Re-Joyce. Einheitsstiftende Momente in James Joyces "Dubliners"


Essay, 2005

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Thematische Zusammenhänge
1.1. Autobiographische Einheit
1.2. Gesellschaftliche und historische Einheit

2. Einheitsstiftende Motivik und Symbolik
2.1. Paralysis, gnomon und simony
2.2. Teufelskreis der Grundmotive
2.2.1. Der Kreis – zyklische Bewegung und Struktur
2.2.2. Exil – Ausbruchsversuche aus dem Kreis der Paralyse

3. Dubliners als Erzählzyklus

Bibliographie

Einleitung

James Joyces Erzählsammlung Dubliners wurde im Jahre 1914 erstmals in Buchform veröffentlicht, obgleich 14 der darin enthaltenen Geschichten bereits in den Jahren 1902 bis 1906 fertig gestellt worden waren. Ursprünglich sollten die Geschichten in der Zeitschrift The Irish Homestead abgedruckt werden, doch war die Resonanz der Leser auf die kritische Haltung des Autors gegenüber Irland und Dublin und den negativen Tenor zunächst ausgesprochen schlecht[1]. Ein weiteres Hindernis, das der Veröffentlichung von Joyces erstem bedeutendem Werk entgegen stand, war die Furcht der Verleger und Drucker vor der Zensur. Insbesondere wegen der politischen Erzählung Ivy Day in the Committee Room befürchteten sie eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung und auch die verwendete Sprache erschien ihnen teilweise als unanständig[2]. Durch die Vermittlung von Ezra Pound, der sich gegen den allgemeinen Vorwurf der Morbidität des Werkes äußerte, gelang Joyce schließlich doch noch die Publikation[3]. Bedingt durch die Verzögerung von beinahe einem Jahrzehnt kam zu den ursprünglichen Erzählungen noch eine weitere hinzu, und zwar die 1907 entstandene Geschichte The Dead, die sich formal und stilistisch etwas von den anderen abhebt.

Aus literaturwissenschaftlicher Sicht macht eine typologische Einteilung von Dubliners gewissen Schwierigkeiten. Ein plot im klassischen Sinne ist kaum feststellbar. Die Geschichten sind statisch, verfügen teilweise über keinen Spannungsbogen und wollen sich – unter anderem wegen ihrer elliptischen Konstruktion – nicht recht in die übliche Vorstellung von Kurzgeschichten einfügen. Hugh Kenner et al. schlagen daher vor, das Werk eher als eine „multi-faceted novel“ zu betrachten[4].

Obgleich sich das vorliegende Essay vorrangig mit der Frage beschäftigen möchte, inwieweit Dubliners als Kurzgeschichtensammlung gemeinsamen Inhalts oder episodenhafter Roman im Sinne entsprechender literaturwissenschaftlicher Definitionen zu betrachten ist, will es einheitsstiftende Momente und Motive der Erzählungen herausarbeiten, um die Zugehörigkeit der einzelnen Geschichten zu einem Ganzen näher zu beschreiben und zu erhellen[5].

1. Thematische Zusammenhänge

Die Frage nach gemeinsamen Hintergründen auf thematischer Ebene der Erzählungen ist der erste, da naheliegendste Untersuchungsgegenstand. Im Folgenden wird zunächst demonstriert, welche autobiographischen, gesellschaftlichen und politischen Hintergründe sich auf das Gesamtwerk Dubliners auswirkten.

1.1. Autobiographische Einheit

James Joyces Bruder Stanislaus stellte in erster Linie die realen Hintergründe der Erzählungen heraus und verwehrte sich eher gegen tiefer gehende und zu sehr psychologisierende, bzw. symbolistische Interpretationen im Frühwerk des Autors[6]. Es ist wohl auch unbestritten, dass der Grundplan vieler Erzählungen auf autobiographischen Ereignissen beruht. So verweist Stanislaus Joyce z.B. auf eine reale Begebenheit, die der Erzählung An Encounter zugrunde liegt. Ähnlich wie der Protagonist und Mahony hatten auch der junge Joyce und sein Bruder eine Begegnung mit einem sonderbaren (anscheinend perversen) älteren Mann, als sie an einem Morgen die Schule schwänzten[7]. Über dieses Beispiel hinaus lassen sich zahlreiche andere biographisch motivierte Erzählmomente herausstellen. Nicht zuletzt orientierte sich Joyce auch bei der Wahl seiner Figuren stark an real existierenden Personen in seinem Umfeld. Für James Duffy in A Painful Case soll Stanislaus selbst Pate gestanden haben. Die Geschichte sei – so James Joyce – ein imaginäres Porträt dessen, was sein Bruder in mittleren Jahren einmal werden würde und das zufällige Zusammentreffen Duffys mit einer Dame in einem Konzertsaal ist (wie viele andere Momente) Stanislaus’ Tagebuch entnommen[8].

Im Gegensatz zu Joyces autobiographischem Roman A Portrait of the Artist as a Young Man lässt sich bei Dubliners allerdings keine auf rein autobiographischen Begebenheiten basierende Einheit feststellen. Besagte Elemente tauchen – wie in den beiden Beispielen gezeigt – nur als vage Inspirationsquellen auf und zwischen den lebenswirklichen Augenblicken (etwa: Erlebnis des jungen James Joyce beim Schule schwänzen und Gemütszustand des älteren Stanislaus) kann keine Erzähleinheit des Gesamtwerkes festgemacht werden. Dies mag mit ein Grund sein, weshalb sich Ulrich Schneider und andere vehement gegen die von Stanislaus Joyce propagierte Orientierung am rein Biographischen in Dubliners erwehren und dessen Kritik an symbolistischen Deutungen anprangern[9]. Weil es sich – so der allgemeine Konsens – bei Dubliners überdies keinesfalls um ein bloß naturalistisches Frühwerk des jungen Joyce handelt, muss bei der folgenden Untersuchung auf jeden Fall auch die verwendete Symbolik berücksichtigt werden[10]. Hierin liegt mutmaßlich sogar ein Schlüssel für die Einheit des Gesamtwerkes. Um indes der berechtigten Kritik von Robert P. Roberts zu begegnen (der ebenfalls eine in der Joyce-Rezeption stattfindende übertriebene symbolistische Deutung beklagt[11] ) sei festgestellt, dass sich die Arbeit lediglich auf die Hervorhebung von wenigen Symbolen beschränken wird, die sich nachweisbar einheitsstiftend in vielen Erzählungen des Werkes wieder finden. Vor allen Dingen geht es um die Hervorhebung zusätzlicher, zwischen den Geschichten vermittelnder Sinnangebote, welche die Erzählungen über eine bloß naturalistische Abbildung der Stadt Dublin im mittleren 20. Jahrhundert erheben.

Bevor in 2. näher auf den symbolischen und motivischen Tiefgang der Geschichten eingegangen wird, sollen im Folgenden zunächst noch die gesellschaftlichen und historischen Bezüge zu den Erzählungen aufgezeigt werden. Sie erleichtern das Verständnis und sorgen für eine enge thematische Verknüpfung im Werk.

1.2. Gesellschaftliche und historische Einheit

Die Haltung Joyces zu seinem Heimatland ist ambivalent und schwer zu beschreiben. Obgleich er in einem nationalistisch gesinnten Haushalt als Sympathisant der Home-Rule-Bewegung des Charles Stuart Parnell (1846-1891) aufwuchs, hatte er zeitlebens große Zweifel daran, ob die irische Politik überhaupt einen Sinn habe. Diese Skepsis ging sogar so weit, dass er seinem Volk generell die Fähigkeit absprach, ein funktionierendes Gemeinwesen in Irland aufbauen zu können[12]. Seine pessimistische Haltung könnte dafür verantwortlich sein, dass dem Autor von Kritikern immer wieder ein „politisches Desinteresse [und] ahistorisches Bewusstsein“[13] vorgeworfen wurde. Spätestens nach der Lektüre von Dubliners muss man sich aber fragen, inwieweit die Anschuldigung zutreffend sein kann. Obwohl Anhänger der Home-Rule-Bewegung, weigerte sich Joyce, die Schuld für wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Miseren in Irland allein den englischen Besatzern zuzuschreiben. In der Geschichte Ivy Day in the Commitee Room wird beispielsweise die Korruption der Nationalisten und die Mitschuld derselben an der gescheiterten Selbstverwaltungspolitik angeprangert. Ferner wird über die Einladung des englischen Königs nach Irland gesprochen – zwei eindeutige Hinweise auf die damals schon historische Kollaboration der Iren mit den Engländern sowie auch auf den Auflösungsbeschluss des (ebenfalls) korrupten Parlaments und der daraus resultierenden Union mit England im Jahre 1800 (United Kingdom of Great Britain and Ireland)[14]. Die Union führte nämlich unweigerlich dazu, dass das noch im 18. Jahrhundert einflussreiche, wohlhabende Dublin verwaiste und verarmte. Nachdem die Oberschicht nach London abgewandert war, wurde die kurzfristig durch das irische Parlament bereicherte Hauptstadt wieder zu einem elenden Provinzstädtchen mit großer Armut und gesellschaftlichem Stillstand[15]. Die von der Hungersnot verelendete ländliche Bevölkerung strömte in die Stadt hinein, ohne dort eine Beschäftigung zu finden und machte die Situation noch problematischer. Am wirtschaftlichen Aufschwung der Industrialisierung hatte Irland keinen Anteil. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts bildete sich im Zuge der zunehmenden Bürokratisierung eine kleinbürgerliche Schicht heraus, der beispielsweise auch die Familie Joyce angehörte. In eben dieser Gesellschaftsschicht spielen sich alle Erzählungen in Dubliners ab.

[...]


[1] Ellmann, Richard: James Joyce. The First Revision of the 1959 Classic. New York: Oxford University Press, 1982: 165.

[2] ebeda: 335 ff.

[3] Füger, Wilhelm. James Joyce. Epoche – Werk – Wirkung. München: C. H. Beck, 1994: 131.

[4] Kenner, Hugh. Dublin’s Joyce. New York: Columbia University Press, 1987: 48.

[5] zur Frage nach Kurzgeschichtensammlung oder Roman vgl. auch: Zöllner, Klaus. „Joyces 'Dubliners': Eine Sammlung von Kurzgeschichten oder ein Roman?“ in: Klein, Jürgen (Hg.). Studenten lesen Joyce. Interpretationen zum Frühwerk. Stephen Hero – Dubliners – A Portrait of the Artist as a Young Man. Essen: Die Blaue Eule, 1984: 99 ff.

[6] Reichert, Klaus / Senn, Fritz / Zimmer, Dieter E. (Hg.). Materialien zu James Joyces 'Dubliners'. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1969: 164.

[7] vgl. ebenda: 156.

[8] ebenda: 166.

[9] Schneider, Ulrich. James Joyce: 'Dubliners'. München: Wilhelm Fink Verlag, 1982: 19.

[10] Füger, 1994: 132.

[11] Roberts, Robert P. „'Araby' and the Palimpsest of Criticism; or, Through a Glass Eye Darkly”. In: Antioch Review 26 (1967): 470 ff.

[12] Ellmann, 1982: 257 f.

[13] Schneider, 1982: 27.

[14] Pierce, David. James Joyce’s Ireland. London : Yale University Press, 1992.

[15] vgl. Schneider, 1982: 28.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Re-Joyce. Einheitsstiftende Momente in James Joyces "Dubliners"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V118417
ISBN (eBook)
9783640216543
ISBN (Buch)
9783640216581
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dubliners, James Joyce, Irland, Home-Rule, Ivy Day in the Commitee Room;, A Painful Case, The Dead, Paralyse, An Encounter
Arbeit zitieren
Jan H. Hauptmann (Autor:in), 2005, Re-Joyce. Einheitsstiftende Momente in James Joyces "Dubliners", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118417

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