„Böse Räume“ in Stephan Kings „Friedhof der Kuscheltiere“

Eine Raumanalyse und Interpretation des Romans mit Schwerpunkt auf Grenzziehung innerhalb der Räume


Hausarbeit, 2005

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Vorüberlegungen

2 Lotmans Raumsemantik angewandt auf Kings Werk
2.1 Die ersten zwei antagonistischen Räume und ihre Grenze
2.2 Die zwei antagonistischen Räume und ihre Grenze im „zweiten Teil“
2.3 Die Grenzüberschreitung
2.4 Affirmativer oder revolutionärer Schluss?

3 Die Bedeutung des Tierfriedhofs hinter dem Haus der Creeds

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

1 Vorüberlegungen

Ich werde mich mit Stephen Kings Roman „Friedhof der Kuscheltiere“ befassen. Der Roman aus der populären Literatur fällt in vielen Beziehungen unter das Genre der Phantastik. Allerdings ist die Struktur der Raumsemantik eher simple und nach der Raumstruktur eines „realistischen“ und modernen Märchens gerichtet.

In dieser Hausarbeit soll es nun darum gehen, die Raumstruktur, die wir in „Friedhof der Kuscheltiere“ vorfinden, zu analysieren und zu interpretieren. Hierbei werde ich mich an der „Richtlinie“ für die Raumstruktur in Erzählungen von Lurij Lotman orientieren. Dieser vertritt die Meinung, die Menschen neigen im Allgemeinen dazu, sich abstrakte Relationen räumlich vorzustellen. Somit werde ich im Folgenden den Roman auf die vier Kriterien von Lotman überprüfen. Hierbei wird jeder einzelne Punkt spezifisch und genau betrachtet, um sie später untereinander in Beziehung zu setzen. Mir erschien im Weiteren wichtig, einen besonderen Blick auf den Raum hinter Louis Haus, bzw. den Tierfriedhof, zu werfen. Gerade in dieser Betrachtung des Raumes fällt dieser Ort und seine Aufgabe in dem Geschehen durch seine „Nicht-Zugehörigkeit“ besonders in Auge. Deshalb erschien es mir lohnenswert, ihn aus den vorherigen Betrachtungen komplett auszuschließen, um ihn im Anschluss gesondert und speziell zu betrachten.

Neben der Analyse steht natürlich auch die Frage nach einer Interpretation. Was möchte Stephen King uns mit der Raumstruktur und dem Roman sagen? Was versteckt sich hinter der Raumsemantik? Kann man über die Raumstruktur weiter zwischen den Zeilen lesen? Mit all diesen Fragen habe ich mich beschäftigt und versucht, Antworten darauf zu finden. Ich habe sie gefunden. Allerdings möchte ich auch noch betonen, dass ich mich hier auf einige Theorien der Literaturwissenschaft berufe und sie nach meiner eigenen Interpretation auf Stephen Kings Roman anwende, was somit natürlich nicht zu einer absoluten Antwort führen kann. Ich möchte überzeugen und nicht meine Meinung und Interpretation aufzwingen.

2 Lotmans Raumsemantik angewandt auf Kings Werk

Der Roman „Friedhof der Kuscheltiere“ von Stephen King ist von der Struktur her so aufgebaut, wie ein modernes und realistisches Märchen, was sich anhand der Raumsemantik von Jurij Lotman gut beschreiben lässt. Lotman geht davon aus, dass die Menschen sich abstrakte Relationen räumlich vorstellen. Opositionspaare wie oben-unten, hoch-niedrig, gut-schlecht, rechts-links, sterblich-unsterblich, etc., helfen den Menschen auf der Ebene der rein ideologischen Modellbildung die Wirklichkeit zu deuten.[1] Deshalb ist das erste seiner vier Kriterien zur Minimalbeschreibung einer Erzählung, das sich Gegenüberstehen zweier antagonistischer Räume, die jeweils ein abstraktes Motiv darstellen. Es ist möglich, dass es innerhalb dieser Räume Orte gibt, an denen sich die Darlegung des Motivs zentriert, was man innerhalb des Raumes den Extremraum nennt. Wichtig ist, dass die antagonistischen Räume durch eine unüberwindbare Grenze von einander getrennt sind, was das zweite Kriterium ausmacht. Weiter muss ebendiese Grenze von dem Protagonisten mindestens einmal überwunden werden, damit man von einer Erzählung sprechen kann. Der Akt des Überschreitens der Grenze ist das „Ereignis“ der Erzählung. Als vierter und letzter Punkt muss es am Ende als Folge des Übertritts zur Änderung (revolutionärer Schluss) oder zur Bestätigung (affirmativer Schluss) der Ausgangssituation kommen.[2] Ausgehend von diesen Kriterien soll die Raumanalyse im oben genannten Text durchgeführt werden.

2.1 Die ersten zwei antagonistischen Räume und ihre Grenze

Mit Stephen Kings „Friedhof der Kuscheltiere“ liegt uns ein Meisterwerk zum Fürchten vor. Eine grausige Atmosphäre scheint durch das Aufschlagen des Buches den Leser einzuhüllen. Er entschwindet in ein Reich, das der heutigen Realität skurrilerweise verblüffend ähnlich ist, um sich später selbst dabei zu ertappen, wie er die Grenzen der Vernunft und der Moderne in Frage stellt. Der Roman fällt inhaltlich in das Genre der Phantastik, allerdings lehnt sich seine Struktur und sein Aufbau an die eines modernen und „realistischen“ Märchens an.

Ich werde im Folgenden untersuchen, welchen Einfluss die Räumlichkeiten auf die Struktur und die Wirkung auf den Leser im Roman „Friedhof der Kuscheltiere“ hat.

Zu Beginn sei gesagt, dass nach A.D. Aleksandrov der Raum definiert ist als „die Gesamtheit homogener Objekte (Erscheinungen, Zustände, Funktionen, Figuren, Werte von Variablen u. dgl.), zwischen denen Relationen bestehen, die den gewöhnlichen räumlichen Relationen gleichen (Ununterbrochenheit, Abstand u. dgl.). Wenn man eine gegebene Gesamtheit von Objekten als Raum betrachtet, abstrahiert man dabei alle Eigenschaften dieser Objekte mit Ausnahme derjenigen, die durch die gedachten raumähnlichen Relationen definiert sind.“[3] Auch wenn sich diese Definition in erster Linie auf die Mathematik und Physik bezieht, stellt sie durchaus auch in der Literaturwissenschaft die Möglichkeit dar, Begrifflichkeiten, die eigentlich nicht der räumlichen Natur zugehörig sind, in ein Modell des Raumes, in diesem Falle in die Raumsemantik, einzubetten. Dies führt dazu, dass eine genauere Betrachtung der Räume in Kings Werk durchaus lohnenswert ist. Bevor ich mit der Raumanalyse beginne, muss ich den Roman allerdings in zwei Teile trennen, die jeweils unabhängig von einander untersucht werden und später dann in Relation zueinander gesetzt werden sollen. Die Grenze der beiden Teile ist hierbei das erstmalige Auftauchen, also das erstmalige Erwähnen des Micmac Friedhofs.

Betrachten wir nun die zwei Räume, die sich im ersten Teil gegenüberstehen. Die unheilbringende Straße, die die Kleinstadtidylle stört und schon in den ersten Seiten des Romans als „verdammt“[4] dargestellt wird, steht für die räumlich-semantische Grenze. Sie trennt Juds Haus von dem der Creeds. Man könnte auch sagen, dass sie das alte Amerika von dem neuen Amerika trennt. Jud personifiziert das alte Amerika. Allein sein Alter, was unendlich höher erscheint als es in Realität ist, bestätigt dies. Allerdings ist auch er die Verbindung zu alten Geschichten, alten Traditionen, alten Mythen. Er ist der Wegweiser zu dem Tierfriedhof hinter Luis Haus und er ist später der Schlüssel zum Micmac-friedhof. Er lebt schon sein ganzes Leben in Ludlow und kennt darüber hinaus anscheinend die gesamte Entstehungsgeschichte und was in all diesen Jahren vorgefallen ist. Der Mann wirkt weise und allwissend, allerdings auch bedächtig und ruhig, fast wie ein Beobachter, was ihm schnell die Sympathien der Creeds und im Speziellen die von Louis einbringt. Dieses alte Amerika wird auch noch durch die Krankheit seiner Frau Norma zum Ausdruck gebracht. Sie leidet unter Polyarthritis, eine Krankheit die auf konnotativer Ebene sofort die Assoziation „alt“ hervorruft. Jud und seine Frau Norma leben in diesem Sinne das alte System und stehen als Extremraum in dem einen Raum, dem man das Klassem +[alt] zuordnen kann.

Wenden wir nun den Blick auf den zweiten Raum, auf das zweite, das neue Amerika, welches sich auf der anderen Seite der Route 15 befindet und durch Louis und seine scheinbare „Bilderbuch“-Familie personifiziert wird. Louis steht für das Moderne, den Fortschritt und das Rationale. Er hat sich der Medizin verschworen und übt den Beruf des Arztes aus. Als Arzt ist er selbst die Aufklärung und jegliche Art bzw. jeglicher Glaube an Übernatürliches steht auf der anderen Seite seiner Welt - oder seines Raumes. Zu ihm gehört seine hübsche Frau Rachel, seine aufgeweckte kleine Tochter Ellie und sein jüngster Sohn Gage. Der liebenswürdige Kater vervollständigt die kleine, moderne Familie. Demnach ist es auch nicht überraschend, dass diese Kleinfamilie den Namen Creed = Glaube trägt und sich somit ganz klar einer Weltordnung, nämlich der göttlichen/gesitteten, unterwirft. Dass sich die Begrifflichkeit des Glaubens in diesem Fall auf die Kirche bezieht und nicht etwa als Vorrausdeutung der Geschichte dient, zeigt sich anhand eines weiteren Namens: Der Kater heißt „Churchill“ und wird als Kurzform einfach nur „Church“ gerufen. Hierbei gelingt es Stephen King eine schon sarkastisch wirkende Ironie aufzubauen, wenn man bedenkt, dass der Kater, also die Kirche, als erstes in den Bann der Micmacs gerät. Dennoch ist diese Namensgebung zu Beginn doch in erster Linie als Zeichen der modernen, aufgeklärten Familie zu sehen, die das neue Amerika vertritt und das moderne System lebt. Sie verkörpern also den Extremraum „ihres“ Raumes, den man unter dem Klassem +[neu] oder aber auch -[alt] zusammenfassen kann. Es verwundert auch nicht, dass diese Familie nun in ein altes Haus im neuengländischen-Kolonialstil zieht, was auf den ersten zwei Seiten erwähnt wird. Das alt/neue perfekte Familienhaus mit viel Grünfläche für die Kinder wurde zwar renoviert und erneuert, aber das alte Grundgemäuer ist dasselbe und somit auch unweigerlich unter der Fassade mit der Vergangenheit verbunden.[5] Sie ziehen also in ein Haus, das vom Anschein her in ihre neue, reelle und moderne Welt passt, allerdings auf der Basis des Vergangenen existiert und somit auch eng mit dieser verbunden ist.

Auf diesen Seiten wird auch schon ein Vorgriff auf die Handlung gemacht, in dem auf den juristischen Prozess um die dahinter liegenden Felder, „die fast bis in die Ewigkeit reichten“, hingewiesen wird. Es handelt sich um ein Gebiet, das sowohl der Staat als auch die Überlebenden des Indianerstammes der Micmac beanspruchen wollen. Somit wird auch hier der Konflikt zwischen neu und alt angedeutet.

[...]


[1] Jurij Lotman: Die Struktur in literarischen Texten, S. 313

[2] Protokoll zur Sitzung am 28.06.05, Proseminar 3 Literaturwissenschaft: Phantastische Literatur

[3] Jurij Lotman: Die Struktur literarischer Texte, S 312

[4] Stephen King: Friedhof der Kuscheltiere, S.24

[5] Vgl. hierzu auch Lovecrafts „The rats in the wall“, in dem das Haus noch weiter personifiziert wird, und der Konflikt mit Neuaufbauten von Häusern mit altem Grundgerippe noch genauer herausgearbeitet ist.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
„Böse Räume“ in Stephan Kings „Friedhof der Kuscheltiere“
Untertitel
Eine Raumanalyse und Interpretation des Romans mit Schwerpunkt auf Grenzziehung innerhalb der Räume
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
17
Katalognummer
V118652
ISBN (eBook)
9783640224159
ISBN (Buch)
9783640224630
Dateigröße
453 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Räume“, Stephan, Kings, Kuscheltiere“
Arbeit zitieren
Anna Ritte (Autor:in), 2005, „Böse Räume“ in Stephan Kings „Friedhof der Kuscheltiere“ , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118652

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