Das Subsidiaritätsprinzip

Vom Beginn der Katholischen Soziallehre über Quadragesimo Anno zu einer modernen Definition


Seminararbeit, 2008

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Anlass zur Enzyklika Quadargesimo Anno

2 Entstehungsgeschichte
2.1 Hintergründe zu Rerum Novarum
2.2 Totalitarismus als Forderung nach sozialer Ordnung

3 Quadragesimo Anno und das Subsidiritätsprinzip
3.1 Der Mensch als Wesen
3.2 Ursprünge des Subsidiaritätsprinzipes
3.3 Das Subsidiaritätsprinzip in Quadragesimo Anno
3.4 Dimensionen des Subsidiaritätsprinzips
3.5 Struktur der Einheitenbeziehung
3.6 Definitionsversuch

4. Schlussbemerkungen

Literatur und Quellenangabe

„Richtig ist, dass das Grundprinzip des Staates die Verfolgung der Gerechtigkeit sein muss und dass es das Ziel einer gerechten Gesellschaftsordnung bildet, unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips jedem seinen Anteil an den Gütern der Gemeinschaft zu gewährleisten.“1

1 Einleitung

Wenn heute nach dem Subsidiaritätsprinzip in einer Vorlesung gefragt wird, kennen es die Wenigsten. Viele kennen vielleicht das Prinzip der Wirkung, doch eine klare Definition gibt es dazu nicht und das Wort hat kaum jemand gehört.

Im Folgenden werde ich mit Sicherheit keine eindeutige und absolut schlüssige Definition hervorbringen können, aber ich versuche aufzeigen, warum dieses Prinzip so notwendig war und warum es das heute noch ist, dass selbst der jetzige Papst Benedikt darauf wie viele seiner Vorgänger zurückgreift.

Natürlich wird das Prinzip heute vor allem in politischen Zusammenhängen gesehen und mit dem Föderalismus verglichen, vielleicht sogar vertauscht. Doch während der Föderalismus eine klare politisch−rechtliche Struktur ist, ist Subsidiarität offen und heuristisch und bietet dadurch wesentliche größere Anwendungsgebiete, die von der Wirtschaft auch in die Gesellschaft reichen. Dies ist beachtlich, da die Entstehung vor allem mit wirtschaftlichen Problemen im Zusammenhang und mit der Ordnung der wirtschaftlichen Landschaft zur Zeit der Industrialisierung stand, in der wir uns, vielleicht nicht mehr in Europa, aber global betrachtet noch immer befinden.

Um das Prinzip der Subsidiarität besser zu fassen, mache ich einen weiteren Rückgriff und beginne mit der Arbeit bereits bei den Anfängen der Katholischen Soziallehre, da diese Ausgangspunkt und auch Anlass für die Enzyklika Pius XI. QUADRAGESIMO ANNO war.

Außerdem sehe ich die Verbindungen zum Solidaritätsprinzip, verzichte allerdings auf weitere Erklärungen zu diesem. Da ich lediglich beim abstrakt formellen Charakter des Subsidiaritätsprinzips bleiben wollte, um es selbst als Prinzip zu verstehen. Es steht aber natürlich in enger Verbindung mit den anderen Sozialprinzipien der Kirche und der individuellen Verantwortung.

Persönlich glaube ich nicht, dass die Kirche Erfinder des Subsidiaritätsprinzips ist, aber sie hat es zur rechten Zeit noch mal in das Gedächtnis der Menschen gerufen und ist durch die Art der Begründung, nicht am Glauben gebunden geblieben; was möglicherweise auch neu und vielleicht für die fehlende letzte Konsequenz einer breiteren öffentlichen Wahrnehmung verantwortlich war.

1.1 Anlass zur Enzyklika Quadragesimo Anno

Schon der Titel und der Untertitel der Enzyklika beschreiben den Anlass, den Papst Pius XI zum Schreiben von QUADRAGESIMO ANNO (QA) hatte. Er lautet: Das Papstrundschreiben […] zum 40. Jahrestag des Rundschreibens „Rerum novarum“ von Leo XIII.. Auf den Tag genau 40 Jahre später, den 15. Mai 1931, erschien Pius Enzyklika.

Während RERUM NOVARUM (RN) im Jahre 1891 erstmals die Beschwerden und Missstände der Menschen betrachtete, sind diese auch Jahrzehnte später noch aktuell. Die anfängliche Industrialisierung, die Entfremdung und der Sozialismus waren die vorherrschenden Schlagwörter einer turbulenten Zeit, deren Ausläufer sich noch weit in das 20. Jahrhundert drängten.

Pius ging es im Rundschreiben QUADRAGESIMO ANNO eben genau „um die segensreichen Früchte, die das Leoinische Rundschreiben2 für die katholische Kirche und damit auch für die ganze menschliche Gesellschaft zeitigte, rückblickend zu überschauen, um sodann des großen Meisters Sozial− und Wirtschaftslehre gegen einige Zweifel sicherzustellen und in gewissen Punkten weiter zu entfalten, endlich mit der modernen Wirtschaft ins Gericht zu gehen, die Frage des Sozialismus zu untersuchen, die Wurzel der gegenwärtigen sozialen Missstände aufzudecken und zugleich den einzigen Weg zur heilbringenden Erneuerung zu weisen, nämlich die christliche Sittenreform.“3

2 Entstehungsgeschichte

Um die Entstehung von QA nachzuvollziehen, in welcher Zeit und mit welchen gesellschaftlichen Problemen das Leben der Menschen einherging, ist es sinnvoll auch einen Schritt weiter zurück zu gehen. Nämlich zur Entstehungszeit von RN, da viele der in den beiden päpstlichen Rundschreiben aufgezeigten Probleme in dieser Zeit im Bewusstsein der Kirche verstärkt zu Tage getreten sind. Dabei ist die folgende Betrachtung nicht ganzheitlich, sondern beschränkt sich vor allem auf die historischen Ereignisse im europäischen Raum und ist natürlich durch die Sichtweise der katholischen Kirche zu dieser Zeit geprägt.

2.1 Hintergründe zu Rerum Novarum

Die Enzyklika RERUM NOVARUM ist nicht Ausgangspunkt von Lösungen, obwohl sie sicherlich einen besonderen Rang einnimmt und nicht umsonst als erste Sozialenzyklika der kirchlichen Soziallehre eingestuft wird und somit den Beginn der katholischen Soziallehre markiert.4 Sie ist in der kirchlichen Lehre möglicherweise als Höhepunkt zu bezeichnen.

Die „soziale Frage“ hatte den europäischen Raum erfasst. Die immer stärker einsetzende Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts förderte die Entstehung von Gewerkschaften und politischen Strömungen. Zwischen Liberalismus und Sozialismus (später auch Kommunismus) und zwischen Hochkonjunktur und schweren wirtschaftlichen Krisen litt die Gesellschaft. Doch sie litt nicht nur unter den monetären Zwängen, sondern vielmehr unter der Ordnung des gesellschaftlichen Aufbaus. Gesetzliche Regelungen vor allem in den industriellen Hochzentren England und Frankreich verhinderten die Bildung von Gewerkschaften. Diese waren aber wichtig, um eine Ausbeutung des „Proletariats“ und eine reine Betrachtung des Menschen als Produktionsfaktor zu verhindern. Erst 1825 wurden die ersten Arbeiterbünde in England gegründet, nachdem dort die Combination Laws abgeschafft wurden.5

Dennoch blieb die soziale Frage ein beherrschendes Thema, denn Kinder− und Frauenschutz, Arbeitsbelastungen und Rechtlosigkeit waren immer noch unklar und verstärkten die Kluft zwischen jenen, die Produktionsfaktoren besaßen und denen, die als solche fungierten.

Die Einführung von sozialen Leistungen in Deutschland durch Wilhelm II. war sicherlich für Deutschland ein markanter Punkt und sorgte um 1890 für Erleichterung, aber auch schnell wieder für Ernüchterung.

Doch auch in Deutschland nahmen die Lösungsansätze Konturen an. Das neue soziale Denken wurde im kirchlichen Raum vor allem durch Bischof Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler „entscheidend erweitert und gestaltet“6.

Auch der Heilige Stuhl erkannte die Notwendigkeit des Handels. Mit RN versuchte Papst Leo allerdings nicht den zuvor in der Geschichte der Kirche ausgeprägten Alleinlösungsansatz weiter zu propagieren, sondern weichte diesen Grundsatz auf, um eine Lösung der sozialen Frage herbeizuführen.

Nach Papst Leo in RN beansprucht die Kirche „nicht mehr, allein die Aufgabe zu meistern, sie erkennt nunmehr auch dem Staat Zuständigkeit und Verantwortung für diesen Bereich zu; noch mehr, Leo räumt ihm nicht nur die rechtliche Befugnis dazu ein, sondern legt ihm ganz ausdrücklich die strenge Pflicht dazu auf“7.

Wichtig für die Erklärung des Subsidiaritätsprinzips ist dies allemal, denn auch wenn Leo keine ultimativen Lösungen mit RN schuf und auch im weiteren Verlauf der Geschichte noch viel Kritik geübt und Überlegungen über das Rundschreiben angestellt wurden, was nicht Gegenstand dieser Arbeit sein soll, ist die Beteiligung des Staates im Zusammenhang mit der Kirche wichtig.8 Dies zeigt sich vor allem in den weiteren Kapiteln und dem Verständnis von dem, was heute allgemein unter dem Begriff Subsidiarität verstanden wird.

Dennoch ist der Beitrag der Kirche zur sozialen Frage wichtig und ausschlaggebend für alle weiteren Enzykliken. Es ist in sofern unabdingbar, als dass der Beitrag heißt: Maßstäbe und Pflichten in einem großen gesellschaftlichen Einzugsbereich zu schaffen, denn der Beitrag „besteht zunächst in der Lehre. Die Kirche lehrt, die Dinge, d. i. vor allem die Beziehungen des Menschen zu seinen Mitmenschen im rechten Licht zu sehen […]. So lehrt die Kirche, daß zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Klassen trotz noch so tiefgreifender Interessengegensätze kein unversöhnlicher Gegensatz besteht, diese vielmehr wechselseitig aufeinander angewiesen sind“9. Im Allgemeinen sind dies schon Ansätze einer solidarischen Gemeinschaft.

2.2 Totalitarismus als Forderung nach sozialer Ordnung

Die große Wirkung, vor allem auf theoretischer Ebene von RN soll hier nicht weiter diskutiert, als vielmehr angenommen werden, bevor der Schlag zu QA gemacht werden soll. Diese zweite, hier als Referenz dienende Enzyklika hat ihren Ursprung vor allem, so behaupte ich, in der Nichtüberwindung der sozialen Streitfragen. Und obwohl QA im Gegensatz zu RN keinen „großen Nachhall“10 fand und die Auswirkungen in den Sozialwissenschaften nach den Argumenten Oswald von Nell−Breuning nur schwer zu beantworten sind, möchte ich sie im Bezug zur Subsidiarität gern verwenden.

Zwar schufen RN und alle weiteren Rundschreiben neue Aspekte und versuchten über die Lehre Einfluss zu üben, dennoch wurden Ordnungsprinzipien von politisch−geistiger Seite weitergeführt, in einen Grad des Nichtsozialen.

Auch Papst Pius erkannte, dass „die neuen Bedürfnisse unsere Zeit und ihre veränderte Sachlage eine genauere Anwendung der Leoninischen Lehre, ja sogar die ein oder andere Ergänzung notwendig“11 macht.

[...]


1 Enzyklika DEUS CARITAS EST von Papst Benedikt XVI. an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die gottgeweihten Personen und an alle Christgläubigen über die christliche Liebe. - Verlautbarungen des apostolischen Stuhls, Nr. 171; hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz; Bonn 2006, S. 35

2 Anm.: gemeint ist hier die Enzyklika RERUM NOVARUM von Papst Leo XIII.

3 Enzyklika QUADRAGESIMO ANNO von Papst Pius XI. Das Papstrundschreiben über die gesellschaftliche Ordnung, ihre Wiederherstellung und ihre Vollendung im Geiste des Evangeliums zum 40. Jubiläum des Rundschreibens „Rerum novarum“ von Leo XIII. – 3.Auflage; Rex-Verlag; Luzern 1947, (15), S. 11

4 Heitzer, Horstwalter: Die erste Sozialenzyklika „Rerum novarum“ vom 15. Mai 1891, in: 100 Jahre Rerum novarum (1991) – Die Antwort der katholischen Kirche auf die soziale Frage des 19. Jahrhunderts; Hrsg: Brüggemann, Wolfgang/Heitzer, Horstwalter; Verlag Ferdinand Kamp; Bochum 1991, S. 11

5 Geis, Imanuel: Geschichte im Überblick – Daten und Zusammenhänge der Weltgeschichte; überarbeitete und erweiterte Neuausgabe; Rowohlt Taschenbuch Verlag; Hamburg 2000; S. 347 ff.

6 Heitzer, S. 11 f.

7 Nell-Breuning, Oswald von: Soziallehre der Kirche – Erläuterungen der lehramtlichen Dokumente; hrsg. von der Kathlolischen Sozialakademie Österreichs; 2. Auflage; Europaverlag; Wien 1978, S. 38.

8 Enzyklika QUADRAGESIMO ANNO; (25), S.15: „Was nun die Staatsgewalt anbelangt, so überschreitet Leo XII. mutig die ihr vom Liberalismus gezogenen Grenzen und lehrt unentwegt, sie sei nicht als eine bloße Hüterin der Rechte und der gesetzlichen Ordnung anzusehen, sondern sie müsse vielmehr mit aller Kraft darauf hinarbeiten, dass ‚… allein auf Grund der Gestaltung und Verwaltung des Staatswesens die Wohlfahrt […] erblühe. […] Den Regierungen obliege der Schutz des ganzen Volkes und seiner Glieder.“

9 Nell-Breuning, S. 36 f.

10 Müller, J. Heinz: Grundgedanken der Enzyklika Quadragesimo anno und die Nachkriegsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Die Enzyklika Quadragesimo anno und der Wandel der sozialstaatlichen Ordnung; Hrsg: Mückl, Wolfgang J.; Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres- Gesellschaft; Heft 62; Ferdinand Schöningh; München 1991, S. 9

11 Enzyklika QUADRAGESIMO ANNO; (40), S.20

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Subsidiaritätsprinzip
Untertitel
Vom Beginn der Katholischen Soziallehre über Quadragesimo Anno zu einer modernen Definition
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg
Veranstaltung
Katholische Soziallehre
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V122220
ISBN (eBook)
9783640270675
ISBN (Buch)
9783640270835
Dateigröße
584 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Subsidiaritätsprinzip, Katholische, Soziallehre
Arbeit zitieren
André Mandel (Autor:in), 2008, Das Subsidiaritätsprinzip, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122220

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