Biologie als Schicksal? Über die Grenzen der geschlechtsspezifischen Sozialisation


Seminararbeit, 2001

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung:

2. Ergebnisse der kulturvergleichenden Forschung
2.1. Margaret Mead
2.2 Eckert und Löffler

3. Ergebnisse der psychologischen Forschung
3.1. Intellektuelle Fähigkeiten
3.2. Emotionale Dispositionen

4. Ergebnisse der biologische Forschung

5. Fazit

6. Anhang: Literaturverzeichnis:

1. Einleitung:

„ Man kann einen Mann bedrängen, soviel man will, doch bei einer Frau darf man nicht zu weit gehen. Denn dem Herzen der Frau entspringt die Sehnsucht nach der Wahrheit. Wie viele Gatten, die ihre Frau betrogen, werden zu Grabe getragen und nehmen ihr Geheimnis mit! Wie viele Frauen, die ihre Männer hintergingen, zerstörten ihr Leben dadurch, daß sie diesen selben Männern die Wahrheit ins Gesicht schleudern. Sie waren zu stark bedrängt worden.“[1]

Auch wenn dieser Ausspruch Hercules Poirots in dem Kriminalroman „Alibi“ auf den ersten Blick nichts mit geschlechtsspezifischer Sozialisation zu tun haben scheint, spiegelt er doch eine wichtige Einstellung bezüglich der „typischen“ Verhaltensweisen von Mann und Frau und deren Erwerb wieder.

Der vorliegende Ausschnitt stellt nämlich ein Musterbeispiel für eine Theorie dar, die sehr viele vertraten und bis heute immer noch vertreten. Die Sprache ist von der These des „genetisch angelegten Geschlechtstypus“.

Hier geht man davon aus, dass bestimmte Eigenschaften, wie Durchsetzungsvermögen, Ausdauer und Konkurrenzdenken beim Mann und Sanftheit, Liebe zur Wahrheit und der Mutterinstinkt bei der Frau auf biologischen Unterschiede zurückzuführen sind. Sollte diese Annahme stimmen, würde das aber enorme Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung und die Sozialisation mit sich bringen: die Persönlichkeitsentwicklung würde für Jungen und Mädchen in unterschiedlichen, biologisch vorgeprägten Bahnen verlaufen, die man durch Erziehung und Sozialisation praktisch nicht mehr verändern könnte. Die Persönlichkeit eines Menschen wäre dementsprechend von Geburt an durch die Biologie unveränderbar vorbestimmt.

Genau so gut vorstellbar ist jedoch, dass lediglich die körperlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau durch die Gene determiniert sind. Und alles andere, also auch die „typischen“ Eigenschaften und Handlungsweisen, erst durch die Gesellschaft und Erziehung dem Menschen mehr oder weniger „angeheftet“ wird.

Dadurch ergäbe sich die Möglichkeit die eigenen geschlechtstypischen Eigenschaften im Laufe des Lebens auch wieder zu verändern oder sogar ins Gegenteil umzukehren.

Genau diese Frage, ob die geschlechtsspezifische Persönlichkeit genetisch vorbestimmt ist, oder nicht, möchte ich im Folgenden behandeln.

Dazu werde ich die Forschungsergebnisse der Kulturanthropologie, der Psychologie und der Biologie verwenden.

2. Ergebnisse der kulturvergleichenden Forschung

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand in den USA die kulturvergleichende Forschung. Um Erkenntnisse über die Rolle der Geschlechter und die Kindererziehung zu erhalten, suchten die Wissenschaftler hauptsächlich Kulturen auf, die so wenig wie möglich von der modernen Industriegesellschaft beeinflusst worden waren. Solche Völker waren hauptsächlich primitivere Völker in der Südsee, Eskimos oder Indianer. Beobachtet wurden unter anderem die vorherrschende Arbeitsteilung, geschlechtstypische Verhaltensweisen und vorhandene Macht- und Einflussstrukturen. Bei der Auswertung der Daten orientierte man sich nach dem Grundsatz: „Je weniger Gemeinsamkeiten sich zwischen den verschiedenen Kulturen finden, desto unwahrscheinlicher wird die These vom biologisch vorgeprägten Geschlechtscharakter.“[2].

2.1. Margaret Mead

Eine der bekanntesten Forschern auf diesem Gebiet war Margaret Mead (1901- 1978). Sie prägte die psychologische bzw. ethnologische Anthropologie und trug sehr viel zur Forschung über die Geschlechterrollen bei.[3] In den 20er und 30er Jahren erforschte Mead damals noch unbekannte Völker in der Südsee. Besonders interessant sind dabei die Berichte über die Tschambuli vom See, die nicht – so wie die meisten Stämme - patriarchalisch organisiert waren.

Die Tschambuli sind ein kleiner Stamm mit etwa 500 Leuten, die auf 3 Dörfer verteilt leben. Während die Frauen die häuslichen Arbeiten in den Wohnhäusern, auch „Häuser der Frauen“ genannt, verrichten, verbringen die Männer sehr viel Zeit in den Kult- oder Männerhäusern.

Es ist zwar so, dass die Frauen typische Arbeiten wie kochen und flechten übernehmen, viele Tätigkeiten unterscheiden sich aber stark von „unserem“ Frauenbild.

So ist man für die Nahrung „von der Fischerei der Frauen abhängig. Männer fischen niemals. [...] Das wichtigste Gewerbe, die Herstellung der Moskitosäcke - für zwei von ihnen kann schon ein gewöhnliches Kanu eingehandelt werden – betreiben ebenfalls nur die Frauen.“[4]. Auch was die Kultur und den Schmuck angeht, berichtet Mead überraschende Beobachtungen: „Jeder Mann ist ein Künstler, und viele verstehen sich auf mehrere Künste: Tanz, Malerei, Schnitzerei, Flechterei. Jeder Mann ist hauptsächlich mit seiner Rolle auf der Bühne seiner Gesellschaft beschäftigt: mit der Ausarbeitung der Kostüme, der Schönheit seiner Masken, der Geschicklichkeit seines Flötenspiels, der Vollendung und dem Elan seiner zeremoniellen Darbietungen; [...] Das Interesse der Frauen an der Kunst beschränkt sich darauf, innerhalb ihres Kreises eine anmutige Rolle zu spielen; [..] für die Männer ist aber die Kunst das einzig Wichtige im Leben.“[5].Die Frauen bei den Tschambuli sind im Gegensatz zu den Männern meist überhaupt nicht geschmückt. Es wird auch berichtet, dass die Männer zwar für die Tauschgeschäfte und das dazugehörige Verhandeln zuständig sind, die Frauen jedoch die Macht über das dadurch verdiente Geld besitzen. Auch das Verhältnis der Geschlechter untereinander hat eine andere Qualität. Während die Frauen gemeinschaftlich arbeiten und Solidarität untereinander herrscht, gelten die Beziehungen der Männer zueinander als heikel, schwierig und von Misstrauen geprägt.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass die Frauen der Tschambuli in unserem Verständnis „typisch männliche“ Aufgaben, wie das Beschaffen von Nahrung und Macht über das Geld besitzen, umgekehrt die Männer jedoch auch „typisch weibliche“ Eigenschaften, wie Empfindsamkeit, Sensibilität, kulturelle Tätigkeiten und das Tragen von Schmuck aufweisen.

Bei einem anderen von Mead erforschten Stamm, den Manus in Neu- Guinea, kann man ebenfalls eine andere Rollenaufteilung nachweisen. Zwar sind die Männer für den Erwerb, nämlich Fischen und Handeln zuständig, in der Kindererziehung spielen sie jedoch eine wichtige Rolle. Die Mütter versorgen das neu geborene Kind nur das erste Lebensjahr, danach wird es vom Vater gefüttert, gebadet und er spielt mit ihm. „Der Vater ist der zärtliche, nachsichtige Wächter und spielt die Hauptrolle, während die Mutter in der Liebe des Kindes an zweiter Stelle steht.“[6]. Dies ist eine andere Vaterrolle, als wir sie kennen.

Es zeigt, dass Männer unter Umständen die selben Eigenschaften, wie Frauen ausbilden können und umgekehrt.

„Eigenschaften, die als maskulin oder feminin zu gelten pflegen scheinen mit dem Geschlecht ebenso lose verbunden zu sein wie Kleidung...“[7]. Dieser Ausspruch Meads bringt deutlich ihre Einstellung zum Vorschein. Sie war nämlich Vertreterin des Kulturdeterminismus. Das heißt, sie war der Meinung, dass die menschlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen praktisch grenzenlos variabel sind.

Dass diese Ansicht jedoch auch nicht genau so haltbar ist, möchte ich im Folgenden aufzeigen.

2.2 Eckert und Löffler

Eckert und Löffler haben sich mit der Frage der Arbeitsaufteilung beschäftigt. Sie gehen davon aus, dass in jeder Gesellschaft Männer und Frauen bestimmte Grundprobleme gemeinsam bewältigen müssen, wenn sie überleben wollen. Das ist einerseits die Produktion von Lebensmitteln und anderen Gütern und andererseits die Sicherung der Reproduktion. Diese Probleme stellen sich für absolut alle Menschen. Wie sie jedoch im Endeffekt gelöst werden, hängt von der jeweiligen Gesellschaft ab. Welche Probleme sich beim Lösen auftun, sieht man deutlich am Beispiel der Buschleute.

„Bei den Buschleuten wird ein Kind von der Mutter in den ersten beiden Jahren ständig getragen, im dritten Jahr nur noch auf etwa zwei Dritteln und im vierten auf der Hälfte ihrer Wege. Sie legt pro Jahr ca. 2400 km zu Fuß zurück und trägt zudem Wasser, Feuerholz, Nahrung, usw. ... Diese Strecken sind offenbar nötig, und während der ersten zwei Jahre kann nur die Mutter und nicht der Vater das Kind tragen, weil nur sie es säugen kann. Nach etwa vier Jahren (oder falls das erste Kind stirbt, auch früher) erlaubt es die Ökonomie, dass die Frau wieder schwanger wird und ein weiteres Kind bekommt – Sterbefälle abgerechnet, hält sich die Bevölkerung dadurch etwa konstant. Es wäre mithin ein Unding, wollte man die Frau während der Zeit, wo sie mit einem Kind umherlaufen muß, auf die Jagd schicken, wo es doch unter anderem darum geht, sich unbemerkt anzuschleichen oder gar das Wild zu hetzen. Damit fallen die Frauen wiederholt für einen Zeitraum von drei Jahren aus. Auf die Idee, nun wenigstens in der verbleibenden Zeit die Aufgaben umzukehren, die Männer Holz und Wasser holen zu lassen und zum Sammeln zu schicken, kann nur jemand kommen, der Jagd für eine Beschäftigung hält, die man ohne ständiges Training und ohne ständig weitergeführte Kenntnis über die Eigenheiten des Wildes und Veränderung seines Standes und Bestandes durchführen kann. Der ohne Arbeitsteilung nötige ... Energieaufwand wäre möglicherweise so groß, daß die Gruppe nicht überleben könnte. Will man hingegen die Überlebenschancen vergrößern, so müssen die Männer jagen, und die Frauen dürfen nicht jagen, ob ihnen das persönlich paßt oder nicht, und auch unabhängig davon, ob sie hormonal dazu animiert sind oder nicht“[8].Dieser Bericht von Löffler zeigt deutlich, dass bei den Buschmännern nicht die Gene dafür verantwortlich sind, dass die Männer auf die Jagd gehen, sondern die Notwendigkeiten des Überlebens. Er besagt aber auch, dass männliche und weibliche Verhaltensweisen zwar grundsätzlich variabel sind, aber bei weitem nicht beliebig, so wie der Kulturdeterminismus dies vertritt. Denn nur die Frau kann gebären und in der Folge auch stillen.

[...]


[1] Agatha Christie: Alibi, Goldmann rote KRIMI , München, o. J. , S. 126

[2] K.J. Tillmann: Sozialisationstheorien. Eine Einführung in den Zusammenhang von Gesellschaft, Institution und Subjektwerdung, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1995, S. 43

[3] vgl. http://www.medicine-worldwide.de/persoenlichkeiten/mead.html am 18.06.2001

[4] Margaret Mead: Leben in der Südsee. Jugend und Sexualität in primitiven Gesellschaften, Szczesny Verlag, München, 1965, S. 516

[5] Margaret Mead: Leben in der Südsee. Jugend und Sexualität in primitiven Gesellschaften, Szczesny Verlag, München, 1965, S. 510

[6] K.J. Tillmann: Sozialisationstheorien. Eine Einführung in den Zusammenhang von Gesellschaft, Institution und Subjektwerdung, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1995, S. 45

[7] K.J. Tillmann: Sozialisationstheorien. Eine Einführung in den Zusammenhang von Gesellschaft, Institution und Subjektwerdung, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1995, S. 45

[8] K.J. Tillmann: Sozialisationstheorien. Eine Einführung in den Zusammenhang von Gesellschaft, Institution und Subjektwerdung, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1995, S. 46f.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Biologie als Schicksal? Über die Grenzen der geschlechtsspezifischen Sozialisation
Hochschule
Universität Augsburg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Proseminar Soziologie für EWS
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
18
Katalognummer
V2952
ISBN (eBook)
9783638117739
ISBN (Buch)
9783640256006
Dateigröße
625 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Besonders interessant für Studenten des Lehramts GS! 396 KB
Arbeit zitieren
Julia Koller (Autor:in), 2001, Biologie als Schicksal? Über die Grenzen der geschlechtsspezifischen Sozialisation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/2952

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