Identität und Einstellungen im frankophonen Kanada


Forschungsarbeit, 2008

35 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Besiedlung und Kolonisation
1.2 Entwicklung nach 1763

2 Frankophonie
2.1 Bilinguismus
2.2 Varietäten und Sprachgebiete
2.2.1 Québecois
2.2.2 Acadien
2.2.3 Français terre-neuvien
2.2.4 Michif
2.2.5 Andere Varietäten

3 Merkmale des kanadischen Französisch
3.1 Gemeinsame Merkmale
3.1.1 Phonologie
3.1.2 Morphologie und Syntax
3.1.3 Lexikon
3.2 Acadien
3.3 Franco-Ontarien

4 Sprachpolitik und Sprachgesetzgebung auf Bundes- und Provinzebene
4.1 Anfänge der Sprachpolitik
4.2 20. Jahrhundert
4.3 Neueste Entwicklungen im 21. Jahrhundert
4.4 Institutionen der Sprachpolitik

5 Norm

6 Identität
6.1 Phasen der Identitätsbildung
6.2 Einstellungen
6.3 Problem der Eigenbezeichnung

7 Der Fragebogen
7.1 Auswertung

8 Fazit und Ausblick

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen des Forschungsmoduls „Variation und Varietäten des Französischen“ entstanden. Durch ein Referat über die Frankophonie in Kanada wurde mein Interesse geweckt. Mich faszinierte eine so große frankophone Gemeinschaft außerhalb Frankreichs - das Französische ist in Kanada immerhin Muttersprache von ca. einem Viertel der Gesamtbevölkerung - und meiner Meinung ist die Lehre in Deutschland zu europazentriert.

In dieser Forschungsarbeit soll der aktuelle Forschungsstand zur Frankophonie in Kanada dargestellt werden und unter dem Aspekt der Soziolinguistik, insbesondere der Identität und Einstellung, kritisch hinterfragt werden. Zur Einführung dient ein historischer Abriss, bevor die Sprache im Mittelpunkt steht. Hierbei werden die Merkmale und Unterschiede zum europäischen Französisch beschrieben. Nach einem Überblick über die Sprachpolitik wird auf die Identifikation der Frankokanadier über ihre Sprache und ihre Einstellung dazu eingegangen. Zusätzlich wird ein selbst erstellter Fragebogen zur Identität vorgestellt und ausgewertet. Im Fazit wird ein Ausblick auf die sich thematisch angliedernde Masterarbeit gegeben.

Als Forschungsliteratur lag vor allem Wolf (1987) zu Grunde, das immer noch als Standardwerk gilt. Leider sind die neuesten Entwicklungen, z.B. in der Sprachpolitik, nicht mehr berücksichtigt. Hoerkens (1998) ist zwar aktueller, stützt sich jedoch auch hauptsächlich auf Wolf. Ein neues und meines Erachtens nützliches Werk ist Conrick / Regan (2007), in englischer Sprache. Als Standardwerk ist es allerdings nicht ausführlich genug.

Die demographischen Daten stammen aus der Volkszählung (Census / Récensement), die vom Kanadischen Amt für Statistik alle fünf Jahre durchgeführt wird. Für die Sprachgruppen werden Daten zu Muttersprache, Heimsprache, Kenntnis der offiziellen und nicht-offiziellen Sprachen und Arbeitssprache erhoben.

In dieser Arbeit werden die französischen Namen und Bezeichnungen verwendet, um die Authentizität zu wahren.
1 Geschichte

Um die sprachliche Entwicklung in Kanada zu verstehen, gilt es einige wichtige Eckdaten zu kennen. Hier soll ein historischer Abriss Überblick verschaffen.

1.1 Besiedlung und Kolonisation

Der Name Canada tauchte erstmals Mitte des 16. Jhs. auf Karten auf. Er leitet sich vom Wort kanata aus der Sprache der Iroquois (Wendat)[1] ab, was ‘village, groupe de tentes‘ bedeutet, also ein Territorium oder einen besiedelten Platz bezeichnet.[2]

Die ersten Menschen wanderten vor ca. 12.000 Jahren über die Beringstraße von Asien nach Nordamerika ein und besiedelten den Kontinent. Um das Jahr 1000 erreichten nachweislich als erste die Wikinger Nordamerika.[3] Im Jahre 1497, also fünf Jahre nach Kolumbus, erreichte der Genuese Giovanni Caboto (John Cabot) in englischem Auftrag Neuschottland und Neufundland. Später befahl der französische König, François Ier (1515-1559) die Eroberung der entdeckten Landstriche und so unternahm der Bretone Jacques Cartier eine Expedition zum Sankt-Lorenz-Strom (1534).[4]

Unter König Henri IV (1589-1610) gründete Samuel de Champlain die erste Kolonie, daher wird er auch als père de la Nouvelle-France bezeichnet.[5] 1608 wurde die Stadt Québec gegründet, 1634 Trois-Rivières und 1642 Ville-Marie oder Hochelaga (Montréal), welche zu Metropolen des Pelzhandels wurden. 1617 traf die erste Siedlerfamilie in der Kolonie ein, zehn Jahre später siedelte sich unter Richelieu die compagnie de la Nouvelle-France mit 65 Siedlern an. Während der première periode de l‘enracinement (1633-1663) kam es zur Missionierung der indigenen Bevölkerung und zur sog. Rekollekte (Neuansiedlung aus dem Mutterland).[6]

Im Zuge der englisch-französischen Kolonialkriege, die 1689 begannen, fielen die Akadie, der Hudsonbai und Neufundland 1713 an England (conquête anglaise).

Die folgende Deportation von 12.000 Akadiern im Jahre 1755 ist als Grand Dérangement bekannt. Viele von ihnen ließen sich in Louisiana nieder, wo ihre Nachfahren noch heute als Cadjins (< Acadiens) leben (s. Kap. 2.2.2). Während la guerre de sept ans (1756-1763) kämpften England und Frankreich um die Vorherrschaft, wobei sich auch die Ureinwohner beteiligten: die Huronen waren auf der Seite der Franzosen, während die Irokesen mit den Engländern verbündet waren.[7]

1759 kam es zu der entscheidenden Niederlage der Franzosen gegen die Engländer auf den Plains d’Abraham. Mit dem Friedensschluss von Paris (1763) wurde die Kolonie und dadurch auch Québec zur Enttäuschung der Kanadier an Großbritannien abgetreten.[8] Daran erinnert auch die Divise der Stadt Québec, „Je me souviens“.[9]

1.2 Entwicklung nach 1763

Damit war die Französische Herrschaft beendet, die französische Sprache und Kultur blieb jedoch erhalten. Nach 1760 gab es keine neuen Einwanderer mehr aus Frankreich, aber der außergewöhnliche Kinderreichtum der Frankokanadier mit durchschnittlich 11 Kindern (revanche des berceaux) führte zum Bevölkerungswachstum. Dieser konnte das Wachstum der anglophonen Bevölkerung durch die anhaltende englische Einwanderung jeodch nicht ausgleichen.[10]

Mit dem Acte de Québec von 1774 wurde die freie Religionsausübung festgehalten und mit dem Code civil teilweise wieder das französische Rechtssystem in Québec eingesetzt, beim Strafrecht galt allerdings weiterhin britisches Recht.[11]

Durch den Constitution Act 1791 wurde die Provinz Québec in das englischsprachige Ontario (Oberkanada) und das französischsprachige Québec (Unterkanada) aufgeteilt.[12]

Im 19. Jahrhundert wurden das Streben nach Unabhängigkeit und besonders die Ablehnung des Kolonialsystems größer. In den Jahren 1837-38 kam es zu Aufständen u.a. durch die Patriotes unter Papineau, welche vom englischen Militär schnell beendet wurden. Daran erinnerte Charles de Gaulle 1967 mit seinem Spruch: „Vive le Québec libre!“.[13]

1840 wurden durch die Unionsakte (Union Act) Ober- und Unterkanada vereinigt, 1867 schließlich durch den British North America Act (BNA) ein kanadischer Unionsstaat (Dominion of Canada) mit den Provinzen Ontario, Québec, Neuschottland und Neubraunschweig gebildet.[14]

Kanada ist heute sowohl eine Monarchie (Staatsoberhaupt ist Elizabeth II.) als auch eine parlamentarische Demokratie und gleichzeitig ein Bundesstaat.[15] Das staatliche System ist das des Föderalismus, das bedeutet, dass die Provinzen in vielen Bereichen Selbstbestimmungsrecht haben. Dies betrifft teilweise auch die Sprachpolitik, s. Kap. 4.

2 Frankophonie in Kanada

Das Französische ist in Kanada seit 1969 neben dem Englischen Amtssprache auf Bundesebene (s. Kap.4). Es ist den einzelnen Provinzen überlassen, inwieweit sie die Zweisprachigkeit fördern (z.B. im Schulunterricht). In Québec ist es die einzige Amtssprache, Neubraunschweig ist offiziell zweisprachig.

Gemäß dem Zensus von 2006 ist das Französische die Muttersprache und einzige Sprache von 6,8 Mio. Kanadiern - dies entspricht 22,1% der Gesamtbevölkerung - weitere 0,3% sind bilingual aufgewachsen. 21,4% sprechen die Sprache Zuhause.

2.1 Bilinguismus

17,4% der Bevölkerung geben an, Englisch/Französisch-bilingual zu sein, das heißt in beiden Sprachen eine Konversation führen zu können. In Québec sind fast 70% der Anglophonen bilingual, aber nur halb so viele der Frankophonen. In den anderen Provinzen verhält es sich umgekehrt: nur 7,5 % der Anglophonen, aber über 80% der Frankophonen sind zweisprachig.[16]

2.2 Varietäten und Sprachgebiete

Aufgrund der historischen Entwicklung haben sich verschiedene Varietäten herausgebildet, die sich auf mehrere Sprachgebiete oder Sprachinseln verteilen.

2.2.1 Québecois

Das größte und bekannteste Gebiet ist mit Sicherheit die Provinz Québec mit 79,6% frankophoner Bevölkerung, danach folgen Ontario (4,2%) und Minderheiten in den westlichen Provinzen Alberta (1,8%), Saskatchewan (1,8%) und Manitoba (4%) (Saint-Boniface). Dort wird die Varietät Québécois gesprochen.

Québec ist die einzige Provinz, die offiziell einsprachig und wo Französisch Amtssprache ist (s. Kap.4). Außerdem ist es das größte Sprachgebiet außerhalb Europas, in dem Französisch die Muttersprache der Mehrheit der Bevölkerung ist.[17]

Außer in Québec geht der Trend zum Bilinguismus (z.B. Französisch privat, Englisch auf der Arbeit) bzw. wird das Französische vom Englischen verdrängt oder ist zumindest gefährdet.[18]

2.2.2 Acadien

Die Varietät Acadien (Akadisch) die sich vom Québécois in einigen Punkten unterscheidet, wird in der Provinz Nouveau-Brunswick (Neubraunschweig) (32,7%) gesprochen, außerdem in den Seeprovinzen (provinces maritimes) Nouvelle-Écosse (Neuschottland) (3,7%), Île-du-Prince-Édouard (Prinz-Eduard-Insel) (4,2%) und in einigen Regionen von Québec wie der Gaspésie, Baie des Chaleurs, Basse-Côte-Nord, Îles-de-la-Madeleine und im US-Bundesstaat Maine (vallée de la rivière Saint-Jean).

Das Acadien ist die Ausgangssprache des Cadjin / Cajun, des Französischen von Louisiana. Das Wort cajun stammt von der Aussprache des Wortes acadien (acadjen) (s. Kap. 3.2).[19]

2.2.3 Français terre-neuvien

In Terre-Neuve (Neufundland) und Labrador findet man die Varietät Français terre-neuvien, welches nur von wenigen Sprechern gesprochen wird. Man schätzt die Zahl der Frankophonen auf ca. 2000 (0,4%), von denen die meisten Acadien sprechen. In der Schule wird Standardfranzösisch gelehrt.[20]

2.2.4 Michif

Eine interessante Mischsprache stellt die Sprache der Métis, das Michif / Métif dar. Als Métis bezeichnet man die Nachfahren der indigenen Bevölkerung und der französischen Siedler. Das Nominalsystem ist dem Französischen, das Verbalsystem dem Cree - einer Algonkin-Sprache - entlehnt. Zum gibt es Michif noch recht wenige Untersuchungen.[21]

2.2.5 Andere Varietäten

Weitere Varianten, wie das Haitianische Kreol oder das Französische aus Frankreich, werden von Einwanderern gesprochen. Auf den Inseln Saint-Pierre et Miquelon vor Neufundland wird auch Französisch gesprochen. Sie sind das letzte Überbleibsel der Nouvelle-France und sind heute französisches Überseegebiet (collectivité d’outre-mer - COM).[22]

3 Merkmale des kanadischen Französisch

Das Französische von Kanada unterscheidet sich in einigen Merkmalen erheblich vom Standardfranzösischen. Doch wie sehen diese Punkte genau aus? Darauf soll im folgenden Kapitel genauer eingegangen werden.

3.1 Historische Einflüsse

Das erste Sprachzeugnis über die Qualität des kanadischen Französisch ist ein lateinischer Brief von 1651.[23] In der Nouvelle-France wurde eine Koiné gesprochen, und zwar eine Varietät, die am français populaire der Île-de-France mit dialektalen Zügen des Nordwestens, des Westens und des Zentrums orientiert war und als allgemeine Handelssprache diente. Diese Einflüsse lassen sich auch heute noch im québécois und acadien populaire bemerken.[24]

Es wurde oft diskutiert, ob die Siedler patois sprachen und dies sich auf die Sprache auswirkte, tatsächlich hat aber u.a. Mougeon darauf hingewiesen, dass sie meist gebildet waren und gutes Französisch sprachen, bzw. das patois zugunsten der Koiné schnell ablegten: „L’unification linguistique de la Nouvelle-France s’est traduite par l’émergence graduelle d’une variété de français homogénéisée, qui est devenue plus tard le français québécois moderne.“[25]

[...]


[1] Der Name Iroquois ist ein Überbegriff für eine Sprachfamilie, die deutsche Bezeichnung „Irokesen“ wird meist lediglich für den Stamm der Seneca-Iroquois verwendet.

[2] vgl. Lenz 2001:1f, Wolf 1987:35

[3] vgl. Lenz 2001:72-74

[4] vgl. Wolf 1987:1

[5] vgl. Conrick / Regan 2007:12

[6] vgl. Wolf 1987:1f

[7] vgl.Wolf 1987:5f

[8] vgl. Wolf 1987:6-8

[9] vgl. Lenz 2001:279

[10] vgl. Wolf 1987:42

[11] vgl. Wolf 1987:41

[12] vgl. Lenz 2001:74-108

[13] vgl. Lenz 2001:300

[14] vgl. Wolf 1987: 43-46

[15] vgl. Lenz 2001:265

[16] http://www12.statcan.ca/francais/census06/analysis/language/highlights.cfm

[17] In Afrika ist Französisch meist offizielle oder Zweitsprache, vgl. Martel 1996:13

[18] vgl. Conrick / Regan 2006:143-145,

[19] vgl. Conrick / Regan 2006:151, Holtus / Metzeltin / Schmitt 1990:755

[20] vgl. Wolf 1987:238-244

[21] vgl. Conrick / Regan 2006:156

[22] vgl. Holtus / Metzeltin / Schmitt 1990:690

[23] vgl. Hoerkens 1998:8

[24] vgl. Holtus / Metzeltin / Schmitt 1990:745

[25] Mougeon 2000:35

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Identität und Einstellungen im frankophonen Kanada
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Variation und Varietäten des Französischen
Note
2,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
35
Katalognummer
V122614
ISBN (eBook)
9783640275649
ISBN (Buch)
9783640283002
Dateigröße
715 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identität, Einstellungen, Kanada, Variation, Varietäten, Französischen
Arbeit zitieren
B.A. Anna Theodorou (Autor:in), 2008, Identität und Einstellungen im frankophonen Kanada, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122614

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