Quitt


Klassiker, 2009

198 Seiten

Theodor Fontane (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel

Zweiunddreißigstes Kapitel

Dreiunddreißigstes Kapitel

Vierunddreißigstes Kapitel

Fünfunddreißigstes Kapitel

Sechsunddreißigstes Kapitel

Siebenunddreißigstes Kapitel

Erstes Kapitel

Die Kirche war noch nicht aus, aber die alte Frau Menz und ihr Sohn Lehnert – ein schlanker, hübscher Mensch von siebenundzwanzig, dem man, auch ohne seine siebenziger Kriegsdenkmünze (neben der übrigens auch noch ein anderes Ehrenzeichen hing), den altgedienten Soldaten schon auf weite Entfernung hin angesehen hätte – hatten den Schluß des Gottesdienstes nicht abgewartet und saßen bereits draußen auf einem großen Grabstein, zu dessen Häupten eine senkrecht stehende Marmorplatte mit einer »Christi Himmelfahrt« in Relief in die dicht dahinter befindliche Kirchhofsmauer eingelassen war. Der Sohn, der schon während einer ganzen Weile mit der Kante seiner Stiefelsohlen allerlei Rinnen in den Sand gezogen hatte, war augenscheinlich verstimmt und vermied es, die Mutter anzublicken, die ihrerseits ängstlich vor sich hin sah und darauf wartete, daß der Sohn reden solle. Dazu kam es aber nicht, und so hörte man denn nichts als die letzte Liederstrophe, die drinnen eben gesungen wurde. Sonst war alles still. Der grelle Sonnenschein lag auf den Gräbern, die Schmetterlinge flogen dazwischen hin und her, und über dem Ganzen wölbte sich der tiefblaue Himmel und versprach einen heißen Tag.

Endlich nahm die Mutter ihres Sohnes Hand. Er zog sie aber unwirsch wieder zurück und sagte: »Ach laß, Mutter. Du meinst es gut. Aber was hab ich davon? Eigentlich bist du doch schuld an allem, weil du nicht weißt, was du willst, und auch nie gewußt hast. Auf Paschen und Wildern hast du mich erzogen, und wenn's dann schiefgeht und du's mit der Angst kriegst, dann steckst du dich hinter Siebenhaar und jammerst ihm was vor, und der soll dann mit einem Mal einen Heiligen aus mir machen.«

»Du weißt ja doch, Lehnert, was er alles für dich getan hat.«

»Weiß alles. Aber er darf mich nicht anpredigen, und wenn er's tut, so darf er nicht nach mir hinsehen, daß auch der Dümmste merken kann, wen er meint. Das darf er nicht, und wenn ich ihn sehe, dann sag ich's ihm auch.«

»Er will dich sprechen nach der Kirche.«

»Da haben wir's. Also wieder abgekartet. Dacht ich's doch. Ach, Mutter, du quälst mich und richtest nichts Gutes damit an.«

In diesem Augenblicke schwieg es drin, und statt des Gesanges der Gemeinde hörte man nur noch das Nachzittern der Orgel und bald danach den eigentümlichen Klapperton, mit dem die Pfennigstücke der einzeln und in Gruppen aus der Kirche Kommenden in die dicht an der Kirchentür aufgestellte Sammelbüchse fielen.

Und nun kamen auch die Leute selbst und gingen an dem Grabstein vorüber, auf das weit offenstehende, kaum dreißig Schritt entfernte Kirchhofsportal zu, wobei sie der Frau Menz und ihrem Sohne freundlich zunickten; aber ehe sie noch den Ausgang erreicht hatten, erschien auch schon in Front der nach wie vor auf dem Grabstein Sitzenden ein breitschultriger und kurzhalsiger Mann von Mitte Dreißig, dessen Stutzhut und hechtgrauer Rock mit grünen Rabatten (des Hirschfängers ganz zu schweigen) über seinen Beruf keinen Zweifel lassen konnte. Vorn, im zweiten Knopfloch, an einem absichtlich nicht allzu kurzen Bande, trug er das Eiserne Kreuz, das sich, eben weil das Band zu lang war, bei jedem Schritt in herausfordernder und jedenfalls in respekterwartender Weise hin und her bewegte. Der ganze Mann ein Bild von Selbstbewußtsein und Hochmut.

»Guten Tag, Herr Förster«, sagte Frau Menz und stand rasch auf, um ihm einen Knicks zu machen.

Der Förster nickte kurz, streifte Lehnert, der sich nicht gerührt hatte, mit einem Blick und ging dann weiter.

»Was bliebst du nicht sitzen. Mutter? Warum hast du geknickst? Er kam, er mußte grüßen, nicht du. Aber das ist immer die alte Geschichte mit dir. Du hast nur zwei Gedanken: Angst und Vorteil, und hast keinen Stolz und keine Ehre. Du bist noch ganz aus der Kriechezeit. Und nun gar kriechen vor dem, vor solchem Schubbejack. Ist er denn dein Herr? Unser Feind ist er, weiter nichts. Gott sei Dank, er fürchtet sich vor mir. Aber ich wollt es ihm auch raten. Er kennt mich noch vom Görlitzer Scheibenstand her und weiß, ich hab eine sichere Hand und ein gutes Auge.«

»Sei doch still, Junge! Du redst dich noch ins Gericht. Und wenn du durchaus reden willst, so rede nicht so laut. Es kann's ja jeder hören.«

»Soll auch.«

Er hätte wohl noch weitergesprochen, wenn nicht in eben diesem Augenblicke der alte Pastor Siebenhaar in Person von der Kirche her den Kirchhofsgang heraufgekommen wäre, neben ihm der Küster, zu dem er leise sprach.

Und jetzt erhob sich auch Lehnert.

»Ich möchte dich noch sprechen«, sagte der Alte, während er Lehnert im Vorübergehen die Hand reichte. »Komm in einer Viertelstunde! Das heißt, so dir's beliebt.« Und mit einem freundlichen Blick, der Lehnert zu Herzen ging, ging der Alte weiter, erst auf das Portal und dann, etwas rechts abbiegend, auf das hinter einer Reihe verschnittener Linden gelegene Pfarrhaus zu.

Zweites Kapitel

Lehnert – nach dieser flüchtigen Begegnung – setzte sich wieder. Sonst, wenn der Gottesdienst aus war, ging er mit seiner Mutter in den nahen Kretscham hinüber, um erst eine Stonsdorfer und hinterher einen »Grünen« oder auch wohl einen Ingwer zu trinken. Heut aber war ihm nicht danach zumute. »Laß uns sehen, Mutter, wie das Grab aussieht!«

Er meinte das seines Vaters, und während er so sprach, der alten Frau Arm nehmend, ging er mit ihr den langen Hauptgang hinauf, bis sie vor einem gut gepflegten Grabe standen, an dem nur die halb verwaschene Inschrift erkennen ließ, daß der Tote schon seit lange hier liegen müsse. Die Jahreszahl bestätigte das auch: »Hier ruhet in Gott Anton Menz, Stellmacher und Schreiner zu Wolfshau bei Krummhübel, geb. 13. März 1821, gest. 17. August 1859. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.«

Lehnert, als er die Worte las, faltete die Hände, als er aber sah, daß die Alte nach ihrem Sacktuch suchte, riß er die Hände gleich wieder auseinander und sah ärgerlich weg, weil er wußte, daß alles bloß Schein und Komödie war und die Alte nur weinte, weil sie weinen wollte. Sie steckte denn auch das Tuch wieder ein und bückte sich, um eine große gelbe Studentenblume zu pflücken.

»Das war seine Lieblingsblume«, sagte sie.

»Weißt du das gewiß, Mutter? Ich habe noch keinen Menschen gekannt...«

In diesem Augenblicke schlug die Turmuhr ein Viertel, und Lehnert unterbrach sich mitten im Satz. »Es ist Zeit«, fuhr er fort, »ich kann den Alten nicht warten lassen und muß nun hin und mir meine Litanei holen. Als ob ich in der Kirche nicht schon genug gehabt hätte. Willst du hier auf dem Kirchhof warten, oder gehst du lieber gleich nach Hause? Eine Weile wird es in der Pastorstube doch wohl dauern, Siebenhaar ist nicht immer der Kürzeste. Oder willst du lieber nach dem Kretscham hinüber und dir bei Pohl einen Ingwer geben lassen?«

Die Alte verschwor sich gegen den Kretscham und den Ingwer; ihr sei heute so andächtig wie lange nicht, und so wollte sie denn lieber gleich nach Hause. Da sei sie doch am liebsten und am nötigsten. Opitzens Christine hab ihr freilich versprochen, in der Küche nach dem Rechten zu sehen, aber vielleicht habe die gute Seele selber alle Hände voll zu tun.

Und so verließen sie denn gemeinschaftlich den Kirchhof.

Als sie draußen am Portal waren, mußte die Alte, wenn sie nach Krummhübel und Wolfshau zurück wollte, scharf nach links hin abbiegen, sie ließ sich's aber nicht nehmen, ihren Sohn erst noch bis zur Pfarre, die nach der entgegengesetzten Seite hin lag, zu begleiten, wo sie, vor dem Pfarrhaus angekommen, vorsichtig wartete, bis er eingetreten und im Flur verschwunden war. Dann aber steuerte sie sofort mit einem geschickten kleinen Umwege nach dem Kretscham hinüber, um sich hier den Ingwer geben zu lassen, den sie, »weil ihr noch so andächtig sei«, vor wenig Minuten erst abgelehnt hatte.

Lehnert stand inzwischen auf dem kühlen Fliesenflur und wartete, denn niemand erschien, trotzdem die Klingel zweimal angeschlagen hatte. Die Hoftür, hinter der ein alter Nußbaum stand, stand weit auf, und das Summen einer Wespe, die sich vom Hof her in den Flur verirrt hatte, war das einzige, was die Stille unterbrach. Endlich kam die Magd und sagte, sie wisse schon, er möge nur eintreten.

Das tat er denn auch.

Es war des Alten Studierstube, die Lehnert von seinen Kindertagen her kannte. Das Christusbild, mit Friedrich Wilhelm III. und dem Kronprinzen zur Linken und Rechten, hing noch geradeso schief wie vor vierzehn Jahren, als er hier, wöchentlich zweimal, auf einer wackligen Konfirmandenbank gesessen hatte. Alles genau wie damals und nur die Dielen noch etwas ausgehöhlter.

Lehnert hatte so seine Betrachtungen, kam aber nicht weit damit, denn in der nächsten Minute schon trat der Alte, der mittlerweile seinen Talar abgelegt und einen Imbiß genommen hatte, von der Nebenstube herein und ließ sich in einen vor seinem Schreibtisch stehenden Polstersessel nieder.

»Ja, Lehnert«, hob er an, »es ist das alte Lied. Deine Mutter hat sich wieder über dich beklagt.«

»Ach, Herr Prediger...«

»... Und daß du wieder deine Tobsucht hast und nichts wie bittere Worte sagst und ihm, ich meine natürlich deinen Nachbar Opitz, den Tod an den Hals wünschst und fluchst und dich verschwörst, daß er dran glauben solle. Lauter gotteslästerliches dummes Zeug, für das du viel zu klug und, ich muß dir das nachsagen, auch eigentlich viel zu gut bist. Ich begreife dich nicht. Du hast doch einen guten Verstand und hast die gute Schule gehabt, und wenn ich auch weiß, daß man nicht immer nach dem Worte Gottes lebt, so kennst du's doch und darfst nicht so sprechen, als ob du's nicht kenntest und als ob es gar nicht da wäre. Du weißt recht gut, daß es da ist, und weißt auch recht gut, daß Gottes Wort heilig ist und daß es das klügste und beste ist, seine Gebote zu halten. Aber du redest drauflos wie ein Heide und Türke...«

»Ach, Herr Prediger...«

»Wie ein Heide und Türke, sag ich, und tust es nicht bloß zu Haus und in deinen vier Pfählen, du sagst es auch jedem, der's hören will, und wenn du dich müde gesprochen und keine Worte mehr gegen ihn finden kannst, dann bindest du mit dem Grafen an, dem guten gnädigen Herrn, von dem du doch weißt, wie nachsichtig er ist, und hältst ihm vor, daß er was Besseres tun könne, als solchen Großtuer und Menschenquäler in die Försterei zu setzen, und daß es kein gutes Ende nehme.«

Lehnert nickte.

»Nun siehst du, du nickst und hältst es nicht mal für nötig, ›nein‹ zu sagen und deinem alten Freund und Lehrer, von dem du weißt, daß er's gut mit dir meint, in einer Entschuldigung oder so was Ähnlichem entgegenzukommen. Du bist geblieben, wie du schon warst, als du hier mit deinem blonden Krauskopf auf der Konfirmandenbank saßest. Das krause Haar haben sie dir bei den Soldaten weggekämmt, aber den krausen Sinn haben sie dir nicht wegschaffen können, du bist ein Trotzkopf, voll Selbstgerechtigkeit, und glaubst, alles am besten zu wissen. Und nun liest du auch noch allerlei dumme Blätter, in denen hochmütige Schulmeister und verlogene Winkeladvokaten ihre Weisheit zu Markte bringen, und redest hier in den Kretschams herum von Freiheit und Republik und dem glücklichen Amerika. Lehnert, Lehnert, dazu bist du mir viel zu schade! Sieh, Junge! aus dir hätt eigentlich was Ordentliches und was ganz apart Gutes werden müssen, und nun vertust du deine Zeit mit schlechter Tat und schlechtem Wort. Und das schlechte Wort ist schlimmer als die schlechte Tat. Ich lebe nun hier seit Anno 29, und noch zwei Jahre, dann hab ich mein Jubiläum, und ich darf wohl sagen, ich kenne euch und weiß, daß euch allen der Pascher und Wilddieb von Kindheit an im Leibe steckt. Das wird euch so gleich mit in die Wiege gelegt, und so nehmt ihr's als euer gutes Recht, und wenn ihr einen Grenzer oder Förster über den Haufen schießt, dann ist es nicht Mord, dann ist es Notwehr. Ich weiß das alles und find es traurig genug. Aber ich finde mich darin zurecht, das heißt, mißversteh mich nicht, ich finde mich darin zurecht, weil ich die schwache menschliche Natur kenne, der es schwer wird, der Versuchung und der Sünde, die heute so ist und morgen so, zu widerstehen. Aber daß ihr das alles in der Ordnung findet, daß ihr tut, als ob das Gesetz sich gegen euch versündige, sieh, das ist das Traurige. Und daß du die Dummheit mitmachst und auch so sprichst, als ob der Opitz ein Scheusal und eigentlich nicht viel besser als der Gottseibeiuns wäre, das tut mir leid. Und nun sprich und sage was Vernünftiges. Aber erst trink ein Glas Wein mit mir. Es ist heiß, und die Zunge klebt einem am Gaumen.«

Der Pastor trank auch wirklich ein Glas; Lehnert aber dankte.

»Nun gut, dann setz dich wenigstens. Und dann sage mir, was du zu sagen hast.«

»Ach, Herr Prediger, Sie wissen ja, wie's liegt, und wissen auch, wir sind nicht so schlimm, ich schon gewiß nicht. Ich war bei den Soldaten und weiß, was gehorchen heißt, und is gar kein vernünftiger Mensch, der gegen 's Gehorchen is. Denn das hält alles zusammen. Und so muß auch das Gesetz sein. Aber die Menschen, ja, Herr Pastor, die Menschen, die machen den Unterschied, und wenn die nichts taugen, dann ist es schlimm. Das weiß ich auch noch von den Soldaten her, und ich darf wohl sagen, und ich hab es schriftlich in meinen Attesten, ich war ein guter Soldat. Aber auf die, die den Befehl haben, auf die kommt es an, und was gibt es nicht für Vorgesetzte! Da muß man antreten mit Gepäck und zwei Stunden auf dem Hofe nachexerzieren, und die Sonne brennt und sticht, und wie man sich quälen mag, der Paradeschritt taugt nichts, die Griffe bleiben falsch, und wenn sie noch so richtig wären; immer wieder ran, immer wieder vor, und dann einen Stoß unters Kinn und Verwünschungen und Drohungen, ›daß man's wohl noch bis zum Zuchthaus oder bis zum Baugefangenen bringen würde‹. Ja, Herr Pastor, solch Unteroffizier – und es gibt's ihrer – verlangt auch Gehorsam und findet ihn auch, aber wenn's dann paßt, dann stellt man ihm ein Bein oder schafft ihn über Eck. Und die, die das tun, die sind nicht gegen Gehorsam und Disziplin, die sind bloß gegen den Unteroffizier. Und was mich angeht, Herr Prediger, ich bin nicht gegen das Gesetz, auch wenn ich's nicht immer halte, ich bin bloß gegen den Opitz, diesen Schuft und Schelm, diesen Saufaus und Menschenschinder«.

Siebenhaar lächelte. »Da haben wir's wieder, ganz wie ein Puter, wenn er den roten Lappen sieht. Du willst Person und Sache trennen. Aber geht das, hast du ein Recht dazu?«

»Ich meine ›ja‹, Herr Pastor. Sie wissen, daß ich zwei Monat drüben in Jauer war, wie 'n Verbrecher, unter lauter Gesindel. Und das verdank ich ihm.«

»Er hat dich angezeigt. Das war seine Pflicht.«

»Er hat mich angezeigt, das war seine Lust. So liegt es. Er ist immer lustig dazu, bei jedem, aber doppelt bei mir, denn wir sind alte Feinde, noch von den Soldaten und vom Kriege her. Ich kenn ihn, Herr Pastor; er ist ein schlechter Kerl, und solang ich denken kann, hat er mich gequält. Er war mein Oberjäger, und kein gutes Wort hat er mir je gegönnt. Immer hart, immer roh, auch vorm Feind, und nur wenn's in die Schlacht ging, war er wie 'n Ohrwurm. Es gibt eben Kugeln, die sich verirren. Und dann, Herr Pastor, wenn er nicht war, so hätt ich das Kreuz. Aber er hat dagegen gesprochen. Und was hat er gesagt? Ich taugte nichts, ich wäre frech und übermütig, und man könne nicht jedem das Kreuz geben, der ein paarmal aus einem Fenster geschossen habe, bei guter Deckung. Wahr und wahrhaftig, ›bei guter Deckung‹, so hat er gesagt, der schlechte Kerl. Und er war gar nicht einmal dabei. Ich will nicht sagen, daß er feige ist, nein, feige ist er nicht, aber ein Neidhammel ist er. Und was dann nachher kam, ich meine das vorige Jahr, nun, das weiß der Herr Pastor. Von Unschlitt und Schimmelbrot will ich leben, wenn ich's dem Kerl verzeih, daß er mich belauert und an die Grenzaufseher verraten hat und daß sie mich nach Jauer abgeliefert haben. Und warum? Um ein Stück Reichenberger Tuch, nicht der Rede wert! Immer hat er mir den Weg gekreuzt. Hol ihn der Teufel!«

Siebenhaar drohte halb scherzhaft mit dem Finger. Lehnert aber trat an den Alten heran und bat in einem Tone, drin sich Ernst und gute Laune die Waage hielten, um Entschuldigung.

»Ich will dir den ›Teufel‹ zugute halten, Lehnert, wiewohlen man ihn nicht anrufen soll. Aber versprich mir dafür, Friede zu halten. Ich weiß nicht, ob er dir unrecht getan hat mit dem Kreuz, aber wenn es auch wäre, du mußt es vergessen.«

»Will's versuchen.«

»Versprichst du's ernsthaft? Hab ich dein Wort?«

»Ja. Aber wenn er wieder anfängt...«

»Er wird nicht. Ich werde mit ihm sprechen, und du sollst Bescheid haben. Vielleicht bald. Und dann komm ich selbst.«

Drittes Kapitel

Während Lehnert dieses Gespräch hatte, schritt der, dem all diese Drohungen galten, heimwärts auf Wolfshau zu, wo seine Försterswohnung mit der der Menzschen Stellmacherei grenzte. Der nächste Weg nach Haus wäre der unten im Tal, an der Lomnitz hin, immer flußaufwärts, gewesen, er mied ihn aber, weil dieser nähere Weg ohne Wirtshaus war und er ernstlich vorhatte, sich bei einem Glase Bier und einem guten Gespräch von den Anstrengungen der Siebenhaarschen Predigt, die, wie gewöhnlich, gut, aber etwas lang gewesen war, zu erholen.

So stieg er denn, den Umweg nicht scheuend, die große Straße bergan auf Krummhübel zu, wo er sicher war, in dem prächtig gelegenen Wirtshause »Zur Schneekoppe« den ersehnten guten Trunk und vor allem auch eine gute, das heißt eine gefällige Gesellschaft zu finden, die sich's angelegen sein ließ, ihn reden zu lassen und ihn bei jedem dritten Worte »Herr Förster« zu nennen. Denn sich umworben und ausgezeichnet zu sehen und Ehre vor den Menschen zu haben, war das, wonach ihm zumeist der Sinn stand. Sein Hühnerhund Diana, der darauf dressiert war, die Predigt draußen auf einer von der Sonne beschienenen Kiesstelle zu verschlafen, folgte dicht hinter ihm, ein schönes, schwarz und weiß geflecktes Tier.

Und keine halbe Stunde, so bog er in Krummhübel ein, drin eine sonntägliche Stille herrschte. Links lief ein Wässerchen und schäumte, Hühner und Sperlinge pickten überall umher, wo eine Krippe gestanden hatte, und in der offenen Haustür lehnten einzelne Dorfbewohner und genossen der Sonntagsruhe.

»Guten Tag, Herr Förster«, sagte Gerichtsmann Klose, seine Pfeife respektvoll aus dem Munde nehmend, und »Guten Tag, Herr Förster«, wiederholte die nebenan wohnende, für gewöhnlich mit ihren Gunstbezeigungen etwas kargende Frau Böhmer den Gerichtsmann Kloseschen Gruß auch ihrerseits und trat aus ihrem Kramladen in die Dorfstraße hinaus, um dem Vorübergehenden die Hand zu geben, ja, sie schien ihn sogar anreden zu wollen. Des Försters Haltung aber war so steif und gemessen, daß selbst Frau Böhmer mit ihrer Frage zurückzuhalten für gut fand.

Und nun noch hundert Schritte, so stand unser Förster Opitz vor Exners »Schneekoppe«, trat aber nicht über den Schwellstein in den Flur, sondern bog gleich daneben in einen von einem Staketenzaun eingefaßten Garten ein, in dem, um einen plätschernden Springbrunnen herum, und zugleich in Front einer großen Veranda, viele Sommergäste saßen. Sich diesen zu gesellen fiel Opitz aber nicht ein, weil er im Vorübergehen herausgehört hatte, daß es Berliner waren, also Leute, von deren eigener Eingebildetheit er für die seinige nicht viel zu hoffen hatte. So ging er denn lieber auf eine kleine, von wildem Wein umwachsene Holzlaube zu, wo noch niemand saß, und ließ sich hier an einem langen, braungestrichenen Eßtisch nieder, von dem aus, unmittelbar an der Wand daneben, ein Klingeldraht nach dem Wirtshause hinüberführte. Diesen zog er. Die Bedienung war aber einigermaßen säumig, was ihn, weil er eine Verkennung seiner Wichtigkeit und Würde darin erblickte, sofort heftig ärgerte. Wirklich, sein ohnehin etwas auf Schlagfluß deutendes Gesicht wurde von Minute zu Minute röter, und erst den Hut vom Kopf nehmend und gleich danach das Sacktuch aus seiner Tasche ziehend, begann er sich in nervöser Unruhe bald mit dem einen, bald mit dem andern zu beschäftigen. Endlich kam die Bedienung, eine schöne schwarze Person, von der es hieß, daß sie Kunstreiterin gewesen und als Kind durch fünf Reifen gesprungen sei, was ihr jetzt freilich etwas schwer hätte werden sollen, und entschuldigte sich, daß der »Herr Förster« so lange habe warten müssen.

»Schon gut, Marie, schon gut.«

Und nun bestellte er eine Kulmbacher und ein Schnitzel. »Aber ohne Kapern und Sardellen!«

Die Kulmbacher kam denn auch bald, aber das Schnitzel au naturel ließ auf sich warten, und in der ihm sofort wiederkehrenden Unruhe nahm er diesmal, statt des Sacktuches, ein Notizbuch aus seiner Tasche und begann Einzeichnungen zu machen, die, seiner Miene nach, von besonderer Wichtigkeit sein mußten. In Wahrheit aber waren es bloß Krickelkrakel, bei deren gedankenloser Hinmalung er, aller Aufregung und Wichtigtuerei zum Trotz, nach der großen Veranda und den in Front derselben stehenden Tischen hinübersah.

Der ihm zunächst stehende Tisch war der unzweifelhaft anziehendste: zwei Herren und eine Dame saßen daran, mit ihnen zwei hübsche Kinder. Letztere freilich waren von einer Beweglichkeit, daß man sie kaum noch als Tischgäste rechnen konnte, woran, neben angeborener Fahrigkeit, vor allem der Springbrunnen schuld war, von dessen Staubregen sich treffen zu lassen ein nicht enden wollendes Vergnügen für sie war. Die weißen Waschkleider machten denn auch bereits ihrem Namen Ehre und wurden in ihrer Durchnäßtheit nur noch von dem blonden Haar übertroffen, das in einzelnen langen Strähnen bis auf die rosafarbenen Schärpen herabhing.

»Geraldine«, sagte der ältere der beiden Herren, indem er sich der, trotz ihrer neununddreißig, immer noch sehr schönen Dame zuwandte, »du solltest es ihnen verbieten. Es ist weder opportun noch sanitätlich zulässig.«

»Aber unterhaltlich und vergnüglich«, antwortete die Dame mit sehr überlegener Miene. »Nur keine Philistereien, Espe; dazu hast du zu Hause Zeit genug, in unserem lieben schrecklichen Berlin. Es wird sich ja wohl eine Plätterin hier finden lassen. Jugend ist Jugend, und daß sie keine Tugend hat, ist bloß Verleumdung. Frage nur Herrn Lieutenant Kowalski.«

Dieser, der schon vor fünfzehn Jahren den mageren Dienst in der Armee mit dem vorteilhafteren in einer Hagelversicherungsgesellschaft vertauscht, seinen »Leutnant« aber trotzdem beibehalten hatte, wartete die von dem älteren Herrn zu stellende Frage gar nicht erst ab, sondern entschied sich sofort für ein unbedingtes und mit großer Emphase vorgetragenes »laisser aller«, was durchaus zu dem phrasenhaften Wesen des Herrn Lieutenant stimmte, der seine ganz auf Flunkerei, Zynismus und Prosa gestellte Natur hinter hochtönenden Redensarten, zu denen auch ein paar französische Sätze gehörten, zu verbergen trachtete. Je mehr er persönlich, so fuhr er nach einem mehrfach wiederholten laisser aller fort, in zurückliegenden Jahren unter dem Drill des Dienstes gelitten habe, je mehr sei er für Freiheit. Freiheit sei das einzige richtige Lebensprinzip, und der inneren Stimme gehorchen zu dürfen, und hierbei suchte sein Blick das Auge der schönen Frau, sei nicht bloß das Glück, sondern auch das Heil des Daseins. Nichts über eine freie Seele. Ganz frei. Nur auf die Weise werde die Lüge hinschwinden, was dann gleichbedeutend sei mit dem Siege wirklicher Sittlichkeit.

Kowalski, wenn er einen längeren Satz sprach, schloß immer mit Sittlichkeit ab.

Opitz, so scharf er aufpaßte, saß doch zu weit ab, um jedes Wort, das am Nebentische gesprochen wurde, wegfangen zu können, aber wenn er es auch aufgeben mußte, dem Gange der Unterhaltung in aller Deutlichkeit zu folgen, so gab er es doch nicht auf, sich mit Hilfe dessen, was er mit scharfem Auge sah, in dem Verhältnis der drei Personen zueinander zurechtzufinden. Der aschfarbene kleine Herr mit dem wenigen Haar und der Goldbrille war offenbar der Gatte der Dame, was sich schon aus der Devotion ergeben haben würde, mit der er sich gegen sie benahm. Aber wie kam sie zu diesem Hutzelmännchen? Viel erklärlicher war ihm der militärisch wirkende Herr, hinsichtlich dessen ihm eigentlich nur unsicher blieb, ob er ihm eine dauernde oder nur eine vorübergehende Beziehung zur schönen Frau zuschreiben sollte.

Das Schnitzel, mit dem Marie jetzt endlich erschien, unterbrach seine Betrachtungen, die natürlich nur den Charakter von Vermutungen gehabt haben konnten, und gab ihm statt dessen die Möglichkeit in die Hand, durch einige direkt gestellte Fragen um einen reellen Schritt weiterzukommen.

»Sagen Sie, Marie, wer sind die Herrschaften da?«

»Rechnungsrat Espe mit Frau und Kindern.«

»Und der große stattliche Herr?«

»Ist ein Herr Lieutenant, aber bloß a. D.; seinen Namen hab ich vergessen.«

»Und gehören zusammen?«

»Nein. Er hat sich erst neuerdings hier eingefunden. Und nun machen sie Partien. Jeden Tag eine.«

»So, so.«

»Ja.«

Hier brach es ab, und es entstand eine Pause, während welcher Marie sorglich und langsam den Tisch arrangierte, gerade langsam genug, um zu weiteren Fragen aufzufordern.

Und wirklich, es gab auch kein langes Warten darauf.

»Espe«, fuhr Opitz nach einer kleinen Weile fort. »Und Rechnungsrat. Hm. Er behandelt seine Frau, als wäre sie wenigstens eine Prinzeß oder doch eine vom Theater...«

»Ist auch so was. Und er soll ihr zweiter Mann sein... Das heißt, eigentlich ihr erster. Denn ihr erster war keiner und war zu vornehm, um es zu werden. Und da kam Espe, der damals noch sehr unten war. Und die Kinder, so heißt es, sind auch gleich mitgekommen.«

»Von Espe?«

»Nein«, kicherte Marie. »Von Espe nicht; von dem andern. Es soll, glaub ich, ein Präsident gewesen sein. Ach, es ist doch ein merkwürdiges Leben in dem Berlin, und ich möchte da nicht hin. Man ist da ja keinen Augenblick seines Lebens sicher, und ich hätte keine ruhige Stunde mehr.«

»Na, das ist recht, Marie«, lachte Förster Opitz und patschelte der Sprecherin die Hand. »Aber wissen Sie, Marie, bedenken Sie sich's noch; – Sie sehen ja, daß nicht viel Schlimmes dabei herauskommt. Eine ›Rätin‹ ist am Ende nicht zu verachten und sollt Ihnen schon gefallen.« Opitz hätte wohl noch weitergesprochen, wenn nicht in eben diesem Augenblick ein Kamerad, der alte Förster von der Annakapelle, samt Grenzaufseher Kraatz und Lehrer Wonneberger, dessen Schule bei den »Baberhäusern« hoch oben im Gebirge lag, in den Exnerschen Garten eingetreten wäre. Das war alte Bekanntschaft, und Opitz, der einen guten Diskurs liebte, ging ihnen, was eine große Auszeichnung war, drei Schritte entgegen und begrüßte jeden einzeln. Er sei froh, daß sie kämen, denn er hab einen ganzen Sack voll Neuigkeiten. Es gehe wieder was vor, und der gottvergessene Kerl, der Gambetta, stecke dahinter.

»Ja«, fuhr er fort, »der Gambetta, wenn's nich der Skobeleff is; dem trau ich auch nicht. Alle Wetter, wir haben sie nun all am Kragen gehabt und jeden geschüttelt und ausgeschmiert; nur der Russe war noch nicht dran, der fehlt noch. Aber ich denke, den fassen wir auch noch. Nennt sich immer Freund. Aber was heißt Freund! Alles Fusel und Dusel. Wenn sie nicht den Kaviar und die Juchten hätten, wär's gar nichts. Da muß auch einmal aufgeräumt werden. Was meinen Sie, Kraatz? Sie sind ja doch auch ein Mann, der was hört und weiß und mit dabei war.«

Während Opitz noch so sprach, hatte man sich's um den Tisch her bequem gemacht. Die Klingel wurde gezogen, eine Bestellung folgte der anderen, und ehe zehn Minuten um waren, hörte man, aus der Holzlaube her, nichts als Lachen und das Zusammenstoßen der Seidel.

Unter der nachbarlichen Veranda aber, wo die Espes gesessen hatten, war alles still und leer geworden.

Ja, alles war still und leer geworden, und doch wurden Opitz und seine Freunde beobachtet, nicht von Gästen draußen, deren es kaum noch gab, wohl aber von Gästen, die drinnen im Exnerschen Hause saßen und durch die Fenster der Gaststube nach der Holzlaube hinübersahen, kleine Leute von Querseiffen und Wolfshau her, Freunde Lehnerts, Führer und Träger, auch wohl Pascher und Wilderer, die hier herkömmlich nach dem Gottesdienst – und sie waren auch heute wieder mit unten in der Arnsdorfer Kirche gewesen – ihren Sonntag feierten. Allen gemeinsam war das Gedienthaben bei den »Görlitzern« oder den Siebenundvierzigern oder den Königsgrenadieren in Liegnitz, und kaum einer befand sich unter ihnen, der nicht die Kriegsdenkmünze getragen hätte. Von einer richtigen Mahlzeit war nicht die Rede, sie begnügten sich mit einem »Grünen« oder einer Stonsdorfer, und die kleine Stummelpfeife ging nicht aus.

»Opitz läßt heute was draufgehn«, sagte der dem Fenster zunächst Sitzende. »Wenn ich recht gezählt hab, ist er schon beim dritten Seidel und sieht aus wie 'n Puter. Ihr sollt sehen, er biert sich noch den Schlag an den Hals, und eh Gott den Schaden besieht, ist er um die Ecke.«

»Du mußt ihm heute was zugute halten, Schmidt. Siebenhaar hat ja gepredigt, als ob Krummhübel und Wolfshau so was wie Sodom und Gomorrha wär. Und so was hört Opitz gern. Und was ihn am meisten gefreut haben wird, nu das war, daß Siebenhaar immer nach der Ecke hinsah, wo Lehnert Menz saß, und hätte bloß noch gefehlt, daß er ihn beim Namen genannt hätt. Und ich sah auch, wie Lehnert sich verfärbte.«

»Ja«, sagte Schmidt. »Und dabei hat Lehnert noch 'nen Stein bei ihm im Brett und ist eigentlich sein Liebling. Daß er ihn, weil er so findig und anschlägig war, auf die Schule geschickt hat, nach Jauer hin, na, das wißt ihr, und nun nimmt er doch Partei für den Opitz, der ihn zwei Monat ins Jauersche Prison geschickt hat. Und das muß ich sagen, Schule war gerad auch nicht mein Fall, aber doch immer noch lieber als Prison. Ich versteh den Alten nicht, und ich kann es mir mit seiner Predigt bloß so denken, daß er ein Unglück verhüten will. Er weiß, daß es beide harte Steine sind und daß es kein gutes Ende nimmt, wenn nicht Friede wird. Einer muß klein beigeben, und der eine muß Lehnert sein, weil es Opitz nicht sein kann. Er is doch nu mal ein Mann im Amt und sozusagen im Recht. Hol's der Teufel, daß ich das sagen muß. Und da hat Siebenhaar ihn warnen wollen, ich meine den Lehnert, und ihn ermahnen, daß er zu Kreuze kriecht.«

»Es wird aber nicht helfen. Is alles ein alter Schaden noch von den Soldaten her und nun schon viele Jahre zurück. Opitz ist ein Quäler und Schufter und war es immer. Er hat ihn schikaniert vom ersten Tag an, ich weiß nicht warum. Ich glaube, Lehnert war ihm zu forsch und zu freiweg und nicht untertänig genug, und ich erinnere mich, daß das ein ewiges Schnauzern war. ›Das will ein Jäger sein, du mein Gott‹, ›der Menz hat keinen Zug im Leibe‹, ›der Menz hat keine Ehre‹, ›der Menz hat keinen Schneid‹. Und so ging es weiter und nahm kein Ende, bis Menz den kleinen Fähnrich von Uttenhoven aus dem Wasser zog. Opitz natürlich spöttelte bloß, als sei's nichts gewesen, keine vier Fuß tief, und der Fähnrich so leicht wie 'ne Feder; als aber dann die Medaille kam und das Bataillon Carré schloß, da mußte Opitz still sein, und von ›nicht Ehre und nicht Schneid‹ war keine Rede mehr. Ich sage euch, Major Griepenkerl, der damals das Bataillon hatte, der hielt eine Rede, Donnerwetter, der verstand es, das ging an die Nieren, und hätte sich alles wieder zurechtgezogen, wenn nicht der Krieg gekommen wär und die Geschichte mit dem Kreuz. Opitz hat ihm das Kreuz gestohlen. Eine ganz verdammte Geschichte...«

»Warst du denn mit dabei...«

»Nein. Aber so gut wie mit dabei, denn ich stand in demselben Zug und habe den ganzen Spektakel, der nachher kam, mit erlebt. Alles war für Menz. Aber Opitz, der sich bei seinem Hauptmann – es war ein neuer, der alte war gefallen – in Tee gesetzt hatte, das versteht er, denn nach oben hin kriecht er, und nach unten hin tritt er und schurigelt er, Opitz, sag ich, wußt es so zu drehen, daß Lehnert leer ausging und das Nachsehen hatte. Und von dem Tag an war der Unfrieden wieder da.«

»Wie war es denn eigentlich? War es denn noch bei Sedan? Lehnert spricht nie davon.«

»Nein, bei Sedan war es nicht. Bei Sedan, das war Spaß, trotzdem wir fünf Minuten lang scharf drinsteckten. Aber das ging vorüber wie 'ne Regenhusche. Nein, dies war im Winter, als der französische General ... nu, Donnerwetter, wie hieß er doch? Bazaine war es nicht...«

»Ducrot.«

»Richtig, Ducrot... als der seinen letzten Ausfall machte. Maywald muß ja davon wissen; die Sechsundvierziger standen dicht neben uns. Aber was ich sagen wollte, das mit dem Lehnert, ja das war eine verdammte Geschichte. Die dritte Compagnie hielt die Vorderreihe von Saint-Cloud, und in dem Eckhause rechts, dran die große Straße vorbeiläuft, lagen zwölf Jäger von uns unter Oberjäger Jaczewski, und bei diesen zwölfen war auch Lehnert. Nun, daß ich's kurz mache, die ganze Linie mußte zurück, und der Angriff ging zuletzt auf das Eckhaus, das der Punkt war, auf den es ankam. Ging das Eckhaus auch verloren, so nahm man uns in die Flanke. Jaczewski fiel, und das Kommando kam an Lehnert, und da war bald keiner mehr, der nicht einen Denkzettel weggehabt hätte; Lehnerten, das hab ich nachher gesehen, wurde der Gefreitenknopf und der Ohrzipfel weggeschossen. Aber er wollte nichts von Übergabe wissen und hielt aus, bis Sukkurs kam und die ganze Linie wiedergenommen wurde.«

»Und kein Kreuz? Das begreife, wer kann. Du mein Gott, da waren doch die Aussagen der Leute!«

»Ja, die Aussagen der Leute. Die Leute, die lagen verwundet im Lazarett und ließen sich natürlich betimpeln und beschwatzen und sagten aus, was Opitz ihnen vorredete. Jaczewski habe das Kommando gehabt, und Jaczewski sei gefallen...«

»Aber bist du denn auch sicher, daß Opitz unrecht hatte? Menz ist ein forscher Kerl, aber er dünkt sich was, weil er auf Schulen war, und ist eitel und hält sich für mehr, als er ist. Er hat einen Nagel.«

»Ja, den hat er, und es ist schwer Friede mit ihm halten. Er hat so was wie Opitz selber und ist gleich aus dem Häuschen. Aber eins muß doch wahr bleiben, er is ein guter Kerl und ein guter Kamerad und dabei grundehrlich und läßt keinen im Stich, und wenn man ihn nicht reizt und ihm nicht widerspricht und ihm in seinem Willen zu Willen ist, dann ist er wie 'n Kind, und man kann ihn um den Finger wickeln.«

»Das sag ich auch. Und wenn Siebenhaar es recht angefangen hätte, na, dann hätt er Opitzen angepredigt und dem ins Gewissen geredet und von den Geizigen und Hartherzigen gesprochen, die nicht ins Himmelreich kommen. Aber er hat den Spieß umgedreht und hat Opitzen recht gegeben. Und das ist nicht recht. Denn Opitz ist ein Narr und ein Quälgeist, und ich wollte bloß, er tränke sieben Seidel und hätte seinen Schlag weg. Dann wären wir ihn los, und das arme Volk wär ihn los, das in den Wald geht, und könnte sich ruhig sein bißchen Holz raffen.«

»Und wir könnten einen Spießer wegschießen, ohne Gefahr und Prison. Und das ist doch immer die Hauptsache.«

Viertes Kapitel

Opitz hatte keine Eile, nach Hause zu kommen, und die dritte Stunde war fast schon heran, als er aufbrach und seinen Weg nach seiner Wolfshauer Försterei hin fortsetzte. Der alte Förster von der Annenkapelle blieb noch im Exnerschen Lokal zurück, ebenso Grenzjäger Kraatz, und nur Lehrer Wonneberger, der bis zur Obermühle hin denselben Weg mit Opitz hatte, schloß sich ihm an. Es war ein in wunderlichen Sprüngen gehendes Gespräch, das sie führten, erst über den Papst und das neue Dogma, von dem beide nicht viel wissen wollten, dann über Mac Mahon, der viel zu gut für die Franzosen, und über General Tümpling in Breslau, der zu lang im Dienste sei. All dies wurde übrigens in kurzen großen Sätzen erledigt, um dann um so ausführlicher auf das Nächstliegende einzugehen, auf Siebenhaar, auf Exner, Vater und Sohn, auf den alten Laboranten Zölfel mit seinem Melissengeist und seinen Wundertropfen, auf das Blitzmädel »die schwarze Marie« und nicht zum wenigsten auf Rechnungsrat Espe und seine schöne Frau.

»Sehen Sie, Wonneberger«, sagte Opitz, der stark angeheitert und in der all seinen Freunden wohlbekannten Stimmung war, in der er alle Welt küssen und jeden, der dies ablehnte, niederstechen wollte. »Sehen Sie, Wonneberger, wenn ich der Rechnungsrat wäre, so soll mich der Teufel holen, wenn ich nicht mit der Marie anbändelte, bloß um dieser eingebildeten Madame ein Schnippchen zu schlagen. Die sollte zappeln.«

Wonneberger lachte. »Ja, Förster Opitz, wenn Rechnungsrat Espe der Förster Opitz wäre, dann ging' es. Aber er ist bloß ein Männchen und bringt, wie meine Berliner oben sagen – Sie wissen doch, daß ich wieder Sommergäste habe –, ›die Forsche nicht raus‹. Und wenn er auch wollte, würde denn die Marie wollen? Und wenn auch die Marie wollte, was man am Ende nie wissen kann, so hälf' es ihm auch nicht viel. Die Rätin ist doch keine Frau, die sich so was zu Herzen nimmt, und ich wette, sie würde bloß lachen und sagen: ›Mein armer Espe! Wenn es ihm nur nicht schadet.‹«

»Ach, Wonneberger, reden Sie doch nicht so! Man merkt es, bei den ›Baberhäusern‹ hört die Welt auf, und deshalb kennen Sie die Welt nicht. Ich sag Ihnen, die Weiber sind ganz anders, und wenn sie heut einen kleinen stumprigen Mann ausgelacht haben, so lachen sie morgen einen langen Laband aus. Und wenn es ein Simson wäre. Na, und ein Simson ist dieser Lieutenant Kowalski noch lange nicht. Immer was anderes, das ist die Hauptsache. Heute der große Goliath und morgen der kleine David. Und die Kleinen, glauben Sie mir, Wonneberger, die Kleinen haben auch ihre Meriten, und wenn sich dieser Rechnungsrat ein Herz nehmen und der Marie einen Kuß geben wollte, das heißt einen ordentlichen, der schmatzt und den man in der Nebenlaube hören kann, so hätte die Rätin morgen die schönsten Krämpfe.«

Wonneberger schien wenig überzeugt, übrigens auch unlustig, sich überzeugen zu lassen, und so brach er denn ab und sagte: »Die Marie soll sich ja verheiraten wollen. Ist es denn richtig, daß sie Kunstreiterin war und als Kind durch fünf Papierreifen gesprungen ist?«

»Ich habe sie nicht gezählt, und es mögen wohl auch ihrer sieben gewesen sein. Aber fünf oder sieben, es ist eine forsche Person, und sie hat so was, was nicht jede hat, und wenn sie so das Essen bringt und die Messer und Gabeln über den Tisch hinfliegen läßt, wie die chinesischen Messerspieler, dann denk ich immer, es geht wieder los. Haben Sie mal solche Messerspieler gesehen?«

»Ei freilich, einen Messerspieler und einen Degenschlucker. Und waren noch dazu Brüder. Das Runterschlucken ging noch; aber wenn er dann die lange Klinge wieder rausholte... na, so was wird die Marie doch wohl nicht gemacht haben.«

»Wer weiß. Sie hat so was Biegiges, und da geht alles. Und dann, lieber Wonneberger, Sie glauben gar nicht, was die Weiber alles können, wenn sie wollen. Sie können eigentlich alles, und wenn ich höre, Marie hat einen Windmühlflügel mit der Kniekehle festgehalten... aber hier ist ja schon die Mühle... Nu Gott befohlen, Wonneberger, und stecken Sie nicht immer mit dem Menz zusammen. Er hat jetzt seine zwei Monat abgesessen, und wenn ich ihn recht kenne, so ruht er nicht eher, als bis er die zwei Monat auf zwei Jahre gebracht hat. Er ist ein Tunichtgut und, was schlimmer ist, ein Übermut und ein hochfahrender Schlingel, der große Rosinen im Sack hat. Aber ich werde sorgen, daß sie klein werden.«

Wonneberger wollte was zur Verteidigung sagen, weil er eigentlich eine Liebe für Lehnert hatte. Opitz unterbrach ihn aber und fuhr fort: »Und Sie wissen doch, Freund, die Lehrer sollen ein gutes Beispiel geben. Der Liegnitzer Schulrat paßt auf, und da steht man im schwarzen Buch, man weiß nicht wie: Reputation, Wonneberger! Immer aufpassen und nie vergessen, daß man Vorgesetzte hat und daß man dem Staat dient und daß man mitzählt. Alles andere gilt nicht, und wenn es gelten will, ist es Hochmut und Unsinn. Und der Frau Rätin, wenn ich ihr oben im Gebirge begegne, vielleicht mit dem Kowalski, werd ich ein Kompliment bestellen, ein Kompliment von ihrem neuen Ritter Wonneberger, Ritter und Schulmeister, der hoch von ihr denkt. Na, ich nicht. Ich wollte sie schon ziehen. Spät is es, aber besser spät als gar nicht... Und nun Gott befohlen, Wonneberger. Und nehmen Sie sich in acht, wenn Sie weiter hin übers Wasser müssen; die Brücke ist weggeschwemmt, und die Steine sind glatt, und Sie sind nicht mehr ganz fest auf den Beinen. Adieu, Wonneberger. Sie sind eigentlich ein guter Kerl, eine gute Schulmeisterseele. Kommen Sie her, Sie sollen noch einen Kuß haben.«

Und nun schieden sie wirklich, und während der Lehrer höher bergan stieg, stieg Opitz einen Abhang nieder, der ihn unten, an einem Waldsaume hin, auf die Wolfshauer Gemarkung führte. Freundliche Häuser waren über einen weiten Wiesengrund hin ausgebreitet, durch den die Lomnitz schoß, an deren diesseitigem Ufer das Forsthaus, mit dem Hirschgeweih am Giebel, aufragte. Opitz, der jeden Steg kannte, nahm seinen Weg über eine hoch in Blumen und Gräsern stehende Wiese hin, und eh er noch bis auf hundert Schritt an seine Gartenpforte heran war, schlug der große Kettenhund an, und die bis dahin stumm hinter ihm hertrollende Diana antwortete mit einem kurzen Blaff.

Und wenige Minuten später überschritt Opitz die Schwelle seines Hauses.

Frau Opitz, eine hagere Frau mit tiefliegenden dunklen Augen, die mal schön und lachend gewesen sein mochten, jetzt aber nur noch geängstigt in die Welt blickten, empfing ihren Mann und fragte, ob sie decken und das Mittagbrot auftragen solle.

So geängstigt die Worte klangen, so klang doch auch was von Vorwurf und Anklage heraus, was Opitzen, trotz seiner Umnebeltheit, nicht entging.

»Ach was, Bärbel. Mittagbrot. Was soll das wieder? Wenn ich nicht da bin, bin ich nicht da. Du sollst nicht auf mich warten, ein für allemal. Alles bloß Eigensinn, und mir zum Tort wird das Essen beiseite gestellt und schmort in der Schüssel, daß es wie Leder aussieht und wie Leder schmeckt. Ich will Ordnung und Stunde halten, so soll's sein, und wenn ich die Stunde nicht halte, weil ich sie mal nicht halten will, nun dann will ich sie nicht halten und will nicht dran erinnert sein, am wenigsten durch deinen Schmorbraten und dein Jammergesicht, in dem immer so was liegt, was mich ärgert und was ich nicht leiden kann.«

Diana, müde von dem weiten Marsche, war auf den Großvaterstuhl gesprungen und wollte sich's eben bequem machen. Aber das paßte Opitzen schlecht. »Ist denn alle Welt verrückt geworden?« Und den Hund beim Fell packend, warf er ihn auf die Erde und gab ihm einen Fußtritt. Dann ging er auf einen Schrank zu, nahm eine mit Rohr umflochtene Flasche heraus und trank. Es war Kirschwasser, zu dem er, mit oder ohne Grund, das Vertrauen hatte, daß es »niederschlage«. Dann hing er den Staatsrock an den Riegel, machte die Krawatte weiter und warf sich, einen Stuhl heranschiebend, aufs Bett. Und keine halbe Minute mehr, so hörte man nur noch sein Atmen und Schnarchen. Diana kroch unter den Stuhl, und die Frau Försterin verließ leise die Stube, draußen in der Küche aber setzte sie sich zwischen Wand und Herd und ließ sich von Christine, die seit etwa zwei Jahren in ihrem Dienste stand, die Kaffeemühle geben und begann sofort ein allerintimstes Gespräch. Denn in einem ihr eigentümlichen Klageton über Ehe zu sprechen war ihr so ziemlich das Liebste vom Leben, auf das sie nicht verzichten mochte, trotzdem sie wohl wußte, daß Christine durchaus abweichender Meinung war.

»Es war ihm wieder nicht recht, Christine. Und wenn ich es nicht warm stelle, ist es auch nicht recht. Er redet immer von Ordnung, aber jeden Tag hat er eine andere. Heb ich was auf, weil er zu spät kommt, dann ist zwölf Uhr Ordnung und darf nichts aufgehoben werden, und heb ich nichts auf, dann ist es Ordnung, daß eine Frau was aufhebt. Und immer grob und bullrig. Ich sage dir, Christine, heirate nicht! Du steckst so mit dem Lehnert zusammen, aber glaube mir, einer ist wie der andere.«

»Nein, Frau Försterin, Lehnert ist doch ganz anders.«

»Ja, das sagt ihr, das sagt jede; jede denkt, ihrer ist besser und ihr wird der Kuchen apart gebacken. Aber dem ist nicht so. Freilich hat er nicht solchen kurzen Hals wie Opitz, und die Kurzhalsigen sind immer die Schlimmsten, das ist wahr und kann ich nicht bestreiten, aber es bleibt doch dabei, sie sind sich gleich oder wenigstens sehr ähnlich, und einer ist eigentlich wie der andere. Sie quälen uns bloß, heute mit Eifersucht und morgen mit Liebe.«

»Na, mit Liebe, das ginge doch noch, Frau Opitz; das is doch nich schlimm. Liebe, denk ich mir, is die Hauptsache.«

»Ja, Kind, das sagst du wohl, weil du noch jung bist. Da sieht es so aus. Aber nachher ist es alles anders, und mit der Liebe auch. Und wenn man dann alt ist, ist man bloß noch dazu da, sich schimpfen und schelten zu lassen und Strümpfe zu stopfen und einen Knopf anzunähen.«

Christine versicherte das Gegenteil, und schon ihre Mutter selig habe immer gesagt: »›Christine, heiraten mußt du, heiraten muß der Mensch. Und die, die viel schimpfen und schlagen, die sind auch gut, und mitunter sind es die Besten.‹ Und dann, Frau Opitz, ich habe doch auch schon gesehen, daß er Ihnen einen Kuß gegeben hat, und da waren Sie doch ganz vergnügt und so ... ja, ich weiß nicht recht wie ... Nein, nein, Frau Opitz, ich lasse mir nichts weismachen. Ich bin für Heiraten, und wenn Lehnert nicht will, nu, dann will er nicht, dann will ein anderer. Ich werde schon einen finden. Und ich weiß auch, wie man's machen muß. Man muß nur immer fidel sein und immer ›ja‹ sagen und nichts merken von dem, was man nicht merken soll. Dann kann man hinterher machen, was man will. Ach, liebe Frau Opitz, Sie verstehen es nicht, Sie sehen immer aus, als ob einer gestorben wär oder eben dabei wär, und das können die Männer nicht leiden. Nein, nein, Frau Opitz, ich heirate.«

Und während sie noch so sprach, nahm sie den Kessel vom Herd und brühte den Kaffee. »Nicht zuviel, Christine, nicht zuviel; du weißt doch, daß er ihn gern stark hat, und weißt auch, was er immer dabei sagt: ›Schwarz wie der Tod und heiß wie die Hölle‹, was mir immer einen Stich ins Herz gibt. Denn man soll vom Tod nicht so reden und am wenigsten, wenn man ein Förster ist. Da ist der Tod da, man weiß nicht wie. Und schlagflüssig ist er auch, und von dem verdammten starken Bier kann er nicht lassen. Und dann immer das Kirschwasser. ›Es schlägt nieder‹, sagt er. Ja, wenn es bloß ihn nicht niederschlägt...«

In diesem Augenblick fuhren beide Frauen erschreckt zusammen, denn in der Stube nebenan fiel etwas mit dumpfem Schlage zur Erde. Der Schreck indessen währte nicht lange. Frau Opitz erholte sich zu erst. »Er hat den Stuhl umgestoßen, und ich will nun hinein und nachsehen, ob er ausgeschlafen hat.«

Opitz, als seine Frau eintrat, stand bereits vor dem kleinen Spiegel mit blankem Glasrand, der, samt einer doppelten Verzierung von Zittergras, über der Kommode hing. Er fuhr sich eben mit der Hand durchs Haar und sah noch halb verschlafen aus seinen geröteten Augen. Ihr Ausdruck aber war mittlerweile doch ein anderer geworden, der Ärger schien mit dem Rausch dahin, und im Spiegel seine Frau gewahrend, trat er auf sie zu, legte den Arm um ihre Hüfte und gab ihr einen Kuß. Die Frau sah verschämt vor sich nieder, denn eigentlich liebte sie ihn und empfand es als einen Gram, daß solche Zärtlichkeiten so selten waren.

»Soll Christine den Kaffee bringen?«

»Versteht sich, soll sie. Und gib mir die Pfeife! Die verdammte Trinkerei bekommt mir nicht, und der Doktor will's auch nicht und droht mir immer mit dem Finger. Aber das Fleisch ist schwach. Auch ein Förster und alter Soldat hat seine schwachen Stunden. Nicht wahr, Bärbel? Und nun gib mir auch Feuer und dann den Kaffee. Aber keine Plempe.«

Bärbel, während Opitz noch so sprach, klopfte mit dem Knöchel an die Wand, was das Zeichen für Christine war, und zündete gleich danach einen Fidibus an, woran Opitz, der sonst in solchen Dingen für das Neue war, eigensinnig festhielt. Er hatte nur zufällig einen Haß gegen Schwefel- und Phosphorhölzer.

Und nun brachte Christine den Kaffee.

»Nu, Christine, laß sehen! Ich hoffe, du hast nicht zuviel Bohnen aus der Mühle springen lassen. Oder hat die Frau gemahlen? Na, na, nur still... Spaß muß sein... In Querseiffen ist heute Tanz. Was meinst du, willst du hin? Die Frau wird es schon erlauben; nicht wahr, Bärbel?«

Die Frau nickte.

»Nun siehst du. Der Lehnert wird auch wohl dasein, und das ist doch die Hauptsache. He? Na, tu nur nich, als ob's anders wär... Und daß ihn Siebenhaar heute angepredigt und ihm den Kopf a bissel gewaschen und seinen Standpunkt klargemacht hat, na, das wird ihn dir beim Schottschen nicht verleiden und noch weniger draußen in der Laube. Tanz ist Tanz, und Kuß ist Kuß. Und ich gönne ihn dir auch, und heute lieber als morgen. Denn du bist eine verständige Person und wirst ihn schon zurechtrücken, besser als Siebenhaar. Und ist er erst aus dem Dünkel heraus und sitzt an der Wiege, vielleicht sind es Zwillinge, was meinst du, Christine? Ja, was ich sagen wollte, sitzt er erst an der Wiege, statt zu paschen und zu wildern, dann werd ich auch gute Nachbarschaft mit ihm halten. Ich bin für Frieden, aber zu gutem Frieden gehören zwei.«

Christine hatte, während Opitz so redete, den linken Schürzenzipfel in die Hand genommen und strich an dem Saum entlang. Als er jetzt schwieg, sagte sie: »Nichts für ungut, Herr Förster, aber wenn sie besser mit ihm wären...«

»... da wär er besser mit mir«, lachte Opitz. »Ja, das glaub ich. Ich soll anfangen und jeden Morgen, wenn ich ihn drüben hantieren seh, meine Kapp abnehmen und über die Brück hinübergrüßen: ›Guten Morgen, Herr Lehnert Menz. Herr Lehnert Menz geruhten wohl zu ruhen. Ach, sehr erfreut. Empfehle mich zu Gnaden...‹ Nein, nein, Christine, Unterschiede müssen sein, Unterschiede sind Gottes Ordnungen. Und nun geh und komme nicht zu spät. All Ding will Maß haben.«

Christine ging. Frau Bärbel aber hatte mittlerweile nach ihrem Strickstrumpf gegriffen und sah verstimmt vor sich hin, weil es ihr gegen die Hausfrauenehre war, daß Opitz sich in ihre Sache gemischt und der Christine, so mir nichts, dir nichts, einen Ausgehetag angeboten hatte. Sie schwieg aber, und erst als Opitz, der heute den Galanten und Rücksichtsvollen spielte, sie mit freundlicher Miene bat, das Licht und den Fidibusbecher vor ihn hinzustellen, weil er sie nicht immer wieder inkommodieren wolle, hielt sie mit ihrer neben allem Ärger herlaufenden Neugier nicht länger zurück und sagte: »Angepredigt hat er ihn? Bist du denn auch sicher? Er wird ihn doch nicht beim Namen genannt haben?«

»Nein«, sagte Opitz, dessen gute Laune durch seiner Frau Neugier eher gesteigert als gemindert wurde, »nein, er nannte keinen Namen. Aber es war so gut, als ob er ihn genannt hätte, denn alles sah nach der Ecke hin, wo die Menzens saßen. Und die Alte nickte mit dem Kopf, als ob sie jedes Wort unterschreiben wolle. Freilich weiß ich, daß es nichts zu bedeuten hat, ihr steckt noch so was Polnisches im Blut, kriecht und scherwenzelt immer hin und her und kann keinem ins Gesicht sehen, und von alldem, wovon der Lehnert zuviel hat, hat sie zuwenig. Alte Hexe, verschlagen und heimtückisch und feige dazu.«

»Sie taugt nicht viel. Aber du wirst doch dem Sohne die Mutter nicht anrechnen wollen?«

»Nein«, lachte Opitz. »Das nicht, und ist auch nicht nötig, denn er trägt an seinem eignen Bündel gerade schwer genug. Er trotzt mir, und weil er, außer der Denkmünze, auch noch das Ding, die Schwimmedaille, hat, ich sage die Schwimmmedaille, denn von Retten war keine Rede, und weil es, Gott sei's geklagt, nahe dran war, daß er das Kreuz kriegte, spielt er sich mir gegenüber auf den Ebenbürtigen und den Überlegenen aus. Ich wette, er wildert bloß, um mir einen Tort anzutun; er könnte die Dummheit sehr gut lassen, bei der ohnehin nicht viel rauskommt, aber es macht ihm Spaß, mir so unter der Nase hin ein Wild wegzuknallen. Das ist es. Aber ich denke, die zwei Monat in Jauer werden ihm gezeigt haben...«

»Du bist zu streng, Opitz.«

»Unsinn! Streng! Was heißt streng? Ich tu meine Pflicht.«

»Zu sehr. Du müßtest auch mal ein Auge zudrücken.«

»Bah, Bärbel, du redest, wie du's verstehst. Auge zudrücken. Dazu bin ich nicht da, dazu bin ich nicht in Dienst und Lohn. Ich sage ›Lohn‹, ein gutes, altes Wort, das die dummen Neumod'schen nicht mehr hören wollen. Ich bin dazu da, die Augen aufzumachen. Und tu meine Pflicht zu sehr, sagst du! Als ob man jemalen seine Pflicht zu sehr tun könnte. Man kann sie falsch tun, am unrechten Fleck, soviel geb ich zu; tut man sie aber am rechten Fleck, so ist von ›zu sehr‹ keine Rede mehr. Die Gesetze sind nicht dazu da, daß Hinz und Kunz mit ihnen umspringen. Das verloddert bloß. Ich bin nicht so dumm, daß ich mir einbildete, wenn der Rehbock geschossen wird, geht die Welt unter. Nein, die Welt geht nicht unter. Aber Ordre parieren geht unter, Ordre parieren, ohne das die Welt nicht gut sein kann. Und heut am wenigsten, wo jeder denkt, er sei Graf oder Herr und könne tun, was ihm beliebt, und sei kein Unterschied mehr. Das ist die verdammte neue Zeit, die das Maulhelden – und Schreibervolk gemacht hat, Kerle, die keinen Fuchs von einem Hasen unterscheiden können, trotzdem sie beides sind. Geh mir damit. Ich weiß, was ich zu tun hab. Und dieser Bengel, dieser Herr Lehnert Menz, gehört auch mit dazu, hat die Glocken läuten hören, schwatzt und quatscht von Freiheit, will nach Amerika gehen und hat keine Ahnung davon, daß sie da drüben noch ganz anders heran müssen als hier, sonst holt sie der Teufel erst recht und lacht sie mit ihrer ganzen Freiheit aus. Ich sage dir, hier ist es am besten, hier, weil wir Ordnung haben und einen König und eine Armee und Bismarcken. Ich sage dir, was die Richtigen sind da drüben, die lachen, wenn sie von Freiheit hören; denn die wissen am besten, daß nichts dahinter ist. Ich bin ein Mann in Amt und Dienst, und meinen Dienst tu ich, und wenn es mir ans Leben geht.«

»Sprich nicht so! Beruf es nicht!«

»Unsinn! Unsere Stunden sind gezählt, und wir können uns keine zulegen und keine wegnehmen.«

»Doch, doch«, sagte die Frau.

Fünftes Kapitel

Der Förster war unter diesem Gespräch ans Fenster getreten und sah auf die hart an seinem Vorgarten vorüberführende Fahrstraße. Jenseits derselben, dem Blick entzogen, floß die tief eingebettete Lomnitz, und man hörte nur ihr Hinschäumen über das Steingeröll. Opitz öffnete das Fenster, um frische Luft zu schöpfen, nahm ein Kissen und wollte sich's eben bequem machen, als er, Lehnerts gewahr werdend, unwillkürlich zurücktrat, aber doch nur so, daß er, von der Straße her, immer noch deutlich gesehen werden konnte. Lehnert sah ihn auch wirklich und hob seinen Zeigefinger nachlässig und wie zu halbem Gruß bis an den Schirm seiner Mütze.

»Wie der Kerl nur wieder grüßt«, rief Opitz seiner Frau zu. »Hast du gesehen, Bärbel? Und das soll ich für einen Gruß nehmen. So grüßt man einen Rekruten, aber nicht einen Vorgesetzten. Und das Gesicht dazu...«

»Du bist nicht sein Vorgesetzter.«

»Ach was. Was weißt du davon. Ich sage dir, ich bin's. Und wenn ich es nicht wär, ein Mann in Amt und Würden ist allemal eine Respektsperson. Der Gernegroß da drüben kann seinen Gruß lassen und sagen, er habe mich nicht gesehen, aber wenn er mich grüßt, muß er mich grüßen, wie sich's gehört, Mütze runter oder den Finger fest an den Streifen, und nicht so wie von ungefähr und wie bloß zum Spaß. Das ist Unordnung und Unmanier.«

Opitz hatte sich unter diesen Worten ausgewettert, und als ihm gleich danach eine behaglichere Stimmung wiederkehrte, trat er auch wieder ans Fenster und lehnte sich hinaus, um sich an den Narzissen und Aurikeln zu freuen, die spärlich in seinem Vorgarten blühten. Dabei blies er Wolken aus seinem Meerschaum in die stille Luft und ließ, unter behaglichen Träumen, alles an sich vorüberziehen, was der Tag gebracht hatte, darunter auch den Diskurs in der Exnerschen Laube mit Grenzaufseher Kraatz und dem alten Förster von der Annakapelle. Was er dann später noch, und schon auf dem Heimwege, zu Lehrer Wonneberger gesagt hatte, darüber unterhielt er nur unklare Vorstellungen und entsann sich bloß, daß es allerhand krauses Zeug über Frauen gewesen sei, Frauen im allgemeinen und Kunstreiterinnen im besonderen. »Ach das verteufelte Bier! Aber Wonneberger war auch schon etwas fißlig und wird nichts gemerkt haben. Und wenn auch, morgen ist alles in den Wind.«

Lehnert, als er an Opitz vorbei war, war auf sein Haus zugegangen, das unmittelbar jenseits der Lomnitz lag, der Försterei so nahe, daß man sich gegenseitig so gut wie in die Fenster sehen konnte. Nichts als Fluß und Fahrstraße trennte beide Gehöfte, deren gesamtes Acker- und Heideland in alten Zeiten ausschließlich Stellmacher Menzsches Eigentum gewesen war, bis man, auf dem diesseits der Lomnitz gelegenen Kusselstreifen, eine Försterei gebaut und nur alles jenseits des Flusses Gelegene bei den Menzes belassen hatte. Das war jetzt runde dreißig Jahr, und fast ebensolange hatte man hüben und drüben ohne Neid und Eifersucht gelebt, trotzdem dazu, wie nun mal die Menschen sind, vielleicht Grund gewesen wäre. Denn wenn einerseits die neue Försterei, mit ihrer Sauberkeit und ihrem roten Dach, die drüben gelegene, hier und da sehr baufällige Stellmacherei weit in den Schatten stellte, so hatte diese dafür die »fette Seite« behalten, während sich die Förstersleute, den kleinen Vorgarten abgerechnet, mit einem Streifen Heideland und einem noch schmaleren Lupinenstreifen begnügen mußten. Aber das alles hatte die ganze Zeit über keinen Ärger geschaffen und noch weniger der zufällige Umstand, daß das auf einer Stein- und Geröllinsel, inmitten zweier Lomnitzarme, gelegene Menzsche Wohnhaus, sowenig gepflegt es war, doch kastellartig auf alles unmittelbar Umhergelegene herabsah, und natürlich auch auf die Försterei. Zu keiner Zeit, um es zu wiederholen, war an diesem und ähnlichem Anstoß genommen worden, bis Opitz ans Regiment kam, von dem, ohne daß er es zugab, die Hochlage der Stellmacherei drüben einfach als ein Tort empfunden wurde.

Selbstverständlich unterhielt diese malerische Kastellinsel auch ihre Verbindungen mit dem Festland, und zwar mit Hilfe zweier Brückenstege, von denen der eine beinah unmittelbar nach der Försterei, der andere, nach der entgegengesetzten Seite hin, erst nach dem Menzschen Ackerland und gleich dahinter nach dem schräg ansteigenden gräflichen Forst hinüberführte. Der Ackerstreifen war mit Roggen und Kartoffeln bestellt, von denen der Roggen in diesem Jahre ganz wundervoll stand, auf dem Inselchen selbst aber befand sich, in geringer Entfernung vom Wohnhaus, noch ein Arbeitsschuppen, drin Lehnert die schon von Vater und Großvater her ererbte Stellmacherei betrieb, ein Geschäft, das im Frühjahr und Herbst meist gut ging, im Sommer aber beinah ruhte.

So war es auch heut. Alles ruhte. Freilich sah man einen Pflug und ein paar alte Karren und Wagenachsen unter dem Schuppen stehen, aber all diese Dinge konnten ebensogut zur eignen Wirtschaft gehören wie zur Reparatur abgeliefert sein. In dem abgeschrägten Vorgarten von nur geringer Tiefe, durch den eine Feldsteintreppe zu dem Häuschen hinaufführte, blühten Georginen und Reseda, während ein alter Rosenstrauch von beträchtlicher Stärke neben der Haustür aufwuchs und sein mit gelben Rosen überdecktes Gezweig unter dem Strohdach hin ausspannte. Nachmittagssonne lag auf Haus und Gehöft, und nichts war hörbar als die doppelarmig vorüberschießende Lomnitz und das Meckern einer Ziege vom Stall her. Ein Hahn, ein schönes Tier mit Silberhals, stolzierte den Schuppen entlang, aber er krähte nicht und hatte wenig Aufmerksamkeit für die Hühner, die sich Erdlöcher gemacht hatten, um sich zu kühlen.

Nicht voll so still war es drinnen im Hause, darauf Lehnert, von der Försterei her, eben zuschritt.

Er hatte sich unterwegs nicht beeilt, ebensowenig wie Opitz. Vom Pastorhause war er zunächst nach dem Kretscham hinübergegangen und hatte hier von dem ihn begrüßenden Wirt erfahren, daß Frau Menz, seine Mutter, eben dagewesen sei und gerad an demselben Tisch erst einen »Grünen« und dann einen Ingwer getrunken habe. Das hörte Lehnert nicht gern. Er gönnte der alten Frau die kleine Herzstärkung, denn er liebte sie trotz all ihrer Schwächen, aber er ärgerte sich wieder über die Heimlichkeit, und dieser Ärger war noch nicht voll überwunden, als er, über die Schwelle seines Hauses tretend, der am Herde hantierenden Alten ansichtig wurde.

»Guten Tag, Mutter. Pohl läßt grüßen.«

»Welcher?«

»Nu, der aus dem Kretscham unten.«

» So, der. Warst du da?«

»Ja, Mutter. Und kannst du dir denken, ich habe mich just da hingesetzt, wo du gesessen hattest. Und dir zu Ehren hab ich meinen Ingwer aus deinem Glase getrunken. Es stand noch da.«

Die Alte sah verlegen vor sich hin und sagte dann: »Aber nur einen, Lehnert. Mir war so schwach«.

Lehnert lachte. Dann ging er auf sie zu und sagte, während er ihr das graue Haar streichelte: »Gott, Mutter, wie du so bist! Wenn das einer hört', so müßt er denken, der Lehnert ist ein Filz und schlechter Kerl und gönnt seiner alten Mutter nicht einmal einen Tropfen Stärkung. Aber wie liegt es denn? Ich gönne dir nicht einen Ingwer, ich gönne dir zwei, und wenn dir's nicht zuviel wird, Alte, dann können es auch drei und vier werden. Ich habe dich auch noch eigens gefragt, und da hast du ›nein‹ gesagt, aber freilich, als du nein sagtest, da sagtest du schon ja, und als ich die Klingeltür bei Siebenhaar noch kaum aus der Hand hatte, da bist du schon hinübergegangen. Immer versteckt; du kannst nichts offen tun, auch nicht mal das, was die Sonne gar nicht zu scheuen braucht. Alles muß heimlich sein. Und sieh, Mutter, so hast du mich auch erzogen und angelernt. Das muß ich dir immer wieder sagen. Gott sei's geklagt, daß ich's muß. Es ist immer ein und dasselbe, was du so bei dir denkst: es sieht es ja keiner; bei Nacht sind alle Katzen grau, und es darf bloß nich rauskommen. Und wenn es nicht rauskommt, dann ist alles gleich. So denkst du bei dir, und denkst auch wohl: ach, der liebe Gott, der is nicht so, der ist gut und freut sich, wenn man einem Förster oder Grenzaufseher ein Schnippchen schlägt.«

»Ach, Lehnert, rede doch nicht so! Du weißt ja doch...«

»Und wenn es dann schiefgeht, ja, dann ist es wieder anders. Dann geht es in die Predigt, und Siebenhaar... na, du weißt schon, ich hab es dir heute schon mal gesagt..., der muß dann wieder einen Heiligen aus mir machen. Aber nicht zu lang; Gott bewahre, denn ein Heiliger paßt auch nicht, und wenn uns dann die Not wieder an der Kehle sitzt, und braucht auch noch gar nicht mal eine rechte Not zu sein, dann ist es mit Siebenhaar auch wieder vorbei, und dann heißt es wieder: ›Es wird es ja wohl keiner sehen‹, oder: ›Man muß es nur klug anfangen, und die Menschen müssen es einem bloß nicht auf den Kopf zusagen können.‹ Ach, Mutter, du meinst es mit keinem bös, und mit mir erst recht nicht, aber du hast das Ehrlichsein nicht gelernt, und davon ist alles gekommen... Und nun will auch Siebenhaar noch mit ihm sprechen, mit Opitz, als ob das was helfen könnte, will mich mit ihm versöhnen, und ich hab's auch versprechen müssen. Aber ich mag nicht. Ich hasse ihn, und Haß ist überhaupt das Beste, was man hat.«

»Überlege dir's, Lehnert. Er ist ein gräflicher Förster und is nun doch mal der Herr.«

»Ach was, der Herr! Ein Diener is er. Ich bin ein Herr, wenigstens eher als er, und kann machen, was ich will.«

»Er hat das Ansehen vor den Leuten, und ich weiß es von Christinen, er ist nicht so schlimm, wie du glaubst und ihn immer machen willst. Er kann auch durch die Finger sehen. Aber er verlangt, daß man ihm gute Worte gibt und ihn für was Besonderes ansieht. Und das tust du nicht. Er kann bloß deinen Trotz nicht leiden. Und darum hab ich Siebenhaar gebeten.«

»Aha«, lachte Lehnert. »Also du. Nun meinetwegen.«

»Und darum«, so wiederholte die Alte, »hab ich Siebenhaar gebeten, als ich nun doch mal mit ihm sprach, daß er ihn gut für uns stimme. Soviel weiß ich, er gibt was auf Siebenhaar, und wenn der ihn rumkriegt und Opitz dir dann die Hand gibt, dann nimm sie, dann stoße sie nicht weg und vergiß all das Alte. Sieh, Lehnert, es hat ja doch alles seine zwei Seiten, und vielleicht hat er nicht so ganz unrecht gehabt, und du hast aus der Sache mit dem Kreuz mehr gemacht, als du hättest machen sollen. Gib nach, Lehnert! Trotz macht Feind. Und wir brauchen Freunde, weil wir arm sind und das Geschäft schlecht geht, und gerade jetzt im Sommer. Und unser Nachbar ist er auch. Es is doch sonst mit den Försters gut gegangen. Gib nach und versöhne dich mit ihm! Dann haben wir gute Zeit, und wenn dann mal was vorkommt, na, du weißt schon, was ich meine, so verpufft und verknallt es. Kennst ja doch unser altes Sprichwort: Der Wald ist groß, und der Himmel ist weit.«

Lehnert, die Hände auf dem Rücken, ging auf und ab. Er hatte das alles schon oft gehört, nur eines nicht: daß er das mit dem Kreuz doch vielleicht schlimmer genommen als nötig. Und so hochmütig er war, so bescheiden war er auch.

»Wenn es so wäre? Wenn ich mehr daraus gemacht hätte als nötig?« so gingen seine Gedanken.

Und er nahm der Mutter Hand und sagte: »Gut, Alte. Ich will es mir überlegen.«

Sechstes Kapitel

Was hüben die Mutter ihrem Sohn und drüben die Frau ihrem Mann gesagt hatte, blieb doch nicht ganz ohne Einfluß, weil beide Parteien klug genug waren, das Wahre darin herauszufühlen; Opitz war strenger als nötig, Lehnert war aufsässiger als nötig, und der schlichte Ton, worin das einem jeden gesagt wurde, tat seine Wirkung. So machte sich's, daß beide stillschweigend übereinkamen, sich wenigstens nicht mehr zum Tort leben zu wollen, und weil sie dabei fühlen mochten, daß das bei steten persönlichen Begegnungen sehr schwer sein würde, so faßten sie den Entschluß, sich nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen. In der Tat, man vermied es, sich zu sehen, und gab es unter anderm auf, zu gleicher Zeit, wie sonst wohl, im Vorgarten zu sitzen und sich über die Straße hin mit den Augen zu messen. Ja, Lehnert seinerseits ging noch weiter und machte, wenn er ins Dorf mußte, nur um die Försterei zu vermeiden, lieber den Umweg am Waldsaume hin. Auch die Hühner, die durch ihre Besuche drüben im Garten der Försterei beständig Anlaß zu Klagen und bitteren Worten gegeben hatten, hielt er besser in Ordnung, und das Steinsprengen, das mit seinem Knall und seiner aufsteigenden Rauchwolke seinen reizbaren Nachbar durch Jahr und Tag hin mehr als alles andere verdrossen hatte, gab er ganz auf. An einen völligen Ausgleich der alten Gegensätze war freilich nicht zu denken, dazu war zuviel vorgefallen, aber wenn Friede nicht sein konnte, so doch wenigstens Waffenstillstand.

Und unter solchem Waffenstillstande verging eine Woche.

Nun war wieder Sonntag, und die Glocken der Arnsdorfer Kirche klangen wie gewöhnlich vom Tal zu den Bergen herauf. Aber diesem Rufe folgten heute nur wenig, weil oben in Kirche Wang ein Brückenberger Paar getraut werden sollte. Das veranlaßte denn alle die, die sich mehr von der Trauung einer jungen hübschen Braut als von der Predigt des alten Siebenhaar versprachen, lieber bergauf nach Wang zu steigen, und das um so mehr, als über das wundervolle Brautkleid, das aus Hirschberg und nach andern sogar aus Breslau stammen sollte, schon die ganze Woche lang gesprochen worden war. In der Tat, Schaulust und Neugier gaben heute den Ausschlag. Aber einige stiegen doch nicht bloß als Neugierige, sondern als recht eigentliche Trauzeugen und Hochzeitsgäste hinauf, unter ihnen auch Opitz in Gala, dem sich, gleich nach Passierung des am Ausgange von Krummhübel gelegenen Rummlerschen Gasthauses, auch noch Grenzaufseher Kraatz und der alte Laborant Zölfel angeschlossen hatten.

Zu diesen zur Hochzeit Geladenen hatte, wegen alter guter Beziehungen zum Bräutigam, anfangs auch Lehnert gehört; als er aber durch Christine von Opitz' wahrscheinlicher Anwesenheit erfuhr, war er sofort zum Fernbleiben entschlossen gewesen. Wußt er doch, daß mit Opitz, wenn dieser ein Glas über den Durst getrunken hatte, doppelt schwer zu verkehren war, und auf diese Gefahr hin wollt er eine Begegnung mit ihm nicht wagen. So zog er es denn vor, zu Hause zu bleiben und in einem von Amerika handelnden Buche zu lesen, das ihm ein alter Kriegskamerad neuerdings geliehen und das durchzusehen er sich schon ein paar Tage lang gefreut hatte. Daneben war es ihm durchaus recht, daß seine Mutter, ohne gerade zu den Geladenen zu zählen, an dem Kirchgange, nach Wang hinauf, teilnehmen und sich hinterher in dem ihr aus beßren Tagen wohlbekannten Hochzeitshause nach Möglichkeit nützlich machen wollte.

Ende der Leseprobe aus 198 Seiten

Details

Titel
Quitt
Autor
Jahr
2009
Seiten
198
Katalognummer
V121406
ISBN (eBook)
9783640253692
ISBN (Buch)
9783640253777
Dateigröße
1521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Quitt
Arbeit zitieren
Theodor Fontane (Autor:in), 2009, Quitt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121406

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