Rasse und Geschlecht in Heinrich von Kleists Verlobung von St. Domingo


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

28 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Bild des „Negers“ in einigen exemplarischen Schriften der Aufklärung im Vergleich mit Der Verlobung in St Domingo
2.1. Afrika in Haiti
2.2. Vergleich der „Rassen“ in Verlobung in St Domingo
2.3. Zwischen den Fronten - Die „halbschlächtigen Blendlinge“

3. Das Frauenbild in der Verlobung in St Domingo
3.1. Mariane
3.2. Toni
3.3. Babekan
3.4. Exkurs: Marianne

4. Schlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Welt von St Domingo in der Erzählung Kleists schient Kopf zu stehen. Die Erzählung ist auf den ersten Blick eine tatsächliche Novelle nach Goethes Auffassung – hier geschehen unerhörte Sachen. Schwarze morden Weiße, ehemalige Sklaven schwingen sich zu Herren auf und wohnen in Villen, während sich ihre Herren durch die Dunkelheit und Wildnis schlagen müssen und Frauen ziehen mit Helm und Spieß bewaffnet in den Kampf.

Und doch ist fast alles schon mal da gewesen. Nur ein paar Jahre vorher versteckte sich der französische Adel in Kloaken und kroch durch Wälder, während die ehemaligen Knechte ihre Schlösser verwüsteten. Von Weibern, die sich im Namen von Freiheit und Gleichheit in Hyänen verwandeln haben wir da auch schon gehört und das Weib mit Helm und Spieß winkte von den Fahnen der Revolution.

Nur eins ist neu – das Weiße von Schwarzen gemordet werden. Denn normalerweise mordeten die Weißen die Schwarzen. Sie jagten ihnen vielleicht nicht oft die Kugel durch den Kopf, doch sie verschleppten sie in die Sklaverei und die Lebenserwartung eines Sklaven auf St. Domingo betrug nicht mehr als sieben bis 10 Jahre.1 Doch ist es überhaupt wichtig, dass es Schwarze sind die Weiße morden? Tun das die Weißen nicht selbst zu Genüge? Andererseits, ist die Vorstellung von mordenden Schwarzen für das Publikum um 1811 nicht schlimmer als die von mordenden Weißen?

Dazu muss man das Bild des „Negers“, um sich der zeitgenössischen Sprache des 19. Jahrhunderts zu bedienen, untersuchen. Im Zeitalter der Aufklärung, insbesondere in der Spätphase derselben, scheint man sich viel mit der Frage „Rassen“ beschäftigt zu haben, sowie mit dem Verhältnis der selben zu einander. Doch scheinen die aufgeklärten Denker nicht viel davon zu halten, die Schwarzen aus der „Unmündigkeit“ zu führen. Sie bescheinigen ihnen zwar fast durchgehend, aber in vielen Fällen auch äußerst widerwillig, ein Recht auf das Menschsein, sehen sie aber eher als unterentwickelt an. Für Voltaire sind sie sogar Untermenschen, die das Prinzip des Bösen verkörpern und denen nichts anders zukommt als die Sklaverei.2 Kant und Hume sprechen ihnen jeden Sinn für das Schöne und auch Intelligenz ab3. Im Gegenzug veröffentlicht der Anthropologe Blumenbach „ein paar Beispiele statt vieler von den Anlagen und Fähigkeiten dieser unserer schwarzen Brüder in wissenschaftlichen Kenntnissen“4, nennt auch Beispiele von schwarzen Dichtern und Musikern, die in ihrer Kunst den weißen in nichts nachstehen5 und bescheinigt ihnen noch viele andere Talente. Doch so eine Einstellung ist in den Veröffentlichungen des deutschsprachigen Raums am Ende des 18. Jahrhunderts eher selten zu finden. Selbst die meisten derjenigen die den Sklavenhandel und die Sklavenhaltung verurteilen, scheinen in den Schwarzen keine Gleichgestellen zu sehen. Weitere Bespiele des „Negerbildes“ der Spätaufklärung sollen im direkten Vergleich mit der Novelle erfolgen.

Doch nicht nur die Gleichheit der Rassen ist nicht gegeben sondern auch die der Geschlechter. Die im Züge der Aufklärung aufgekommene Idee der Einbeziehung der Frau in das öffentlich-politische Leben, die in sich stets nur sehr schwach behaupten konnte, war während der Spätaufklärung und am Anfang des 19. Jahrhunderts bereits eine verlorene Sache. Die Frau sollte zurück an den Herd und ins Haus, um ihre einzige Pflicht als Mutter und Gattin zu erfüllen. Dass Kleist diese Idee von der Rolle der Frau teilte, geht aus seinen Briefen hervor. Umso interessanter ist es, dass fast alle der Frauenfiguren in der Verlobung in St. Domingo diesem Ideal nicht immer entsprechen.

2. Das Bild des „Negers“ in einigen exemplarischen Schriften der Aufklärung im Vergleich mit Der Verlobung in St. Domingo

2. 1. Afrika in Haiti

Es wird berichtet, dass Congo Hoango in „seiner Jugend von treuer und rechtschaffener Gemütsart schien“(5)6 und seinem Herrn das Leben rettete, worauf ihn dieser mit Wohltaten wie Freiheit, Vertrauen und Geld überhäufte. Der Erzähler legt uns nahe, dass Hoango demnach viel besser als andere Schwarze behandelt wurde und dass es eigentlich monströs sei, dass er trotz der ihm erwiesenen Wohltaten „seinem Herrn die Kugel durch den Kopf jagte“(6) und die Familie desselben eines qualvollen Todes im brennenden Haus sterben ließ. Das angegebene Rachemotiv, die „Tyrannei, die ihn seinem Vaterlande entrissen hatte“(6), wirkt etwas unzureichend, um nach so langer Zeit so eine plötzliche Verwandlung des ‚treuen Hundes’ in einen ‚reißenden Wolf’ zu rechtfertigen. Doch bei näherer Betrachtung sind auch die Wohltaten des Herrn Villeneuve nicht das was sie zu sein scheinen. Obwohl Hoango rechtlich frei ist, bleibt Villeneuve sein Herr, (als solchem jagt Hoango ihm auch die Kugel durch den Kopf), der offenbar immer von außen kontrollierend in sein Leben eingreift, bis in den intimsten Bereich, z.B. in dem er ihm Babekan „beilegt“(6).7

Doch kann man versuchen die Darstellung der Figur Hoango auch durch andere Quellen als die Erzählung selbst zu durchleuchten.

So wird uns erzählt, dass Hoango ursprünglich von der Goldküste Afrikas stammt. Selbsternannte ‚Negerexperten’ der Aufklärung haben einiges von den Bewohnern der Goldküste und ihren Gebräuchen zu erzählen. So berichtet Meiners: „Besonders zeichnen sich unter den Negern von der Goldküste die furchtbarsten unter allen die so genannten Koromatiner [...] aus.“8 Diese seien von Gesicht und Körper nicht so „hässlich“ wie die anderen Neger und „nähern sich mehr der Europäischen Form“9. Darin sieht Meiners wahrscheinlich den Grund wieso sie sich dazu eignen unvergleichliche “Führer“ zu sein, “weßwegen sie auch fast immer die Urheber, und Anführer von Verschwörungen und Aufruhen sind.“10

Die Figur Congo Hoangos fügt sich mühelos in dieses Bild11. Er ist „einer der ersten, der die Büchse ergriff“ und die „Neger, die er versammelt und bewaffnet hatte“, anführte „um seinen Mitbrüdern in dem Kampfe gegen die Weißen beizustehen“(5). Somit ist Hoango Miturheber des ‚Aufruhrs’ auf der ganzen Insel, sowie das offensichtliche Organisationstalent und der Anführer zumindest einer größeren Gruppe der Aufständischen. Des Weiteren werden wir nur nebenbei informiert, dass er „aufgebrochen war, um dem General Dessalines mitten durch die französischen Posten einen Transport von Pulver und Blei zuzuführen“(6) und später, dass er „mit seinem ganzen Tross aus dem Lager des Generals Dessalines zurückgekehrt war“ (26). Seine Mission war offensichtlich erfolgreich. Was Hoango sonst sein mag, ein militärisches und organisatorisches Talent kann man ihm nicht absprechen. Was ihn letztendlich für viele in der damaligen Leserschaft nicht sympathischer gemacht haben dürfte, da er somit eine starke Ähnlichkeit mit einem gewissen „fürchterlichen“ und trotzdem militärisch genialen Korsen bekommt, gegen dessen Herrschaft er eigentlich kämpft. Doch könnte man behaupten, dass Hoango sich gerade durch diese Ähnlichkeit „der Europäischen Form“ nähert, wenn auch nicht in körperlicher Form, die Meiners meinte, sondern eher in geistiger.12

In der Forschung wird oft darauf hingewiesen, dass während Hoango mit Babekan und Toni in einer Villa wohnt, die anderen Schwarzen in Ställen und Nebengebäuden schlafen, was sie ins ‚animalische’ Licht rücken sollte.13 Auch dafür findet sich bei Meiners eine mögliche Erklärung: „Sie [die Koromatiner] mischen sich [...] wenig unter die übrigen Neger, sondern wohnen beständig abgesondert.“14 Und abgesehen davon stand Hoango bereits vor der Revolution über den anderen Schwarzen. Liberté ist nicht automatisch gleich egalité.

Doch Hoangos angeborene Führerrolle ist nicht das einzige was sich einem aus der Lektüre der ‚aufgeklärten’ Denker des ausgehenden 18. Jahrhunderts erschließt. Auch Kant weiß etwas über die (Un)Sitten der Goldküste zu berichten: „Die Schwarzen an der [Gold]Küste richten die Weiber so ab, daßet sie Fremde verführen, damit sie selbige hernach mit Geld strafen können.“15 Diese schöne Sitte lässt Kleist Hoango, in leicht abgewandelter Weise, offenbar auch aus dem „geliebtem Vaterlande“ mitbringen. „So unterrichtete er die Weiber, diese weißen Hunde, wie er sie nannte, mit Unterstützungen und Gefälligkeiten bis zu seiner Wiederkehr hinzuhalten“ (6). Auch soll Toni „den Fremden keine Liebkosung [...] versagen, bis auf die letzte, die ihr bei Todesstrafe verboten“ (6) ist. Das Gebotene ist geringer, denn Toni behält ihre Jungfräulichkeit, der Preis höher, denn hier wird nicht mit Geld bezahlt, sondern mit dem Leben.

Natürlich spielt die Handlung der „Verlobung“ nicht an der Goldküste (Ghana), sondern auf St. Domingo (Haiti). Doch ist durch die Parallelen die sich in oben zitierten Texten von Meiners und Kant anzunehmen, dass Kleist diese kannte und vielleicht auch einiges daraus für seine Erzählung entliehen hatte. Kleist Darstellung der Ereignisse auf Haiti ist von einem komplexen Kampf zwischen vielen Gruppierungen16 auf einen vereinfachten Konflikt zwischen den schwarzen und weißen Einwohnern der Insel reduziert. Dies hinterlässt den Eindruck, die Afrikaner würden nun ihrerseits die Europäer genauso ausrotten wie diese die Ureinwohner, um den Besitz der Insel an sich zu reißen um anschließend die ‚europäische Leitkultur’ durch eine ‚primitive’ afrikanische zu ersetzen.17

2.2. Vergleich der „Rassen“ in Verlobung in St. Domingo

“Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen“18

Dass sich die Kultur, bzw. Lebensweise der ‚Neger’ von der der ‚Weißen’ deutlich unterscheidet, wird dem Leser oft genug vor die Augen geführt. Die Unmoral der Schwarzen wird bestätigt: Hoango und Babekan sind nicht miteinander verheiratet und sowohl Hoangos Knaben wie Babekans Tochter sind ‚Bastarde’19, die nicht einmal ihrer gemeinsamen Beziehung entstammen. Dagegen sind die Strömlis die europäische Vorzeigefamilie der Erzählung. Der alte Patriarch der Familie ist, im Unterschied zu dem „fürchterlichen alten Neger“, ein „edler Herr“(29). Seine drei Söhne wurden alle von seiner Gemahlin geboren, die auch noch vornehm genug ist beim ersten Schreck in Ohnmacht zu fallen. Im Gegensatz zu der ehrbaren Dame, die aus dem Kampfgeschehen hurtig entfernt wird, hat das schwarze Lager eine ‚gefallene’ Mulattin vorzuzeigen, die nur eine Ehe, aber zwei uneheliche Beziehungen und ein Bastardkind vorzuweisen hat, und zu alledem noch mit Gift hantiert, sowie Toni, die von Jugend an als Sexualköder benutzt wird und im Moment der Gegenüberstellung kein Bild süßer Weiblichkeit darstellt, mit einem Helm auf den Kopf und einem Spieß in der Hand. Alt-Strömli wird von „wackeren Dienern“ (30) unterstützt, Hoango von einem nichts begreifendem „Haufen“ (31), der sich wie gehorsames Vieh in Ställe zurückzieht. Ein diesem Haufen zugehöriger ‚Neger’ wird „eingefangen“(31), während über Gustav lediglich eine Haft verhängt wurde.

[...]


1 vgl. Bernecker, Walter. L.: Kleine Geschichte Haitis. Frankfurt am Main. 1996.Hier S. 29. [Im Folgenden als Bernecker. + Seitenzahl angegeben.]

2 vgl. Kappeler,Manfred. Rassismus. Über die Genese einer europäischen Bewusstseinsform. Frankfurt am Main. 1994. Hier S. 89. [Im Folgenden als Kappeler. + Seitenzahl angegeben.]

3 vgl. Fleminng, Ray: Race and the Difference It Makes in Kleist's "Die Verlobung in St.. Domingo". In: German Quarterly, 65:3/4. 1992:Summer/Fall. S.306 – 317. Hier S. 307 .

4 s. Blumenbach, J.F. :Einige naturhistorische Bemerkungen bey Gelegenheit einer Scweizerreise. Von den Negern. In: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte. 1781-99. 1787 , 4.Bd.,3.St.. , S. 1 – 12. Hier Seite 9.

5 vgl. Ebd. S. 8 und 9.

6 Alle Zitate nach: von Kleist. Heinrich: Die Verlobung in St.. Domingo. Hamburger Lesehefte. 153. Heft. Im Folgenden werden die Seitenzahlen nur bei direkter Zitierung direkt im Text angegeben.

7 Dafür spricht auch das Alter der unehelichen Kinder Hoangos. Seppy ist 5 und der andere Knabe wohl auch kaum älter, so müssen sie erst nach dem Revolutionsausbruch gezeugt worden sein, was den Schluß nahe legt, dass Hoangos Herr vorher auch sein Sexualleben kontrolliert hatte, bzw. dass Hoango nur mit der Frau Geschlechtsverkehr haben konnte, die ihm sein Herr zugewiesen hatte.

8 s. Meiners, C. :Von den Varietäten und Abarten der Neger In: Göttingisches historisches Magazin. 1787-91. 1790 , 6.Bd. , S. 625 – 645. S. 630.

9 vgl. Ebd. S. 629-630

10 s. Ebd. S. 630

11 Sowie auch der in der Erzählung indirekt anwesende General Dessalines, der auch an der Goldküste geboren wurde.

12 Parallelen zu Napoleon finden sich geschichtlich in den Generälen Dessalines und Touissant Louvertere, wobei besonders der letztere von Historikern oft als der „schwarze Napoleon“ bezeichnet wird, und die beide den französischen Kaiser auffällig in Kleidung und Auftritt nachahmten.

13 z.B. Hoverland, Lilian. Heinrich von Kleist und das Prinzip der Gestaltung. Königstein. 1978. S. 155. und Greiner, Bernhard: Kleist Dramen und Erzählungen: Experimente zum „Fall“ der Kunst. Tübingen / Basel. 2000. S. 430.

14 Meiners, C. :Von den Varietäten und Abarten der Neger. In: Göttingisches historisches Magazin. 1787-91. 1790, 6.Bd. , S. 625 – 645. Hier S. 630.

15 s.

Kant Immanuel: Physische Geographie. In: Elektronische Edition der Gesammelten Werke Immanuel Kants. Band 9. S. 415.

Im gleichen Absatz wird auch spezifiziert, dass es sich um die Goldküste handelt und keine sonstige Küste Afrikas.

16 vgl. dazu. Bernecker. S. 37-46.

17 Im Nachhinein stelle ich fest, dass diese Interpretation teilweise wirklich den historischen Ereignissen entspricht. So bemerkt Bernecker, dass nach dem Dessalines die Reste der weißen Bevölkerung eliminiert hätte, das Land in den Prozess der „Afrikanisierung“ verfiel. (Bernecker. S. 45)

18 s. Kant. Band 9. S. 316.

19 wobei das auf Toni nach damaligen Sprachgebrauch in doppeltem Sinne zutrifft.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Rasse und Geschlecht in Heinrich von Kleists Verlobung von St. Domingo
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Veranstaltung
Kleist und die Aufklärung
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
28
Katalognummer
V126107
ISBN (eBook)
9783640314966
ISBN (Buch)
9783640318407
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rassenfrage, Aufklärung, Heinrich von Kleist, Kleist, Verlobung von St. Domingo
Arbeit zitieren
Jelena Vukadinovic (Autor:in), 2006, Rasse und Geschlecht in Heinrich von Kleists Verlobung von St. Domingo, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126107

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