Informationsveranstaltungen i.S.d. Betriebsverfassung und die Europäische Sozialcharta

Eine Umgehung des Arbeitskampfrechts durch Betriebsräte?


Seminararbeit, 2008

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Rechtsstellung des Betriebsrates im deutschen System der Mitbestimmung
a.) Das Arbeitskampfrecht der BRD
b.) Das Arbeitskampfrecht der Europäischen Sozialcharta ....

III. Die Durchführung von Abteilungs- und Betriebsversammlungen nach § 43 BetrVG in besonderen Situationen
a.) Eine Umgehung des Arbeitskampfrechts? .
1.) Der Streik als Bestreben des BR kann ausgeschlossen werden
2.) Die Situation der Betriebsratsmitglieder aus soziologischer Sicht
b.) Besondere Situationen erfordern besondere Informationsrechte

IV. Garantierte Informationsrechte durch die europäische Sozialcharta
a.) Die Auslegung der Art. 21 und 29 ESC – grammatische Auslegung
b.) Systematische Auslegung
c.) Teleologische Auslegung

V. Die Reaktion des Managements – eine Erklärung

VI. Zusammenfassung

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Ebenso kann ein jeder leicht in Zorn geraten (...). Das Wem, Wieviel, Wann, Wozu und Wie zu bestimmen, ist aber nicht jedermanns Sache und ist nicht leicht.

Aristoteles, Nikomachische Ethik

Zumindest in Hinblick auf das deutsche Arbeitskampfrecht lässt sich die Frage des Aristoteles scheinbar einfach beantworten: Gewerkschaften dürfen unter definierten Umständen „in Zorn geraten“, d.h. streiken, der Betriebsrat darf es unter keinen Umständen. Komplexität kommt jedoch dadurch ins Spiel, dass den Belegschaften jenseits des offiziellen und von Gewerkschaften getragenen Arbeitskampfes eine ganze Reihe von Möglichkeiten offen stehen, ihren Unmut auch ohne Verband unmittelbar und kollektiv zum Ausdruck zu bringen. Soweit ist der einschlägigen Literatur recht zu geben. Ganz und gar unbefriedigend ist dabei jedoch, dass die dabei in Betracht kommenden Motive der handelnden Akteure auf Betriebsratsseite übertrieben verallgemeinert werden und dabei auch dessen Recht eingeschränkt werden soll, Betriebsversammlungen und Abteilungsversammlungen abzuhalten. Dieses Recht soll ausgerechnet dann nicht gelten, wenn die Beschäftigten Informationen am dringendsten benötigen – im Zusammenhang mit betrieblichen Umwälzungen. Insbesondere die Literaturmeinungen zu entsprechenden Ereignissen bei DaimlerChrysler[1] und Opel verdeutlichen dies.[2] Besonders unverdrossen tut sich hier Rieble hervor, welcher sich zu der Vorstellung versteigt, es handele sich um „Aufstände“,[3] welchen mit Mitteln des Strafrechts und durch Staatsanwälte zu begegnen sei.

Der vorliegende Aufsatz wird deshalb eine differenziertere Betrachtungsweise herausarbeiten. Dabei wird zu zeigen sein, dass die kritische Fraktion der einschlägigen Literatur in multipler Weise die Prämissen verkennt, welche für eine sachgerechte Betrachtung zu Grunde zu legen sind. Dies führt konsequenterweise zu Schlussfolgerungen, die auch und zuallererst in juristischer Hinsicht fehlerbehaftet sind. Zusätzlich lassen sie jedoch auch ein oberflächliches Verständnis ökonomischer und soziologischer Zusammenhänge in modernen Betrieben erkennen.

Nach einer kurzen Umrahmung des Themenfeldes im nun folgenden Kapitel wird zunächst dargelegt, dass aus zwingend logischen Gründen nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die Intention der Betriebsräte der Arbeitskampf sei, selbst wenn sich das im Blätterwald der Boulevardmagazine so darstellt. Dass die Informationsrechte gerade dann gefragt und legitimiert sind, wenn besondere betriebliche Ereignisse ins Haus stehen ist anschließend zu zeigen. Zum Schluss folgt eine kurze Betrachtung aus Sicht der Europäischen Sozialcharta. Interessanterweise wird in diesem Kontext von Kritikern des eingeschränkten Streikrechts stets auf Art. 6 (4) ESC verwiesen. Fruchtbarer scheinen jedoch Normen der ESC, die bislang in der Debatte vernachlässigt wurden und gleichwohl eine Verwehrung der Informationsrechte nicht gestatten.

II. Die Rechtsstellung des Betriebsrates im deutschen System der Mitbestimmung

Ein hervorstechendes Merkmal deutscher Mitbestimmungskultur ist natürlich der dualistische Charakter.[4] Gewerkschaft und Betriebsrat haben zwar eng verwobene aber doch unterschiedliche geschichtliche Hintergründe.[5] Und so können auch die Rechtsgrundlagen nicht dieselben sein. Während sich die betrieblichen S ozialpartner auf das e i nfachgesetzliche Betriebsverfassungsgesetz stützen, beruht der Charakter der Tarifpartner auf Art. 9 III Grundgesetz. Die Unterschiede zur Mitbestimmungskultur anderer Länder sind dabei vielfältig.[6] Sie scheinen auch bei der Europäischen Sozialcharta durch, so dass manche schon eine neue Arbeitskampfordnung am Horizont sehen.[7] Die arbeitsteilige Zusammenarbeit der Sozialpartner auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene ist ein maßgeblicher Grund dafür, dass Deutschland trotz vergleichsweise einfluss- und mitgliederreicher Gewerkschaften mit die geringsten Streiktage aufweist.

a.) Das Arbeitskampfrecht der BRD

Nach § 74 (2) BetrVG sind Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig.[8] Sie haben Maßnahmen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebes beeinträchtigt wird.[9] Dazu gehört schon nach dem Wortlaut nicht nur der Streik.[10] Diese einfachgesetzliche aber doch klare Absage an betriebliche Akteure, eigenhändig und ohne Gewerkschaften Arbeitskämpfe einzuleiten, ist im europäischen Kontext keineswegs selbstverständlich.[11] Einer solchen Friedenspflicht ist es jedoch mutmaßlich mit zu verdanken, wenn sich zwischen den betrieblichen Sozialpartnern oftmals eine konstruktive Gesprächskultur entwickelt. Ultima ratio der Betriebsparteien sind nicht Streik und Aussperrung sondern vielmehr die Einigungsstelle nach § 76 BetrVG.[12] Davon abgesehen ist das Arbeitskampfrecht in Deutschland ganz überwiegend in der Rechtsprechung entwickelt worden.[13]

b.) Das Arbeitskampfrecht der Europäischen Sozialcharta

Eine andere Sprache spricht da die von Deutschland ratifizierte europäische Sozialcharta. Auszugsweise heißt es in Art. 6 Abs. 4 ESC:

"Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, (...) und anerkennen, das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen."

Die so lautende Norm setzt ganz offensichtlich weniger enge Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Arbeitskampf als dies das deutsche Arbeitskampfrecht vorsieht. So hat sich der Regierungsausschuss der ESC hinsichtlich der Differenzen des Art. 6 Abs. 4 ESC und der deutschen Arbeitskampfregeln denn auch eine Meinung gebildet. Diese hat er auf dem formal vorgesehenen Wege dem für die Überwachung der ESC zuständigen Ministerkomitee des Europarates als Stellungnahme übermittelt. Demnach sei es mit Art. 6 Abs. 4 ESC unvereinbar, dass in der Bundesrepublik alle Streiks verboten sind, die nicht von einer Gewerkschaft ausgerufen und auf den Abschluss eines Tarifvertrages gerichtet seien. Das Ministerkomitee hat diese Anregung übernommen und 1998 eine sogenannte „individuelle Empfehlung“ an Deutschland ausgesprochen, diese Diskrepanz zu berücksichtigen und auch die in anderen EU-Ländern verbreitete Ausgestaltung des Streikrechts als individuelles Freiheitsrecht zu bedenken.[14]

Diese Empfehlung mag bedingt durch die prominente Autorenschaft eine gewisse Autorität haben, bindend ist sie für die Bundesrepublik jedoch nicht. Wie aus dem Anhang zur ESC Teil III hervorgeht, enthält die ESC nur rechtliche Verpflichtungen internationalen Charakters.[15] Die Bundesregierung hat sich sogar dagegen ausgesprochen. [16]

[...]


[1] Seit 4.10.2007 wieder Daimler AG

[2] Z.B. Vogel, Andreas, BB 2004 „Die erste Seite“ der Nr. 48

[3] Die Anführungszeichen stammen von Rieble selbst, diese Abschwächung sei ihm zugute gehalten. Davon abgesehen liest sich sein Aufsatz allerdings wie ein Gutachten für einen Industriebaron zu Beginn der Industrialisierung. Vgl. Rieble, Volker, RdA 2005, S. 212

[4] WWKK Vorbem. Rn 9f.

[5] Vgl. nur FESTL Einl. Rn 7 ff.

[6] Vgl. Zachert, Ulrich, NZA 2001, S. 1045.

[7] Vgl. grundlegende Analyse: Buchner, Herbert, BB Beil. 2008, S. 6-11. Europäische Prozesse dauern aber freilich an, wie Zachert schon 2000 zutreffend bemerkte. Ihm zufolge ist das europäische Arbeitskampfrecht „nach wie vor ein unfertiges Bauwerk mit vielen Lücken“, ein Satz, der auch durch neuere Entwicklungen wie die Viking / Laval-Urteile nichts an Aktualität eingebüßt hat. Zachert, Ulrich NZA 2000, S. 622.

[8] Gemeint ist nur die Institution Betriebsrat. Das einzelne Gremiumsmitglied kann selbstverständlich in seiner Eigenschaft als Gewerkschaftsmitglied an einem von dieser organisierten Streik teilnehmen. Vgl. ausführlicher dazu: Däubler , 2006, S. 463ff.

[9] WWKK Vorbem. Rn 9. / Vgl. ferner Ruoff, BB 1997, S. 2483. Zum Spannungsverhältnis Krummel, Christoph, BB 2002, S. 1418.

[10] Siehe dazu die umfassende Übersicht von Walther Müller-Jentsch, 1997, 38 ff.

[11] So auch Zachert, Ulrich, NZA 2001, S. 1045

[12] FESTL, § 74 Rn 11 ff.

[13] Hanau / Adomeit, 2006, Rn 272

[14] Vgl. dazu Däubler, AuR 1998, 154 ff.

[15] Vgl. zur Geltung internationaler Abkommen bzw. insb. der ESC Leinemann, Wolfgang, 1996, 471ff.

[16] Vogel, Andreas, BB 2004, „Die erste Seite“ Nr. 48.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Informationsveranstaltungen i.S.d. Betriebsverfassung und die Europäische Sozialcharta
Untertitel
Eine Umgehung des Arbeitskampfrechts durch Betriebsräte?
Hochschule
Universität Hamburg  (Department für Wirtschaft und Politik)
Veranstaltung
EU-Verfassungsrecht I
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V119023
ISBN (eBook)
9783640225613
ISBN (Buch)
9783640227211
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Informationsveranstaltungen, Betriebsverfassung, Europäische, Sozialcharta, EU-Verfassungsrecht
Arbeit zitieren
Sarah von Leiden (Autor:in), 2008, Informationsveranstaltungen i.S.d. Betriebsverfassung und die Europäische Sozialcharta, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119023

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