Bertolt Brechts frühe Liebeslyrik im teilweisen Spiegel seiner frühen Jugendlieben - "Erinnerung an die Marie A." und "Terzinen über die Liebe"


Hausarbeit, 2008

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Die frühe Lyrik Bertolt Brechts

3 Fingierte Sentimentalitäten – „Erinnerung an die Marie A.“
3.1 Persönlicher Hintergrund und Entstehung
3.2 Inhaltliche Analyse
3.3 Inhaltliche Interpretation

4 Die aufgehobene Sehnsucht – „Terzinen über die Liebe“
4.1 Hintergrund und Entstehung
4.2. Inhaltliche Analyse
4.3 Inhaltliche Interpretation

5 Fazit

LITERATURVERZEICHNIS

1 Einleitung

Brechts Liebesbeziehungen – diese Beziehungen waren eigentlich, jede Brecht-Biografie tut es kund, mehr Akte der Vergnügung – und Frauengeschichten haben in der Brecht-Forschung in den letzten Jahren immer mehr an Interesse gewonnen. Und das obwohl keine dieser Frauen – man denke in Brechts frühen Augsburger Jahren etwa an seine Jugendliebe Paula Banholzer und Rosa Marie Amann, und während der Exilzeit an Margarete Steffin und Ruth Berlau – haben jemals einen festen und vor allem Dauerhaften Platz in Brechts Leben eingenommen hat.[1] Ein Rückgang des Interesses ist kaum absehbar; flossen die Erlebnisse aus Brechts Frauengeschichten doch zumeist in sein Werk mit ein. Im Beispiel vorliegender Arbeit ist in „Erinnerung an die Marie A.“[2] deutlich Brechts Bezugnahme auf Rosa Maria Amann, eine seiner frühen Augsburger Liasonen, erkennbar. Doch auch die Verarbeitung des Liebesmotivs ohne eine konkrete weibliche Inspirationsquelle ist in Brechts umfangreichem Werk zu finden. Dabei fällt eines auf: Die Texte sind nie Darstellungen einer von Romantik und Glück erfüllten Liebesbeziehung von langer Dauer. Stets schwingt der Aspekt der Vergänglichkeit, der tragischen Liebesgeschehnisse oder des rein körperlichen Vergnügens mit. Das soll – im Bereich der Lyrik – Gegenstand vorliegender Arbeit sein.

Die beiden zu bearbeitenden Gedichte „Erinnerung an die Marie A.“ und „Terzinen über die Liebe“ wurden vor allem vor jenem Hintergrund gewählt, dass in erstgenanntem direkt auf eine bestimmte Dame, Rosa Maria Amann, Bezug genommen wird, in zweiterem jedoch nicht. Das soll den Aspekt verdeutlichen, dass Brecht sowohl in konkreten Verarbeitungen seiner Frauengeschichten als auch in weniger konkreten Darstellungen stets die negativen und kaum mit Gefühl belegten Aspekte einer Liebes- bzw. sexuell motivierten Beziehung voranstellt. Bewusst wurde in dieser Arbeit auf Gedichte, die diesen Aspekt in nur all zu großer Deutlichkeit, schon auf textimmanenter Ebene präsentieren verzichtet. Auch ohne vollständige Interpretation erschließt sich die Intention solch Brecht´scher „Liebes“lyrik. Beispiele hierfür wären etwa „Über die Verführung von Engeln“[3], „Sonett über einen durchschnittlichen Beischlaf“[4], oder „Liebesunterricht“[5], um nur einige wenige der reichhaltigen Auswahl zu nennen. Stets wird hier vornehmlich der rein körperliche Akt bloßer Begierde, sowie der Aspekt der Vergänglichkeit und ein beliebiger Austausch der Partnerin in das Zentrum rückt. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang lediglich, dass Brecht seine Gespielinnen trotz der Rolle die sie in diesen Gedichten einnehmen, stets mit Respekt zu behandeln trachtet und diese nicht als Opfer seiner selbst auftreten lässt. Er gesteht ihnen Selbstbestimmung, auch in sexueller Hinsicht, zu.[6]

Doch zurück zur Aufgabenstellung vorliegender Ausführungen. Trotz aller negativer Intention in Brechts Liebeslyrik wird diese oft erst auf den zweiten Blick deutlich. Die beiden nachstehend interpretierten Gedichte geben diese Konkretisierung der Vergänglichkeit und die negative bis gefühllose Auslegung der Liebe nicht offenkundig preis. Möchte man doch, unter besonderer Bezugnahme in „Erinnerung an die Marie A.“, bei einer ersten Lektüre von einer erfüllten Liebesbeziehung ausgehen. Diese liegt zwar schon eine Zeit zurück; doch erfüllt, so erzählen es die Zeilen, war sie wohl. Ein Irrtum, wie nachstehende Interpretation zeigt und deren Bild der Vergänglichkeit durch die Interpretation von „Terzinen an die Liebe“ unterstrichen wird. Nicht zuletzt wurden die beiden Gedichte deshalb gewählt, weil Brecht in „Terzinen über die Liebe“ fortführt was er in „Erinnerung an die Marie A.“ so beeindruckend begonnen hatte – eine Separation der Liebe in einen real erfahrenen und erfahrbaren sowie einen idealen Teil. Doch bevor auf die Gedichttexte selbst eingegangen wird, soll zuerst ein kurzer Abriss über die frühe Lyrik – diesem Umkreis entstammen die beiden in dieser Arbeit exemplarisch bearbeiteten Gedichte – Bertolt Brechts gegeben werden.

2 Die frühe Lyrik Bertolt Brechts

Brechts frühe Lyrik wird unter den Jahren 1912 bis 1924 zusammengefasst.[7] Brechts erster großer Gedichtband trug den Namen „Hauspostille“ (Gedichte von 1916-1925), in dem auch „Erinnerung an die Marie A.“ aufgeführt ist[8], verarbeitet vor allem Themen wie Abendteuer, Natur, Liebe – und in diesem Zusammenhang selbstredend – den Verfall.[9] Schon früh übte sich Brecht im Schriftstellertum. Etwa in Beiträgen für die Augsburger Schülerzeitschrift „Die Ernte“, in seinem Tagebuch No. 10“ oder in Artikeln für die „Augsburger Neueste Nachrichten“.[10] Hillesheim beschreibt schon in diesen frühen Versuchen die Entwicklung einer Brecht eigenen Ästhetik, die dem literarischen Effekt, der Wirkungsorientiertheit den Vorrang gebe, das abgefasste Werk nie in erster Linie als Transportmittel politischer Botschaften sehe.[11] Denn Brecht agierte schon zu dieser frühen Zeit als politischer Autor. Natürlich keinesfalls in jenem Ausmaß wie er es zu seiner Exilzeit getan hat; aber immerhin politisch. Verfasste er doch schon zu Augsburger Zeiten Texte für Kriegspostkarten und brachte staatstragende Ideologien zu Papier.[12] Eine völlige Vernachlässigung jeder politischer Themen setzte er mit der Hauspostille um. Ab 1916 verfasste er, es ist vorstehend bereits angedeutet, Gedichte zu Themen der abenteuerlichen Ferne, der Liebe und dem Verfall.[13] Aber auch die Natur, ein ebenfalls nicht zu vernachlässigendes Thema, war ein Aspekt in der frühen Lyrik Brechts. Brecht war der Auffassung, „dass die Natur als Leitfaden des Schreibens anzusehen gelte.“[14] Man sollte sich beim Schreiben an ihrer Distanz und Indifferenz orientieren. Denn nur so könnten Dichtung und bildende Kunst die Wirklichkeit in den Blick des Lesers bringen und zugleich Empfindungen vermitteln. Die tatsächliche Wirklichkeit sollte hinter der scheinbaren enthüllt und freigelegt werden.[15] Das ist auch der Hauptaspekt im Gedicht „Erinnerung an die Marie A.“, das in folgendem Abschnitt interpretiert und hinterfragt wird.

3 Fingierte Sentimentalitäten – „Erinnerung an die Marie A.“

ERINNERUNG AN DIE MARIE A.

1
An jenem Tag im blauen Mond September

Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

2
Seit jenem Tag sind viele, viele Monde

Geschwommen still hinunter und vorbei.
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei.
So sag ich dir: ich kann mich nicht erinnern
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst.
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nunmehr: ich küßte es dereinst.

3
Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen

Wenn nicht die Wolke dagewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind.
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.

(GBA 11, S.92f.)

3.1 Persönlicher Hintergrund und Entstehung

Quelle dieses 1920 entstandenen Gedichts ist der französischen Schlager „Tu ne m´aimais pas“ (dt. Du liebst mich nicht) von Léon Laroche und der Musik von Charles Malo. Wie auch den Strophenbau übernahm Brecht Metrum, den fünfhebigen Jambus und Reimschema des Schlagers. Lediglich in Vers 26 („Und jenes Weib hat jetzt vielleicht das 7. Kind“) weicht er davon ab, was Zeugnis darüber ist, dass er dabei wohl die Melodie seiner Quelle beim Verfassen der Zeilen im Kopf hatte. Das Gedicht entstand, wohl schnell und flüssig, so ist sich die Forschung einig, auf einer nächtlichen Zugfahrt nach Berlin. Zunächst trug das Gedicht den Namen „Sentimentales Lied“, mit dem Brecht den Bezug zu seiner französischen Quelle herstellte. Damit spielt er auf die – wohl gemerkt nur vordergründige – Sentimentalität seiner Verse an.[16] Diese soll aber mit nachfolgender Interpretation widerlegt werden.

[...]


[1] Vgl. Häntzschel, Hiltrud: Brechts Frauen. Reinbek b. Hamburg 2002, S.10.

[2] In: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Berlin/Weimar/Frankfurt a.M. 1988-2000. Nachfolgend zitiert als „GBA“ jeweils mit Band und Seitenzahl. GBA 11, 92.

[3] In: GBA 15, 193.

[4] In: GBA 13, 341.

[5] In: GBA 15, 162f.

[6] Vgl. Kugli, Ana: Feminist Brecht? Zum Verhältnis der Geschlechter im Werk Bertolt Brechts (Forum Deutsche Literatur, 6). München 2006, S. 77-87.

[7] Vgl. Müller, Hans-Harald/Kindt, Tom: Brechts frühe Lyrik – Brecht, Gott, die Natur und die Liebe. München 2002, S.11.

[8] Vgl. Knopf, Jan: „Sehr weiß und ungeheuer oben“, in: Knopf, Jan (Hrsg.): Interpretationen. Gedichte von Bertolt Brecht. Stuttgart 2006, S. 32.

[9] Vgl. Kuhn, Tom: Brecht als Lyriker, in: Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch, Bd. 2. Stuttgart/Weimar 2001, S. 6f.

[10] Vgl. ebd., S.6.

[11] Vgl. Hillesheim, Jürgen: „Ich muß immer dichten“. Zur Ästhetik des jungen Brecht. Würzburg 2005, S. 16 f.

[12] Vgl. Kuhn, Tom: Brecht als Lyriker, in: Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch, Bd. 2. Stuttgart/Weimar 2001, S. 6.

[13] Vgl. Müller, Hans-Harald/Kindt, Tom: Brechts frühe Lyrik – Brecht, Gott, die Natur und die Liebe. München 2002, S.12.

[14] In: ebd., S.18.

[15] Vgl. ebd., S.18f.

[16] Vgl. Knopf, Jan: Erinnerung an die Marie A., in: Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch, Bd. 2. Stuttgart/Weimar 2001, S. 78f.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Bertolt Brechts frühe Liebeslyrik im teilweisen Spiegel seiner frühen Jugendlieben - "Erinnerung an die Marie A." und "Terzinen über die Liebe"
Hochschule
Universität Augsburg  (Lehrstuhl für Komparatistik ; Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur)
Veranstaltung
Gedichtete Liebe. Modelle der Liebeslyrik von der Antike bis zur Moderne
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V126489
ISBN (eBook)
9783640323845
ISBN (Buch)
9783640321766
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Für das Verfassen der Arbeit wurden wissenschaftlich wichtige Werke der Brecht-Forschung verwendet, auf die Wert gelegt wird: - Brecht-Lexikon - Brecht-Handbuch - GBA (große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe)
Schlagworte
Bertolt, Brechts, Liebeslyrik, Spiegel, Jugendlieben, Erinnerung, Marie, Terzinen, Liebe
Arbeit zitieren
Melanie Steck (Autor:in), 2008, Bertolt Brechts frühe Liebeslyrik im teilweisen Spiegel seiner frühen Jugendlieben - "Erinnerung an die Marie A." und "Terzinen über die Liebe", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126489

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