Zeitarbeit in Deutschland - Sozioökonomische Struktur der bei Zeitarbeitsfirmen Beschäftigten


Diplomarbeit, 2008

66 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


- Inhaltsverzeichnis -

Anlagenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmungen
2.1 Zeitarbeit
2.2 Sozialstrukturanalyse und sozioökonomische Struktur

3. Zeitarbeit als dynamische Wachstumsbranche des Arbeitsmarktes
3.1 Regulierung der Zeitarbeitsbranche
3.2 Quantitative Entwicklung der Zeitarbeit
3.2.1 Saisonale Entwicklung der Zeitarbeit
3.2.2 Konjunkturelle Entwicklung der Zeitarbeit
3.2.3 Zeitarbeit als Wachstumsbranche
3.3 Strukturelle, tätigkeitsspezifische Entwicklung der Zeitarbeit unter Berücksichtigung der allgemeinen Entwicklung des Arbeitsmarktes
3.3.1 Strukturelle Unterschiede
3.3.2 Substitutionstendenzen bei regulärer Beschäftigung
3.3.2.1 Umfang der Substitution
3.3.2.2 Ursachen der Substitution
3.4 Dynamik und Fluktuation in der Zeitarbeitsbranche

4. Sozioökonomische Struktur von Leiharbeitnehmern
4.1 Rekrutierungspotential von Leiharbeitnehmern
4.2 Geschlechterspezifische Unterschiede
4.2.1 Frauenquote
4.2.2 Segregation nach Frauen- und Männerberufen
4.2.3 Saisonale Schwankungen
4.3 Nationalitäten
4.4 Stellung im Beruf
4.4.1 Begrifflichkeiten und Abgrenzungen
4.4.2 Vertikale Hierarchien bei Leiharbeitnehmern und regulär Beschäftigten
4.4.3 Befristete Arbeitsverhältnisse und berufliche Stellung
4.5 Qualifikation
4.6 Altersstruktur
4.7 Einkommen
4.7.1 Methodik
4.7.2 Einkommensunterschiede
4.8 Beschäftigungsdauer und soziodemographische Merkmale

5. Subjektive Lebenswirklichkeiten von Leiharbeitnehmern
5.1 Leiharbeitnehmer im Vergleich zu regulär Beschäftigten
5.2 Disparität zwischen Qualifikation und beruflicher Stellung

6. Resümee

Abstract

Literatur- und Quellenverzeichnis

- Anlagenverzeichnis -

Anlage 1: Übersicht über wichtige gesetzliche Änderungen des ANÜ 34

Anlage 2: Regulierung der Zeitarbeitsbranche im internationalen Vergleich

Anlage 3: Wachstumsraten Arbeitnehmerüberlassung und BIP real 1992 bis 2006

Anlage 4: Änderungsraten Beschäftigung gegenüber Vorjahr 1975 bis 1990

Anlage 5: Entwicklung der Beschäftigung in der Zeitarbeitsbranche 1973 bis 2006

Anlage 6: Leiharbeiterquote 1981 bis 2006 37

Anlage 7: Zusammenhang zwischen Deregulierung und Wachstum in der Zeitarbeitsbranche

Anlage 8: Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung mit und ohne PSA

Anlage 9: Verteilung der Leiharbeitnehmer und sozialversicherungs- pflichtigen Beschäftigten nach Art der ausgeübten Tätigkeit

Anlage 10: Bestand an überlassenen Leiharbeitnehmern und sozial- versicherungspflichtig Beschäftigte ohne Leiharbeitnehmer

Anlage 11: Wachstumsraten Arbeitnehmerüberlassung nach Art der Tätigkeit

Anlage 12: Fluktuationskoeffizient und durchschnittliche Verweildauer im selben Verleihbetrieb

Anlage 13: Beendete Arbeitsverhältnisse zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses

Anlage 14: Verteilung der Beschäftigungsdauer in der Zeitarbeits- branche 2003

Anlage 15: Beschäftigungsdauer in der Leiharbeitsbranche 43

Anlage 16: Rekrutierung Leiharbeitnehmer 1994 bis 2006 44

Anlage 17: Rekrutierung männliche Leiharbeitnehmer 1994 bis 2006 44

Anlage 18: Rekrutierung weiblicher Leiharbeitnehmer 1994 bis 2006 45

Anlage 19: Frauenquote 1981 bis 2006 45

Anlage 20: Leiharbeitnehmer und sozialversicherungspflichtige Be- schäftigte nach Art der Tätigkeit, Geschlecht und Nationalität

Anlage 21: Geschlechtsspezifische Änderungsraten in der Arbeit- nehmerüberlassung 1973 bis 2006

Anlage 22: Qualifikation, berufliche Stellung und Geschlecht 2006 – Unterschiede zwischen Zeitarbeitern und regulären Arbeitnehmern

Anlage 23: Berufliche Stellung von Zeitarbeitern und regulären Arbeitnehmern 2006

Anlage 24: Art der Arbeitsverhältnisse nach beruflicher Stellung 2006 50

Anlage 25: reguläre Arbeitnehmer und Leiharbeitnehmer nach Qualifikation 2006

Anlage 26: Qualifikation und berufliche Stellung von Zeitarbeitern und regulären Arbeitnehmern 2006

Anlage 27: Altersklassen von Leiharbeitnehmern und übrigen Arbeitnehmern 2006

Anlage 28: Altersstruktur Leiharbeitnehmer 2006 52

Anlage 29: Altersstruktur übrige Arbeitnehmer 2006 53

Anlage 30: Matchingvariablen zur Berücksichtigung der sozioöko- nomischen Struktur zum Vergleich von Leiharbeitnehmern mit regulären Arbeitnehmern

Anlage 31: Berufliche Stellung der in den Matchingdatensätzen erfassten Arbeitnehmer

Anlage 32: Qualifikation der in den Matchingdatensätzen erfassten Arbeitnehmer

Anlage 33: Klassifizierung Alter der in den Matchingdatensätzen erfassten Arbeitnehmer

Anlage 34: Verteilfunktion der Bruttostundenlöhne 2006 56

Anlage 35: Einkommen nach beruflicher Stellung 2006 57

Anlage 36: Beschäftigungsdauer nach soziodemographischen Merkmalen

Anlage 37: Subjektive Lebenswirklichkeit von Leiharbeitnehmern und übrigen Arbeitnehmern 2006

Anlage 38: Leiharbeitnehmer nach Qualifikation in un- oder angelernten Tätigkeiten, bzw. Ausführung von Tätigkeiten, die keinen Berufsabschluss erfordern, 2006

Anlage 39: Leiharbeitnehmer nach Qualifikationen in un- oder ange- lernten Tätigkeiten, bzw. Ausführung von Tätigkeiten, die keinen Abschluss erfordern und ihre Tätigkeit bei einem Verleiher vor dem 31.12.04 aufgenommen haben (2006)

- Abkürzungsverzeichnis -

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Zeitarbeit, ein Bereich des Arbeitsmarktes, der in Politik und Gesellschaft heftig diskutiert und kritisiert wird und auch mit vielen Vorurteilen behaftet ist, hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ursprünglich war Zeitar- beit bis Mitte der 80er-Jahre eine Nischenbranche, die durch rechtliche Rahmen- bedingungen stark eingeschränkt war. Beschäftigt man sich dagegen neuerdings mit Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik ist Zeitarbeit ein Aspekt, der auf Grund seiner zunehmenden Bedeutung nicht unberücksichtigt bleiben darf.

Auf Grund der Komplexität der Zeitarbeitsbranche kann sich diese Arbeit nicht mit allen Teilbereichen der Thematik Zeitarbeit befassen. Vielmehr teilt sich diese Arbeit grob in zwei Teile auf, wobei sich der erste mit der quantitativen Entwick- lung und der anschließende mit der sozioökonomischen Struktur und einigen Be- reichen der Lebenswirklichkeit von Leiharbeitnehmern auseinandersetzt. Steht im zweiten Teil dieser Abhandlung der Arbeitnehmer im Zentrum der Betrachtung, so befasst sich auch der erste Teil vordergründig mit dem Arbeitnehmer. Die Sicht von Ent- und Verleihern, ebenso die rechtlichen Rahmenbedingungen, werden nur dann näher berücksichtigt und herangezogen, um Entwicklungen, Beobachtungen und Zusammenhänge eingehender zu erläutern.

In der Fachliteratur sind umfangreiche theoretische Ansätze zu dieser Thematik vorhanden, jedoch ausführliche empirische Untersuchungen sind wegen des bis- herigen Umfangs der Zeitarbeit nur bedingt vorhanden und stützen sich teilweise auf ältere Daten, deren Repräsentativität wegen der schnellen Bedeutungszunah- me der Branche und den geänderten Rahmenbedingungen zu hinterfragen sind. Als Datenquellen werden in dieser Arbeit primär die Arbeitnehmerüberlassungs- statistik der Bundesagentur für Arbeit und die Personenbefragung des SOEP von 2006 verwendet. Teilweise wird noch auf die Beschäftigtenstichprobe des IAB verwiesen, wobei das IAB nur Daten bis 2003 veröffentlicht hat.

2. Begriffsbestimmungen

2.1 Zeitarbeit

Der Begriff Zeitarbeit ist in der Literatur nicht eindeutig definiert. Ebenso liegt aus juristischer Sicht keine klare Definition vor: Das Arbeitnehmerüberlassungs- gesetz (AÜG) spricht lediglich von Arbeitnehmerüberlassung und Leiharbeit.1 Vielmehr hat die Zeitarbeitsbranche den Begriff Zeitarbeit geprägt. Unter Berück- sichtigung des AÜG beschreibt Zeitarbeit ein Arbeitsverhältnis, bei dem ein Ar- beitnehmer (Leiharbeitnehmer) von seinem Arbeitgeber (Verleiher) einem Dritten (Entleiher) gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung überlassen wird.2 Bei Zeitarbeit handelt es sich grundsätzlich nicht um ein befristetes Beschäftigungsverhältnis, wie oft angenommen wird.3 Die Dreiecksbeziehung Leiharbeitnehmer, Verleiher und Entleiher ist der elementare Unterschied zu anderen Formen flexibler Be- schäftigungsverhältnisse, wie etwa Befristungen.4

2.2 Sozialstrukturanalyse und sozioökonomische Struktur

Geißler versteht unter dem Begriff der Struktur „ein Instrument, das dazu dient den inneren Aufbau eines Phänomens zu analysieren. Er [die Struktur] unterglie- dert die Gesamtheit der Erscheinung in verschiedene Elemente (Teilbereiche) und untersucht die relativ dauerhaften Beziehungen und Zusammenhänge zwischen den Elementen.“ Die Sozialstrukturanalyse hat folglich gesellschaftliche Wech- selbeziehungen und Wirkungszusammenhänge zum Inhalt.5

Klassische Schichtmodelle beschäftigen sich primär mit rein vertikalen Merkma- len, wie Beruf, Qualifikation und Einkommen. Gerade diese Bestimmungsgrößen sind in diesen Modellen relevant für die Abgrenzung zu anderen Schichten. Weil aber gerade horizontale Faktoren wie Geschlecht, Alter und Familienverhältnisse außen vor bleiben, beschreiben Schichtmodelle die Realität nur bedingt. Die so- zioökonomische Struktur beschreibt hingegen die Mehrdimensionalität von Un- gleichheiten unter Berücksichtigung vertikaler und horizontaler Disparitäten.6

3. Zeitarbeit als dynamische Wachstumsbranche des Arbeitsmarktes

3.1 Regulierung der Zeitarbeitsbranche

Das 1972 in Kraft getretene AÜG sollte einerseits die Arbeitnehmerüberlassung von der Arbeitsvermittlungstätigkeit, die im staatlichen Monopol der Bundesagen- tur für Arbeit liegt, abgrenzen.7 Inwieweit die BA heute noch ein Monopol auf die Arbeitsvermittlung hat, ist im Rahmen der umgesetzten Hartz-Reformen fraglich, da gerade privatrechtliche Personal-Service-Agenturen8 nun auch Arbeitssuchende in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln sollen. Zwar stellen die PSA keine klassische Konkurrenz dar, weil diese die Leistungen der BA eher ergänzen als Jobsuchenden eine Alternative zum Angebot der BA zu geben.9

Andererseits sollte das AÜG die Zeitarbeitsbranche regulieren und kontrollieren um für die Arbeitnehmer die Mindestanforderungen des Sozialversicherungs- und Ar- beitsrechts durchzusetzen.10 Inwieweit diese Ziele erreicht worden sind, ist durch- aus fraglich. So schätzt zum Beispiel eine ISO-Studie aus dem Jahr 1980 für einzel- ne Branchen folgende Verhältnisse (legal : illegal): Werftindustrie 1 : 5, Metallin- dustrie 1 : 6 und Bauindustrie 1 : 9. Dieses Ergebnis wurde zwar von den Verleih- betrieben heftig kritisiert,11 macht aber deutlich, dass das Ziel des Arbeitnehmer- schutzes nur bedingt erreicht wurde und wegen der rechtlichen Rahmenbedingun- gen Verdrängungstendenzen vom formalen in den informalen Sektor stattfanden.

In der Ursprungsfassung des AÜG von 1972 waren lediglich unbefristete Arbeits- verträge und eine Überlassungshöchstdauer von drei Monaten vorgesehen. 1982 wurde das AÜG dahingehend verschärft, dass Zeitarbeit im Baugewerbe verboten worden ist. Ab 1985 kam es dann zu den ersten Deregulierungen,12 die im Laufe der letzten zwei Dekaden verstärkt wurden. So wurde die Überlassungshöchstdauer mittels mehrer Gesetzesänderungen schrittweise auf neun Monate erhöht (bis 31.12.2000). Die Gesetzesänderung vom 01.04.1997 hat dann die Deregulierung deutlich beschleunigt: Die Überlassungshöchstdauer wurde auf 12 Monate ausge- weitet (ab 01.01.2001), befristete Verträge wurden rechtlich zulässig, ebenso durfte sich der Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages mit dem Ersteinsatz bei einem Entleiher überschneiden. Mehrmalig befristete Arbeitsverträge, die unmittel- bar aufeinander folgten, waren nun auch möglich.

Ab 2002 wurde die Überlassungshöchstdauer sogar auf 24 Monate ausgedehnt, wo- bei Leiharbeitnehmer nach 12 Monaten beim selben Entleiher Anspruch auf gleiche Entlohnung und gleiche Arbeitsbedingungen wie die Stammbelegschaft hatten. Seit 2003 wurde nicht nur das Entleihverbot im Baugewerbe gelockert,13 sondern neben dem Synchronisations-14 und Wiedereinstellungsverbot15 ist auch die Überlas- sungshöchstdauer aufgehoben worden. Gleichzeitig wurde geregelt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz ab dem ersten Tag des Verleihs Anwendung findet, sofern kein Tarifvertrag für den Verleiher gilt.16 Dies, als vom Gesetzestext vorge- sehene Ausnahme des Gleichbehandlungsgrundsatzes, ist in der Praxis jedoch der Regelfall. So kam es bereits 2003 zu mehreren Tarifabschlüssen,17 weshalb die Ent- lohnung sich nicht nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz richtet, sondern nach den einschlägigen Tarifverträgen.18 Diese Entwicklung wurde trotz des abweichenden Wortlautes des Gesetzestextes von der Koalitionsregierung, als auch von CDU/CSU bei der Gesetzgebung beabsichtigt.19

Interessant an der ordnungspolitischen Entwicklung des rechtlichen Rahmens der Zeitarbeit ist, dass ein gewisser Mentalitätswandel stattgefunden hat. Stand ur- sprünglich der Schutz der Arbeitnehmer im formalen Sektor und die Monopolstel- lung der BA im Fordergrund, wirkten die Hartz-Reformen als Katalysator die Zeit- arbeit auch unter einer anderen Perspektive zu sehen: Zeitarbeit als Flexibilisie- rungsinstrument am Arbeitsmarkt zur Ausschöpfung des Beschäftigtenpotenziales um (Langzeit-) Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.20

International betrachtet liegt Deutschland bei der Regulierungsintensität der Zeitar- beitsbranche im Mittelfeld. Gegenüber Ende der 80er Jahre hat Deutschland jedoch deutliche Fortschritte bei der Deregulierung der Zeitarbeit gemacht. Ein Rück- schluss von der Stärke der Regulierung auf das Angebot von Zeitarbeitskräften ist aber im internationalen Vergleich nicht möglich, denn ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Regulierungsintensität und Leiharbeiterquote liegt nicht vor.21

3.2 Quantitative Entwicklung der Zeitarbeit

3.2.1 Saisonale Entwicklung der Zeitarbeit

Die Zahl der Leiharbeitnehmer schwankt innerhalb eines Jahres saisonal sehr stark. In den Winter- und Frühjahrsmonaten ist die Zahl der Beschäftigten Leiharbeiter deutlich geringer als in den Sommermonaten. Vergleicht man im Zeitverlauf den Januar mit dem Vorjahresjuli, so liegt die Zahl der im Januar beschäftigten im Me- dian bei 80 % des Vorjahresjuli. Ab 1984 ist ein Trend zu erkennen, dass der Unter- schied relativ geringer wird (Median 83 %), da jedoch die Zahl der Leiharbeitneh- mer beständig wächst, sind absolut aber deutlich mehr Personen von den saisonalen Schwankungen betroffen.

Ab dem Jahr 1993 verschieben sich die saisonalen Verläufe. Hatte bis zu diesem Jahr jeweils der Juli den höchsten Stand an Leiharbeitern, hat sich ab 1993 das Mo- nat mit den meisten Beschäftigten im Jahresverlauf auf August oder September verschoben. Gleichzeitig hat sich ebenso die Zahl der Monate mit Negativwachs- tum von durchschnittlich 5,6 auf 4,8 reduziert. Kausal hierfür sollte aber die kon- junkturelle Entwicklung gewesen sein (vgl. 3.2.2).

Unabhängig von diesen Beobachtungen, weisen die saisonalen Veränderungen dar- auf hin, dass Zeitarbeitskräfte unter anderem eingesetzt werden um starke saisonale Kapazitätsschwankungen bei den Entleihbetrieben auszugleichen.22

3.2.2 Konjunkturelle Entwicklung der Zeitarbeit

Neben dem kurzfristigen saisonalen Verlauf hat auch die konjunkturelle Entwick- lung einen starken mittelfristigen Einfluss auf die Zahl der bei Verleihbetrieben Beschäftigten.23 Auffällig ist hierbei, dass im Beobachtungszeitraum 1992 bis 2006 die Änderungsrate der in der Zeitarbeitsbranche Angestellten als ein konjunktureller Frühindikator gelten kann: Ist 1993 ein realer Rückgang des BIP zu verzeichnen, geht die Zahl der bei Zeitarbeitsfirmen Beschäftigten bereits 1992 um 2,2 % gegen- über dem Vorjahr zurück. Andersherum verhält es sich im Jahr 2003: Trotz eines Rückgangs des realen BIP, steigt die Zahl der Leiharbeitnehmer. Ein Rückgang der Beschäftigten hat sich bereits im Vorjahr bei konstanter Entwicklung des BIP abge- zeichnet.

Die Behauptung, dass die Entwicklung der Zeitarbeit ein konjunktureller Frühindi- kator ist, kann jedoch nicht empirisch im Zeitraum 1974 bis 1990 belegt werden.24 Da Änderungsraten des realen BIP über einen längeren Zeitraum nur bedingt ver- gleichbar sind, wurde als konjunktureller Indikator die Änderungsquote der sozial- versicherungspflichtigen Beschäftigten herangezogen. Die Beschäftigungsentwick- lung – eher ein konjunktureller Spätindikator – verhält sich aber analog zur Ent- wicklung der Zeitarbeit in diesem Beobachtungszeitraum. Die These, dass die Ent- wicklung der Zeitarbeit ein konjunktureller Frühindikator ist, muss somit verworfen werden.

Zutreffend ist aber, dass die konjunkturelle Entwicklung einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der Zeitarbeitsbranche hat. Treffender wäre es daher von einem konjunkturellen Präsenzindikator zu sprechen: Der Korre- lationskoeffizient der Werte aus Anlage 5 beträgt 0,736 und der aus Anlage 6 be- läuft sich auf 0,722. Sicherlich sind diese Ergebnisse grenzwertig um eine statisti- sche Signifikanz nachzuweisen, jedoch unterstützen sie die Behauptung, dass die Nachfrage nach Zeitarbeit sich prozyklisch verhält. Als Ursache ist hierfür zu nen- nen, dass Betriebe in der Rezession vor ihrer Stammbelegschaft zuerst ihre Randbe- legschaften – wie Leiharbeiter – abbauen. Während des Aufschwungs verhält es sich gegenläufig: Bevor Firmen Personal selber einstellen nutzen sie vorläufig das Angebot der Zeitarbeitsbranche.25

3.2.3 Zeitarbeit als Wachstumsbranche

Wurden erstmalig im Januar 1973 ca. 25.000 Arbeitnehmer in der Arbeitnehmer- überlassungsstatistik erfasst,26 ist dieser Wert auf 631.000 Arbeitskräfte (Dez. 2006) angestiegen. Diese beiden Zahlen sprechen für die Bedeutungszunahme der Zeitar- beitsbranche in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten. In diesem Zeitraum lässt sich die Entwicklung grob in zwei Teile trennen: Bis Mitte 1984 fand faktisch kein Wachstum statt, danach ist die Zahl der hier Beschäftigten jährlich um 14,8 % ge- wachsen.27 H. Rudolph und E. Schröder sprechen in diesem Zusammenhang auch von dem „wahrscheinlich am stärksten expandierende[n] Wirtschaftszweig in der Gesamtwirtschaft“.28

Infolge des beständigen und starken Wachstums der Zeitarbeitsbranche ab 1984 ist auch die Leiharbeitsquote29 stetig angestiegen. So belief sich diese Ende 2006 auf 2,4 %.30 Eine Verlangsamung oder sogar eine Trendumkehr bei der Entwicklung zeichnet sich bisher nicht ab. Auf Grund der guten Konjunkturprognose für 200731 ist auch für dieses Jahr mit einer Zunahme der Anzahl der Zeitarbeitnehmer zu rechnen.

Konnte im internationalen Vergleich kein Zusammenhang aus Regulierungsintensi- tät und Leiharbeiterquote hergestellt werden (vgl. 3.1), so ist auch kein nationaler Zusammenhang ersichtlich.32 Es erscheint auch bei nationaler Betrachtung, dass die Entwicklung des Angebotes nicht vordergründig von den gesetzlichen Rahmenbe- dingungen der Zeitarbeitsbranche abhängig ist.33 So wird die Entbürokratisierung der Zeitarbeitsbranche von den Verleihern als durchaus positiv wahrgenommen, die hieraus ergebenen Entlastungen für die Branche werden aber eher als gering bewer- tet.34 Es ist aber durchaus denkbar, dass durch die Deregulierung des AÜG informa- le Beschäftigung – die in der Zeitarbeitsbranche nicht zu vernachlässigen ist – for- malisiert wurde und daher die Statistiken der BA den tatsächlichen Umfang der Zeitarbeit heute deutlich besser darstellen als in der Vergangenheit.

Die Einführung der Personal-Service-Agenturen führte bisher zu keinem nennens- werten Anstieg der Zahl der Leiharbeiter.35 Jedoch konnten die klassischen Zeitar- beitsfirmen durch die Hartz-Reformen deutlich ihren Ruf verbessern und werden nun als gewöhnliche Unternehmen betrachtet, was das Wachstum dieser Branche sicherlich nicht unmerklich beeinflusst hat.36

Seit einigen Jahren ist bei Großunternehmen eine Tendenz zu erkennen, dass diese bei betriebsbedingten Kündigungswellen ihr Stammpersonal in Transfergesellschaf- ten überführen, um dem Personal mittels Verleih zu anderen Arbeitgebern die Ar- beitsplatzsuche zu erleichtern. Inwieweit dies einen Einfluss auf das Wachstum der Zeitarbeitsbranche hat, ist statistisch nicht belegbar und beruht bisher auf Schätz- werten. In diesem Zusammenhang ist auch noch zu erwähnen, dass viele Unter- nehmen den Leistungen der BA eher kritisch gegenüberstehen und daher Personal zur Auslese und Erprobung über Zeitarbeitsfirmen nachfragen, anstatt das Angebot der BA zu nutzen. So gaben 1999 8 % der Entleihbetriebe an, dass der einzige Grund zur Einstellung eines Leiharbeitnehmers die Erprobung war.37

3.3 Strukturelle, tätigkeitsspezifische Entwicklung der Zeitarbeit unter Be- rücksichtigung der allgemeinen Entwicklung des Arbeitsmarktes

3.3.1 Strukturelle Unterschiede

Unter 3.2.1 und 3.2.2 wurde die Entwicklung der Zeitarbeitsbranche nach kurz- und mittelfristigen Gesichtspunkten untersucht; bei 3.2.3 erfolgte zwar eine langfristige Betrachtung – im Fokus war jedoch nur die gesamte Zeitarbeitsbranche, nicht aber einzelne Teilbereiche. Um sich jedoch der Komplexität des Arbeitsmarktes für Leiharbeiter zu nähern, ist eine detailliertere Betrachtung erforderlich.

Leiharbeitnehmer wurden 2006 primär als Hilfsarbeiter (33,8 %), Schlosser und Mechaniker (12,8 %), im Rahmen von Organisations-, Verwaltungs- und Büroberu- fen38 (9,1 %), als Elektriker (6,2 %) und im Rahmen technischer Berufe39 (4,2 %) eingesetzt.40 Die Zahl der Hilfsarbeiter ist stark überrepräsentiert, denn unter den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten war ihr Anteil nur 1,9 %. Ebenso sind Elektriker, Schlosser und Mechaniker mit dem 2,5 fachen überrepräsentiert. Die technischen Berufe sind wie die Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufe deut- lich unterrepräsentiert.

Insgesamt ist in der Zeitarbeitsbranche das Verhältnis der im tertiären Sektor41 Be- schäftigten zu denen im sekundären Sektor deutlich geringer als auf dem gesamten Arbeitsmarkt. Von der Struktur entspricht die Aufteilung der Sektoren einer stark industrialisierten Volkswirtschaft: Lediglich 30,2 % der Arbeitnehmer führen Dienstleistungsberufe aus. Gegenüber 1995 ist der Anteil der Zeitarbeiter im tertiä- ren Sektor (1995: 22,8 %) zwar angestiegen, was auf ein stärkeres Wachstum der Zahl der hier Beschäftigten zurückzuführen ist: Im jährlichen geometrischen Mittel fand im Zeitraum 1995 bis 2006 ein Anstieg von ca. 14,7 % statt, der zweite Sektor ist hingegen nur um 10,5 % p. a. gewachsen. Dass sich das Verhältnis der sektora- len Beschäftigung der gesamtwirtschaftlichen Verteilung42 anpasst, erscheint daher in den kommenden Jahren als unwahrscheinlich. Vielmehr weißen die Zahlen auf große strukturelle Unterschiede zwischen dem Einsatz von Leiharbeitnehmern und dem Einsatz von regulär43 Beschäftigten hin.

Fand in den letzten Jahrzehnten wegen einer Vielzahl von Gründen44, u. a.

- zunehmender Konkurrenzkampf, gerade auch durch die Globalisierung,
- bei gleichzeitigem Anstieg der Produktivität und
- einem geänderten Nachfrageverhalten

ein beständiger Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im se- kundären Sektor statt, so ist erst einmal überraschend, dass trotz dieser Entwicklung die Zahl der Leiharbeiter im Zeitraum 1995 bis 2006 in diesem Sektor um ca. 10,5 % p. a. gewachsen ist. Inwieweit haben also Beschäftigte von Zeitarbeitsfirmen reguläre Beschäftigung substituiert und wo sind die Gründe hierfür zu suchen?

3.3.2 Substitutionstendenzen bei regulärer Beschäftigung

3.3.2.1 Umfang der Substitution

Inwieweit Zeitarbeit reguläre Beschäftigung verdrängt, kann aus den Daten der BA nur bedingt abgelesen werden, da in der Arbeitnehmerüberlassungsstatistik sowohl sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer wie auch nicht sozialversicherungs- pflichtige Arbeitnehmer erfasst werden. Nach Auskunft der BA liegt im Wirt- schaftszweig 74.50 (Arbeitnehmerüberlassung) der Anteil der nicht sozialversiche- rungspflichtigen Beschäftigten im einstelligen Prozentbereich. Zwischen der Ar- beitnehmerüberlassungsstatistik und den Beschäftigten nach Wirtschaftszweigen ist ein direkter Vergleich jedoch nur bedingt möglich, da auch das Stammpersonal der Verleiher im Wirtschaftszweig 74.50 erfasst wird, was ungefähr 7 % an der gesam- ten Belegschaft beträgt.45 Im Folgenden wird daher die Entwicklung innerhalb der Arbeitnehmerüberlassungsstatistik – also auch einschließlich der nicht sozialversi- cherungspflichtigen Beschäftigten – mit der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten abzüglich Leiharbeitnehmer aus der ANÜ verglichen um einen gro- ben, vereinfachten Überblick über Substitutionstendenzen zu gewinnen.

Im Zeitraum 1999 bis 2006 sind im sekundären Sektor 1,459 Mio. (- 17,9 %) sozi- alversicherungspflichtige Stellen verloren gegangen.46 Gleichzeitig wurden aber 195.000 neue Zeitarbeitskräfte eingestellt. Zeitarbeitskräfte haben also in diesem Zeitraum im sekundären Sektor 13,4 % der weggefallenen regulären sozialversiche- rungspflichtig Beschäftigten ersetzt. Diese Quote spiegelt die tatsächliche Entwick- lung nur grob, da bei einer tätigkeitsspezifischen Betrachtung teilweise absolut wie relativ enorme Unterschiede bestehen.

Wegfallende Stellen unter den Montier- und Metallberufen wurden zu 18,7 % er- setzt. Bei diesem hohen relativen Wert muss aber berücksichtigt werden, dass bei dieser Berufsgruppe die absolute Veränderung eher gering ausgefallen ist: sozial- versicherungspflichtige Beschäftigte - 43.300, Leiharbeitnehmer + 8.100. Die Ver- änderung bei Schlossern und Mechanikern hat unter Berücksichtigung der absolu- ten Werte eine andere Bedeutung, denn hier haben 235.100 sozialversicherungs- pflichtige Beschäftigte ihre reguläre Stelle verloren, wobei gleichzeitig 20.500 neue Stellen als Zeitarbeitnehmer geschaffen wurden. Dies entspricht einer Substitution von 8,7 %.

Von den 106.600 verloren gegangen regulären sozialversicherungspflichtigen E- lektrikerstellen wurden 9,2 % durch Zeitarbeitskräfte ersetzt. Bei den Metallerzeu- gern und -bearbeitern beläuft sich die Quote auf 10,9 % (von 61.000). Chemie- und Kunststoffverarbeiter haben zwar eine Substitutionsquote von 6,0 %, jedoch ist der absolute Rückgang von 37.900 regulär sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten eher nachrangig.

Ein anderes Bild zeigt sich bei den Hilfsarbeitern. Die Zahl der regulär sozialversi- cherungspflichtigen Stellen ist im Beobachtungszeitraum nahezu konstant geblieben (- 1,3 %). Die Zahl der Zeitarbeiter, deren Tätigkeit dieser Berufsgruppe entspricht, ist um 167,4 % gestiegen (+ 126.500 Personen). Auf Grund dieser Werte kann da- von ausgegangen werden, dass in dieser Berufsgruppe neu entstandene Stellen pri- mär in der Zeitarbeitsbranche geschaffen worden sind und eine Substitution nicht stattgefunden hat.

War es erst ab dem 01.01.03 im Bauhauptgewerbe möglich Arbeitnehmer gewerb- lich zu verleihen, kam es im Zeitraum 2002 bis 2006 praktisch zu keiner Substituti- on der hier Beschäftigten: Die Zahl der regulär Sozialversicherungspflichtigen ist von 768.100 auf 604.000 (- 21,4 %) gefallen, dagegen ist die Zahl der statistisch erfassten Zeitarbeiter um nur 2.300 Personen angestiegen. Dies ist zwar ein Zu- wachs von 48,6 %, wegen des absoluten Wertes aber unbedeutend. Bei der artver- wandten Berufsgruppe der Bau-, Raumausstatter und Polsterer spielt sich eine ähn- liche Entwicklung ab, wobei wegen der geringen Zahl der hier beschäftigten Zeitar- beiter (2006: 1.500 Personen) die Entwicklung auch vernachlässigbar ist. Bei bei- den Berufsgruppen kann – wie unter 3.1 und 3.2.3 – kein Zusammenhang zwischen Deregulierung und Zahl der Leiharbeiter festgestellt werden. Von Seiten der Ar- beitgeberverbände wurde eine Lockerung des Entleihverbots im Bauhauptgewerbe gerade damit begründet, illegale Beschäftigung abzubauen47 und „Zehntausende von neuen Arbeitsplätzen“48 zu schaffen. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt zeigt aber, dass keinesfalls in diesem Umfang neue, formale Beschäftigungsverhältnisse geschaffen worden sind.

Bei den Berufen, die dem tertiären Sektor zuzurechnen sind, ist die Beschäftigungs- entwicklung der technischen Berufe und der allgemeinen Dienstleistungsberufe hervorzuheben. Zu der letztgenannten Kategorie gehören Körperpfleger, Gästebe- treuer, hauswirtschaftliche Berufe und Reinigungsberufe. Die Zahl der Zeitarbeiter hat sich hier von 1999 bis 2006 verdreifacht und betrug im Jahr 2006 16.600 Perso- nen. Gleichzeitig ist die Zahl der regulär sozialversicherungspflichtigen Beschäftig- ten aber um 71.300 gesunken, dies entspricht einer Substitution von 15,4 %.

Einen anderen absoluten Umfang hat hingegen die Substitution bei den technischen Berufen. Die Zahl der regulär sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ist um 5,4 % (- 102.700) zurückgegangen, während gleichzeitig die Zahl der Leiharbeit- nehmer um 151,8 % (+ 15.000) gestiegen ist. Es hat also bei den technischen Beru- fen eine Substitution von 14,6 % stattgefunden.

3.3.2.2 Ursachen der Substitution

Zeitarbeit wird in der Regel von den Entleihern als Alternative zu Überstunden und befristeten Arbeitsverträgen gesehen. Der Vorteil gegenüber befristeten Verträgen ist der, dass Leiharbeiter ohne zeit- und kostenaufwendige Such- und Auswahlver- fahren unmittelbar zur Verfügung stehen und Zeitarbeitsfirmen für das überlassene Personal oft eine Qualitätsgarantie geben. Überstunden bieten bei Kapazitätsaus- weitungen hingegen nur eine beschränkte Möglichkeit, da diese nicht unbegrenzt angehäuft werden können.49 Dies erklärt, dass Zeitarbeiter bei kurzfristigen Perso- nalengpässen infolge von saisonalen oder konjunkturellen Kapazitätsausweitungen und außerplanmäßigen Ausfällen der Stammbelegschaft eingesetzt werden.50

Dies erklärt aber nicht, dass Zeitarbeit langfristig reguläre Beschäftigung substitu- iert. Vorliegend treten Substitutionstendenzen gerade bei Berufen auf, die besonders arbeitsintensiv sind, wie bei den Metallberufen, bei Schlossern und Mechaniker und Elektrikern (vgl. 3.3.2.1). Gerade diese Branchen sind vom Strukturwandel beson- ders betroffen.51 Da nun die Zahl der Zeitarbeitskräfte einerseits im saisonalen und konjunkturellen Verlauf sehr stark schwankt52 und die Substitution im Zeitraum 1999 bis 2006 maximal 20 % der regulären sozialversicherungspflichtigen Beschäf- tigten betrug, ist nicht davon auszugehen, dass Zeitarbeit die Ursache der Substitu- tion ist, wie es zum Beispiel von Seiten der Gewerkschaften oft behauptet wird.53

Es spricht mehr für die These, dass Zeitarbeit als Anpassungsinstrument der Entlei- her infolge des Strukturwandels eingesetzt wird. Nachfrage- und wettbewerbsbe- dingt wird die Stammbelegschaft auf ein erforderliches Mindestmaß reduziert und bei saisonalen und konjunkturellen Kapazitätsschwankungen wird auf die Leistun- gen von Zeitarbeitsfirmen zurückgegriffen. Für diese These spricht auch, dass gera- de Unternehmen, die langfristig von einem Anpassungsdruck betroffen sind ihre Kostenstrukturen möglichst variabel anpassen möchten. Die Personalkosten sind bei Unternehmen zumindest mittelfristig der größte Fixkostenblock. Zur Variabili- sierung dieser Fixkosten bieten Zeitarbeitsfirmen passende Lösungsmöglichkeiten: die kurzfristige Beschaffung von Arbeitskräften, die jederzeit „zurückgegeben“ werden können. Gegen das Argument, dass Zeitarbeit der Ursache der Substitution ist, spricht zusätzlich, dass wegen der hohen Fluktuation der Leiharbeitnehmer (3.4) ständig Einarbeitungsmaßnahmen notwendig wären, was aus betriebswirtschaftli- cher Sicht mittel- und langfristig von Nachteil ist.54

Anders verhält es sich bei den technischen Berufen und den allgemeinen Dienstleis- tungsberufen. Hier führen zwar konjunkturelle Schwankungen teilweise zu einem Rückgang der Leiharbeiterzahlen, aber saisonale Schwankungen führen nur zu ge- ringeren Wachstumsraten und nicht zu Rückgängen. Bei den allgemeinen Dienst- leistungsberufen könnte die Substitution durch Leiharbeitnehmer mit der relativen Verteuerung personenbezogener Dienstleistungen zusammenhängen.55 Dies würde aber voraussetzen, dass Zeitarbeitskräfte grundsätzlich günstiger sind als regulär sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, was in der Literatur durchweg umstrit- ten ist.56

Dass die Zahl der technischen Berufe bei Zeitarbeitsfirmen zunimmt, ist nachzu- vollziehen da die Verleiher schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen ein Interes- se haben (hoch-) qualifiziertes Personal anzubieten, da hier die Gewinnmargen hö- her sind als bei schlechter qualifiziertem Personal. Für den Einsatz von (hoch-) qua- lifiziertem Personal aus Sicht der Entleiher spricht, dass die Leiharbeitskräfte Inno- vationen und Erfahrungen aus anderen Betrieben mitbringen und so dem Betrieb einen deutlichen Mehrwert verschaffen.57 Dass aber bei gleichzeitiger Zunahme der Zahl der Leiharbeitnehmer in technischen Berufen, die Zahl der regulär sozialversi- cherungspflichtigen Beschäftigten dieser Berufsgruppe in einem deutlich stärkeren Maße abnimmt, überrascht.

3.4 Dynamik und Fluktuation in der Zeitarbeitsbranche

Unter dem Gliederungspunkt 3.2.3 wurde die Entwicklung der Leiharbeiterquote herangezogen, um die Bedeutung der Zeitarbeitsbranche am Arbeitsmarkt zu quan- tifizieren. Jedoch sagt diese Kennziffer nichts über die Dynamik aus, die in der Zeitarbeitsbranche herrscht. So wurden 2006 in dieser Branche 972.400 neue Ar- beitsverhältnisse begründet und gleichzeitig 897.500 bei einem Jahresmittelwert von 579.800 Beschäftigten beendet.

2006 betrug somit der Fluktuationskoeffizient58 1,6. Hiermit war eine durchschnitt- liche Beschäftigungsdauer von 7,8 Monaten verbunden. Seit 1995 ist der Fluktuati- onskoeffizient stetig fallend (1995: 2,0 [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] 6,1 Monate).59 Jedoch bietet auch der Fluktuationskoeffizient nur eine sehr grobe Abbildung der Realität, denn die Ver- weildauer von Leiharbeitnehmern streut sehr stark. So beendeten 1995 bereits in- nerhalb von einer Woche 11,1 % der Beschäftigten ihr Arbeitsverhältnis und 34,6 % waren länger als drei Monate beim selben Verleiher erwerbstätig. 2006 ist so- wohl der Anteil derer gestiegen, die nur unter einer Woche beim selben Verleiher sind (13,5 %), als auch der Anteil, die über drei Monate den Arbeitgeber nicht ge- wechselt haben (37,8 %).60

Nach der Beschäftigtenstichprobe des IAB fand im Jahr 2003 bei 13 % der Leihar- beitnehmer ein Wechsel des Arbeitgebers erst nach einem Jahr statt.61 So hat das IAB basierend auf der Beschäftigtenstichprobe als durchschnittliche Beschäfti- gungsdauer 2,1 Monate im Median ermittelt.62 Den deutlichen Rückgang der durch- schnittlichen Verweildauer seit 1996 führt das IAB auf die Deregulierung der Bran- che zurück.63

Eine nähere Analyse nach soziodemographischen Merkmalen findet unter dem Gliederungspunkt 4.8 statt.

4. Sozioökonomische Struktur von Leiharbeitnehmern

4.1 Rekrutierungspotential von Leiharbeitnehmern

Die Gründe für die Aufnahme einer Tätigkeit in der Zeitarbeitsbranche sind viel- schichtig: angefangen bei fehlenden Alternativen auf dem regulären Arbeitsmarkt zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit, oder aber auch zum (Wieder-) Einstieg in den Arbeitsmarkt. Gerade für jüngere Erwerbstätige erscheint die Zeitarbeitsbranche als Einstiegsmöglichkeit. Leiharbeit kann aber auch für Personen eine interessante Möglichkeit sein, denen eine Beschäftigung bei einem regulären Arbeitgeber zu starr ist und die nach Abwechslung, Flexibilität und Mobilität suchen. Auch Studen- ten, die nur übergangsweise eine bezahlte Tätigkeit suchen, sind in dieser Branche tätig.64

2006 waren 31,5 % der Neuzugänge in der Zeitarbeitsbranche unmittelbar vorher beschäftigt. Hiervon kamen ca. zwei Drittel nicht aus der Zeitarbeitsbranche; die übrigen waren hingegen bei ihrem vorherigen Arbeitgeber als Leiharbeitnehmer tätig. 60,4 % der Zugänge waren vor der Aufnahme eines Jobs bei einem Verleiher nicht unmittelbar beschäftigt. Ein Viertel dieser Gruppe hatte länger als ein Jahr keine Beschäftigung. Überhaupt noch nie waren vor der Anstellung als Leiharbeit- nehmer 9,0 % beschäftigt.65 Bei Leiharbeitnehmern, die vorher nicht unmittelbar beschäftigt waren, bzw. in der Zeitarbeitsbranche erstmalig eine Beschäftigung auf- genommen haben, kann nicht eindeutig unterschieden werden, ob die Beschäftigten vorher arbeitslos gemeldet waren oder ob sie bereits vorübergehend geringfügig erwerbstätig waren.66

Seit 1994 haben sich keine starken Unterschiede bei der Zusammensetzung der Zu- gänge in die Zeitarbeitsbranche ergeben, wobei aber seit 2001 eine Tendenz ersicht- lich ist, dass sich die Arbeitskräfte verstärkt aus dem Bereich der nicht unmittelbar vorher Beschäftigten rekrutieren. 1994 bis 2001 schwankte die Quote derjenigen, die von einem anderen Arbeitgeber unmittelbar in die Zeitarbeitsquote wechselten zwischen 36,1 % und 39,9 %. Seitdem ist die Quote bis 2004 auf 30,5 % abgefallen und nun wieder leicht gestiegen. Demgegenüber ist der Anteil derjenigen, die nicht unmittelbar vorher beschäftigt waren, von 52,2 % (1994) auf 60,4 % (2006) ange- stiegen. Zwischen den Geschlechtern gibt es keine strukturellen Unterschiede, wo- bei Zeitarbeit von Frauen stärker genutzt wird um erstmalig eine Anstellung zu er- halten.67

Ein Ziel der letzten Deregulierung in der Zeitarbeitsbranche und dem Aufbau von Personal-Service-Agenturen war auch (Langzeit-) Arbeitslosen eine schnellere Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen.68 Inwieweit die Zeitarbeits- branche jedoch die Möglichkeit bietet Nichterwerbstätige in den Arbeitsmarkt zu integrieren, kann empirisch nicht belegt werden.

[...]


1 So z. B. in § 1 Abs. 1 AÜG

2 § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG

3 IAB-Kurzbericht 14/2006, S. 1, Fußnote 1

4 SFB 649 Discussion Paper 2005-048, S. 2

5 Geißler, S. 17

6 Geißler, S. 97 ff.

7 SFB 649 Discussion Paper 2005-048, S. 6

8 auf Grund des Umfangs der Diplomarbeit wird nicht weiter auf die besondere Stellung der PSA eingegangen

9 Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, S. 145 ff.

10 MittAB 1/97, S. 103

11 MittAB 1/97, S. 104, Fußnote 8

12 Anlage 1

13 § 1 b AÜG

14 Beim Synchronisationsverbot musste die Dauer des Leiharbeitsverhältnisses die Dauer des ers- ten Einsatzes bei einem Entleiher übersteigen. (MittAB 1/97, S. 103)

15 Zwischen Kündigung des Verleihers und der Wiedereinstellung mussten mindestens drei Mona- te liegen. Ausnahme hierzu: Der Arbeitnehmer kündigt von sich aus. (MittAB 1/97, S. 103)

16 § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG

17 so z. B. zwischen der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (IGZ) und dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e. V. (BZA), ebenso zwischen der Mittelstansvereinigung Zeitarbeit e. V. (MVZ) und der Tarif- gemeinschaft der Christlichen Gewerkschaften für Zeitarbeit und PSA des Christlichen Gewerk- schaftsbundes (CGB) (SFB 649 Discussion Paper 2005-048, S. 8)

18 SFB 649 Discussion Paper 2005-048, S. 8

19 Evaluation der Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission – Arbeitspaket 1, S. 75 ff.

20 Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, S. 41, 45 f., 62 ff.

21 Anlage 2

22 so auch in MittAB 1/97, S. 123

23 Anlage 3

24 Anlage 4

25 so z. B. in MittAB 1/97, S. 113 ff.

26 Anlage 5

27 Wachstum im geometrischen Mittel p. a.: Jan 73 bis Mai 84: 1,1 %, Juni 84 bis Dez. 06: 14,8 %

28 MittAB 1/97, S. 106

29 Leiharbeiterquote ist der Quotient aus der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und der Zahl der Leiharbeitnehmer

30 Anlage 6

31 Monatsbericht 11/12-2007 BMWi, S. 26

32 Anlage 7

33 ein ähnliches Ergebnis liefert auch Jahn in Kompetenzentwicklung in der Zeitarbeit, S. 29

34 Evaluation der Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommision – Arbeitspaket 1, S. 87

35 Anlage 8

36 Kompetenzentwicklung in der Zeitarbeit, S. 29, ausführlich hierzu Evaluation der Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommision – Arbeitspaket 1, S. 84 ff.

37 Kompetenzentwicklung in der Zeitarbeit, S. 29 f.

38 Unternehmer, Organisatoren, Wirtschaftsprüfer, Abgeordnete, Rechnungskaufleute, Datenverar- beitungsfachleute als auch Bürofach- und Bürohilfskräfte

39 Ingenieure, Chemiker, Physiker, Mathematiker, Techniker und technische Sonderfachkräfte

40 Anlage 9

41 technische Berufe werden hier zugeordnet, da bei einer funktionalen Abgrenzung die Haupttä- tigkeit dieser Berufe eher einer Dienstleistung entspricht (Meißner/Fassing, S. 33 ff.)

42 Verhältnis der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten 2006: 26,9 % (sekundärer Sektor) : 70,3 % (tertiärer Sektor)

43 In dieser Arbeit sind unter dem Begriff „regulär“ Arbeitsverhältnisse zu verstehen, die nicht im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses erfolgen.

44 Pelka, S. 168 ff.

45 IAB Kurzbericht Nr. 14/2006, S. 7, Kasten 1

46 Anlage 10

47 Zehnter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmer- überlassungsgesetzes, S. 10

48 Evaluation der Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommision – Arbeitspaket 1, S. 82

49 MittAB 1/97, S. 108, 123 f.

50 SFB 649 Discussion Paper 2005-048, S. 3 f.

51 Pelka, S. 169 ff.

52 Anlage 11

53 Evaluation der Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommision – Arbeitspaket 1, S. 70

54 MittAB 1/97, S. 123

55 Meißner/Fassing, S. 115

56 so z. B. MittAB 1/97, S. 123

57 Kompetenzentwicklung in der Zeitarbeit, S. 196 ff.

58 Der Fluktuationskoeffizient bildet das Verhältnis der Anzahl der durchschnittlich bestehenden Arbeitsverhältnisse zu der Summe der Abgänge ab.

59 Anlage 12

60 Anlage 13

61 Anlage 14

62 Anlage 15

63 IAB Kurzbericht 14/2006, S. 5

64 MittAB 1/97, S. 120

65 Anlage 16

66 MittAB 1/97, S. 121

67 Anlagen 17 und 18

68 Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, S. 148 ff.

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Zeitarbeit in Deutschland - Sozioökonomische Struktur der bei Zeitarbeitsfirmen Beschäftigten
Hochschule
Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Bayern in München  (allgemeine innere Verwaltung)
Veranstaltung
Volkswirtschaftslehre und empirische Sozialforschung
Note
1,00
Autor
Jahr
2008
Seiten
66
Katalognummer
V124747
ISBN (eBook)
9783640298617
ISBN (Buch)
9783640303779
Dateigröße
1252 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zeitarbeit, Deutschland, Sozioökonomische, Struktur, Zeitarbeitsfirmen, Beschäftigten, Volkswirtschaftslehre, Sozialforschung
Arbeit zitieren
Diplom-Verwaltungswirt (FH) Matthias Will (Autor:in), 2008, Zeitarbeit in Deutschland - Sozioökonomische Struktur der bei Zeitarbeitsfirmen Beschäftigten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124747

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