Raufen und Kämpfen - Eine gewaltpräventive Maßnahme?


Seminararbeit, 2008

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1 Definitionen und Aggressionsmodelle
1.1 Definition von Aggression, Gewalt und Gewaltprävention
1.1.1 Definition von Aggression
1.1.2 Definiton von Gewalt
1.1.3 Definition von Gewaltprävention
1.2 Aggressionsmodelle
1.2.1 Triebtheorien
1.2.2 Frustrations-Aggressions-Hypothese
1.2.3 Lerntheoretische Erklärungen
1.2.4 Anomietheorie
1.2.5 Etikettierungstheorie
1.2.6 Sozialökologischer Ansatz
1.3 Resümee

2 Wirkt Raufen und Kämpfen aggressionsfördernd?
2.1 Fallbeispiele
2.2 Projekt: Gangs
2.2.1 Spielablauf
2.2.2 Studentenmeinungen
2.3 Resümee

Literatur

Vorwort

„Ich weiß nicht, ob ich meinen André hier lassen soll, bei euch geht es ja wild zu!“, äußerte die Mutter meines Freundes mit Stirnrunzeln, als sie das Treiben auf meinem 8. Geburtstag beobachtete. Diese Worte schnappte ich eher zufällig auf, als ich kurz am Rand des Kampfschauplatzes um Luft rang. „Wieso sollte sie ihn denn nicht da lassen, das hier ist doch völlig normal?“, dachte ich mir noch, bevor ich mich wieder ins Getümmel stürzte. Ich packte mir einen meiner Freunde und riss ihn zu Boden, fünf andere warfen sich auf uns, die Prügelei war in vollem Gang und wir liebten es. Es gab kaum einen Schultag, an dem es keine Rauferei gegeben hätte, aber die Geburtstage waren unsere absoluten Highlights. Wir nutzten jede Gelegenheit, uns zu bekämpfen, den anderen niederzuringen und uns auf dem Boden zu wälzen. Ob wir uns dabei verletzten? Ich kann mich nicht daran erinnern, aber wenn, dann kann es nicht so schlimm gewesen sein, denn unsere Eltern versuchten gar nicht erst, uns zu stoppen. Ich meine mich zu erinnern, wie meine Mutter an meinem besagten 8. Geburtstag ihrer besorgten auswärtigen Freundin (sie kannte solche Raufereien einfach nicht) mit einem Schmunzeln versicherte, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche, da wir, wenn wir uns erst einmal ausgetobt hätten, ganz friedliche Jungen seien.

Das stimmte, wir waren eine tolle Truppe, zwanzig Jungs und fünf Mädchen, zusammen in einer Klasse einer kleinen Dorfgrundschule. Die meisten von uns kannten sich schon vom Kindergarten her und jeder war akzeptiert. Es war wirklich so, jeder hatte seine Rolle, sein Talent, seine Eigenart, wofür er gemocht wurde. Da waren die ganz Cleveren, die Starken, der Stärkste, die Clowns und Chaoten. Jeder hatte irgendwie seinen Platz, um den er sich keine Sorgen zu machen brauchte, man durfte so sein, wie man war. Das änderte sich schlagartig mit dem Einstieg in die Realschule. Auf einmal war man nicht mehr sicher, alles war anders und besonders mir fehlte etwas – das Kämpfen. So etwas gab es plötzlich nicht mehr. Andere Mitschüler ärgerten sich, stichelten und machten fiese Bemerkungen, aber niemand warf sich auf den anderen, kämpfte mit ihm, errang einen Sieg oder eine Niederlage und klärte so die Situation. Den alten, mir wohl bekannten „Wolfsrudelweg“ gab es nicht mehr. Er war der, meiner Meinung nach, „friedlichere Weg“ und funktionierte, ohne dass es jemals jemand so festgelegt hätte, folgendermaßen: Wer verliert, sollte lieber vorsichtiger sein mit dem, was er sagt und wer gewinnt, braucht nicht länger auf einem Schwächeren herumzu- trampeln, denn er weiß ja, dass er ihm überlegen ist und der andere weiß es auch. Aus meiner Erinnerung weiß ich, wie hart diese Zeit für mich war. Ich konnte nicht mit den angriffslustigen Zungen von kleinen Giftzwergen umgehen. Ich denke besonders an zwei Mitschüler. Sie erlaubten sich alles und hätten ein riesiges Gezeter gemacht, wenn man ihnen auch nur ein Haar gekrümmt hätte. Oft war ich den Tränen nahe und zu Hause ließ ich ihnen freien Lauf. Meine Eltern erkannten mich kaum wieder, aus ihrem sonst so fröhlichen und selbstbewussten Sohn war ein Häufchen Elend geworden, ohne Orientierung, wehrlos, überfordert mit den neuen Bedingungen. An diese hatte ich mich dann aber nach etwa einem Jahr gewöhnt. Mein Bizeps wurde nicht mehr gebraucht, dafür war mein Mundwerk jetzt besser trainiert. Schlagfertige Antworten und ein Panzer aus Ignoration und Gelassenheit wurden zu meinen neuen Waffen. Ich hatte mein Verhalten den neuen Bedingungen angepasst und je sicherer ich mir wurde, um so seltener wurden die Versuche, sich einen Spaß mit mir zu erlauben. Aus Feinden wurden Freunde und meine Welt war wieder in Ordnung.

Warum erzähle ich all das? Wozu all die persönlichen Einzelheiten? Sie sind der Grund, weshalb mich das Phänomen Raufen und Kämpfen fasziniert und interessiert. Im Allgemeinen sehen heutige Eltern es nicht gerne, wenn sich ihre Kinder balgen. Pädagogen kritisieren oft das aggressive Verhalten der heutigen Kinder und Jugendlichen und verbieten es unter Strafe, miteinander zu raufen. In der Psychologie gibt es haufenweise Bücher, die sich mit dem Thema Gewaltprävention und Aggression beschäftigen. Dabei scheint jede körperliche Auseinandersetzung als grundsätzlich schlecht und primitiv zu gelten. Es gibt auch genügend Gründe, so zu denken. Gebrochene Nasen, Blut und Knochenbrüche stammen nun mal nicht von Wortgefechten, sondern von echten körperlichen Auseinandersetzungen. Unterdrückung, Tyrannei, Willkür werden in Schlägereien und im Großen betrachtet, in Kriegen am besten sichtbar. Aber genau hier wird das Problem der Gewalt und Verletzungen missverstanden. Denn nicht nur was blutet und anschwillt, tut weh, sondern auch das, was mitten ins Herz trifft: Die unsichtbaren, aber oft hörbaren verbalen Schläge, die das Selbstvertrauen eines Menschen vernichten und große offene Wunden zurücklassen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich hier noch vorab klarstellen, dass ich weder für Gewalt noch gegen Kommunikation bin. Im Gegenteil, ich bin für ein friedliches Zusammenleben und Menschen, die sich verstehen und ihre Angelegenheiten so regeln, dass sie Freunde bleiben oder sogar werden können. Aber ich stelle die Frage nach dem Wie? Wie kann so etwas geregelt werden? Ganz provokant frage ich: Warum nicht auf dem sichtbaren Weg, der oft weitaus schmerzfreier und bereinigender ist als der krampfhafte Versuch mit zwei Achtjährigen, die einen Streit haben, eine kognitive Lösung zu finden, die doch nicht ihre Lösung ist.

Ich spreche aus Erfahrung und bin sehr positiv beeinflusst. Vielleicht halte ich so viel vom Kämpfen, weil ich einer der Starken war, vielleicht habe ich andere unterdrückt, ohne es gemerkt zu haben, vielleicht hat das Raufen und Kämpfen keinerlei Vorteile gegenüber den verbalen Kämpfen und Präventionsmaßnahmen und vielleicht bergen beide Seiten eine begrenzte, aber nützliche Art und Weise der Gewaltprävention? Ich bin bereits jetzt von Letzterem überzeugt und hoffe, diese gegensätzlichen Ansätze in dieser Hausarbeit in eine angemessene, begründete Relation zu setzen.

Einleitung

Was bringt uns Raufen und Kämpfen? Da gibt es viele Antwortmöglichkeiten und Erklärungsansätze, doch die Auffassung, die am weitesten verbreitet ist, lautet wohl: Raufen und Kämpfen ist eine gewaltpräventive Maßnahme. Wie bitte? Kämpfen soll Gewalt verhindern, ist das nicht ein Paradox? Die Antwort lautet Jein, obwohl es dieses Wort in der deutschen Sprache eigentlich nicht gibt. Ja, aggressive Kinder und Jugendliche, die das Kämpfen erschmecken, können durchaus dadurch um so eher Streit anzetteln, weil sie sich ihrer Stärke und Überlegenheit durch die gezielten Übungsstunden bewusst werden. Somit würde Raufen und Kämpfen die Gewalt also fördern. Andererseits lautet die Antwort: nein, das Bedürfnis zu kämpfen ist ohnehin, besonders bei Jungen, von Natur aus angelegt. Das Raufen und Kämpfen in einer Gruppe bietet die Möglichkeit, dieses Bedürfnis auf faire Weise und in einem geregelten Rahmen auszuführen. Beide Seiten sind zu bedenken und wir bewegen uns auf dünnem Eis, wenn wir dazu neigen, entweder die eine oder die andere Auffassung zu verabsolutieren. Es ist keine einfache Angelegenheit, eine wirkliche Wertung vorzunehmen, bevor man sich nicht ausgiebig mit dem Thema beschäftigt hat. Deshalb werde ich im folgenden Kapitel zunächst eine theoretische Abhandlung zum Thema Aggression, Gewalt und Gewaltprävention vornehmen. Dazu gehören auch einige der verschiedenen Aggressionsmodelle, die im Laufe der Zeit entstanden sind. Zu den einzelnen Modellen werde ich jeweils erklären, inwieweit Raufen und Kämpfen gewaltpräventiv wirken kann. Im zweiten Kapitel werde ich dann anhand eines Fallbeispiels und einer bereits gehaltenen Stunde auf die Frage eingehen, inwieweit und ob Raufen und Kämpfen überhaupt Aggressionen verursacht. Das Thema der gesamten Arbeit behandelt also nicht die Frage, was Raufen und Kämpfen ist oder wie es zu funktionieren hat, sondern konzentriert sich lediglich darauf, inwieweit Raufen und Kämpfen gewaltpräventiv wirkt.

1 Definitionen und Aggressionsmodelle

1.1 Definition von Aggression, Gewalt und Gewaltprävention

Im Folgenden werden die Begriffe Aggression, Gewalt und Gewaltprävention definiert. Dabei ist zu beachten, dass es bezüglich der beiden erstgenannten Begriffe unterschiedliche Meinungen in der Wissenschaft gibt. „Während die Auffassung vertreten wird, es handele sich bei Aggression und Gewalt um Synonyma, richten sich andere (häufigere) Überlegungen auf eine Differenzierung (allerdings mit wechselnden Oberbegriffen).“[1] Zum Beispiel wählen Busch und Todt (1998) den Gewaltbegriff als Überkategorie, da ihrer Meinung nach Gewalt kaum einzugrenzen ist und verschiedene Phänomene erfasst. Jäger (1999) schließt sich dieser Haltung an. Im Gegensatz dazu steht Valtin (1995), für den Gewalt als eine Unterkategorie von Aggression zu betrachten ist, die sich in eine gegenüber anderen Menschen gerichtete Gewalttätigkeit und in einen Vandalismus (Schädigung von Sachen) differenzieren lässt.[2]

In dieser Arbeit benötigen wir jedoch keine Kategorisierung dieser Art. Ich schließe mich vielmehr Nolting (1999) an, der auf den Unterschied von aggressiven Verhaltensweisen und aggressiven Emotionen hinweist. Denn nicht jede aggressive Emotion bringt eine aggressive Handlung mit sich. Oder ganz einfach Ausgedrückt: Nicht jedes Gefühl von Wut, Ärger und dem inneren Drang, etwas zu zerstören, resultiert zwangsläufig auch in der für alle sichtbaren gewalttätigen Ausführung dieses Wunsches.

1.1.1 Definition von Aggression

Etymologisch wird das Wort „Aggression“ vom lateinischen Wort „aggredior“ abgeleitet. Dieses Wort hat fünf unterschiedliche Bedeutungen:

a) heranschreiten, sich nähern
b) sich (an einen Ort) begeben
c) sich an jmd. wenden
d) angreifen, überfallen
e) etw. beginnen, unternehmen[3]

In diesem Sinn des Wortes weist nur eine Bedeutung, nämlich die des Angreifens und Überfallens, auf unsere heute überwiegende Verwendung des Begriffs hin. Ursprünglich liegt den anderen vier Bedeutungen des Wortes einfach die Fähigkeit des Menschen zugrunde, ein Ziel zu verfolgen und hat in diesem Sinne keine negativen Nebenbedeutungen. Folglich gibt es eine weite und eine enge Definition des Wortes. Bach und Goldberg (1974) schreiben, dass mit Aggression jedes Verhalten gemeint ist, das im Wesentlichen das Gegenteil von Passivität und Zurückhaltung darstellt. Dies würde jedoch bedeuten, dass jeder aktive Mensch aggressiv wäre. Es ist also vernünftig, den engeren Begriff zu wählen, der „sich eher am Schaden und der Intention der Schädigung“[4] orientiert. Nolting (2004: 24) definiert Aggression als eine Handlung, mit der eine Person eine andere Person zu verletzen versucht oder zu verletzen droht, unabhängig davon, was letztlich das Ziel dieser Handlung ist.

In Bezug auf das Thema Sport im Allgemeinen und besonders beim Raufen und Kämpfen ist es nun wichtig zu bedenken, dass das Konkurrenzverhalten keinesfalls mit einer sozialen Schädigung gleichgesetzt werden darf. Auch gibt es im Sport ein Bezugssystem von Regeln und Normen, das sich je nach Sportart unterscheidet. So haben Rugbyspieler andere Vorstellungen von einem „normalen“ Spielverhalten als zum Beispiel Basketballer. Das Zu- Boden-Rammen eines Gegners wird von ersteren als gute Leistung anerkannt, während es bei den Basketballern als aggressives Verhalten verurteilt werden würde. „Deshalb kann eine Handlung im Sport erst dann als aggressiv bezeichnet werden, wenn die Ziele nicht mehr mit den Normen vereinbar sind, die von den Akteuren als für sie verbindlich angesehen werden.“ (Gabler 2002: 112) Wenn wir nun in Betracht ziehen, dass die goldene Regel des Raufens und Kämpfens lautet: „Verletze niemals deinen Gegner, füge ihm keine Schmerzen zu“, dann können wir anhand der oben genannten Definitionen mit Bestimmtheit sagen, dass Raufen und Kämpfen, korrekt angewandt, niemanden verletzen will und somit auch nicht als aggressiv eingestuft werden darf. Auch wenn zwei unterschiedliche Kräfte oder, anders ausgedrückt, Gewalten gegeneinander agieren, bedeutet das nicht, dass es „gewalttätig“ zu geht.

1.1.2 Definiton von Gewalt

Wieder einmal handelt es sich um unterschiedliche Bedeutungen desselben Wortstammes. Gewalten können als positive Machtinstanzen verstanden werden. So wie die in Deutschland durch die Gewaltenteilung geregelte Machtverteilung im Allgemeinen als etwas Gutes betrachtet wird, spricht man auch mit Staunen von den Naturgewalten beim Anblick der Niagarafälle. Gewalt an sich hingegen hat besonders in Deutschland eine negative Bedeutung. In der englischen Sprache gibt es hier zwei Wörter, die den Begriff Gewalt in eine positive und eine negative Bedeutung unterteilen. Power steht für eine gute Kraft (demokratische Regierung, Gott) während violence die zerstörerische, gewalttätige Bedeutung des Wortes trägt.[5] Dieser negative Gewaltbegriff lässt sich weiter in zwei Kategorien unterteilen, die beide für unser Thema interessant sind.

[...]


[1] Rausch 92 (2006)

[2] vgl. ebd.

[3] vgl. Pons

[4] Stärk 8 (2007)

[5] Melzer 52 (2004)

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Raufen und Kämpfen - Eine gewaltpräventive Maßnahme?
Hochschule
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg  (Sport)
Veranstaltung
Raufen und Kämpfen im Sportunterricht
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V118624
ISBN (eBook)
9783640220533
ISBN (Buch)
9783640222865
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit hat ihre Stärke darin, dass absolut rund und von Anfang bis Ende aufeinander Abgestimmt ist. Zu Anfang wird die Theoretische Seite des Themas Bearbeitet und im zweiten Teil wird eine praktisch abgehaltene Stunde analysiert und bewertet.
Schlagworte
Raufen, Kämpfen, Eine, Maßnahme, Raufen, Kämpfen, Sportunterricht
Arbeit zitieren
Jonas Weinmann (Autor:in), 2008, Raufen und Kämpfen - Eine gewaltpräventive Maßnahme?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118624

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