unmöglich erscheint und das Prädikat „Jude“ in der Gesellschaft schwer abzustreifen ist. Neben der literarisch – künstlerisch determinierten Krise als Schriftsteller, die eine Schreibblockade zur Folge hat und Zuckerman am Beruf des Schriftstellers nahezu (ver)zweifeln lässt, erscheint insbesondere diese jüdisch geprägte Identitätskrise von zentraler Signifikanz. Hier verschmelzen jüdische Diaspora und die Assimilation an die amerikanische Gesellschaft und formieren sich zu einer jüdisch- amerikanischen Identitätskrise des zwanzigsten Jahrhunderts. Somit ist die in dieser Arbeit thematisierte Identitätskrise als Resultat der missglückten Identitätsfindung zu verstehen und einzuordnen.

Wenngleich die Zuckerman - Trilogie zunächst als Roman fiktionaler Natur erscheint, werden Parallelen zu Philip Roths persönlicher Biographie offensichtlich und lassen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verwischen. Zuckerman und Roth weisen nicht nur biographische Gemeinsamkeiten auf (beide sind unter anderem 1933 in Newark geboren); Roths autobiographisches Werk The Facts beinhaltet zudem eine Stellungnahme Zuckermans, in der er ihm empfiehlt, die Autobiographie nicht zu veröffentlichen. Spätestens seit Erscheinen dieses Buches 1988 sind die Grenzen zwischen Fiktion und Realität nicht mehr klar zu definieren und zu separieren, Zuckerman wird in die Realität und Autobiographie, respektive in die „facts“ Roths projiziert.

Das Zusammenspiel von Autor und erschaffenem Charakter, Nathan Zuckermans Suche nach der eigenen Identität und die damit verbundene Problematik der jüdisch - amerikanischen Literaturszene stehen im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Viel wurde in der Forschung, zu nennen seien hier unter anderem der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, zu Philip Roth darüber diskutiert, inwieweit dieser sein Alter-Ego als Sprachrohr benutzt; sie insbesondere zu einer einzigen Person verschmelzen lässt. Diese These gilt als bestätigt, so dass sich die vorliegende Arbeit insbesondere der diasporischen Figur Nathan Zuckermans widmet. Fragen, nach dem Auslöser der Identitätskrise und der in der Konsequenz von Zuckerman gefällten Entscheidung, das Leben als aktiver Schriftsteller aufzugeben, und seiner Identitätsbildung im Verlauf der Trilogie, sollen beantwortet werden.

Philip Milton Roth ist nicht nur durch seine Zuckerman-Romane zu einem der bedeutendsten Schriftsteller der Vereinigten Staaten geworden. Gesellschaftskritische Romane wie American Pastoral erbrachten ihm 1998 die National Medal of Arts at the white house und den Pulitzerpreis. Manuel Gogos, Journalist der Neuen Züricher Zeitung, schrieb 2003 zum siebzigsten Geburtstags Roth: „Roth wird siebzig, und er ringt um Unsterblichkeit. Seit Jahren bringt man ihn allenthalben als möglichen Anwärter auf den Nobelpreis ins Spiel. Es ist nicht ganz zu begreifen, worauf die Akademie noch wartet.“[2]

1.1. Philip Roth und die amerikanisch – jüdische Literatur

1963, während des „American Jewish Dialogue on Culture and the Arts“ am Weizman Institut in Israel, sagte der damals 30-jährige Philip Roth: „ I am not a Jewish writer; I am a writer who is a Jew.“[3] Mit diesem Ausspruch signalisierte Roth deutlich, in welcher Beziehung er zum (amerikanischen) Juden - und Schriftstellertum steht: A priori empfindet sich Roth zunächst als Autor, der durch einen Zufall als Jude geboren wurde und sich somit in der Gattung der amerikanisch – jüdischen Literatur wiederfindet.

Dass sich die eigenständige Gattung dieser „amerikanisch – jüdischen Literatur“ herausbilden und manifestieren konnte, erscheint insbesondere eine Entwicklung der amerikanischen Nachkriegsgeschichte zu sein. Während sich eine Bürgerrechtsbewegung zugunsten der Afroamerikaner entwickelte und der Vietnamkrieg die amerikanische Bevölkerung gegen den Staat demonstrieren ließ, erschien die Darstellung eines Menschen, ob jüdisch oder nicht, auf der Suche nach der eigenen Identität, den Geist der Zeit zu treffen.

Außer den Nachwirkungen der Shoa und den Auswirkungen der Gründung des Staates Israel auf die amerikanischen Juden sei verwiesen auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre […], der Umgestaltung der Gesellschaft zugunsten Minderbemittelter und der Minoritäten; […] Diese Entwicklung […] findet gerade auch bei den jüdischen Literaten ihren Niederschlag. Die Frage nach der jüdischen Identität – nach dem eigenen Sein – bleibt, wird sogar noch dringlicher in einer sich innerhalb kürzester Zeit so enorm wandelnden Gesellschaft in der „traditionelle Muster“ eine Umwandlung erfahren.[4]

Die allgegenwärtige und kollektive Identitätskrise in den Vereinigten Staaten ebnete den jüdischen Autoren den Weg zu einer eigenen, neugebildeten Diaspora- Literatur: Die des assimilierten, modernen Juden in den USA. Durch seine Existenzangst in einem diasporischen Amerika verkörperte er nunmehr nicht bloß den Juden, sondern wurde zum Sinnbild des amerikanischen Jederman.

Der Jude wird so zum Prototyp des Amerikaners, mit seinen Existenzängsten und Identitätsproblemen, zum Sinnbild der leidenden Menschheit schlechthin. Als Figur der Postmoderne wird er/sie zum Chiffre eines universalistischen Verständnis’ einer Gruppe von jüdischen Autoren, ohne dass dabei der Anspruch auf ein jüdisches Selbstverständnis völlig aufgegeben wird.[5]

Jedenfalls verhält es sich so mit Philip Roths Alter Ego Nathan Zuckerman. Seine Identitätskrise resultiert nicht aus der Shoa, der fortwährenden Verfolgung des jüdischen Volkes oder des fehlenden Vaterlandes; bezeichnender erscheint die Frage nach der jüdischen Existenz inmitten des amerikanischen Kontinents, der zunächst Werte wie Freiheit und individuelle Selbstbestimmung verinnerlicht zu haben scheint, bei näherem Betrachten aber selbst einen diasporagleichen Nährboden gebildet hat.

Innerhalb der amerikanisch – jüdischen Literatur nehmen Philip Roth und die Darstellung „seiner“ jüdischen Realität einen besonderen Stellenwert ein. Insbesondere die Figur des Nathan Zuckerman, der wirtschaftlich zwar die jüdische „success story“ im Nachkriegsamerika abbildet, aber an physischen wie psychischen Problemen leidet, stellt einen Gegenentwurf zu den in der amerikanisch – jüdischen Literatur oft mit moralischer Perfektion gezeichneten (und oftmals überzeichneten) Juden dar. In der amerikanischen Realität manifestierte sich aber ein Zuckerman, der neurotisch, sexuell obsessiv und der Religion nicht zugewandt ist, ergo Schwächen und Ängste repräsentiert, als Sinnbild für den amerikanischen Juden. Scheerer äußert sich über Roths Darstellungen folgendermaßen:

Seine Protagonisten sind keine moralisch erhöhten Wesen, sondern werden mit ihren menschlichen Schwächen in ironisch überzogener Weise dargestellt, allerdings mit der latenten Gefahr, antisemitische Stereotypen zu bedienen. Dennoch gilt Roth als Ethnograph, der es wie kein anderer wagt, kritisch, provokant und reflektierend Probleme der kontemporären amerikanisch- jüdischen Gemeinschaft zu verarbeiten.[6]

Ruth Wisse, Professorin für Yiddische Literatur an der Harvard Universität, die unter anderem If I am not for myself - The liberal betrayal of the Jews, veröffentlichte, empfindet, „it is Philip Roth and not Cynthia Ozick, or Hugh Nissenson, who can best afford to write about American Jewish reality”.[7]

Philip Roth musste sich während seines schriftstellerischen Schaffens oft mit dem Vorwurf des „jüdischen Antisemiten“, des „self-hating Jew“ und „enfant terrible“ der amerikanisch- jüdischen Literatur auseinandersetzen. In seiner Textzusammenstellung Reading Myself and Others äußert sich Roth zu den Vorwürfen im Folgenden:

If people of bad intention or weak judgement have converted certain facts of Jewish life into a stereotype of The Jew, that does not mean that such facts are no longer important in our lives, or that they are taboo for the writer of fiction.[8]

Roths Darstellungen, insbesondere in der Zuckerman-Trilogie, beinhalten die Konstruktion einer amerikanisch-jüdischen Identität, hier des Nathan Zuckerman, die sich im Verlauf der Romane stets neu definieren muss und Veränderungen durchlebt. Äußere Umstände, die Assimilation an die amerikanische Gesellschaft und der Verlust traditioneller jüdischer Werte im Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts, erfordern von Zuckerman die Bildung einer neuen, differenzierten jüdischen Identität. In diesem Kontext ist der Begriff der „dual identity“ signifikant. Während Scheerer diesen auf das amerikanisch-jüdische Bewusstsein projiziert[9], kann im Falle von Roth und Zuckerman ebenso die Vernetzung von Realität und Fiktion, von Autor und Alter Ego, eine duale Identität beinhalten.

Philip Roths Darstellung des Nathan Zuckerman oder anderer jüdischer Protagonisten in seinen Werken erfüllt nicht den Zweck, „den Juden“ im Allgemeinen literarisch darzustellen. Im Vordergrund stehen vielmehr unzählige Elemente und Erfahrungen jüdischer Amerikaner, die nicht den Anspruch erheben, einen Leitfaden des jüdischen Lebens und Seins aufzuzeigen. In einem Interview mit der Zeit im August 2005 antwortet Philip Roth auf die Frage, was einen Juden ausmache:

Wir sprechen von unzähligen Arten von Juden. Diese Arten sind stark geprägt von dem Land, in dem die Juden leben. Für Israelis zum Beispiel ist es enorm schwierig, die Natur des jüdischen Lebens in Amerika zu verstehen. Die israelische Ideologie unterscheidet sich so sehr von jener amerikanischer Juden, dass sich selbst unideologische Israelis ein Leben hier nicht vorstellen können. Sogar Leute wie Amos Oz oder Abraham Ben Jehoschua verhalten sich amerikanischen Juden gegenüber herablassend. Das erscheint mir unsagbar töricht.[10]

Der jüdische Mensch ist also, folgt man Roths Ausführungen, nicht klar zu definieren. Verschiedene äußere Umstände, Umwelten und Gesellschaften definieren die jüdische Identität. Nathan Zuckerman ist in der Konsequenz eine von vielen, differenzierten jüdischen Identitäten in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wenngleich insbesondere die Darstellung der jüdischen Protagonisten zu einigen Protesten innerhalb der jüdischen Gesellschaft führte[11], ist sich Roth der Wirkung seiner Romane bewusst. Er richtet sich gegen die Charakterisierung des Juden als verlorenen Sohn des Staates Israel, dessen diasporischer Zustand in den USA Mitleid erwecken soll. Roth schaut hinter die Fassade und spricht dem Juden sämtliche menschlichen Makel und Ängste zu, die ihn in der Konsequenz zu einem greifbaren Teil der Gesellschaft machen:

Some Jews are hurt by my work; but some are interested. […] If there are Jews who have to find the stories the novelists tell more provocative and pertinent than the sermons of some of the rabbis, perhaps it is because there are regions of feeling and consciousness in them which cannot be reached by the oratory of self- congratulation and self-pity.[12]

1.2. Die Erschaffung eines Alter Egos – Nathan Zuckerman und die Suche nach der eigenen Identität.

In Philip Roth’s Autobiographie The Facts schreibt Nathan Zuckerman an Roth: „The whole point about your fiction (and in America, not only yours) is that the imagination is always in transit between the good boy and the bad boy – that’s the tension that leads to revelation.“[13] Die Grenzen zwischen Erschaffer und Erschafftem verwischen; die erwähnte Offenbarung ist dichotomisch und vereint Philip Roth und Nathan Zuckerman zu einem untrennbaren Ganzen, dem „Zuckerroth“[14]. Die Hypothese, Nathan Zuckermans Suche nach der eigenen Identität impliziere in der Konsequenz auch Philip Roths eigene, von Protesten und Lobhymnen oft kritisierten oder bejubelten, Suche nach der Stellung innerhalb der jüdischen Autorschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika, erscheint von immer stärkerer Bedeutung.

Die Erschaffung des Charakters Nathan Zuckerman beginnt im Jahre 1974, als Philip Roth den Roman My life as man veröffentlicht. Hier ist Nathan Zuckerman das Produkt des Schriftstellers Peter Tarnopol und wird somit zu einem alter-alter-ego.

Die Konzentration auf Zuckerman als agierendes Element in einer fiktiven Welt tritt mit The Ghost Writer ein. Bereits im ersten Roman, der sich der Person Zuckerman widmet, ist eine offensichtliche Trennung zwischen Philip Roth und seiner Kreation nicht mehr klar zu definieren. Hinzu kommt, dass Zuckerman in dem Roman auf sein schriftstellerisches Vorbild, Emanuel Isidore Lonoff, trifft, der ebenso als alter- Ego Roths identifiziert wurde. Über die, in sich verflochtene, Autor – Alter-Ego Situation äußerte sich Alan Cooper folgendermaßen:

Many critics were quick to identify Lonoff as Malamud. […] But Lonoff is also Roth; or, more precisely, half of Roth is Lonoff. And in The Ghost Writer, young Roth visiting older Roth, to some extend disappearing up his own persona, is being ghost written by a counter- self. Or is it the other way around?[15]

Offensichtlich ist a priori die zweifellos “rothsche” Charakterisierung der Person Nathan Zuckerman. Nicht bloß biographische Daten wie das Geburtsjahr (1933) und die verbrachte Kindheit und Jugend in Newark, lassen Zuckerman als fiktive Realisation Philip Roths erscheinen. Es sind vielmehr Erfahrungen und Erlebnisse in der Welt der amerikanisch- jüdischen Literatur, die eine Grenze zwischen Zuckerman und Roth sukzessive verblassen lässt. Im Jahre 1956, als Zuckerman das Anwesen Lonoffs in den Berkshires besucht[16], veröffentlichten sowohl Roth als auch Zuckerman ihre ersten Werke und wurden als Autoren wahrgenommen. Diese Parallelen ziehen sich durch die gesamte Zuckerman-Trilogie. Zuckerman Unbound beinhaltet Zuckermans ersten kommerziellen Erfolg mit Erscheinen des Romans Carnovsky. Nicht nur das Erscheinungsjahr, 1969, sondern die Reaktion des Publikums auf die Lektüre können nicht als Zufall gewertet werden. Carnovsky ist Roths Portnoys Complaint; zwei Romane, die in der fiktiven und realen Welt einen Skandal in der Literatur auslösten und den Roth, auf grotesk-ironische Weise, in Zuckerman Unbound auf sein Alter-Ego projiziert. Somit muss sich auch Zuckermann mit dem Vorwurf des „self-hating“ Jew auseinandersetzen.

Plenty of people had already written to tell him off. “ For depicting Jews in a peep- show atmosphere of total perversion, for depicting Jews in acts of adultery, exhibitionism, masturbation, sodomy, fetishism, and whoremongery,” somebody with leatherhead stationary as impressive as the President’s had even suggested that he “ought to be shot”. And in the spring of 1969 this was no longer just an expression.[17]

Carnovsky ist Zuckermans Portnoys Complaint und zugleich “Epstein”, ein Roman Roths, in dem die Affäre des Protagonisten „Epstein“ von dessen Familie aufgedeckt wird und sämtliche Familienstrukturen auseinanderreißt. Zu den Reaktionen auf seinen Roman schrieb Roth in Reading Myself and Others:

[…] looking at fiction as they do- in terms of “approval” and “disapproval” of Jews, “positive” and “negative” attitudes toward Jewish life- they are likely not to see what it is that the story is really about. […] There are Jewish readers, I know, who cannot figure out why I found it necessary to tell the story about a Jewish man: don’t other people commit adultery too? Why is it the Jew who must be shown cheating?[18]

Mit der Einbettung seiner Erfahrungen als Schriftsteller und der zwiespältigen Anerkennung seines literarischen Schaffens in den Plot der Zuckerman- Trilogie, erschafft Roth einen Charakter, den er als Sprachrohr und Vermittler benutzt. Literarisch hält er dem Leser mit der Beschreibung des angeblichen Skandals, den Zuckermans Roman über eine jüdische Familie in den USA auslöste, die Unsinnigkeit einer solchen Empörung vor Augen. Anstelle von Roth selbst reagiert Zuckerman in diesem Moment auf die Haltung der Gesellschaft, indem er das Schreiben aufgeben möchte. Roth überzeichnet somit den Charakter eines jüdischen Schriftstellers, der aufgrund seines Erfolges seine Identität verliert und stets über die Romane und fiktiven Begebenheiten definiert wird. Roth und Zuckerman, oder eher „Zuckerroth“, erscheinen als Ganzes, während Roth in der realen, Zuckerman in der fiktiven Welt agiert. In der Autobiographie The Facts treffen sie schließlich, wenngleich nicht in persona sondern in Form von Briefen, aufeinander. Philip Roth transportiert den Charakter Nathan Zuckermans in seine Autobiographie, seine Facts. Zuckerman bewegt sich dadurch nicht mehr nur in der Welt der Fiktion, sondern greift in die Wirklichkeit seines Erschaffers ein. Projiziert man nunmehr die Problematik und den Prozess der Identitätsfindung und der damit verbundenen Identitätskrise Zuckermans auf Philip Roth, erscheinen Autor und Alter-Ego eine Symbiose einzugehen. Indem der Autor Roth den Autor Zuckerman um Stellungnahme zu seiner Autobiographie bittet, dieser einer Veröffentlichung in der Konsequenz nunmehr abrät, verschmelzen nicht nur die literarischen Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Zuckermans dreiteilige Suche nach der Identität inmitten der amerikanischen Gesellschaft ist zugleich als Identitätsfindung des Autors Roth zu verstehen. Offensichtliche Parallelen, wie die Reaktionen des Gesellschaft auf Portnoys Complaint, ergo „Carnovsky“ oder die Vorwürfe, ein antisemitischer Jude zu sein, ließen Roth als auch Zuckerman die Frage nach der eigenen Stellung innerhalb der amerikanischen, insbesondere aber der jüdischen Gesellschaft stellen. So wie Zuckerman zu Roth wurde, verhielt es sich mit Zuckerman und Carnovsky. Marcel Reich- Ranicki formuliert dieses Zusammenspiel der Charaktere in seinem Werk Über Amerikaner folgendermaßen:

Zuckerman ist über Nacht ein berühmter und freilich auch berüchtigter Mann. […] Nur daß

[sic] man ihn meist für einen anderen hält: für jenen Carnovsky, der zwar sein Werk ist, der sich aber rasch selbstständig gemacht hat und nun ihn, seinen Schöpfer, verdrängt. Die erfundene Wahrheit ist stärker als die alltägliche Realität.[19]

Jene Selbstständigkeit einer fiktiven Figur lässt sich, auf Papier verewigt, in The Facts wiederfinden. Autor und Erzähler sind nunmehr nicht zwei trennbare und unabhängige Charaktere; Zuckermans Diaspora, die Identitätsproblematik und die künstlerische Krise als bekannter Schriftsteller sind ebenso Philip Roths Krisen; Roth ist Zuckerman und dieser ist wiederrum Carnovsky. Deshalb empfindet auch Marcel Reich-Ranicki eine Unterscheidung von Autor und Erzähler in der Zuckerman-Trilogie kompliziert und beinahe nicht möglich:

Aber ich kann nicht verheimlichen, daß [sic] es mir in großen Teilen der „Anatomiestunde“ ganz und gar unmöglich war, Nathan Zuckerman von Philip Roth zu unterscheiden. Mehr noch: Ich bin überzeugt, daß [sic] die Krise des Schriftstellers Zuckerman […] nichts anderes ist als die Krise des Schriftstellers Philip Roth.[20]

Zuckerman ist Roths Spiegelbild auf der Seite der Fiktion; Stephen Wade formulierte in seinem Werk The Imagination in Transit, Zuckerman sei Roths „flexible persona, the authorial device for exploring the essence of fiction, Zuckerman the scapegoat.“[21] Das Motiv des Sündenbocks erscheint insbesondere bezeichnend und ebenso interessant, als dass Zuckerman nicht nur Roths scheinbare Schreibblockade löst, indem er diese zum Thema in The Anatomy Lesson konzipiert, sondern ebenso die Problematik der Identität, ob jüdisch, amerikanisch oder jüdisch-amerikanisch, im Bereich der Romanwelt zu lösen scheint. Nach der in The Anatomy Lesson thematisierten Schreibblockade begibt sich Zuckerman im Epilog The Prague Orgy auf eine Reise nach Prag. Hier tritt er nicht als aktiver Schriftsteller auf; er ist auf der Suche nach angeblich wichtigen Manuskripten eines jüdischen Schriftstellers, der Opfer des dritten Reiches wurde. Zuckerman kann die Dokumente zwar ausfindig machen, da sie aber in hebräischer Schrift verfasst wurden, ist ihm das Lesen dieser aber unmöglich. Projiziert man den Schluss dieses Romans und der Zuckerman-Trilogie auf Philip Roth und die Frage nach der Identität, ergibt sich folgendes Resümee: Philip Roths Alter Ego konnte sich aus den Zwängen, die ihn die Gesellschaft durch seine Profession des Schreibens auferlegt und nahezu auferzwungen hatte, befreien. Dennoch wurden Roth wie auch Zuckerman stets als entweder „jüdisch“ oder „antisemitisch“ bezeichnet, die Diskrepanz der zwei Charakterisierungen ist offensichtlich. Dass Zuckerman die hebräische, ergo jüdische Schrift in den Manuskripten nicht versteht, verstärkt Philip Roths bereits erwähntes Zitat und seine Rolle in der fiktiven als auch realen Welt, „I am not a Jewish writer; I am a writer who is a Jew.“[22]

Im Folgenden Kapitel soll auf die ausschließlich fiktive Person des Nathan Zuckerman eingegangen werden, die sich im Verlauf der Trilogie und des Epilogs The Prague Orgy ihrer Identitätskrise bewusst wird und in der Konsequenz nur einen Ausweg sieht: die Flucht in die Anonymität; respektive die Aufgabe des Lebens als Schriftsteller. Auf den ersten Blick erscheint sich dieses Vorhaben auszuschließen. Doch Nathan Zuckerman empfindet die Flucht in die Anonymität, das Herausbrechen aus der Gesellschaft und ihren normativen Regeln und Vorschriften, als letzte Möglichkeit, der Identitätskrise, die der Erfolg als Schriftsteller und in der Konsequenz als Person des öffentlichen Lebens mit sich brachte, zu entfliehen. So reagiert Zuckermans Agent André auf dessen Wunsch, das Schriftsteller-Dasein zu beenden und in Zukunft in der Anonymität zu leben, „you lock yourself away to stir up your imagination, then you lock yourself away because you’ve stirred up theirs. What kind of novels is that going to get you?“[23] Im Fall Roths hatte eben jenes “Verschließen” die Erschaffung des Zuckerman-Korpus’ zur Folge.

2. „Zuckerman Bound“ – Eine Identitätskrise in drei Teilen

Zu Beginn des Kapitels muss zunächst der Begriff der „Identität“ definiert werden. Was ist die Identität? Wie bildet sie sich aus und warum ist sie für das Überleben eines Menschen in der Gesellschaft von solch enormer Relevanz, dass sich der Begriff der „Identitätskrise“ überhaupt durchsetzen konnte?

Einer der führenden Identitätstheoretiker, Erik Erikson, empfindet die Bildung der eigenen Identität als Prozess innerhalb der Jugendphase. Heranwachsende zeigen sich einer bestimmten sozialen und gesellschaftlichen Gruppe zugehörig, die Grundzüge des „Ich“ werden manifestiert. Innerhalb dieser Phase definiert Erikson den Begriff der „Identitätsdiffusion“, eine Störung innerhalb der Ich-Identität. Identität und Identitätsdiffusion koexistieren, wobei erstere überwiegt und in der Regel zu einer gesunden „Ich-Identität“ führt.[24] Folgt man Erikson, vollzieht sich der Prozess der Identitätsbildung primär und ausschließlich in den Jahren der Jugend. Diese Annahme hat sich im Verlauf der Jahre und Studien zu diesem Thema weitgehend geändert; „Identität als Frage der adoleszenten Einfädelung in eine wohlorganisierte Gesellschaft ist zu einer nicht enden wollenden Aufgabe geworden, die völlig losgelöst ist von einer spezifischen Lebensphase“.[25]

Der Begriff der „Identitätskrise“ ist insbesondere als ein Phänomen der Moderne anzusehen, die den Individuen eine Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten, wie Familie, Beruf und Religion, darbietet und der freien Entscheidung Raum zur Entfaltung bietet. Im Gegenzug dazu steht die Situation in der Vormoderne, in der die Identität in der Regel vorbestimmt wurde:

In der vorangegangen Epoche der Vormoderne war Identität dagegen eine Funktion von festgelegten Rollen und eines traditionellen Systems von Mythen, die Orientierung und religiöse Sanktionen boten […] Identität war unproblematisch und nicht Gegenstand von Reflexionen oder Diskussion. Individuen durchlebten keine Identitätskrisen, noch änderten sie radikal ihre Identität.[26]

Die „Krise“ resultiert laut der Forschung also aus dem breiten Angebot an „Identitätsformen“. Eine Festlegung auf bestimmte, angeborene oder gelernte, Charakteristiken wird überflüssig. Religionen können abgelegt, Namen geändert und Berufe gewechselt werden. Projiziert man diese Erkenntnis auf Nathan Zuckerman und seine Identitätskrise, erscheint er als krisenhaftes Subjekt par excellence. Zuckermans Krise durchläuft sämtliche Bereiche. So zweifelt er an den Familienstrukturen, seiner jüdischen Herkunft, seiner Stellung in den Vereinigten Staaten und als Schriftsteller, wenngleich diese ihm Dank des aufkommenden Ruhmes die größte Bestätigung zukommen lassen müsste. Die Zuckerman- Romane thematisieren, obwohl die Rahmenbedingungen in jedem einzelnen Werk differenziert sind, Nathans Weg von der Identitätsfindung, die sich insbesondere nach der Publikation seines „skandalösen“ Romans „Carnovsky“ vollzieht, bis hin zur Krise, die in der Konsequenz in The Prague Orgy endet und ihn nicht mehr als aktiven Schriftsteller in Erscheinung treten lässt. Die Trilogie ist unter dem Titel „Zuckerman Bound“ zusammengefasst – der gefesselte Zuckerman kann sich erst in Prag, passiv und eher als Beobachter der Situation, seiner gesamten Zwänge befreien. Ein Paradoxon, erscheinen die Protagonisten dieses Romans doch selbst in den Fesseln des Kommunismus und der Regierung gefangen.

Wenngleich die Zuckerman-Trilogie und der Epilog The Prague Orgy zunächst differenzierte Problematiken thematisieren und in den Mittelpunkt stellen, zu nennen seien hier die Suche nach einer Vaterfigur, physische Problematiken und zwischenmenschliche Beziehungen, müssen die vier Teile als in sich geschlossener Korpus gesehen werden. Alan Cooper definiert das Zusammenspiel der einzelnen Teile im Folgenden:

Taken together, the four parts explore a question concerning both art and Jewry: whether either can survive without opposition. As freedom betrays family, and intermarriage betrays tribe, so art – especially writing – betrays a culture by opening it to new stories and sharing it with strangers; […] Zuckerman thinks he can betray benignly and escape behind the walls of his art. Roth uses Zuckerman to tell the world it must let the artist do so, but he brings the world into the books to tell Zuckerman that ain’t the game.[27]

Das Motiv des Identitätsverlusts innerhalb der Arbeit des Schriftstellers, sei es Roth oder Zuckerman, zieht sich somit wie ein roter Faden durch die Romanwelt. Identitäten werden über die Kunst des Schreibens bestimmt; das Subjekt des Romans wird zum Subjekt in der faktischen, realen Welt.

Das „Zuckerman – Triptychon“ nimmt in seinem Verlauf durchaus die Züge eines klassischen Bildungs- und Familienromans[28] an. Im Mittelpunkt steht Zuckerman, dessen Vorname bereits direkte Vergleiche zur biblischen Nathan - Figur und zu Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise zulässt. Zunächst bildet der biblische Nathan eine direkte Parallele zu Zuckerman. Der Prophet Nathan erscheint im Alten Testament als „Schriftsteller“, dessen Niederschrift über den Ehebruch König Davids[29] einen ebensolchen Skandal auslöste wie Zuckermans „Carnovsky“.

[...]


[1] Siehe dazu auch : http://www.crikey.com.au/Politics/20060829-Censorship-and-Don-Chipp.html. Aufgerufen am 28.12.2008.

[2] Gogos, Manuel. 2003. Der Meister der literarischen Mimikri. In: Neue Züricher Zeitung, 19.März 2003.

[3] Siehe dazu Ozick, Cynthia. 1983. Art & Ardour. New York: Alfred A. Knopf. S. 166.

[4] Scheerer, Frank. 2004. Amerikanisch – jüdische Lebensentwürfe. Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. S. 5f.

[5] Ebenda, S. 8f.

[6] Scheerer, S. 10.

[7] Wisse, Ruth. Zitiert in: Ebenda, S.10.

[8] Roth, Philip. 1975. Reading Myself and Others. London: Jonathan Cape LTD. S. 158.

[9] Scheerer, S. 4f.

[10] Verna, Sacha. 2005. „Ich frage, was wäre.“ Ein Gespräch mit dem gro ßen Philip Roth. In: Zeit 18.8.2005 Nr 34.

[11] „Among the letters I receive from readers, there have been a number written by Jews accusing me of being anti-Semitic and “self-hating” or, at least, tasteless.” Roth in: Reading Myself and Others, S. 149.

[12] Reading Myself and Others. S. 168f.

[13] Roth, Philip. 2007. The Facts. London: Vintage Books. S. 167.

[14] Titel eines Kapitels aus Cooper, Alan. 1996. Philip Roth and the Jews. New York: State University of New York Press.

[15] Ebenda, S. 182.

[16] Philip Roth selbst lebte eine zeitlang zurückgezogen in den Berkshires, ebenso wie Zuckerman im letzten Zuckerman-Roman Exit Ghost aus dem Jahre 2007, in dem er nach langer Zeit die Berkshires verlässt und nach New York zurück kehrt.

[17] Roth, Philip. 1995. Zuckerman Unbound. New York: Vintage International. S. 7.

[18] Reading Myself and Others, S. 150f.

[19] Reich-Ranicki, Marcel. 2004. Über Amerikaner. Von Hemingway und Bellow bis Updike und Philip Roth. München: Deutsche Verlagsanstalt. S. 227.

[20] Reich-Ranicki, Marcel. S. 235.

[21] Wade, Stephen. 1996. The Imagination in Transit. The Fiction of Philip Roth. Sheffield: Sheffield Academic Press. S. 82.

[22] Siehe Anmerkung 2.

[23] Zuckerman Unbound, S. 137.

[24] Erikson, Erik. 1973. Identität und Lebenszyklus. Frankfurt am Main.: Suhrkamp. S. 149.

[25] Keupp, Heiner (et al.) 1999. Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. S. 72.

[26] Kellner, D. Zitiert in Keupp, Heiner. S. 70f.

[27] Cooper, Alan. S. 180.

[28] Im Verlauf der Arbeit wird auf den Aspekt des Familienromans noch näher eingegangen.

[29] Siehe dazu 2. Samuelbuch 12, Psalm 51.

Ende der Leseprobe aus 60 Seiten

Details

Titel
Nathan Zuckerman in Philip Roths Trilogie "Zuckerman Bound"
Untertitel
Identitätsfindung und Identitätskrisen
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
60
Katalognummer
V127144
ISBN (eBook)
9783640336432
ISBN (Buch)
9783640336678
Dateigröße
709 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nathan, Zuckerman, Philip, Roths, Trilogie, Zuckerman, Bound, Identitätsfindung, Identitätskrisen
Arbeit zitieren
Shushila Pandya (Autor:in), 2009, Nathan Zuckerman in Philip Roths Trilogie "Zuckerman Bound", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127144

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