Schattenbilder

Das expressionistische Kino und seine Lichtkünste am Beispiel Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“


Hausarbeit, 2009

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1 Vom Wesen des Grauens
1.1 Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit
1.2 gestörte Weltordnung.

2 Nosferatu - Film des 'klassischen' Expressionismus?

3 Kontraste – Was macht Nosferatu expressionistisch?
3.1 Das Spiel mit Licht, Schatten und Kulisse
3.2 Das Schauspiel

Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

Einleitung

„Das, was wir aus Liebe tun, tun wir im höchsten Grade freiwillig.“

Thomas von Aquin (1225-1274)

1922 – In der Entstehungszeit Friedrich Wilhelm Murnaus »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens« sind immer noch die Zustände des seit vier Jahren vergangenen ersten Weltkrieges zu spüren. Die Welt liegt im Chaos, weitab von jedem Gefühl einer Grundordnung. Genau dies spiegelt der Film wider – auch heute noch, nach fast 87 Jahren. Doch trotz der schwierigen Verhältnisse, dem extrem niedrig angesetzten Produktionsbudget der Nachkriegszeit und dem Trend, alles irgendwie nach den Formvorgaben der expressionistischen Künstler-Avantgarde der 1910er Jahre, schaffte es Murnau, einen ausdrucksstarken Film zu produzieren, der seine eigene expressive Art in sich birgt.

Die distanzierte Betrachtungsweise unserer Generation lässt uns jedoch das als expressionistisch erscheinen, was früher „romantisch hieß“1. So wird die zwischenmenschliche Beziehung und die Übermacht der Liebe zentraler empfunden worden sein, als in heutigen Tagen, in denen man mehr auf die Mise en Scène und die Wirkung von verschiedenen Filmstil-Elementen achtet.

Eine durchgängige Problematik zeigte sich bei der Erschließung des Themas mit der subjektiven Filmrezeption, die jeden Zuschauer begleitet. Aufgrund dessen ziehe ich verstärkt zeitgenössische Rezeptionen, wie beispielsweise die von Siegfried Kracauer mit ein, die jedoch schon damals ähnlich pragmatische Ansätze behandelten. Diese Subjektivität der Wahrnehmung wird während der Betrachtung des Unheimlichen, eine starke Beziehung zum direkten Filmerleben eingehen und versucht zu veranschaulichen, was das Unheimliche so unheimlich macht. Hierbei ist natürlich der historische Kontext zu beachten, sowie auch neuere Theorien, wie die von Jacques Lacan über das Imaginäre, finden dazu effektiven Bezug. Mit dieser einführenden Betrachtung des Grauens in Murnaus Film erfolgt dann die Detailbetrachtung expressiver Momente. Einerseits hinsichtlich der filmspezifischen Mittel und andererseits in Bezug auf das Schauspiel und die Charakteristik der wichtigsten Figuren.

Diese Arbeit erhebt hierbei in keinerlei Hinsicht Anspruch auf Vollständigkeit, da das Wesen des Films zu weitreichend ist, um es in diesem Rahmen zu erfassen. Sie versucht wichtig erscheinende Momente des expressionistischen Films hinsichtlich des 'Unheimlichen' analytisch wiederzugeben.

1 Vom Wesen des Grauens

1.1 Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit

Wer kennt das nicht, wenn nicht wenigstens aus vergangenen Kindertagen? Man liegt nachts im Bett – rundherum ist alles dunkel. Man versucht mit weitgeöffneten Augen auch nur das geringste Schimmern eines Objektes zu entdecken und entdeckt dann ganz mithilfe der Phantasie manchmal sogar ein Subjekt. Man fühlt sich nicht mehr allein im Raum und weiß nicht, was das für eine Gestalt sein soll und vor allem, zu was sie fähig ist – und schon ist man in der Schlinge der Angst. Bereits Béla Balázs schrieb in „Der sichtbare Mensch“:

„Im Leben ist diese Unsichtbarkeit gerade das Unheimlichste.“2

Die Unsichtbarkeit der Dinge, ganz einfach weil sie in diesem Fall gar nicht existieren, konstruieren also schon im Alltag grundlegende Angstzustände, die der geübte Filmregisseur einzusetzen weiß, wenn er seine Zuschauer in einen dämonischen Bann ziehen will. Man könnte nun behaupten, solche Geistererscheinungen im 'normalen' Alltag wären banale Hirngespinste, die bishin zur Paranoia diagnostiziert werden könnten. Doch auch Jacques Lacan war sich schon dem Unterschied von geisteskranken Erscheinungen und phanatsiebedingten Eigeninterpretationen bewusst, wenn er dem Paranoiker die psychischen Voraussetzungen von „Objektivität und Bedeutung“3 als fehlend unterstellt. Der Filmrezipient besitzt jedoch auch schon in den Anfängen des Films und natürlich auch schon vorher diese „Momente des Stils“4 und kann sich somit unbefangen in den Film einfühlen und sich ängstigen ohne dass ihm gleich eine Paranoia zugeschrieben würde.

In Friedrich Wilhelm Murnaus »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens«, wie in vermutlich jedem anderen Film auch, wird der Filmrezipient gleich zu Anfang darauf aufmerksam gemacht, was ihm im Film erwarten könnte. Damals wie heute durch große Filmplakate, die das Grauen und das abgrundtief Böse der Hauptfigur eines Horrorfilms offenbaren und auch schon ausgewählte S creenshots mit sagenhafter Mimik gezeigt.5 Somit geht der Zuschauer bereits mit genau solchen Vorahnungen und somit auch mit bestimmten Erwartungen an den Film in das Lichtspielhaus.

Einen Effekt, wie zur Aufführung der Eisenbahneinfahrt durch die Gebrüder Lumière, konnte es in den 1920er Jahren natürlich nicht mehr geben, da das Medium Kino und Film sich bereits etabliert hatte und der expressionistische Film sich sogar in seiner Blütezeit befand.6

Aufgrund dessen muss man in andere Richtungen denken, die verständlich machen, warum man sich während eines Filmes des Genres Horror in bestimmten Momenten gruselt, obwohl man sich jederzeit bewusst sein kann, dass sich alles auf einer Leinwand abspielt. Man muss nur kurz zur Seite schauen. Im Theater funktioniert das ja auch.

Hier zeigt sich offenkundig das Wesen des Films. Die belichtete Leinwand, gefüllt mit bewegten Bildern, sonderbaren Effekten, unvorstellbaren Möglichkeiten, lassen den Zuschauer schon bald in eine eigene und doch fremde Welt eintauchen. Eigen, weil erfahren mit der eigenen Ideenwelt seines Wahrnehmungsvermögens; fremd, weil das Gezeigte manchmal den Erfahrungen des Möglichen und der Wirklichkeit des Alltags widersprechen.

„Der Kinobesucher folgt den Bildern auf der Leinwand in einem traumartigen Zustand.“7

Ihm wird also eine Idee vorgespielt, die den Traum des Zuschauers ermöglicht. Diese zwei Momente scheinen sich gegenseitig zu bedingen. Einerseits gibt der Film dem Traum sujethaft Verknüpfungen und leiten somit die Filmrezeption. Andererseits beeinflusst die Gedankenwelt und die Interpretationsweise (die wiederum von der Erfahrungswelt des Zuschauers abhängig ist) diejenigen Momente, die nicht oder nur diffus dargestellt sind. Wenn sich zum Beispiel Hutter verängstigt auf das Bett in seinem Zimmer des Schlosses des Grafen Orlok zurückzieht (0:34:38)8, wird immer wieder eine Einstellung des herannahenden Vampirs zwischengeschnitten. In der Einstellung auf Hutter bleibt jedoch der Anblick des Vampirs vor dem inneren Auge des Rezipienten, dem sogleich das Gefühl aufdrängt, er würde immer näher kommen und fast ihn selbst angreifen. Das in diesem Moment nicht Gezeigte wird also dennoch in der Imagination des Zuschauers fortgeführt. Dieses enorme Potential, sich in den Film oder sogar in eine bestimmte Figur des Films hineinversetzen zu können, wenn der Zuschauer ihm zugeneigt ist, kann man so natürlich nur an sich selbst erfahren, um es nachzuweisen. Wenn aber Balázs sagt „Unsichtbares kann [...] nicht photographiert werden“9 hat er grundlegend recht und beweist damit zumindest das Vorhandensein einer aktiven, in die Filmrezeption einwirkenden Gedankenwelt des Zuschauers. Schon der Ausspruch 'man hat das Gefühl, dass...' zeigt, dass etwas nicht direkt sichtbar, wohl aber erfahrbar ist. Nämlich durch die Kraft der Phantasie.

[...]


1 Vgl. von Keitz, Ursula; Hoffmann, Kay: Die Einübung des dokumentarischen Blicks. Fiction Film und Non Fiction Film zwischen Wahrheitsanspruch und expressiver Sachlichkeit 1895-1945, Friedrich Wilhelm Murnau Gesellschaft, 2001, S. 103.

2 Siehe: Balázs, Béla: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films, 2001, S. 102.

3 Vgl.: Gekle, Hanna: Tod im Spiegel. Zu Lacans Theorie des Imaginären, 1996, S. 83.

4 Vgl. ebd.

5 Vgl. hierzu auch die Cover-Gestaltung jeder Original-DVD von »Nosferatu«.

6 Dazu mehr unter Punkt 2 „Nosferatu – Film des 'klassischen' Expressionismus?“

7 Siehe: Ejchenbaum: Probleme der Filmstilistik, in: Albersmeier: Texte zur Theorie des Films, 1995, S. 248.

8 Die Ziffern in Klammern bedeuten die Filmzeiten auf der verwendeten DVD.

9 Siehe: Balázs, Béla: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films, 2001, S. 102.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Schattenbilder
Untertitel
Das expressionistische Kino und seine Lichtkünste am Beispiel Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“
Hochschule
Universität Erfurt  (Literaturwissenschaften)
Veranstaltung
Dämonische Leinwand. Der deutsche Film des Expressionismus
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V127101
ISBN (eBook)
9783640335435
ISBN (Buch)
9783640335015
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Expressionismus, Film, Nosferatu, Vampir, Horror, Grusel, Lang, Thema Nosferatu
Arbeit zitieren
Mathias Seeling (Autor:in), 2009, Schattenbilder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127101

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