Die Erfahrung des Numinosen

Eine religionspsychologische Studie zur deutschen Lyrik von Novalis bis Meyer


Doktorarbeit / Dissertation, 2008

233 Seiten, Note: magna cum laude


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung
1.1. Vorwort und Leitfragen
1.2. Rahmen und Begriffskategorien der vorliegenden Arbeit
1.3. Wissenschaftliches Erkenntnisinteresse, Methode und Struktur der Arbeit
1.4. Die wissenschaftliche Literatur

2. Standpunkte der Religionswissenschaft und religionswissenschaftliche Aspekte, die der Deutung von Dichtung dienlich sind
2.1. Das Heilige und das Numinose
2.1.1. Die mystische Erfahrung und die Unmöglichkeit das Heilige zu definieren
2.1.2. Zur Geschichte der Religionswissenschaft und ihrer Definitionen
2.1.3. Standpunkte der Religionswissenschaft
2.1.3.1. Religionsphilosophie
2.1.3.2. Religionsphänomenologie
2.1.3.3. Religionspsychologie
2.1.3.3.1. William James (1842 - 1910)
2.1.3.3.2. Rudolf Otto (1869 - 1937)
2.1.3.3.2.1. Kategorien der religiösen Erfahrung in der Abhandlung Das Heilige, die der Gedichtinterpretation dienlich sind
2.1.3.3.2.2. Kritisches zur Abhandlung Das Heilige
2.1.3.3.3. Carl Gustav Jung (1875 - 1961)
2.2. Weitere Aspekte der religiösen Erfahrung, die der Gedichtinterpretation dienlich sind
2.2.1. Ein Aspekt des Urchristentums und des Gnostizismus: die Rückkehr
2.2.2. Ein Aspekt der griechisch-römischen Antike, der sich mit einem buddhistischen Aspekt berührt: Leidenschaftslosigkeit (Gelassenheit) und Gleichmut
2.2.3. Ein hinduistischer Aspekt: die Überzeugung das Absolute zusein

3. Die Erfahrung des Numinosen in der deutschen Lyrik von 1799 bis
3.1. Nachklassische Phase und Frühromantik (1798 - 1805)
3.1.1. Novalis (eigentl. Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg, 1772 - 1801)
3.1.1.1. Novalis als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.1.1.2. Novalis: G eist li ches Li ed XV
3.1.2. Karoline von Günderode (1780 - 1806)
3.1.2.1. Karoline als Schriftstellerin und lyrische Dichterin mystischer Erfahrungen
3.1.2.2. Karoline v. G.: Verschiedene Offenbarungen des Göttlichen
3.1.3. Johann Ludwig Uhland (1787 - 1862)
3.1.3.1. Uhland als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.1.3.2. Uhland: Sch ä fers S onn t ag s li e d
3.2. Exkurs: Was ist Lyrik und was ist lyrisch?
3.3. Romantik und Spätromantik (1805 - 1835)
3.3.1. Heinrich von Kleist (1777 - 1811)
3.3.1.1. Kleist als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.3.1.2. Kleist: Nun , o Unsterblichkeit [...]
3.3.2. Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)
3.3.2.1. Goethe als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.3.2.2. Goethe: West -ö st li cher Divan . Buch des Sängers Sel ig e Seh n s u cht
3.3.3. Clemens Wenzel Maria Brentano (1778 - 1842)
3.3.3.1. Brentano als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.3.3.2. Brentano: N a chk läng e Beeth o venscher Mu s i k
3.3.4. Ludwig Joachim von Arnim (1781 - 1831)
3.3.4.1. Achim von Arnim als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.3.4.2. Achim von Arnim: D er M ensch i st b ald verg essen [ ... ] II
3.4. Erste Zwischenbilanz
3.5. Der Zeitraum des Biedermeier (1810 - 1850), des Jungen Deutschland und des Vormärz (zusammengefasst: 1835 - 1848)
3.5.1. Franz Grillparzer (›Seraphicus‹, 1791 - 1872)
3.5.1.1. Grillparzer als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.5.1.2. Grillparzer: D er Wund erb runn en
3.5.2. Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770 - 1843)
3.5.2.1. Hölderlin als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.5.2.2. Hölderlin: Wenn aus dem Himmel [...]
3.5.3. Karl August Georg Maximilian Graf von Platen-Hallermünde (1796 - 1835)
3.5.3.1. Platen als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.5.3.2. Platen: Tri st an
3.5.4. Heinrich Heine (1797 - 1856)
3.5.4.1. Heine als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.5.4.2. Heine: Ser ap h in e ( 7)
3.5.5. Eduard Mörike (1804 - 1875)
3.5.5.1. Mörike als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.5.5.2. Mörike: Zum neuen Ja h r
3.5.6. Ernst Moritz Arndt (1769 - 1860)
3.5.6.1. Arndt als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.5.6.2. Arndt: Imm er Li ebe
3.5.7. Joseph Freiherr von Eichendorff (1788 - 1857)
3.5.7.1. Eichendorff als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.5.7.2. Eichend]orff: D er Pilg er (6)
3.5.8. Anna Elisabeth Freiin von Droste zu Hülshoff (1797 - 1848)
3.5.8.1. Droste-Hülshoff als Schriftstellerin und lyrische Dichterin mystischer Erfahrungen
3.5.8.2. Droste-Hülshoff: Am l etzten Tag e d es Ja h r es
3.6. Zweite Zwischenbilanz
3.7. Der Zeitraum des Realismus (1840 - 1897)
3.7.1. Der Realismus und das Heilige
3.7.2. Das Numinose im Werk der Dichter
3.7.2.1. Christian Friedrich Hebbel (1813 - 1863)
3.7.2.1.1. Hebbel als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.7.2.1.2. Hebbel: Da s H ei lig ste
3.7.2.2. Nikolaus Lenau (eigentl. Nikolaus Niembsch Edler von Strehlenau, 1802 - 1850)
3.7.2.2.1. Lenau als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.7.2.2.2. Nikolaus Lenau: Wa ldlied ( 6)
3.7.2.3. Friedrich Rückert (alias Freimund Raimar oder Freimund Reimer 1788 - 1866)
3.7.2.3.1. Rückert als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.7.2.3.2. Rückert: D er Vo r h a ng
3.7.2.4. Gottfried Keller (1819 - 1890)
3.7.2.4.1. Keller als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.7.2.4.2. Keller: Un ter Ster n en
3.7.2.5. Moritz Karl Wilhelm Anton Graf von Strachwitz (1822 - 1847)
3.7.2.5.1. Moritz von Strachwitz als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.7.2.5.2. Moritz von Strachwitz: G ebet au f d en Wa sser n
3.7.2.6. Conrad Ferdinand Meyer (eigentl. Conrad Meyer, 1825 - 1898)
3.7.2.6.1. Meyer als Schriftsteller und lyrischer Dichter mystischer Erfahrungen
3.7.2.6.2. Meyer: F ri ede auf Erden

4. Resümee
4.1. Zusammenfassung
4.1.1. Dichtung und Religion – parallele Entwicklungen
4.1.2. Ertrag der Gedichtauslese und ihrer religionspsychologischen Betrachtung
4.2. Fazit und Perspektive
4.2.1. Religionswissenschaft, die Mysterien und der Zen-Buddhismus
4.2.2. Ein Kôan

5. Bibliographisches Verzeichnis der verwendeten Literatur
5.1. Primärtexte
5.1.1. Werkausgaben
5.1.1.1. Deutsche Literatur
5.1.1.2. Philosophie, Psychologie und andere Literaturen
5.1.2. Anthologien und Sammlungen
5.1.3. Religiöse Schriften
5.2. Sekundärliteratur
5.2.1. Religionswissenschaftliche und theologische Literatur
5.2.2. Germanistische Literatur mit religionswissenschaftlicher Orientierung
5.2.3. Germanistische Literatur, Handbücher, Literaturgeschichten, literarische Lexika
5.2.4. Literatur zum Leben und Werk einiger Dichter, die unter Hauptpunkt 3. betrachtet werden
5.2.5. Philosophische und psychologische Literatur
5.2.6. Sonstige Literatur
5.2.7. Zeitschriften und Zeitungen
5.2.8. Digitale Medien und Internet

6. Personenregister

1. Einleitung

1.1. Vorwort und Leitfragen

Religion ist so alt wie die menschliche Kultur und untrennbar mit ihr verbunden, von prähistorischen Zeiten an sind religiöse Vorstellungen überliefert. In der jüngsten Zeit des wissenschaftlich-technischen und wirtschaftlich-politischen Fortschrittes deutet sich ein »ökumenisches Paradigma«1 an, nämlich »die Bewe- gung für ein Weltethos, für ein notwendiges Minimum gemeinsamer ethischer Werte und Maßstäbe«2. Denn bei aller kulturellen Vielfalt weisen die verschiede- nen Glaubensüberzeugungen gemeinsame Elemente auf. Neben ethischen Prinzi- pien gehört zu einer Religion die Hinwendung zu übernatürlichen, übersinnli- chen Wesen, die das diesseitige Geschehen beeinflussen oder bestimmen können und es bisweilen auch zu tun scheinen. Stets wird der Glaube an andersartige, nicht hinterfragbare Ordnungen verlangt, die sich dem eingeweihten und geöff- neten Auge als »von Gottes Geist erfüllt«3 oder als »unverletzlich, unantastbar, verehrungswürdig«4 offenbaren. Kurzum, der Glaube an das ›Heilige‹ bildet einen unabdingbaren Bestandteil jeder Religion. Nun ist aber eine Religion grundsätzlich mit anderen bedeutenden Bereichen des jeweiligen Kulturraumes verbunden. Nicht allein in der abendländischen literarischen Überlieferung, im schriftlichen Erbe einer jeden Kultur ist erkennbar, dass Religion und Dichtung »aus demselben Holz geschnitzt«5 sind. Infolgedessen hat sich das ›Heilige‹ im- mer wieder mit Formenreichtum, Vielschichtigkeit und archetypischer Fülle im Geist und Werk vieler Dichter gezeigt; als allgegenwärtiger Hintergrund offen- bart es sich in der gesamten Vielfalt des deutschsprachigen schöngeistigen Schrifttumes. (1) Welche Existenzialien haben diesen Hintergrund ermöglicht und aufrechterhalten? (2) In welchen Stilmitteln kommt die Erfahrung des ›Heili- gen‹ vor, unter welche Kategorien lassen sie sich zusammenfassen und was ha- ben verschiedene Stilelemente – um nur einmal die lyrische Gattung und hier auch nur das 19. Jh. zu betrachten – gemeinsam? (3) Prinzipiell sind die religions- psychologisch erklärbaren Erfahrungen eines lyrischen Aussagesubjektes von den persönlichen Empfindungen des Schriftsteller-Ich zu trennen; können unter dieser Berücksichtigung konstitutive Merkmale der religiösen Erfahrung aus ver- schiedenen lyrischen Formen herausgelöst, analysiert und mit einer festgelegten Terminologie beschrieben werden?

1.2. Rahmen und Begriffskategorien der vorliegenden Arbeit

»[D]ie deutsche Literatur [...] kommt aus dem Raum der Religion [...].«6 Ein ufer- loses Forschungsprojekt würde sich ergeben, wenn alle Erscheinungen der reli- giösen Erfahrung in allen Literaturepochen untersucht werden sollten, selbst wenn nur die Lyrik betrachtet wird. Weil aber überdies »die konzeptionelle Ei- genständigkeit der Bereiche ›Kunst‹ und ›Wissenschaft‹ und [...] die prinzipielle Möglichkeit einer Unabhängigkeit von Religion«7 berücksichtigt werden müssen, werden dieser Arbeit folgende Beschränkungen auferlegt:

1.) Betrachtet wird das neunzehnte Jahrhundert, das sich als eine ebenso einheitliche wie vielschichtige Epoche erschließt, wenn es – nicht nur in Deutsch- land – als die Zeitspanne vom Anbruch der Romantik (ca. 1798) bis zum Beginn des ersten Weltkrieges (Juli 1914) gesehen wird.8 Da aber das 19. Jh., indem es voranschreitet und auf sein Ende zugeht, »das historisierende«9 Jahrhundert wird und da der Historismus, indem kulturelle Impulse geringere inspirative Kraft mit sich bringen und das Bürgertum zunehmend bestrebt ist, an ältere Im- pulse anzuknüpfen, »nirgends systematischer und verheerender regiert hat als in Deutschland«10, soll die Betrachtung mit dem Ausklingen des poetischen Realis- mus ihren Abschluss finden. Zwar liegt zwischen dem ersten Höhepunkt der deutschen Literatur (1770 - 1830) und ihrer zweiten Blütezeit (1900 - 1950) »die Stagnation im 19. Jahrhundert«11; doch gerade hier lässt sich zeigen, dass das Numinose auch dann zwischen den Versen erkennbar bleibt, wenn der Fluss der Inspiration nicht in breiter Fülle fließt und der Glaube an ›Gott‹ weitgehend ver- loren gegangen ist. Mit den Gedichten von Hebbel, Rückert, Keller und dem Ge- dicht F ri ede auf Erden, das Meyer 1886 verfasst hat, wird die Absicht der vorlie- genden Arbeit erreicht und es wird deutlich geworden sein, dass in unterschiedli- chen lyrischen Formen des 19. Jh.s, die von Dichtern unterschiedlicher Mentali- täten in unterschiedlichen Produktionssituationen verwendet wurden, zahlreiche Aspekte religiöser Erfahrungen gefunden werden können.12

2.) Zur Beschreibung des ›Heiligen‹ reicht es nicht aus, sich an die von der Literaturwissenschaft entwickelten Methoden der Dichtungsanalyse zu halten. Hier müssen neben der Psychologie Begriffskategorien einer verhältnismäßig jungen Wissenschaft herangezogen werden, nämlich der Religionswissenschaft, die sich allen Erscheinungsformen historischer Religionen mit gleichem Interesse zuwendet und keine wie auch immer geartete Voraussetzung eines Glaubensbe- kenntnisses verlangt. Innerhalb der Religionswissenschaft bildet die Religions- psychologie13 eine Teildisziplin und hier hat Rudolf Otto (1869 - 1937), der von Haus aus Professor für systematische Theologie war, Bahnbrechendes geleistet, indem er in mehreren Schriften, insbesondere aber in Da s H e ilig e. Über da s Irra- tional e in der Id ee d es Göttli c hen und sei n V e rhältni s zum Rationalen (erschie- nen 1917), Inhalt und Struktur der religiösen Erfahrung untersuchte. Die von ihm entwickelten Kategorien sind von mehren Seiten scharfsinnig kritisiert wor- den,14 erweisen sich allerdings nach wie vor als äußerst fruchtbar für Beschrei- bung der verschiedensten Formen religiösen Erlebens. Weil nun aber Religion mehrere anthropologische Funktionen erfüllt, wovon eine darin besteht, dass durch die zur Religion gehörende Konzeption des Menschen die Parameter der mystischen Erfahrung bestimmt werden, liegt es nahe, neben dem Christentum auch andere Religionen zu Wort kommen zu lassen. Daher werden nach Ottos Termini technici gnostische, buddhistische und hinduistische Begriffskategorien einführt, insofern sie der Interpretation von Lyrik des 19. Jh.s dienlich sind. In- dem eine heterogene Terminologie eingesetzt wird, kann die vielleicht wesentli- che »konzeptionelle Eigenständigkeit«15 von Religion und Dichtung berücksich- tigt werden. Die Einheit der interpretatorischen und argumentativen Grundlage ergibt sich aus den Berührungspunkten der Religionen, denn »[d]as ›Wesen‹ der Religion, also das, was die verschiedenen Religionen miteinander gemein haben, besteht darin, dass sie alle das Wohin und das Wie der Beziehungen bestimmen«16; nicht zuletzt sind Religionen Beziehungsbestimmungen zwischen dem individuellen Bewusstsein und ›Gott‹ als transzendenter Wirklichkeit oder eben als subjektiver psychischer Glaubensdimension.

1.3. Wissenschaftliches Erkenntnisinteresse, Methode und Struktur der vorliegenden Arbeit

Warum nun die deutsche Lyrik des 19. Jh.s mit den religionswissenschaftlichen Kategorien Rudolf Ottos betrachten? Was die Begrifflichkeit anbelangt, so eignen sich die Entwürfe Ottos deswegen besonders gut, weil sie einerseits von Treffsi- cherheit und weitgehend auch von begrifflicher Trennschärfe gekennzeichnet sind, andererseits hat er sein Werk in ebendem Jahr publiziert, in dem die Verei- nigten Staaten von Amerika in den Großen Krieg eingriffen und in dem sich mit der ›Oktoberrevolution‹ die Geburtsstunde der Sowjetunion ereignete. Mit dem Auftreten der beiden zukünftigen Flügelmächte erschien das Jahr 1917 den Euro- päern als das Schicksalsjahr, »in dem der Abstieg ihres Erdteils vom Subjekt zum Objekt der Geschichte und zu einer sekundären Weltregion seinen Anfang ge- nommen hatte«17; somit stand Ottos Werk, das zum Verständnis von Religion so viel beigetragen hat, wie eine Synopsis der Diskussionen über das Verhältnis von Religion und Individuum am Ende einer langen Ära und hat das Religionsver- ständnis der glanzvollsten europäischen Epoche gleichsam zusammengefasst. Das 19. Jahrhundert, der bürgerlichste Zeitabschnitt der deutschen Geschichte, barg eine »enorme Fülle und Vielfalt der Erscheinungen«18; mit seinen zahllosen, sich widerstreitenden Tendenzen, die sich bewegter als die Strömungen des 18. Jh.s und zählebiger als die Entwicklungen des 20. Jh.s die Waage hielten, bildete es die Voraussetzungen für die Geburt der klassischen Moderne.

Man kann es als das Zeitalter des Liberalismus und der Verfassungsbestre- bungen bezeichnen, der Ausbildung des bürgerlichen Rechtsstaats und der Parlamentisierung, der nationalen Bewegungen und Bestrebungen [...]; es ist [...] das Zeitalter des Kapitalismus, des wissenschaftlichen und techni- schen Fortschritts, des Aufstiegs der Industrie und des strukturellen Wan- dels, der Urbanisierung und des Aufkommens der Großstadt [...].19

Wir könnten das 19. Jahrhundert aber auch apostrophieren als das Zeital- ter des Bürgertums schlechthin, denn so gut wie alles, was diese Epoche an Neuem hervorbrachte in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, wurde ge- schaffen und getragen von Angehörigen der bürgerlichen Schichten [...].20

Dass das Bürgertum ›sein‹ Jahrhundert erleben konnte, war für die religiöse Er- fahrung ebenso wesentlich wie für die Religion; denn einerseits sind die konfes- sionellen Kirchen in der Lage gewesen, sich mit Unterstützung des aufstreben- den Bürgertums, das in Deutschland eben auch der Urheber fast der gesamten Literatur gewesen ist, zu behaupten gegen das Revolutionspotential des anwach- senden industriellen Proletariates, andererseits distanzierte sich auch der bür- gerliche Verstand von traditioneller Autorität und Religion wurde immer wieder zu einer ›Herzensangelegenheit‹. Indem der »Glaube [...] ein zentraler Referenz- punkt bürgerlicher Erziehung zu einem Leben in sittlicher Gemeinschaft«21 wur- de, konnte sich im Kreis privater Frömmigkeit eine Vielfalt religiösen Erlebens kristallisieren. Besonders im Nebeneinander von vielgestaltiger, individueller Frömmigkeit und »extrovertierten Praktiken öffentlicher Religionsausübung«22 unterscheidet sich das neunzehnte vom zwanzigsten Jahrhundert, in dem ja nicht nur 1968 der ›Club of Rome‹ viel Anlass zur Sorge sah »angesichts einer steigen- den Gleichgültigkeit, einer fehlenden Orientierung ohne allgemeingültige ethi- sche und religiöse Werte, angesichts von zunehmender Intoleranz und Rassen- haß, von Gewaltverbrechen und Drogen in vielen unserer Städte«23.

Die Dichter, deren Verse als Beispiele angeführt werden, sind nicht in der Folge hintereinander gereiht, wie der Leser sie – mit geringfügigen Abweichun- gen dieser und jener Art – in den Literaturgeschichten vorfindet. Epochenbe- zeichnungen sind als Raster zur Verständigung brauchbarer denn als Kategorien der Analyse, der Strom der Zeit kennt keine Grenzlinien. Um indessen auch dem chronologischen Aspekt angemessen gerecht zu werden, sind die Dichter in der Folge hintereinander gereiht, in welcher die Entstehungszeiten oder in seltene- ren Fällen auch der jeweilige Erstdruck der Gedichte aufeinander folgen. Diese Vorgehensweise ist nach dem Prinzip gewählt, dass eine »Konzentration auf be- zeichnende Einzelphänomene«24 dann berechtigt erscheint, »wenn durch sie eine historische Orientierung gewonnen werden kann«25. Die Auswahl der Gedichte hat weder en passant stattgefunden, noch im Rahmen einer unvermeidlichen Ty- pologie; vielmehr sollten möglichst viele Aspekte religiöser Erfahrungen in mög- lichst unterschiedlichen lyrischen Formen gefunden werden. Die Deutlichkeit, in der diese Aspekte in den Versen zu sehen ist, rangiert von ›unmissverständlich‹ bis ›kaum zu erkennen‹. Da aber der Sinn dieser Untersuchung im Herausarbei- ten und in der Verdeutlichung religiöser Aspekte besteht, soll es hier – von An- deutungen abgesehen – nicht unternommen werden, das kaum Erkennbare als solches aufzuweisen.

1.4. Die wissenschaftliche Literatur

Ausgehend von den Schwerpunkten interreligiöser Fragen, die sich beispielswei- se Alan Watts, Udo Tworuschka und Michael von Brück gestellt haben, müssen traditionsverbundene, verstandesorientierte Lehrgebäude ebenso kritisch be- trachtet werden wie die neuesten Selbstverwirklichungslehren östlichen Ur- sprungs. Förderlich für eine kritische Distanz und zugleich für die Inspiration, mehr oder minder bekannte Ansätze kreativ anzuwenden, sind immer wieder die ›Vorkämpfer‹ der modernen Geisteswissenschaften wie Schleiermacher, Hegel, Schopenhauer, William James und C. G. Jung.

Als jüngste Monographie zum Thema ›Dichtung und Religion‹ ist das von Georg Langenhorst 2005 veröffentlichte Handbu c h zu nennen. Der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel hat eine Sammlung Literari sc h-th eo logi sc her Por- trät s unter dem Titel »Vi el l e i c ht hält Gott s i c h ei nig e Di c hter ...« 26 1991 zum ers- ten Mal herausgegeben; die essayistischen Einzeldarstellungen haben haupt- sächlich literarische Werke des 21. Jh.s zum Gegenstand. Eine ebenfalls aspekto- logisch vorgehende Monographie ist Di c htung und Religion, 1988 von Walter Jens und Hans Küng veröffentlicht;27 da diese Untersuchung von Pascal bis Kafka reicht, sind unter den deutschen Dichtern des 19. Jh.s lediglich Hölderlin und Novalis eingehend betrachtet worden. Weniger literaturgeschichtlich, stärker ty- pologisch ausgerichtet ist die im Jahr zuvor erschienene, gleichnamige Untersu- chung von Hans Rudolf Picard. Die von Jutta Osinski vorgelegte Analyse über die deutsche Literatur des 19. Jh.s und die von Wolfgang Braungart herausgegebene Studie Ver eh rung , Kult , Di s tan z widmen sich gesonderten Aspekten der Litera- tur, bieten aber vor allem für eine hermeneutische Vorgehensweise gute Inspira- tionen. Im Ganzen ist deutlich erkennbar, dass sich für die Beziehungen zwi- schen beiden Bereichen mehr die Dichter des 19. Jh.s selbst als die Religions- oder die Literaturwissenschaftler interessieren. Literarhistorische Untersuchen, die konfessionellen Erscheinungen und deren Einfluss auf die Gattungsformen des Barock nachgehen, sind vorhanden; auch Texte und Autoren, die in der For- schungsgeschichte ohnehin exponiert sind, wurden auf religiöse Aspekte und Charakterzüge hin betrachtet, etwa Hölderlins ›Vaterländische Gesänge‹ und die Dichtung Stefan Georges. Zwar ist die deutsche Lyrik mit theologischen Begrif- fen betrachtet worden, selten aber mit religionsphilosophischen und religions- psychologischen Kategorien, sehr selten vor allem von Literaturwissenschaftlern. Ein verlässliches Forschungsmittel stellt das Handwör terb u ch f ür T heo lo- gi e und Religionswissenschaft dar (RGG, dritte Auflage), das nicht nur als Stan- dardwerk der evangelischen Religionsgeschichte gelten kann, sondern auch de- tailliert auf christliche Archäologie und religiös geprägte Kunst eingeht. Die Th eo logi sc h e Realen z yklop e di e beschreibt ausführlich die Religionen der Welt, gewährt dabei aber der Religionsgeschichte sehr viel mehr Raum als der von Glaubensbekenntnissen beeinflussten Kunst- und Kulturgeschichte. In der deutschsprachigen Literatur werden sich die meisten Bezüge zur Religion als An- spielungen auf und Anlehnungen an die ›Heilige Schrift‹ erweisen; da die Ein- h ei t s über setz ung, die von den katholischen Diözesen 1980 begonnen und mit evangelischer Beteiligung ins Werk gesetzt wurde, als ›ökumenischer Text‹ gilt, soll sie hier verwendet werden.28 Zweckmäßig für eine religionspsychologische Untersuchung sind Symbollexika; hier werden das Lexikon der S ymbol e von Udo Becker und das von Hans Biedermann eingesetzt. Als ebenso unerschöpfliches wie grundlegendes Werk bewährt sich, wenn es gilt, die Dichtung des 19. Jh.s in ihren Einzelheiten zu deuten, das von Jacob und Wilhelm Grimm begonnene D eu t sc h e Wörterbu c h. Die zwölf Bände der G esc hi c ht e der d eu t sc hen Literatur von den Anfängen bi s z ur G eg enwart , die um einen ausführlichen Anhang mit Bi- bliographie und verschiedenen Registern ergänzt sind, erheben den berechtigten Anspruch, mehr als eine Literaturgeschichte zu sein, da die Autoren den gesell- schaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Hintergrund der jeweiligen Epoche darlegen.

2. Standpunkte der Religionswissenschaft und religionswissenschaftliche Aspekte, die der Deutung von Dichtung dienlich sind

2.1. Das Heilige und das Numinose

Das neuhochdeutsche Adjektiv ›heilig‹ findet sich schon im Althochdeutschen als ›heilag‹ und wird im Mittelhochdeutschen zu dem gängigen Eigenschaftswort ›heilec‹.

Die eigentliche bedeutung des adjectivs, heil habend, mit sich führend, er- scheint von allem anfang an auf das geistliche heil, die erlösung von der sünde bezogen [...]. es tritt als epitheton zunächst des rettung bringenden christengottes, der personen der trinität, der mutter gottes und der heili- gen auf und erlangt dann freiere verwendung.1

Das Eigenschaftswort ›heilec‹ bezog sich nicht wie das lateinische ›sanctus‹, das von ›sancire‹ kommt (›durch religiöse Weihe unverbrüchlich machen‹), auf alles, was der Opinio Communis zufolge als unantastbar und ehrwürdig galt, sondern auf das, was – der Prägung des deutschsprachigen Kulturraumes entsprechend – die Überzeugung einer christlichen Geistlichkeit für unantastbar hielt. Als in den ersten Jahrzehnten des 18. Jh.s die Einheit von bürgerlicher Kultur und Christen- tum auseinanderzufallen begann, wurden mehr und mehr alle ›unverletzlichen, verehrungswürdigen‹2 Erscheinungen und Zusammenhänge mit dem Adjektiv ›heilig‹ bezeichnet. Bis zum heutigen Verständnis des Wortes können damit so- wohl rationale als auch irrationale Momente gemeint sein. Von einer solchen we- nig eindeutigen Verwendung des Begriffes nahm Rudolf Otto Abstand, indem er sich gegen Rationalismus und tradierte Oberflächlichkeit wandte und das tief er- greifende religiöse Widerfahrnis ›numinos‹ nannte. »Das adjektivisch von ›nu- men‹ (Gottheit, göttliche Präsenz) abgeleitete Wort wurde durch Rudolf Otto in die Religionsphilosophie eingeführt.«3 Er bezeichnete die irrationalen und eigent- lich unaussprechbaren Momente des Göttlichen beziehungsweise – von einem weniger theistischen Standpunkt gesprochen – die Momente des »aus dem Berei- che des Gewohnten Verstandenen und Vertrauten [...] Herausfallenden«4, inso- fern sie durch eine mystische Erfahrung wahrgenommen oder erlebt werden, nicht als ›Merkmale des Heiligen‹, sondern als ›Momente des Numinosen‹. Wäh- rend nun das Numinose über aller Vernunft liegt und immer unerreichbar sein wird für die Vernunft, umfasst der Begriff des ›Heiligen‹ sowohl diesen Bereich als auch das von der Vernunft Nachvollziehbare in der Idee des Göttlichen; die Betonung der Bezeichnung ›heilig‹ liegt weniger auf dem Irrationalen als auf dem Verständlichen und Erklärlichen in der Vorstellung des Übersinnlichen.

Nach dem Vollklange des Wortes ›Heilig‹, so wie wir es vornehmlich im Neuen Testamente vorfinden [...], ist das Heilige ja nie mehr das bloß Nu- minose überhaupt, auch nicht auf dessen höchster Stufe, sondern immer das vollkommen mit rationalen, zwecksetzenden persönlichen und sittli- chen Momenten Durchdrungene und Gesättigte.5

2.1.1. Die mystische Erfahrung und die Unmöglichkeit das Heilige zu definieren

Über das Heilige könnte mit wahrer Kompetenz eigentlich nur ein ›heiliger‹, das heißt ein »von Gottes Geist erfüllt[er]«6 Mensch sprechen‹,7 wenn er es denn – und dies bliebe fraglich sowohl bei einem östlichen als auch bei einem abendlän- dischen ›Heiligen‹ – über Heiligkeit zu sprechen überhaupt für angebracht hielte.

Es sollte nur als von etwas Heiligem nicht gesprochen werden. Herodot sagt oft ausdrücklich, er wolle von den ägyptischen Gottheiten und Myste- rien sprechen, so weit es heilig sei, davon zu sprechen, er wisse noch meh- reres, aber es sei nicht heilig, davon zu sprechen.8

Denn alles, was in Worte gefasst und erklärt werden kann, liegt innerhalb des konzeptuellen, analytischen Denkens und dessen Begriffskategorien, es gehört mehr oder minder augenfällig der bekannten Welt an; auf diese Weise aber zeigt sich das Heilige nicht: aus den Erscheinungsformen kommend und durch das Be- kannte wirkend. Immer ist es fundamental anders als das, was gesagt, gedacht oder getan wird; wie auch könnte es die Welt heiligen und heilen, wenn es von der Welt wäre? Dennoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Heilige, weil es grundsätzlich »totaliter aliter«9 ist als jede menschliche Wahr- nehmung und Vorstellung, der bekannten Welt entzöge. Die Existenz der Welt ist – christlich gesprochen – von der Präsenz Gottes abhängig und das Heilige muss als das Unerkannte das Erkennende durchdringen, damit dieses in einem gege- benen Zeitrahmen seine Form und Tätigkeiten aufrecht erhalten kann. So wer- den sich bei einem gereiften und – vulgo gesagt – heilig gewordenen Menschen10 immer das Bekannte und das Numinose durchdringen. Darauf macht der Volks- mund aufmerksam, wenn er bemerkt: »Halb heilig und halb Sünder ist aller Hei- ligen Klag‘.«11 Oder etwas deutlicher auf die Gravitation der bekannten, allzu be- kannten Welt verweisend: »Es ist keiner so heilig, er hat einen beschissenen Arsch.«12

Es ergibt sich, dass bei einem aufgeschlossenen Zuhörer durch Wort und Rede eine psychische Disposition vorbereitet wird, die eine auf Erkenntnis ge- richtete Dynamik und damit neue Einsichten ermöglicht; aber Worte werden – und dies wird gerade von Sprechern wiederholt, deren Reden weithin als bewe- gend empfunden werden – nur die Gesten der Hand sein, die auf das Licht deu- tet, nicht das ›Licht der Erkenntnis‹ selbst. In dieser Weise hat es Paulus (um 3 bis 62 n. Chr.) aufgefasst, als er seinen ersten Brief an die von ihm gegründete Gemeinde der Korinther schrieb (zwischen 53 und 55 n. Chr.): »Davon reden wir auch, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern wie der Geist sie lehrt, indem wir den Geisterfüllten das Wirken des Geistes deuten.«13 Der »Geist« selbst also ist die Kraft und Formung der Taten; das, was es bezeu- gen kann, Worte, sind lediglich die Folgen der verwandelnden Präsenz des Geis- tes. Auf ›Gott‹ kann allenfalls verwiesen werden, er entzieht sich einer direkten Wahrnehmung der Sterblichen; mithin sind all die zahllosen Verweise auf Ihn in unbestimmbarer Weise illusorische Verweise. Im Taoismus wird nicht von ›Gott‹ gesprochen, sondern vom ›Tao‹, wenn auf die höchste transzendente Wirklich- keit und Wahrheit verwiesen wird. Der alte chinesische Denker Lao-Tse (6. Jh. v. Chr.), der als Begründer des Taoismus gilt, lehrte: »Tao, das Ewige, hat keinen Namen.«14 »Schaut man danach, ist nicht genug zu sehen,/ Horcht man danach, ist nicht genug zu hören,/ Braucht man es, kann man kein Ende finden.«15

2.1.2. Zur Geschichte der Religionswissenschaft und ihrer Definitionen

Vom Baum der Theologie zweigt sich der Spross der Religionswissenschaft in ebender Zeit ab, in welcher der Begriff des ›Heiligen‹ als zentraler Unter- suchungsgegenstand forschender Wissenschaft erscheint. In seinem heutigen re- ligionswissenschaftlichen Verständnis ist ›das Heilige‹ »zum Kriterium des Re- ligiösen schlechthin geworden«16. Indem es als solches im 19. Jh. nach und nach »an die Stelle des Gottesbegriffes trat«17, konnte Religion auch ohne theistische Gottesvorstellung verstanden und analysiert werden; schließlich war es unter dem Einfluss der neuen Wissenschaften Ethnologie und Soziologie möglich, Form, Inhalt und Bezüge jeder Religion wertneutral zu untersuchen.

Es wird die Ansicht vertreten, dass der Begriff ›heilig‹ »ein genuin jüdisch- christlicher ist und nicht ohne weiteres auf alle Religionstraditionen angewandt werden kann, obwohl deren entsprechende Begriffe im Deutschen gerne mit ›heilig‹ übersetzt werden«18. Diese Auffassung ist zu differenzieren. Zustimmen würde ihr wahrscheinlich Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768 - 1834), der in seinem Unternehmen, die Eigenständigkeit des Religiösen herauszustel- len, als erster das ›Heilige‹ betrachtete, dies allerdings im Weltbild des roman- tisch geprägten Christentums durchführte; im fünften und letzten Kapitel seiner einflussreichen Schrift Über di e R el igion, die 1799 in Berlin anonym herausgege- ben wurde, schrieb er:

[...] es wäre das Studium eines Lebens, und nicht das Geschäft eines Ge- spräches – nach einem richtigen Maßstabe den wahren Gehalt und das ei- gentliche Wesen der einzelnen Religionen abmessen, und nach bestimten und festen Ideen das Innere von dem Äußerlichen, das Eigene von dem Er- borgten und Fremden, das Heilige von dem Profanen scheiden [...].19

Mehrere Geisteswissenschaftler sind aufgetreten, die der Auffassung eines jüdisch-christlichen Konzeptes des ›Heiligen‹ widersprochen hätten oder wider- sprochen haben. Zu denjenigen, die in anderen nicht weniger als in der abend- ländischen Kultur eine Philosophie und Pflege der Erfahrung des ›Heiligen‹ er- kennen, zählen William James (1842 - 1910), Rudolf Steiner (1861 - 1925), die gesamte Theosophie, von der Steiner geprägt wurde, die gesamte Anthroposo- phie, die Steiner begründet hat (im Februar 1913) und der rumänische Religions- philosoph Mircea Eliade (1907 - 1986). Eliade vertritt überdies die Ansicht, dass die modernen Gesellschaften, mögen auch einige ihrer Mitglieder ›das Heilige‹ philosophisch und begrifflich untersuchen, »in ei nem d es akrali s ierten Ko s mo s « 20 wohnen, während nomadisierende Jäger und sesshafte Ackerbauern heute wie vor zehntausend Jahren »in e inem g ehei ligten Kosmos« 21 leben und Teil haben »an einer Weltheiligkeit«22.

Der Begriff ›Religionswissenschaft‹ wurde als definierter Terminus erstma- lig 1867 von Max Müller (1823 - 1900) verwendet.23 Als der erste religionswis- senschaftliche Lehrstuhl 1873 in Genf errichtet wurde, war dies – der wissen- schaftlichen Ausrichtung des 19. Jh.s entsprechend – ein Lehrstuhl für Religions- geschichte. Erforscht wurde die allgemeine und spezielle Geschichte aller Einzel- religionen. Erst gegen 1900, als sich die junge Wissenschaft zu spezialisieren und exakter zu definieren begann, trat auch die systematisch vergleichende Reli- gionswissenschaft auf den Plan der Forschung, deren Aufgabe darin besteht, mehr die inneren als die äußeren Berührungspunkte und Unterschiede der Reli- gionen zu erfassen, sowie die Strukturtypen und Lebensgesetze der Religion im Allgemeinen. Max Müller hielt die Erforschung der Religionen deshalb für uner- lässlich, weil Religion die Form sei, in der das Unendliche wahrgenommen wer- de. »Der Mensch empfindet den ›Druck des Unendlichen‹. Jede Wahrnehmung des Endlichen ist von der Fühlung des Unendlichen begleitet.«24

2.1.3. Standpunkte der Religionswissenschaft

Eine Religion kennzeichnet sich auf der einen Seite durch ihre mit den Sinnen er- fahrbare Manifestation, das heißt durch ihren geheiligten Raum mit Kultbauten und -gegenständen, durch ihre geheiligten Zeiten und ihr System, besondere Er- eignisse zu datieren, überdies durch heilige Handlungen und Riten, durch ihre autoritativen Schriften und deren Auslegung. Auf der anderen und entscheiden- deren Seite charakterisiert sich eine Religion durch ihre Vorstellungswelt, das heißt durch ihre Gedanken und Bilder von Zeit und Ewigkeit, Jenseits und Dies- seits, Göttern und Geistern, Menschen und Mittlern. Mit den wahrnehmbaren Aspekten der Religionen beschäftigt sich einerseits die Religionsgeschichte, an- dererseits die Religionssoziologie, welche die wechselseitigen Verhältnisse von Religionen und Gesellschaften untersucht. Auf die geistige Seite der Religion richtet die Religionsphilosophie ihr Augenmerk, die den geschichtlichen Ausprä- gungen der Religionen in ihrem Verhältnis zum philosophischen Denken nach- geht, ebenso die Religionspsychologie, die sich durch die Betrachtung von Reli- gionen »Aufschluß über die Regungen des menschlichen Geistes«25 verspricht. Die Wissenschaftsrichtungen sind sich darüber nicht völlig einig, ob sie allesamt zur ›Religionswissenschaft‹ gehören, deren Aufgabe doch darin besteht eine »un- parteiische Kenntnisnahme«26 aller religiösen Aspekte zu verfolgen, oder ob sie Wissenschaftsgruppen beziehungsweise Einzelwissenschaften verkörpern. Die Theologie als die Wissenschaft vom jüdisch-christlichen Gott und des Glaubens an ihn zählt sich schon ihres ehrwürdigen Alters wegen dezidiert nicht zur Religi- onswissenschaft.

2.1.3.1. Religionsphilosophie

Sie ist »die Wissenschaft vom Wesen, Ursprung, Wert der Religion als solcher so- wie in ihrer Beziehung zur übrigen Cultur, die philosophische Besinnung auf den Sinn und die kritische Untersuchung des Geltungsanspruches der religiösen Be- griffe«27. Durch das philosophische Denken in der Religion ist darüber Klarheit gewonnen worden, dass die Auffassung vom ›Heiligen‹ in Abgrenzungen be- stimmt werden muss. »Nach dem Gegensatze wird das eine als schlechthin dem anderen entgegengesetzt bestimmt: z. B. gut und böse, gerecht und ungerecht, heilig und unheilig, Ruhe und Bewegung usf.«28 Für das ›Heilige‹ als Bezeich- nung einer andersartigen Wirklichkeit, die durch höheres Erkennen und gereif- tes Bewusstsein zugänglich ist, gilt, dass es sich in erster Linie durch seine radi- kale Andersheit gegenüber dem ›Profanen‹ charakterisiert. Das Profane ist der Raum ›pro fano‹, ›vor dem Tempel‹ und damit ›vor dem heiligen Bezirke liegend‹29; dieser Bereich ist von Niedrigkeit, Gewöhnlichkeit und Vergänglich- keit geprägt.

Das Unternehmen, die natürliche Verbindung der religiösen Begriffe mit den allgemeinen Kategorien des menschlichen Erkennens zu untersuchen, ist die religös-metaphysische Orientierung in der Religionsphilosophie. Ausgehend von der Prämisse, dass der Mensch mit souveränen, die unendlichen Dinge berühren- den geistigen Fähigkeiten ausgestattet sei, erkennt die Religionsphilosophie nichts auf Autorität hin an, sondern lässt nur rationale und argumentative Me- thoden gelten. Im Rahmen dieser Vorgehensweise wird das ›Heilige‹ als idealer, tendenziell sittlich wirkender Bewusstseinsinhalt des Menschen betrachtet oder aber als ein umfassend klarer Bewusstseinszustand.

Die Hauptkritik an der klassischen Religionsphilosophie besteht in der Ar- gumentation, dass göttliche Offenbarung niemals nur einsichtig und plausibel sein kann, sondern in jedem Fall unermesslich viel mehr darstellen muss – dies hat vor allem der dänische Philosoph Sören Kierkegaard (1813 - 1855) betont.

»Im engeren Sinne sind zu unterscheiden Religionsphilosophen, welche ihr The- ma rein speculativ, solche, welche es historisch, genetisch, psychologisch, und solche, welche es in empirisch-speculativer Weise behandeln.«30

2.1.3.2. Religionsphänomenologie

Sie ist eine systematisch vergleichende Religionswissenschaft, welche die Er- scheinungsformen der Religion in der gesamten Religionsgeschichte untersucht und hierbei besonders zwischen verschiedenen Gottesvorstellungen Parallelen zieht und zwischen unterschiedlichen Kultformen. Die Phänomenologie der Reli- gion hält sich – in strenger Unterscheidung zur Theologie – an das, was er- scheint; dennoch kommt es ihr nicht nur darauf an Material zu sammeln, sondern es auch in Anlehnung an die Vorgehensweisen der Geschichtswissenschaften in einen Sinnzusammenhang zu bringen. »Sie ist [...] nicht mit der Frage nach dem Heil, sondern nach dem Sinn eines Phänomens beschäftigt. Sie stellt verwandte Phänomene ungeachtet ihres historischen Ortes und Zusammenhanges nebenein- ander und sucht ihre Beziehungen zueinander.«31 Der Religionsphänomenologe beschränkt sich also darauf, vom Reden und Handeln der Menschen zu berich- ten, welche sich in einer Beziehung zum ›Heiligen‹ sehen; er macht die Überzeu- gung zu seinem Ausgangspunkt, dass auch der »Religionswissenschaftler immer nur geschichtlich, d. h. unter sehr eingeschränkten Bedingungen und Perspekti- ven«32 zu denken vermag.

2.1.3.3. Religionspsychologie

Dieser Forschungszweig der Psychologie wurde gegen 1900 in den USA begrün- det und war maßgeblich vom Pragmatismus, der ersten unabhängigen amerika- nischen Strömung der Philosophie, geprägt, nach 1900 auch von der Psychoana- lyse. ›The psychology of religion‹ ist ein »Teilgebiet der vergleichenden Kultur- bzw. Sozialpsychologie, in dessen Rahmen Ursprünge und Arten von religiösen Einstellungen oder Erfahrungen und Erlebnisse religiöser Art untersucht wer- den.«33 In den Rahmen der Forschung gehört es, Grenzphänomenen der ›conditio humana‹ nachzugehen und Fälle oder Fallberichte zu analysieren, die in anderen psychologischen Schulen als pathologische Erscheinungen behandelt werden. Dazu zählt zum Beispiel ›Besessenheit‹, das heißt ein abnormer Zustand des Vor- herrschens einer Idee oder – theologischer ausgedrückt – ein Einbruch des numi- nosen ›Momentes des Übermächtigen‹34, der ein bestimmtes inneres Bild, das der Mensch schon vor der Begegnung mit der numinosen Energie hoch geschätzt hat, unverrückbar vor dem inneren Auge fixiert. Des weiteren zählen zu den un- tersuchten Fällen religiöse Trancezustände, die »meist als Ekstase bezeichnet«35 werden und als mehr oder minder vollständiger Verlust des Körpergefühls zu- gunsten eines projizierten mentalen Bildes auftreten, das in der Regel religiösen Ursprungs ist, etwa das Bild eines Heiligen36.

Diese und andere psychische Grenzphänomene lassen sich als Motive oder Motivkomponenten in der Lyrik aller Literaturepochen finden. Häufiger aber sind es die von der Religionspsychologie als gesund und natürlich betrachteten religi- ösen Phänomene,37 die sich als Themen oder thematische Andeutungen aus den verschiedensten lyrischen Formen herauslösen, analysieren und beschreiben las- sen.

Die ursprüngliche Religionspsychologie war gekennzeichnet durch ihre strenge empirische Methodik und ihre Orientierung am gelebten Leben. Unvor- eingenommen sollten auf dem Wege der Experimentalpsychologie das religiöse Seelenleben erfasst und psychologische Gesetzmäßigkeiten ermittelt werden. Al- lerdings steht und fällt dieses Verfahren »mit der Fähigkeit der befragten Perso- nen, die Frage zu verstehen und bei der Beantwortung keine eigene Theorie [...] einfließen zu lassen«38. Alsbald wurden die Grenzen des experimentellen Verfah- rens deutlich und die Forschung versuchte durch ein Fülle von Material, das aus allen Kulturen herbeigetragen wurde, eine verlässliche Phänomenologie der reli- giösen Disposition, welche der menschlichen ›Seele‹39 zu eigen ist, zu entwickeln. Mit dieser Vorgehensweise beschränkte sich die Arbeit entweder auf die Be- schreibung wiederkehrender Typik und wurde ›Religionsphänomenologie‹, die sich nach dem ersten Weltkrieg – wie der Religionswissenschaftler Gerardus van der Leeuw (1890 - 1950) in seiner Phänomenologie der Religion (1933) bewies – als die fruchtbringendere Wissenschaft herausgestellt hat. Oder aber die For- schung ließ gelten, dass »der Ansatz der Religionspsychologie allenthalben zu ei- ner Überschreitung der ursprünglichen Grenzen drängt«40 und bezog bewusst auch andere Teildisziplinen in ihre Überlegungen ein wie etwa Religionsge- schichte, Religionssoziologie und Tiefenpsychologie.

2.1.3.3.1. William James (1842 - 1910)

William James, amerikanischer Psychologe und Philosoph, Bruder des bekannten Romanciers Henry James (1843 - 1916), war Mitbegründer der in erster Linie von Charles Sanders Peirce (1839 - 1914) ins Leben gerufenen Philosophie des Pragmatismus und richtete entsprechend dem Grundgedanken dieser Schule, dass sich die Wahrheit einer Aussage durch ihre auf die Praxis bezogene Brauch- barkeit beweise, seine Forschung ›radikal empirisch‹41 aus. »Wahrheit ist hier nicht mehr auf das ›Wesen‹ der Dinge und der ›adaequatio intellectus et rei‹ aus- gerichtet, sondern an Begriffen wie Erfolg und Nützlichkeit.«42 Von diesem Blick- winkel betrachtet muss James die Frage, ob die Welt aus einem einzigen Prinzip hergeleitet werden könne, verneinen. Nach ihm besteht sie vielmehr aus zahlrei- chen komplexen Ebenen, die miteinander häufig in Widerstreit stehen. Der größ- te Teil seiner Untersuchungen galt daher der Beschreibung und Neubestimmung von Erlebnissen, die Begriffe wie ›Schuld‹, ›geteiltes Ich‹, ›Bekehrung‹ und ›Heil‹ lebendig machen. »James‘ Deutung führte zur Ausbildung der Religions- psychologie als selbständigem Forschungszweig.«43

In seiner Religionsphilosophie geht James von der These aus, dass die Reli- gion, da sie keinen primären Wahrheitsbegriff für sich in Anspruch nehmen kann, eine Disposition des Gefühls darstelle. Mit Th e vari et i es of religious experience (1902) bietet James eine am überprüfbaren menschlichen Verhalten orientierte Bestimmung der bis dahin als abstrakt geltenden, unerklärbaren mystischen Er- fahrung. Ein religiöses Erlebnis interpretiert er als ein Gefühl der Erhebung, das durch ein tiefes Empfinden der Erleichterung und der Heiterkeit das Leben eines Menschen stark zu ändern vermag. Die religiösen Erlebnisse seien real, ebenso aber abhängig von einem Subjekt, ausgehend von ihm und damit Produkte des schöpferischen menschlichen Bewusstseins. Religion definiert James in Bezug auf »feelings, acts, and experiences of individual men in their solitude, so far as they apprehend themselves to stand in relation to whatever they may consider the divine«44.

2.1.3.3.2. Rudolf Otto (1869 - 1937)

Otto, der als Professor in Göttingen, Breslau und Marburg systematische Theolo- gie lehrte, hat die Frage in den Mittelpunkt seiner Forschungsarbeit gerückt, in- wiefern das Wesen der christlichen Religion wissenschaftlich erfasst und begriff- lich bestimmt werden könne. Unter dem Einfluss der Erkenntniskritik Immanuel Kants (1724 - 1804) und der Lehren von Jakob Friedrich Fries45, Wilhelm Martin Leberecht de Wette46 und Friedrich Schleiermacher suchte er durch gefühls- und intuitionsgeleitete Erkenntnis die Grenzen des ›Dinges an sich‹ zu überschreiten und von der »Selbstbesinnung zur Sachgesinnung zu gelangen«47. Auf diesem Wege befreite er sich aus akademischer Paralyse und machte das Christentum jenseits der Konfessionen zusammen mit der wissenschaftlichen Betrachtung von Religion zu einer Sache, die jeden gebildeten Menschen etwas angeht.

Otto vertrat die Anschauung einer objektiven, transzendenten Wirklichkeit des ›Heiligen‹ und beabsichtigte, den Inhalt und besonders die Bestandteile des religiösen Erlebnisses – soweit sie einzeln zu analysieren überhaupt angemessen schien – zu ergründen. Auf dem Wege von Empathie und Selbstbeobachtung suchte Otto die Einsichten in »das Irrationale in der Idee des Göttlichen«48 zu be- stimmen. Gleichwohl sind seine Arbeiten von scharf definierten Kategorien be- stimmt, auch an praktischen Anregungen hat er es nicht fehlen lassen. »Ottos psychologischer Scharfsinn und seine zweifache Vorbildung als Theologe und Re- ligionswissenschaftler befähigten ihn, den Gehalt und die spezifischen Züge [der religiösen] Erfahrung herauszuschälen.«49

2.1.3.3.2.1. Katego r ien der religiösen Erfahrung in der Abhandlung Das Heilige , die der Gedichtinterpretation dienlich sind

Aus einer systematischen Darstellung mystischer Erlebnisse folgert Otto, »daß das Heilige einer der endlichen Form entäußerte Kategorie a priori im Kanti- schen Sinne ist und daß seine Momente und die diesen respondierenden Gefühle ›reine Ideen‹ bzw. ›reine Gefühle‹ sind«50. Gefühle dieser Art entstehen aus dem Tiefenbewussten der ›Seele‹51, indem die sinnlich erlebten Erscheinungen der re- ligiösen Erfahrung die ihr angehörigen numinosen Momente aus dem Vor- und Unbewussten wecken und eines nach dem anderen ins Bewusstsein bringen. »Ist das numinose Gefühl einmal rege so werden wir, da es eine Einheit ist, mit dem Auftreten des einen seiner Momente leicht auch das Auftreten seiner anderen Momente erwarten.«52

In Anlehnung an Termini technici Martin Luthers (1483 - 1546) sind es drei Hauptmomente, die Otto in der ebenso anziehenden wie erschreckenden ir- rationalen Erfahrung erkennen und benennen zu können glaubt: (1) das ›mysteri- um tremendum‹, das eng verwandt ist mit einem weiteren numinosen Moment und häufig in dieses übergeht: das ›mysterium maiestatis‹; (2) das ›mysterium fa- scinans‹ und (3) das ›mysterium mysteriorum‹, Gefühl des ›ganz Anderen‹.

2.1.3.3.2.1.1. Das ›tremendum‹ ist das Furchtbare, Schreckliche und Fürchterliche, »das Unterste und Tiefste in jeder starken und frommen Gefühls- regung, sofern sie noch mehr ist als Heilsglaube Vertrauen oder Liebe«53. Es ist die zittern machende Wirkung des sich in seinem Walten und Wirken offenbaren- den Göttlichen (›numen‹), ›das schauervolle Geheimnis‹54, das über grenzenlose Machtfülle verfügt und sie unumschränkt ausübt. Diese tiefe Gefühlsregung be- rührt sich eng mit dem Geheimnis der ›maiestas‹, dem Gefühl, der allem Gegen- ständlichen unendlich überlegenen Mächtigkeit des ›Heiligen‹ gegenüberzuste- hen. Beide Gefühlsmomente der numinosen Erfahrung könnten einer dem Men- schen ureigenen Existenzangst zugeschrieben werden, wie es der Vers des Publi- us Papinius Statius55 ausdrückt: »primus in orbe deos fecit timor! [...]/«56. Dies aber würde weder nach Otto noch nach der Auffassung alter Mystiker zutreffen. Die Furcht ist vielmehr ein Reflex, indem nämlich das »Kreaturgefühl«57 den Menschen zu einer Schutzreaktion veranlasst, mit dem Ziel, dass er, da er uner- messlicher numinoser Energie hilflos ausgeliefert ist, seine Identität und damit die Grundlage seiner irdischen Existenz auf irgendeine Weise bewahre.

2.1.3.3.2.1.2. Das ›mysterium fascinans‹ ist das unergründliche Geheim- nis der anziehenden, fesselnden Wirkung des Göttlichen, das Geheimnis seiner unwiderstehlich bezaubernden Ausstrahlung und Anziehungskraft. Denn das Mysterium des ›Heiligen‹ »ist nicht bloß das Wunderbare, es ist auch das Wun- dervolle«58. Die Begriffserklärung stimmt mit zahlreichen Aussagen autoritativer heiliger Schriften überein; in diesen Aussagen kommt zum Ausdruck, dass die letztlich gebietenden Gottheiten, die herrschenden ›Himmlischen‹, der ›Allvater‹ oder einfach nur das ›Universum‹ zwar nicht oder nicht immer von der Neigung des Begünstigens gekennzeichnet sind, wohl aber von dem Charakter, die Krea- turen zu versorgen, sich um sie zu kümmern, sie zu beschenken. In der Bibel ist dies eine zentrale Darstellung sowohl des alttestamentarischen Gottes als auch – und hier besonders prägnant – des neutestamentarischen ›himmlischen Vaters‹.

Buch der Weisheit; 11, 24 - 26:

Du [, Gott,] liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht ge- schaffen.

Wie könnte etwas ohne deinen Willen Bestand haben, oder wie könn- te etwas erhalten bleiben, das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre?

Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Le- bens.59

D er erste Brief des Johannes; 4, 16:

Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.60

2.1.3.3.2.1.3. Die Andersheit des ›Heiligen‹, seine Trennung vom gewöhn- lichen Sein stellt nicht einen graduellen, sondern einen prinzipiellen Unterschied dar: Das Heilige ist wesensmäßig das ›ganz Andere‹. Es ist die alles Bekannte überragende Macht, die von dem Machtlosen unerreichbar weit entfernt ist. Das » r el igiö s Mysteriöse, das echte Mirum«61 ist das alienum, das aliud valde, das Fremde und Befremdende, das aus dem Bereich des Gewohnten Verstandenen und Vertrauten und darum ›Heimli- chen‹ überhaupt Herausfallende und zu ihm in Gegensatz sich Setzende und darum das Gemüt mit starrem Staunen Erfüllende62.

Dennoch nimmt das ›Andere‹ nicht jenseits der Welt seinen Anfang, es ist viel- mehr ohne jeden Anfang und wird immer ohne Ende sein; aus menschlicher Per- spektive betrachtet scheint es in der Tiefe der Selbstfindung und des Selbstseins zu beginnen. Die Steigerung des Gefühls, dass das ›ganz Andere‹ anwesend sei, und die Entweltlichung des Ich sind interdependente Prozesse.

Der philosophischen Weite und der einfallsreichen Vorgehensweise »einer sich keineswegs auf die traditionell christliche Definition des Heiligen beschrän- kenden Untersuchung verdankt Ottos Werk seinen Ruhm und seine Verbreitung in sieben Sprachen«63.

2.1.3.3.2.2. Kr itisches zur Abhandlung Das Heilige

Um mit einem nebensächlichen Aspekt zu beginnen: Die Übersichtlichkeit in Ot- tos Abhandlung lässt sowohl in der Gliederung als auch im Großen und Ganzen etwas zu wünschen übrig. Neutestamentler werden beanstanden müssen, dass das ›Heilige‹, indem es aufgegliedert wird in einzelne Momente, durchaus unper- sönlich und schließlich unzugänglich erscheint; in gleicher Weise würde die Auf- gliederung eines Charakters in einzelne Eigenschaften diesen Charakter seiner unverwechselbaren, eigenständigen Wirkung entfremden. Dass Otto ein solches Verfahren anwendet ohne es zu reflektieren oder seinen Nebenwirkungen entge- genzuarbeiten, ist ebenso problematisch wie die ›Wissenschaftlichkeit‹ und ›Ob- jektivität‹ einer Passage wie der folgenden:

Der Beweis, daß es sich im Gefühl des Numinosen um Erkenntnis-momen- te rein a priori handelt ist durch kritische Selbstbesinnung zu führen. Wir finden in ihm Überzeugungen und Gefühle angelegt die der Art nach ver- schieden sind von allem was ›natürliche‹ Sinneswahrnehmung uns zu ge- ben vermag.64

Und ist die Darstellung des ›Höhengrades‹65 und der »Überlegenheit«66 der christlich-theistischen ›Gottesidee‹ »über andere Frömmigkeitsformen«67 vom Standpunkt moderner Religionswissenschaft mehr als heikel, so ist sie auch bei Otto selbst nicht zu halten, wenn er abschließend schreibt:

Ebenso wenig sind wir mit [religiösen] Intuitionen – die nichts anderes sind als selbständige Wirkungen der Eindrücke der evangelischen Ge- schichte und ihrer Hauptperson nach der Kategorie des Heiligen selber – abhängig von den zufälligen Schwankungen exegetischer Ergebnisse und der Qual geschichtlicher Rechtfertigungen. Denn sie sind uns möglich ohne diese, aus eigener Divination. 68

Des Weiteren müsste Otto vorgeworfen werden, dass die eine oder andere Grundlage seiner Begriffe fragwürdig bleibt; Kritik kann sich beispielsweise ge- gen den Gebrauch der Bezeichnung ›Gefühl‹ richten, sobald es um Erfassung von Objekten geht. Die Philosophen Joseph Geyser und Paul Schmidt betonen, dass Gefühle zwar objektbezogen seien, aber eben als Stimmungen desjenigen selbst, der ein Objekt erfasst.69 Neun Jahre nach der Publikation von Da s H ei lig e hat Otto seine Auffassung des Begriffes ›Gefühl‹ klarer differenziert.70 Ein anderes Beispiel für einen nicht besonders geglückten Begriff ist die ›Schematisierung‹71, bei Otto ein vorbegriffliches Erkennen; dieser Terminus wird von Kant in umge- kehrter Sinnrichtung verwendet (Schematisierung eines Begriffes durch Veran- schaulichung, nicht des Anschaulichen durch begriffliches Denken). Was die ge- samte Vorgehensweise anbelangt, »ist [...] auf die methodische Fragwürdigkeit der Orientierung am Primitiven hinzuweisen«72. Das genetisch Erste muss durch- aus nicht immer das ontologisch Erste sein. So sieht Otto einerseits in den numi- nosen Momenten, den vorbegrifflichen und gefühlten Regungen des Bewusst- seins, die eine, und zwar die irrationale Seite des Göttlichen; anderseits führt der unangemessene Umgang und das Versäumnis, diese Regungen zu schematisie- ren, zu ›Absenkern‹ des ›Dämonisch-Gespenstigen‹73. Indessen müsste doch vom Göttlichen selbst der Anstoß zu seiner Schematisierung ausgehen, besonders in den komplexen Vorgängen der psychomentalen Entwicklung; denn es gibt ja nichts, was der allgegenwärtige, allmächtige göttliche Geist nicht anstoßen wür- de oder angestoßen hätte. Möglicherweise hat die Widersprüchlichkeit ihren Grund in der Feststellung: »Religiöse Gefühle sind nicht ästhetische.«74 Mit ei- nem solchen Befund wäre das Harmonische – Zentralthema der Ästhetik – aus dem Bereich der religiösen Erfahrung ausgegrenzt. Doch gerade dies würde man von einem, der – vulgo gesagt – auf dem Wege ist, ›heilig‹ zu werden,75 erwarten: dass er sich selbst und alle, die Umgang haben mit ihm, harmonisiere, zusam- menfüge und heile.

2.1.3.3.3. Carl Gustav Jung (1875 - 1961)

Der Schweizer Psychologe C. G. Jung, Dozent für Psychiatrie an der Universität Zürich (ab 1905) und Professor in Basel (ab 1944), war am Anfang seiner Lauf- bahn ein Schüler Sigmund Freuds (1856 - 1939); als er die Lehrtätigkeit in Zü- rich eingestellt hatte (1913), entschloss er sich, sein eigenes Lehrgebäude be- gründen und daraus die sich ergebende Fachrichtung ›Analytische Psycho- logie‹76 zu nennen.

Jungs Strukturuntersuchungen der ›Seele‹77 führten zu einer Aufwertung des von Freud so benannten ›Unterbewussten‹, das in der analytischen Tiefen- psychologie als das ›Unbewusste‹ bezeichnet und als Gefüge eines kollektiven und eines persönlichen Teils betrachtet wurde. Seine Erforschung des Seelenle- bens, das ihm ein umfangreiches dynamisches System und eine komplexe Ener- getik darzustellen schien, fußt auf zwei Erkenntnissen: erstens, »daß wir das ganze Leben hindurch neben dem neu erworbenen, gerichteten und angepassten Denken ein Phantasie-Denken besitzen, das altertümlichen Geisteszuständen ent- spricht«78. Dies ist der individuelle Zugang zu oder Teil einer Kollektivpsyche, in der ungetrennt und widerspruchslos nebeneinander steht, was – wie Wohlwollen- des und Destruktives – dem Bewusstsein als Gegensatz erscheint. Die vielfältigen Inhalte des Unbewussten nennt Jung ›kollektiv‹, weil sie in den Formen von zeit- losen Bildern und Symbolen – den so bezeichneten ›Archetypen‹ – fortdauernd wiederkehrende Menschheitserfahrungen enthalten, die auf Grund gleichartiger konstitutiver Geistesfunktionen allen Völkern und Zeiten gemeinsam sind.

Der zweite Kerngedanke seines Lehrgebäudes ergibt sich aus einer wichti- gen Unterscheidung:

Das Gesamtphänomen der Persönlichkeit fällt offenkundig nicht mit dem Ich, das heißt mit der bewußten Persönlichkeit zusammen, sondern bildet eine Größe, die vom Ich unterschieden werden muß. [...] Ich habe daher vorgeschlagen, die vorhandene, jedoch nicht völlig erfaßbare Persönlich- keit als das Sel b s t zu bezeichnen.79

Das ›Selbst‹ ist die Einheit der Person in wirklicher und wahrer Verbindung des bewussten Seins mit dem ›Ozean des Unbewussten‹. Den schwierigen und ge- fahrvollen Weg zu dieser Ganzheit bezeichnet Jung als ›Individuation‹. Es wird unumgänglich sein, sich auf diesem Wege allen Angriffen des Unbewussten aus- zusetzen und zugleich die bequeme Trägheit der bekannten Welt zu überwinden.

»Bewußtes und Unbewußtes streben Jungs Theorie zufolge auf Ergänzung und Ganzheit, auf das Selbst hin. Dieses Selbst ist dem Ich übergeordnet.«80

2.2. Weitere Aspekte der religiösen Erfahrung, die der Gedichtinterpretation dienlich sind

Hält der Mensch in der Methodik seines Erkennens an einer inaktiven, empfan- genden Rolle des Subjektes fest, werden die stofflichen Aspekte seines Weltbil- des im Vordergrund stehen. Die Gegenpositionen gehen von einer grundlegen- den Bedeutung der ›Seele‹ oder des menschlichen ›Geistes‹ für die Erkenntnis aus. Heinrich Heine (1797 - 1856) beobachtete die zu dieser Gruppe gehörenden Gläubigen, welche aus Vernunftgründen an Gott glauben, und notierte:

Dem Deisten, welcher also einen außerweltlichen oder überweltlichen Gott annimmt, ist nur der Geist heilig, indem er letzteren gleichsam als den göttlichen Atem betrachtet, den der Weltschöpfer dem menschlichen Lei- be, dem aus Lehm gekneteten Werk seiner Hände, eingeblasen hat.81

Das typisch abendländische Problem, dass Geist und Materie getrennt und ge- gensätzlich seien, ist in der asiatischen Religionsphilosophie zumeist – wenn es überhaupt als Problem auftaucht – nebensächlich. Zwar hat es auch in Europa die von Friedrich Wilhelm Schelling (1775 - 1854) zuerst vertretene ›Identitäts- philosophie‹ gegeben, in der betont wird, dass die Gegensätze zwischen Materie und Geist, Objekt und Subjekt in der ›absoluten Vernunft‹ nicht existieren; die Aspekte des Daseins stellen nur verschiedene Erscheinungsweisen derselben und einzigen Wirklichkeit dar. Doch musste sich erst das Abendland im späten 19. Jh. vor allem von den asiatischen Religionsphilosophien inspirieren lassen, bevor es sich den eigenen Traditionen, die Gefühl und Intuition als neben dem Denken gleichrangige Instrumente der Erkenntnis einsetzen, ebenso mit Akzeptanz wie mit Ernsthaftigkeit zuwenden konnte. Diese Inspiration ereignete sich schon durch die Vorlesungen Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770 - 1831), in denen er auf einige Ausgangspunkte hinduistischer und buddhistischer Religionsphilo- sophie hinwies; vor allem ereignete sie sich durch die Schriften Arthur Schopen- hauers (1788 - 1860), der alles in allem aber »den Buddhismus nicht sachgemäß von der hinduistischen Philosophie des Vedānta unterscheiden [konnte]«82. Durch Schopenhauer gelangte Paul Carus (1852 - 1919) zum Buddhismus, desgleichen Eugen Neumann (1865 - 1915), der 1896 die erste Anthologie der Reden Gautama Śākyamunis in deutscher Übersetzung herausgab.83

2.2.1. Ein Aspekt des Urchristentums und des Gnostizis- mus: die Rückkehr

Nach dem Tod Jesu entstand in Jerusalem unter der Ausstrahlungskraft der Os- terereignisse die ›Urgemeinde‹, von der sich der christliche Glaube schnell in an- deren Orten verbreitete. In diesen ersten Gemeinden, über die in der Apostelge- schichte und den Briefen des ›Neuen Testamentes‹ berichtet wird, bildet die Vor- stellung der seelischen Rück- und Heimkehr eine der Leitideen, da ja auch Jesus davon gesprochen hatte, dass er zum ›Haus seines Vaters‹84 zurückkehren wer- de:

»Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.«85

Mehrere Male hatte Jesus angedeutet, dass er von dem Haus des Vaters, des hei- ligen »Ich bin der ›Ich-bin-da‹«86, ausgegangen war und bald wieder dorthin, dem Zentrum der Heiligkeit, zurückkehren werde. So betonte er auch im Johann es - evang el ium vor dem ›Hohepriesterlichen Gebet‹ noch einmal sein Woher und Wohin und fasste seinen irdischen Wandel zusammen: »Vom Vater bin ich ausge- gangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.«87 Wenn dies nun der Weg des Christus war, wird es wohl auch der Weg eines jeden seiner Jünger sein; denn alle haben denselben himmlischen Vater:

» ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist«88.

»[S]etzt allen Eifer daran, mit eurem Glauben die Tugend zu verbinden, mit der Tugend die Erkenntnis [...]!«89 ermahnt der Apostel Petrus die neuen Jünger der in Kleinasien entstandenen Gemeinden; ›denn unsere Heimat ist im Himmel‹, »[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]«90.

Im Gnostizismus, der religiös-philosophischen Bewegung des zweiten und dritten Jh.s, deren Richtungen sich in der Mehrzahl zum Christentum bekannten, spielt der Gedanke der seelischen Heim- und Rückkehr gleichfalls eine wesentli- che Rolle. Die gnostischen Geheimlehren über das Göttliche sind ohne das Fun- dament des Glaubens, ja, der Gewissheit, in eine Heimat zurückzukehren, wo Heilung und Seligkeit sein wird, überhaupt nicht denkbar. Denn der Grundkon- sens gnostischer Lehren bestand darin, dass die Seelen als Funken und Samen des Göttlichen Wesens aus der geistigen Sphäre in die materielle und verderbte Welt fielen. Indem nun der Mensch die göttlichen Elemente durch Erkenntnis wieder erweckt, kann er in die transzendente Heimat zurückkehren, um dort mit der Wahrheit, Schönheit und Heiligkeit zu verschmelzen.

Plotin (205 - 270 n. Chr.), der Begründer des Neuplatonismus, beschrieb in 54 Abhandlungen, den Enneaden, wie alles Seiende hervorgeht aus dem Absolu- ten. Dieses sei das Eine, das in verschiedenen Emanationsstufen seine Energie entfaltet; von dort gehe die menschliche ›Seele‹ aus, dahin kehre sie zurück.

»Wenn jemand an einem Baume die Auswüchse oder die Zweige oben abschnei- det, wo ist dann die hierin befindliche Seele hin? Nun, woher sie gekommen ist; denn die Entfernung war keine örtliche. Eins also ist sie im Princip.«91 Was aus dem ›Einen‹ ist, wird sich früher oder später von weltlichen Bedürfnissen befrei- en müssen und allmählich zur intuitiven Einsicht des ›νοῦς‹ aufsteigen. Dann wird, was getrennt war, wieder vereint sein, dann werden ›Seele‹ und ›Gott‹ ver- schmelzen. »Und von einem doppelten Gesichtspunkt aus ist das Eine zu betrach- ten: es ist der Ursprung und das Ziel, denn von ihm geht alles aus und zu ihm strebt es hin […]«92. Ähnliche Worte findet der römische Philosoph Boethius (um 480 bis 524), der am Hof des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen (um 451 bis 526) in Intrigen verwickelt und des Hochverrates angeklagt wurde. Er begann sich der Philosophie zu widmen, ihres Trostes bedurfte er; denn trotz seiner Un- schuld wurde er in Pavia eingekerkert und schließlich hingerichtet. Während sei- ner Gefangenschaft verfasste er das ›Trostbuch der Philosophie‹, D e C on s olatio- n e Philo s ophia e (um 523). Darin schreibt er, wenn auch nicht als Anhänger des Christus:

So kehrt nun ein jedes zum Ausgang zurück Und freut sich der Quelle, der einst es entsproß […].93

2.2.2. Ein Aspekt der griechisch-römischen Antike, der sich mit einem buddhistischen Aspekt berührt: Leiden- schaftslosigkeit (Gelassenheit) und Gleichmut

Gelassenheit ist in der katholischen Mystik einer der charakteristischen psychi- schen Zustände auf dem Weg zur ›unio mystica‹, der höchsten mystischen Er- leuchtung. ›Gelassenheit‹, wie sie in der personalen Gottesmystik des Abendlan- des häufig verstanden wurde, scheint sich von dem Verständnis des buddhisti- schen Gleichmutes dadurch zu unterscheiden, dass im ›Gleichmut‹94 neben der Hin- und Aufgabe des eigenen Willens die Komponente der Achtsamkeit wesent- lich ist und mit der Hingabe eine Einheit bildet. In der östlichen und katholischen Mystik übernahmen und adaptierten die Mönche das Ideal der Gelassenheit aus der Stoa und den Idealen der ›ἀπάѳεια‹ und ›ἀταραξία‹.

Das Hauptinteresse der Stoa, der von Zenon (spätes 4. und frühes 3. Jh. v. Chr.) gegründeten philosophischen Schule, die im Imperium Romanum popu- lär wurde, galt der praktischen Lebensführung. Während in der jüngeren Stoa – in dieser Form war die Lehre bei den Römern angesehen – der lernende Mensch in den Vordergrund rückte als der sich um Tugend Bemühende, herrschte in der alten Stoa größere Strenge; hier wurde ausschließlich das Ideal des Weisen be- trachtet. Ein solcher Weiser war in der griechisch-römischen Antike nicht ledig- lich auf intellektueller Ebene wissend; wo er dies war, umfasste seine Einsicht theoretische und praktische Bereiche, religiöse Kenntnisse und seinsmäßige In- tuition. Vor allem aber wusste ein Weiser sich immer richtig zu verhalten. Das Fundament dieses ethischen Wissens war die Leidenschaftslosigkeit95, welche darin bestand, sich von der geistlosen Wildheit des Alltags zu lösen, sich selbst loszulassen, die Welt und auch die Götter. Im zweiten Buch seiner Satiren, das um 30 v. Chr. entstand, schreibt Quintus Horatius Flaccus (65 - 8 v. Chr.):

Toll ist – so lehret die Stoa, Chrysippus mitsamt seiner Schule –, wer, der Wahrheit nicht kundig, als gräßlicher Tor blind dahintreibt, und diese Formel trifft Völker, trifft ebenso mächtige Herrscher, ausgenommen den Weisen.96

Wer als ›Kundiger der Wahrheit‹ zu leben versteht, der kann die Sorge um den Tod und andere Befürchtungen beiseite lassen und den Wein herausholen; denn unwiderruflich flieht die Zeit und besser ist es den Tag so zu ergreifen, wie er gekommen ist, schließlich könnte es der letzte sein. In diesem Sinne lässt Ho- raz in seinem wahrscheinlich berühmtesten Gedicht97 anraten: »[…] dum loqui- mur, fugerit invida/ aetas. carpe diem [...].«98

Zeig dich weise und klug, kläre den Wein, hoff nicht auf Zukunftsglück, denk ans Heute vielmehr! Feindlich entflieht hier beim Gespräch die Zeit:

Greif dir lieber den Tag, schenk kein Vertraun dem, der erst morgen kommt!99

Mit einem solchen Lebensentwurf kann allein der Weise leben, denn er ist inner- lich frei. Da das Innere als Empfindungsart, die ›mens‹, nach griechisch-römi- scher Auffassung das Zentrum der menschlichen Existenz bildet, ist der Weise weitgehend auch äußerlich frei. Er gehört nur sich selbst und lebt leidenschafts- los in der Welt, er ist keines andern eigen. Marcus Tullius Cicero (106 - 43 v. Chr.) schrieb, als er die Grundfragen der Ethik in libri quinqu e d e finibu s bo- norum et malorum behandelte, über den philosophischen und lebenserfahrenen Menschen:

[...] nur der Weise allein versteht, Alles zu benutzen; mit Recht nennt man ihn schön, denn die Züge der Seele sind schöner als die des Körpers; mit Recht allein frei, denn er ist weder der Herrschaft eines Andern unterwor- fen, noch fröhnt er seinen Begierden. (§ 76) Mit Recht heisst er unüber- windlich, denn wenn auch sein Leib in Fesseln geschlagen wird, so können doch seinem Geiste keine angelegt werden.100

Der Weise ist, wie Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr. - 65 n. Chr.) in seinen phi- losophischen Lehrbriefen schreibt, sich begnügend und sich selbst genügend: »Se contentus est sapiens.«101

Mit Achtsamkeit sich verbindende Leidenschaftslosigkeit ist im Buddhismus102 eine ebenso unabdingbare wie zugleich erlernbare Charaktereigenschaft auf dem Weg zur Befreiung, zum ›Nirvāna‹, dem unbeschreiblich wunderbaren Verlö- schen jeglicher geistigen Unruhe.103 Was in buddhistischen Texten als ›samacitta‹ oder ›avikkhepa‹, als ›Gleichmut‹, bezeichnet wird, entsteht keineswegs in Ver-bindung mit dem von Rudolf Otto beschriebenen Gefühl der ›Allrealität‹104; es entsteht aus dem Empfinden, nichts, überhaupt nichts zu sein:

[...]


1 Küng, Hans: Zum christlich-buddhistischen Dialog. Vorwort zu: Brück, Michael von/ Whalen Lai: Buddhismus und Christentum. Geschichte, Konfrontation, Dialog. München: C. H. Beck 1997. S. 21.

2 Ebd. Vgl. auch: Küng, Hans: Weltpolitik und Weltethos: Status quo und Perspektiven (erweiter- te Fassung des Vortrags vom 14. März 2001). Mit einem Vorw. von Hubert Christian Ehalt Wien: Picus-Verlag 2002.

3 Deutsches Wörterbuch. Zuerst hg. von Gerhard Wahrig (1966), neu hg. von Renate Wahrig- Burfeind. München: Bertelsmann Lexikon, 22000. ›heilig‹, S. 612.

4 Ebd.

5 Aussage von dem zeitgenössischen Publizisten und Lyriker Anton G. Leitner (geb. 1961). In: »Göttlicher Schein. Heilige Gedichte«: Anton G. Leitners literarische Ideen und Produktionen – Weßling auf der Buchmesse. In: Sonntagsblatt. Evangelische Wochenzeitung für Bayern. Mün- chen, 14. und 15. 04. 2002.

6 Kuschel, Karl-Josef: Literatur und Religion. In: Wörterbuch des Christentums. Hg. von Volker Drehsen, Hermann Härig, Karl-Josef Kuschel und Helge Siemers. München: Orbis, 2001. S. 733 f.

7 Cancik-Kirschbaum, Eva: Religionsgeschichte oder Kulturgeschichte? Über das Verhältnis von Kunst und Religion im Alten Orient. In: Kunst und Religion. Studien zur Kultursoziologie und Kulturgeschichte. Hg. von Richard Faber und Volkhard Krech. Würzburg: Königshausen & Neumann 1999. S. 118. Es soll nicht verschwiegen werden, dass Alf Christophersen in der 2000 veröffentlichten Be- sprechung dieser Gemeinschaftsarbeit zu dem Schluss kam: »Der Sammelband hinterläßt einen ambivalenten Gesamteindruck.« Christophersen, Alf: Zur Verhältnisbestimmung von Kunst und Religion. Rezension von Richard Faber und Volkhard Krech (Hg.): Kunst und Religi- on. Studien zur Kultursoziologie und Kulturgeschichte. In: IASLonline. Ins Netz gestellt am 11. 04. 2000. Geändert am 24. 11. 2003. Absatz 12. URL: <http://iasl.uni- muenchen.de/rezensio/liste/christo2.htm>. Datum des Zugriffs: 03. 03. 2007.

8 Das Ende dieses Zeitabschnittes lässt sich auch in dem Jahr 1917 sehen; denn mit dem Ein- griff Vereinigten Staaten von Amerika in den Weltkrieg ereignete sich der Zusammenbruch ebender Epoche, in welcher Europa im Zentrum der Weltgeschichte stand.

9 Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. 1 - 3. Zweite und vermehrte Auflage. Leipzig: Felix Meiner, 1923. Bd. 2, ›Schopenhauer (Wille) I‹, S. 94.

10 Ebd.

11 Schlaffer, Heinz: Die kurze Geschichte der deutschen Literatur. München/ Wien: Carl Hanser, 2002. S. 21.

12 Zum Hintergrund des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses siehe 1.3. (S. 9 ff.)

13 Sie kann als selbstständige Wissenschaft definiert werden oder aber als Forschungsrichtung der psychologischen Wissenschaften (siehe 2.1.3., S. 19 ff.).

14 Kritisch betrachtet werden muss unter anderem eine deutliche Parteilichkeit in der Darstel- lung, die sich darin niederschlägt, dass Otto einerseits den ›Höhengrad‹ und die »Überlegen- heit« der christlich-theistischen »Gottesidee« hervorhebt, andererseits das ›Abstoßende‹ des ›Primitiven und Naiven‹. Die Grundannahmen einiger Begrifflichkeiten bleiben unhinterfragt und die Grenzen der Möglichkeit, auf rationalem Wege Erkenntnisse über das Irrationale zu gewinnen, werden nicht überdacht. (Vgl. Otto, Rudolf: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. München: C. H. Beck, 2004. S. 1, 81 und 155.) Ausführlicher zu diesem Thema der Punkt 2.1.3.3.2.2. (S. 27 f.).

15 Cancik-Kirschbaum, Eva: Religionsgeschichte oder Kulturgeschichte? Über das Verhältnis von Kunst und Religion im Alten Orient. In: Kunst und Religion (1999), S. 118. (S. o.)

16 Coughlan, John G.: Religion unter dem Aspekt von Beziehung. Entwurf einer relationalen Reli- gionstheorie. Diss., Johann-Wolfgang-Goethe-Universität zu Frankfurt am Main 2004. S. 125 (Zusammenfassung einer auf Bubers Anthropologie gründenden relationalen Religionstheorie).

17 Bauer, Franz J.: Das ›lange‹ 19. Jahrhundert. Profil einer Epoche. Stuttgart, Philipp Reclam, 2004. S. 13.

18 Ebd., S. 14.

19 Ebd.

20 Ebd., S. 15.

21 Schulz, Andreas: Lebenskunst und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert. Mün- chen: R. Oldenburg, 2005 (In: Enzyklopädie deutscher Geschichte. Hg. von Lothar Gall u. a. Bd. 75). S. 8.

22 Ebd., S. 9.

23 Martini, Carlo Maria/ Eco, Umberto: Woran glaubt, wer nicht glaubt? Aus dem Italienischen von B. Kroeber/ K. Pichler. Mit einem Vorw. von Franz König. Wien: Paul Zsolsany, 1998. S. 11.

24 Holznagel, F.-J./ Kemper, H.-G./ Korte, H./ Mayer, M./ Schnell, R./ Sorg, B.: Geschichte der deutschen Lyrik. Stuttgart: Reclam, 2004. S. 7 (›Vorwort‹).

25 Ebd.

26 Ursprünglich ein Ausspruch von dem evangelischen Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti (geb. 1921) in Zärtli c hk e it und Sc hm e rz . Noti ze n. Darmstadt/ Neuwied 1979.

27 Rezension von: Stiebert, Klaus. In: Theologische Literaturzeitung, Band 115. Leipzig: Evange- lische Verlagsanstalt, 1990. Sp. 531 ff.

28 Wenn der Urtext des Neuen Testamentes in seiner Formulierung aufschlussreich sein sollte, wird die Ausgabe von Eberhard und Erwin Nestle herangezogen: Novum Testamentum Graece et Latine. Textum Graecum post Eberhard et Erwin Nestle communiter ediderunt Kurt Aland et alii. Textus Latinus Novae Vulgatae Bibliorum Sacrorum Editioni debetur. Deutsche Bibel- gesellschaft: Stuttgart, 271993.

1 Heyne, M.: ›heilig‹. In: Deutsches Wörterbuch. Hg. von Jacob und Wilhelm Grimm, Karl Wie- gand, Rudolf Hildebrand u. a. und der ›Arbeitsstelle des D e ut sche n Wört e rbuc hes zu Berlin‹. Bd. 1 - 16 & Quellenverzeichnis. Leipzig: S. Hirzel, 1854 - 1954. Bd. 4, Abt. 2 (Lfg. 10, 4: ›heben‹ - ›helfwurz‹; 1871), Sp. 828.

2 Deutsches Wörterbuch (zuerst hg. von G. Wahrig [1966], neu hg. 22000), ›heilig‹, S. 612.

3 Miskotte, Kornelis Heiko: ›numinos‹. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart (3RGG). Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Bd. 1 - 12. Dritte, völlig neu bear- beitete Auflage. In Gemeinschaft mit Hans von Campenhausen, Erich Dinkler, Gerhard Gloege und Knud E. Løgstrup herausgegeben von Kurt Galling. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1956 - 1965. Bd. 4, Sp. 1543 - 1545. Sp. 1543.

4 Otto (2004), S. 31.

5 Ebd., S. 134.

6 Deutsches Wörterbuch (zuerst hg. von G. Wahrig [1966], neu hg. 22000), ›heilig‹, S. 612.

7 Nach christlicher Auffassung wird ein Mensch nicht etwa ›heilig‹, sondern – als reflektiertes Individuum vermag er sich von seinem eigenen und die Mitmenschen von ihrem subjektiven Eindruck zu emanzipieren – er stellt durch seinen Lebenswandel allenfalls einen Verweis auf das Heilige dar. Das Wort Jesu »Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott, dem Einen.« (Mark. 10, 18; Luk. 18, 19; Mat. 19, 17) wird zur Unterstützung dieser Denkweise an- geführt. Allerdings spricht Jesus an anderer Stelle: »Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es.« (Joh. 13, 13) G. W. F. Hegel – wieder einmal in einer Verteidigung des ›Geistes‹ - stimmt jener christlichen Auffassung nicht zu: »Wer gegen den Heiligen Geist lügt, dessen Sünde kann nicht verziehen werden. Das Lügen aber gegen den Geist ist eben dies, daß er nicht ein allgemeiner – nicht ein heiliger – sei; d.h. daß Christus nur ein Getrenntes, Abgesondertes sei, nur eine andere Person als diese Person, nur in Judäa gewesen, oder auch jetzt noch ist, aber jenseits, im Himmel, Gott weiß wo, nicht auf wirkliche, gegenwärtige Weise in seiner Gemeinde. Wer von der nur endlichen, nur menschlichen Vernunft, den nur Schranken der Vernunft spricht, der lügt ge- gen den Geist; denn der Geist als unendlich, allgemein, sich selbst vernehmend, vernimmt sich nicht in einem Nur, in Schranken, im Endlichen als solchem [...].« Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Bd. 18 der Theorie-Werkausgabe), S. 95.

8 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832 - 1845 neu edierte Ausgabe (Theorie-Werkausgabe). Redaktion von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1979. Bd. 18 - 20: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 20, S. 2336 (Anm. 20 zu »Geheimnis«, Bd. 18, S. 316).

9 Eine Wendung, die von dem evangelischen Theologen Rudolf Karl Bultmann (1884 - 1976) des Öfteren zur Charakterisierung ›Gottes‹ verwendet wurde, wahrscheinlich aber schon in der Scholastik entstanden ist.

10 Dies meint einen Menschen, der durch seine Worte, Werke und sein Charisma auf das ›Heili- ge‹ verweist. Vgl. Anm. 7, S. 15.

11 Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk. Bd. 1 - 5. Hg. von Karl Friedrich Wilhelm Wander. Leipzig: F. A. Brockhaus, 1867/ 1870/ 1873/ 1876/ 1880. Re- print: Augsburg: Weltbild, 1987. Bd. 2, ›heilig‹, S. 461.

12 Ebd.

13 Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Altes und Neues Testament. Hg. v. den Bi- schöfen aus Deutschland, Österreich, Schweiz, Luxemburg, Lüttich Bozen-Brixen. Stuttgart: Katholische Bibelanstalt, 1980. 1. Kor. 2, 13.

14 Lao-Tse: Tao Tê King. Aus dem Chinesischen übersetzt und kommentiert von Victor von Strauss. Bearbeitung und Einleitung von W. Y. Tonn. Zürich: Manesse, 1959. S. 99.

15 Ebd., S. 102.

16 Lanczkowski, Günter: ›Heilig und profan, religionsgeschichtlich‹. In: 3RGG, Bd. 3, Sp. 146 - 148. Sp. 147.

17 Ebd.

18 Wenzel, Bettina: ›Heilig‹. In: Encarta® Enzyklopädie, Professional (2003). Microsoft Corpora- tion 1993 - 2002.

19 Schleiermacher, Friedrich: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Veräch- tern. Hamburg: Felix Meiner, 1958 (Philosophische Bibliothek, Bd. 255). S. 138.

20 Eliade, Mircea: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 1957. S. 12 (Kursivdruck vom Autor).

21 Ebd. (Kursivdruck vom Autor)

22 Ebd.

23 In: Chips from a German Worship. London 1867.

24 Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Leben, Werke und Lehren der Denker. Berlin: Mittler, 1912. ›Müller, Max‹, S. 483.

25 Spiegelberg, Frederic: Die lebenden Weltreligionen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1997. S. 57.

26 Ebd., S. 17.

27 Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Band 1 und 2. Zweite, völlig neu be- arb. Auflage. Berlin: Mittler, 1904. Bd. 2, ›Religionsphilosophie‹, S. 266.

28 Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Bd. 18 der Theorie-Werkausgabe), S. 347.

29 Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Bd. 1 und 2. Aus den Quellen zusammen- getragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und Antiquitäten unter Berücksich- tigung der besten Hilfsmittel ausgearbeitet von Karl Ernst Georges. Unveränderter Nachdruck der achten verbesserten und vermehrten Auflage von Heinrich Georges. Darmstadt: Wissen- schaftliche Buchgesellschaft, 1998 (Reprint dieser Ausgabe in Hannover: Hahnsche Buchhand- lung, 1913 - 1918). Bd. 2, ›profanus‹, S. 1960.

30 Eisler (1904), Bd. 2, ›Religionsphilosophie‹, S. 266.

31 Holsten, Walter: ›Phänomenologie der Religion‹. In: 3RGG, Bd. 5, Sp. 322 - 324. Sp. 323.

32 Spiegelberg (1997), S. 533.

33 Wörterbuch Psychologie. Von Werner D. Fröhlich. München: Deutscher Taschenbuch, 242002. ›Religionspsychologie‹, S. 376.

34 Von Rudolf Otto als Übersetzung von »majestas« und als ›Moment des Numinosen‹ vorgestellt: Otto (2004), S. 22 ff.

35 Wörterbuch Psychologie (2002), ›Trance‹, S. 446.

36 Dies meint einen Menschen, der durch seine Worte, Werke und sein Charisma auf das ›Heili- ge‹ verweist. Vgl. Anm. 7, S. 15.

37 Zu den häufig wiederkehrenden literarischen Themen oder thematischen Andeutungen, die als ›gesund‹ und ›natürlich‹ betrachtet werden, zählen Wandlungen der Persönlichkeit, die von ei- ner bestimmten Sittlichkeit geleitet werden, psychomentale Entwicklungen im Rahmen be- stimmter Weltbilder, Bekehrungen und tief erleichternde Bekenntnisse.

38 Trillhaas, Wolfgang: ›Religionspsychologie‹. In: 3RGG, Bd. 5, Sp. 1021 - 1025. Sp. 1023 f.

39 »Im engl.-amerik. Sprachgebrauch hat sich ›mind‹ (Bewußtsein, Verstand) gegenüber ›soul‹ (Seele) klar durchgesetzt.« Wörterbuch Psychologie (2002), ›Seele‹, S. 395.

40 Trillhaas, Wolfgang: ›Religionspsychologie‹. In: 3RGG, Bd. 5, Sp. 1021 - 1025. Sp. 1022.

41 Seine ›radikal empirische Methode‹ machte er zum Zentrum der wissenschaftlichen Betrach- tung in den E ss ay s in radical Empirism, die 1912 posthum herausgegeben wurden.

42 Wildermuth, Bernd: William James. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Bd. 1 - 23. Hg. von Friedrich-Wilhelm Bautz (Bd. 1 und 2) und Traugott Bautz (Bd. 3 - 23). Hamm: Traugott Bautz, 1990 (Bd. 1 & 2) / Herzberg: Traugott Bautz, 1992 - 2004. Bd. 2, Sp. 1524 - 1534. Sp. 1525.

43 Smith, John Edwin: ›Vereinigte Staaten von Amerika (USA) III: Religionsphilosophie im 19. und 20. Jh.‹. In: 3RGG, Bd. 6, Sp. 1299 - 1304. Sp. 1301.

44 James, William: The varieties of religious experience. Introduction by John E. Smith. Cam- bridge/ Massachusetts: Harvard University Press, 1985. S. 34.

45 1773 - 1843; Philosophieprofessor in Heidelberg und Jena, wegen Teilnahme am Wartburgfest gemaßregelt (1817), 1824 wieder Professor.

46 1780 - 1849; ein maßgebendes Werk des 1822 als Professor für praktische Theologie nach Ba- sel berufenen Alttestamentlers, Üb e r R e ligion und T he ologi e, erschien ein Jahr vor der Beru- fung nach Basel.

47 Wünsch, Georg: Rudolf Otto. In: 3RGG, Bd. 4, Sp. 1749 f. Sp. 1749.

48 Aus dem Untertitel des in 2.1.3.3.2.1. (s. u.) zusammengefassten Buches.

49 Eliade (1957), S. 7.

50 Huncke, Wolfram: Rudolf Otto: Das Heilige. In: Kindlers neues Literatur-Lexikon (KnLL). Hg. von Walter Jens. Bd. 1 - 21. Kindler: München 1988 - 1996. Bd. 12, S. 824 f. S. 825.

51 »Seele ist die Wirklichkeit unseres leiblichen, zeitlichen und gemeinsamen Auf-der-Welt- Seins.« Uslar, Detlev von: Was ist Seele? Würzburg: Könighausen & Neumann, 1999. S. 10.

52 Otto (2004), S. 123.

53 Ebd., S. 13

54 Ebd.

55 Epischer Dichter unter Domitian (51 - 96 n. Chr.), Verfasser von s ilva e, einer T heb ai s und ei- ner unvollendeten Ac hill e i s.

56 Thebais III, 661. Statius, Publius Papinius: Thebais. Hg. von A. Klotz und Th. Klinnert. Leipzig: Teubner, 1973. S. 109.

57 Von Otto besprochen: Otto (2004), S. 8 ff.

58 Otto (2004), S. 42.

59 Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift (1980), Weish. 11, 24 - 26.

60 Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift (1980), 1. Joh. 4, 16.

61 Otto (2004), S. 31.

62 Ebd. (Kursivdruck vom Autor)

63 Huncke: Rudolf Otto: Das Heilige. In: KnLL, Bd. 12, S. 824 f. S. 825.

64 Otto (2004), S. 138 (Bindestrich vom Autor).

65 Otto (2004), S. 1.

66 Ebd., S. 1 und S. 75.

67 Ebd., S. 75. Vgl. auch S. 171 und 194.

68 Ebd., S. 200 f. (Kursivdruck vom Autor).

69 Vgl. Geyser, Joseph: Intellekt oder Gemüt? Münster: Schöningh, 1921. S. 14, 18 f., 21 und 23.

70 Otto, Rudolf: West-östliche Mystik: Vergleich und Unterscheidung zur Wesensdeutung. Gotha: Klotz, 1926. S. 383 ff.

71 Otto (2004), S. 60 ff.

72 Splett, Jörg: Die Rede vom Heiligen. Über ein religionsphilosophisches Grundwort. Freiburg/ München: Karl Alber, 1971. S. 46.

73 Vgl. Otto (2004), S. 16 f.

74 Ebd., S. 36.

75 Dies meint einen Menschen, der durch seine Worte, Werke und sein Charisma auf das ›Heilige‹ verweist. Vgl. Anm. 7, S. 15.

76 Mitunter nannte Jung sie auch – in Anlehnung an seine Arbeit über die Assoziation von Wörtern und die Untersuchungen, wie Patienten auf Reizwörter reagieren – ›Komplexe Psy- chologie‹.

77 »Offen bleibt die Frage, ob ein durch seine Metaphorik interessanter, ansonsten aber unopera- tionalisierbarer Begriff wie Seele in der Psychologie verwendet werden sollte, nur weil er in der griechischen Fassung dem ganzen Fach den Namen gegeben hat.« Wörterbuch Psycholo- gie (2002), ›Seele‹, S. 395.

78 Jung, Carl Gustav: Symbole der Wandlung. Analyse des Vorspiels zu einer Schizophrenie. Aus- gew., vierte, umgearb. Aufl. Zürich: Rascher, 1952. S. 42.

79 Jung, Carl Gustav: Aion. Beiträge zur Symbolik des Selbst. Solothurn/ Düsseldorf: Walter (Son- derausgabe), 1995. S. 14.

80 Abrahamson, Marta: C. G. Jung: Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten. In: KnLL, Bd. 8, S. 963 f. S. 963.

81 Heine, Heinrich: Werke und Briefe in zehn Bänden. Hg. von Hans Kaufmann. Berlin/ Weimar: Aufbau, 21972. Bd. 5, S. 230 (Zur G esc hi c ht e d e r R e ligion und Philo s ophi e in Deutschland).

82 Brück/ Whalen Lai (1997), S. 201.

83 Die erste Auflage mit einem Umfang von über 3000 Druckseiten hat Neumann in den Jahren 1896 - 1902 herausgegeben. Die 1956 f. bei Artemis und Paul Zsolnay erschienene Neuauflage wird in der vorliegenden Arbeit verwendet.

84 Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift (1980), Joh. 14, 2.

85 Ebd., Joh. 20, 17. »›Halte mich nicht fest [...]‹«: Maria hatte sich vermutlich Jesus zu Füßen geworfen und diese umfasst oder umfassen wollen (vgl. Mt. 28, 9).

86 Ebd., Ex. 3, 14.

87 Ebd., Joh. 16, 28.

88 Ebd., Eph. 4, 6.

89 Ebd., 2. Petr. 1, 5.

90 Paulus an die um das Jahr 50 von ihm gegründete Gemeinde in Philippi. Novum Testamentum Graece et Latine (271993); Phil. 3, 20.

91 Plotin: Die Enneaden. Band 1 und 2. Übersetzt von Hermann Friedrich Müller. Berlin: Weid- mann, 1878/ 80. Bd. 2, S. 154 (F ue nft e Ennead e. Unt e rsuchung e n üb e r den Intellect und das Int e lligibl e ) .

92 Plotin (hg. 1878/ 80), Bd. 2, S. 272 ( Sechste En ne ad e. On t ologi sche Unt e r suchu ng e n) .

93 Boethius: Die Tröstungen der Philosophie. Übersetzt von Richard Scheven. Leipzig: Philipp Re- clam jun., o. J. S. 63.

94 Klassisches Sanskrit und Pāli: ›samacitta‹ (sama [adj] ›gleich, gleichmäßig‹, ›leidenschaftslos‹; citta [n] = ›Gemüt, Bewusstsein‹, der feinste Aspekt des antahkarana‹).

95 Lateinisch ›indifferentia‹, ›aequanimitas‹, ›tranquilitas‹.

96 Horaz: Werke in einem Band. Hg. von Manfred Simon. Aus dem Lateinischen übersetzt von Manfred Simon und Wolfgang Ritschel. Berlin/ Weimar: Aufbau, 31990. S. 195.

97 Carmen I, 11; veröffentlicht 23 v. Chr.

98 Q. Horati Flacci Opera. Iterum recognovit Fridericus Klingner. Lipsiae in aedibus Teubneri MCML. S. 13.

99 Horaz (31990), S. 13.

100 Des Marcus Tullius Cicero fünf Bücher über das höchste Gut und Übel. Übersetzt, erläutert und mit einer Lebens-Beschreibung versehen von J. H. von Kirchmann. Leipzig: E. Koschny, 1874. S. 204 f. (Ende des dritten Buches: Kap. XXII).

101 Epist. Mor. 9, 13. Seneca ad Lucilium epistulae morales. With an English translation by Richard Gummere. London: William Heinemann LTD/ Camebridge & Massachusetts: Harvard University Press, MCMLIII. S. 50.

102 In dieser Arbeit sind nicht ausreichend Raum und Gelegenheit, auf verschiedene philosophi- sche Richtungen einzugehen. Mit ›Buddhismus‹ sind im Wesentlichen die Lehren Gautama Śākyamunis gemeint, zumeist auch, was das Māhāyana lehrt (Lotos-Sūtra, Prajñā-Pāramitā- Sūtra).

103 Diese Aussage über die Leidenschaftslosigkeit bezieht sich auch auf hinduistische Schulen; die hinduistische Bhakti-Gemeinde des Rāmānuja beispielsweise bezeichnet die Leidenschaftslo- sigkeit als tyāga (›völliges Sichlassen‹). Überdies wird auch in der Bhagavadgītā das ›nirvāna‹ als ›brahmā-nirvāna‹, als ›transzendentales Bewusstsein‹ genannt; in den Upanishaden wird von ›turīya‹ gesprochen. Wegen der Konzentration auf die für die Gedichtinterpretation rele- vanten Begriffskategorien wurden der indische Yoga, die katholische Mystik sowie andere spi- rituelle Schulen in diesem Absatz und in der Überschrift des Abschnittes nicht genannt.

104 Otto (2004), S. 24. Vgl. dazu auch 2.2.3. und 4.1.1. (Ende).

Ende der Leseprobe aus 233 Seiten

Details

Titel
Die Erfahrung des Numinosen
Untertitel
Eine religionspsychologische Studie zur deutschen Lyrik von Novalis bis Meyer
Note
magna cum laude
Autor
Jahr
2008
Seiten
233
Katalognummer
V119710
ISBN (eBook)
9783640231539
ISBN (Buch)
9783640231706
Dateigröße
1745 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erfahrung, Numinosen
Arbeit zitieren
PhD Alexander Lohse (Autor:in), 2008, Die Erfahrung des Numinosen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119710

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