Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Grundschule

Exemplarisch aufgezeigt am Integrationskonzept einer 1. Grundschulklasse


Hausarbeit, 2008

119 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Integration von behinderten Kindern in die Grundschule
2.1 Begriffsklärung
2.1.1 Integration
2.1.2 Inklusion
2.1.3 Behinderung
2.1.4 Sonderpädagogischer Förderbedarf
2.2 Geschichtliche Entwicklung hin zur Integration
2.2.1 Geschichtlicher Überblick
2.2.2 Bedeutung des Sonderschulwesens
2.2.3 Entstehung und Weiterentwicklung des Integrationsgedankens
2.2.4 Integration heute
2.3 Schulische Integration
2.3.1 Integrative Erziehung und ihre Bedeutung für die Gesellschaft
2.3.1.1 Der pädagogische Sinn von Integration
2.3.1.2 Kinder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf
2.3.1.3 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf
2.4 Umsetzung schulischer Integration
2.4.1 Schulische Bedingungen
2.4.1.1 Formen des gemeinsamen Unterrichts
2.4.1.2 Zieldifferentes Lernen
2.4.1.3 Individualisierung des Unterrichts
2.4.1.4 Gemeinsamkeit in der Vielfalt
2.4.1.5 Nähe zwischen schulischer und außerschulischer Lebenswelt
2.4.1.6 Integrative Grundhaltung aller Beteiligten
2.4.1.7 Klassengröße und Zusammensetzung
2.4.1.8 Lernanregende und behindertengerechte Gestaltung von Schulraum und Schulgelände
2.4.1.9 Zwei-Pädagogen-System
2.4.1.10 Differenzierende Bewertung
2.4.1.11 Weitere Bausteine einer integrativen Didaktik nach Peter Heyer
2.4.2 Lehrerausbildung
2.4.3 Stellung der Eltern
2.4.4 Rechtliche Lage
2.5 Umsetzung der schulischen Integration in Bayern
2.5.1 Rechtliche Grundlagen in Bayern
2.5.1.1 Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen in Bayern
2.5.1.2 Lehrplan für die bayerische Grundschule
2.5.2 Der Bayerische Weg der Integration durch Kooperation
2.5.3 Verschiedene Formen der Integration
2.5.3.1 Öffnung der Förderschulen für Schüler ohne Förderbedarf
2.5.3.2 Kooperation zwischen Förderschulen und allgemeinen Schulen
2.5.3.3 Kooperationsklassen
2.5.3.4 Außenklassen
2.5.3.5 Mobiler Sonderpädagogischer Dienst (MSD)
2.5.3.6 Sonderpädagogische Beratungszentren
2.5.3.7 Einzelintegration
2.5.4 Politische Situation in Bayern
2.6 Umsetzung der schulischen Integration in Musterstadt
2.6.1 Außenklassen in Musterstadt
2.6.2 Integrationsklassen in Musterstadt

3 Integration in der Grundschule Xxx
3.1 Integrationskonzept der Grundschule Xxx
3.1.1 Entstehung der ersten Integrationsklasse
3.1.2 Finanzielle Unterstützung
3.1.3 Pädagogisches Konzept des Modellversuchs
3.1.3.1 Ziele des integrativen Unterrichts
3.1.3.2 Unterrichtsorganisation und Unterrichtsgestaltung
3.1.3.3 Integrativer Unterricht
3.1.4 Personelle und räumliche Gegebenheiten
3.1.4.1 Pädagogisches Personal
3.1.4.2 Klassenräume
3.1.5 Verlauf des Modellversuchs
3.1.6 Weiterentwicklung des Integrationsmodells
3.2 Integration in der Klasse 1c
3.2.1 Schüler der Klasse 1c
3.2.1.1 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf
3.2.1.2 Kinder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf
3.2.2 Pädagogisches Personal
3.2.3 Unterrichtsablauf
3.2.4 Förderungsmöglichkeiten
3.2.5 Helfersystem
3.2.6 Kooperation mit der vierten Klasse

4 Empirische Erhebungen in der Klasse 1c
4.1 Fragestellung
4.2 Zur Methode
4.2.1 Erhebungsinstrument
4.2.1.1 Die mündliche Befragung
4.2.1.2 Die schriftliche Befragung
4.2.2 Gegenstandsbenennung
4.2.2.1 Zeitraum der Erhebungen
4.2.2.2 Gegenstandsbereiche der Erhebungen
4.2.3 Durchführung
4.2.4 Auswertung
4.2.4.1 Auswertung der Befragung der Kinder
4.2.4.2 Auswertung der Elternbefragung
4.3 Ergebnisse der Studien
4.3.1 Ergebnisse der Befragung der Kinder der Klasse 1c
4.3.2 Ergebnisse der Befragung der Eltern der Kinder der Klasse 1c

5 Resümee

Tabellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

Nach dem Bildungsforscher Hans Wocken ist die „[…] Schule des 21. Jahrhunderts eine Schule der Vielfalt. Die Pluralität der Kinder umfasst prinzipiell alle Nationen, alle Religionen, alle sozialen Schichten, alle Begabungen, beide Geschlechter.“ (Wocken 2001, S. 8). Dazu gehören auch Kinder mit und ohne Behinderung.

Obwohl momentan viel über die Gerechtigkeit von Bildungschancen diskutiert wird, stellt die Sonderschule eine vergessene Schule dar. Selbst die PISA-Studien haben Sonderschüler trotz deren steigender Anzahl kaum beachtet. In Deutschland wird mittlerweile beinahe jeder zwanzigste Schüler in einer Sonderschule unterrichtet. Im Jahr 2003 waren es nach der Statistik der Kultusministerkonferenz 430.000 Kinder. Dies sind zehn Prozent mehr als Mitte der neunziger Jahre. 85 Prozent der Schüler, die im Regelunterricht „nicht oder nicht ausreichend“ gefördert werden können, lernen zusammen mit Kindern mit entsprechenden Problemen, wobei die Hälfte von ihnen eine Förderschule für Lernbehinderte besucht.

In einigen deutschen Bundesländern existieren zehn verschiedene Arten von Sonderschulen. Dies sind Schulformen, die es in anderen Ländern häufig nicht gibt. Der UN-Inspektor Vernor Munoz für das Recht auf Bildung attestierte Deutschland daher eine „Politik der Absonderung“. Auch deutsche Experten für Sonderpädagogik erheben die Forderung nach der Abschaffung des Sonderschulwesens; dieses sei unnötig, wenn die Regelschule einen guten Unterricht böte.

Hans Wocken hat in seinen Untersuchungen negative Effekte von Sonderschulen herausgestellt. Aufgrund des dort vorherrschenden, anregungsarmen Lernmilieus würden die Kinder umso dümmer, je länger sie blieben. 80 Prozent aller Sonderschüler verlassen die Schule ohne einen Abschluss. Daraus folgt, dass sie meistens keinen Arbeitsplatz bekommen, sich stigmatisiert fühlen und somit erneut von der Gesellschaft ausgegrenzt werden.

Wocken sieht als einzige Lösung die Integration von Förderschülern in die Regelschule. Er fordert, alle Kinder mindestens bis zum Ende der sechsten Klasse gemeinsam in einer Schule zu unterrichten. Dort solle jedes Kind, gemäß seinen Fähigkeiten in der Gemeinschaft, in Kleingruppen oder in der Einzelförderung lernen (vgl. Taffertshofer 2007, http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/artikel/659/134404/).

Auch Jutta Schöler ist der Meinung, dass es eine Schule für alle geben sollte, da Kinder mit Behinderung zur Normalität unseres Lebens gehören (vgl. Schöler 1991,

S. 39). Dennoch ist der Umgang mit behinderten Menschen und deren Integration in unsere Gesellschaft noch nicht zur Selbstverständlichkeit geworden. Viele Eltern von Kindern mit Behinderung sowie Pädagogen wünschen sich integrative Schulen. Deutschland aber blickt auf eine lange Tradition der Segregation behinderter Kinder in Sonderschulen zurück. Integrative Schulen sind in Deutschland immer noch eine Ausnahme. Es gibt aber mittlerweile eine Vielzahl an Integrationsformen und –modellen.

Mit dem Thema schulische Integration kam ich erstmals durch ein studienbegleitendes Praktikum im Wintersemester 2007/2008 in einer zweiten Klasse der Grundschule

Xxx, einer integrativen Klasse, in Berührung. Aufgrund dieser eindrucksvollen Erfahrungen entwickelte ich ein großes Interesse für die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Regelschule und beschloss, mich mit diesem Thema in meiner Arbeit näher zu beschäftigen. Mein Ziel war es zu erfahren, ob sich Wockens Annahmen bezüglich der Vorteile des integrativen Unterrichts bestätigen lassen, nach welchem konkreten pädagogischen Konzept Integration umgesetzt wird, ob die soziale Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gelingt und welche Einstellung Eltern zum integrativen Unterricht haben. Für diese Untersuchungen schien mir die seit dem Schuljahr 2007/2008 eingerichtete Integra-tionsklasse der Grundschule Xxx in Musterstadt sehr geeignet. Während der Anfertigung meiner Arbeit hospitierte ich regelmäßig in der Klasse 1c. In diesem Zusammenhang möchte ich mich sehr herzlich bei der Klasse 1c, bei Frau R., Frau S. und Herrn F. sowie bei allen anderen pädagogischen Fachkräften bedanken, die mir ermöglicht haben, Einblicke in den Schulalltag einer integrativ geführten Klasse zu bekommen. Die Namen der Kinder wurden auf Wunsch der Lehrerinnen geändert.

In der Arbeit wird exemplarisch an der Klasse 1c der Grundschule Xxx das Thema Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Regelschule aufgezeigt.

Zunächst werden in Kapitel zwei nach der Begriffsklärung die geschichtlichen Hintergründe und die Grundgedanken von Integration behinderter Kinder in die Grundschule dargestellt. Anschließend wird näher auf die Integrationsformen in Bayern und insbesondere auf die bestehenden Integrationsprojekte in Musterstadt eingegangen.

In Kapitel drei wird das Integrationskonzept der Grundschule Xxx am Beispiel der Klasse 1c vorgestellt.

Diese Klasse wird schließlich im vierten Kapitel empirisch untersucht. Die Studie beleuchtet schulische Integration aus Sicht der Kinder und Eltern. Ziel der Untersuchungen war, wie bereits erwähnt, herauszufinden, ob die schulische Integration in der Klasse 1c auch die soziale Integration der Kinder mit Behinderung bewirkt und welche Einstellung die Eltern der Kinder der Klasse 1c zur Integrationsklasse haben.

Zuletzt werden in einem Resümee die wichtigsten Erkenntnisse sowie Tendenzen für die Zukunft dargestellt.

Im Verlauf dieser Arbeit wird zur Vereinfachung auf die Nennung beider Geschlechtsformen (z.B. Schüler/ Schülerinnen, Lehrer/ Lehrerinnen) verzichtet.

2 Integration von behinderten Kindern in die Grundschule

Erste Ideen und Vorstellungen einer integrativen Pädagogik finden sich bereits bei Johann Amos Comenius (1592-1670). Auf der Grundlage der Theorien von

Wolfgang Ratke (1571-1635) hat er Didaktik als „Kunst des Lehrens" verstanden, als

„[...] die vollständige Kunst, alle Menschen alles zu lehren, und zwar zuverlässig zu lehren, sodass der Erfolg nicht ausbleiben kann; und rasch zu lehren, ohne Beschwerde und Verdruss für den Lehrer oder Schüler, vielmehr zu beider größtem Vergnügen; und gründlich zu lehren, nicht oberflächlich und nur zum Schein, sondern so, dass echte Wissenschaft, reine Sitten und innerste Frömmigkeit vermittelt werden.“ (zit. n. Comenius, in Feuser 2002, S. 282).

Im Mittelpunkt der Pädagogik von Comenius steht sein philosophischer Grundsatz „omnes omnia omnino“ („Allen alles ganz zu lehren“) aus seinem Werk, der „Didactica magna“.

Des Weiteren sagt Comenius, dass es nichts auf der Welt gebe, „[…] das der Mensch, der mit Sinnen und Vernunft begabt ist, nicht zu erfassen vermöchte."

(ebd., S. 282). Dies entspricht weitgehend einer sich am jeweiligen Entwicklungsstand orientierenden Didaktik, wie sie in der Integrationspädagogik praktiziert wird.

Anfang des 20. Jahrhunderts leistete die Reformpädagogik einen wichtigen Beitrag für die Entstehung des gemeinsamen Lernens von behinderten und nichtbehinderten Kindern. Vor allem die Reformpädagogen Maria Montessori, Célestin Freinet und Peter Petersen werden mit dem produktiven Miteinanderlernen in heterogenen Gruppen in Verbindung gebracht. Die pädagogischen und didaktischen Vorstellungen wie der

Offene Unterricht, die in der Reformpädagogik entwickelt wurden, lassen sich daher auch heute in den Konzepten des Unterrichts der Integrationspädagogik wieder finden (vgl. Eberwein 2002, S. 504).

2.1 Begriffsklärung

2.1.1 Integration

Der Begriff „Integration“ wird im alltäglichen Leben in unterschiedlicher Weise verwendet. Daher ist eine genauere Definition notwendig. Der Terminus, der auf die lateinischen Begriffe „integrare“ bzw. „integratio“ zurückgeht und „Wiederherstellung eines Ganzen“, „etwas zusammenfügen, das vorher getrennt war“ bzw. „Einbeziehung, Eingliederung in ein größeres Ganzes“ (Duden, das Fremdwörterbuch 1982, S. 349; Heimlich 2003, S. 17) bedeutet, findet sich in mehreren wissenschaftlichen Disziplinen: In der Mathematik, der Wirtschaft, der Soziologie, der Psychologie und der Pädagogik. Die Soziologie beispielsweise definiert Integration als das Einbinden einer Minderheit in eine größere soziale Gruppe.

In dieser Arbeit wird Integration im Sinne der Pädagogik verwendet. Hier bezieht sich der Begriff auf den gemeinsamen Unterricht und die gemeinsame Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Kindern in den Einrichtungen unseres Bildungs-systems. Das gemeinsame Spielen, Lernen, Arbeiten und Leben aller Kinder – egal ob mit oder ohne Behinderung – in einer Schule des Wohnortes stehen also bei der Inte-gration aus pädagogischer Sicht im Vordergrund (vgl. Schöler 1993, S. 9).

Im Folgenden werden verschiedene Definitionen für Integration aus der Forschung aufgeführt:

Prengel ist der Meinung, dass Integration auf einen gesellschaftlichen Zustand abzielt, in dem Gemeinsamkeit in der Vielfalt möglich wird (vgl. Heimlich 2003, S. 17).

Feuser umschreibt Integration als „[…] die Idee vom Erhalt bzw. der Wiederherstellung gemeinsamer Lebens- und Lernfelder für behinderte und nichtbehinderte Menschen, um der Erweiterung der Entwicklungsmöglichkeiten aller willen.“ (Feuser 2001, S. 25).

Für ihn bedeutet Integration aus pädagogischer Sicht,

„[…] dass alle Kinder und Schüler (ohne Ausschluss behinderter Kinder und Jugendlicher wegen Art und/ oder Schweregrad einer vorliegenden Behinderung) in Kooperation miteinander auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau nach Maßgabe ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen

- an und mit einem „gemeinsamen Gegenstand“ (Projekt/ Vorhaben/ Inhalt/ Thema)
- spielen, lernen und arbeiten.

Integration ist kooperative (dialogische, interaktive, kommunikative) Tätigkeit im Kollektiv.“ (ebd., S. 26).

Eberwein und Knauer sehen den Begriff der Integrationspädagogik als Erweiterung der bisherigen Pädagogik,

„[…] d.h. die Theorie und Praxis des gemeinsamen Lernens steht für eine neue Sichtweise zur Erziehung und Unterrichtung von Kindern mit Beeinträchtigung sowie für einen veränderten Auftrag in Volksschule und Schule. Er impliziert eine Erweiterung und Vertiefung des bisherigen pädagogischen Handlungsverständnisses.“ (Eberwein/ Knauer 2002, S. 17).

Sie sind außerdem der Meinung, dass Integration und Inklusion verfassungsmäßig garantierte Menschenrechte seien (vgl. ebd., S. 13).

Ich persönlich bevorzuge die Definition von Feuser, da diese am umfassendsten und genauesten ist und die verschiedenen Aspekte schulischer Integration am besten widerspiegelt. Auch Eberweins und Knauers Beschreibung von Integration als eine neue Sichtweise in der Pädagogik ist zutreffend. Prengels Auffassung ist meiner Meinung nach passend, da Integration ja auf ein gemeinsames Unterrichten von verschiedenen Kindern abzielt, allerdings beschränkt sie sich im Gegensatz zu den anderen Wissenschaftlern nicht auf Kinder mit Behinderungen, die integriert werden sollen, sondern sie bezieht alle Kinder in ihre Gedanken mit ein.

2.1.2 Inklusion

Die Bezeichnung „Inklusion“ stammt vom lateinischen Begriff „inclusio“ ab, der mit „Einschluss, Enthaltensein“ übersetzt wird (vgl. Heimlich 2003, S. 142).

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft definiert den Begriff folgendermaßen: „Inklusion bedeutet Einbeziehung, Einschluss, Einbeschlossenheit, Dazugehörigkeit. Die Idee der Inklusion besteht darin, dass kein Kind oder Schüler mehr als andersartig angesehen werden soll. Alle Kinder sind förderbedürftig.“ (GEW 2008, http://www.gew.de/Inklusion_3.html).

Unter einer inklusiven Pädagogik wird also eine verbesserte, erweiterte und ausnahmslose Integrationspädagogik verstanden. Inklusion geht über Integration hinaus

(vgl. Sander 2005, S. 110; vgl. Sander/ Schnell 2004, S. 40).

Im Gegensatz zur Integration ist die Basis der Inklusion nicht die Zwei-Gruppen-Theorie, bestehend aus den Behinderten und den Nichtbehinderten, sondern eine von Heterogenität geprägte Lerngruppe mit verschiedenen Entwicklungsstufen, Sprachen, Religionen, Kulturen und Nationalitäten. Es kommt gar nicht erst zur Ausgrenzung von behinderten Menschen und danach zur Integration. Die schulische Organisation ist vielmehr darauf ausgerichtet, dass die Teilnahme aller Kinder am gemeinsamen Unterricht von Beginn an selbstverständlich wird (vgl. Demmer-Dieckmann/ Struck 2001,

S. 16; vgl. Feuser 2002, S. 280). Folgende Abbildung zeigt die verschiedenen Stufen der Sonderpädagogik, angefangen mit der Exklusion bis zum heute angestrebten Ziel der Inklusion.

Abbildung 1: Entwicklungsphasen in der Sonderpädagogik

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: zit. n. Bürli, in Münch (2001, S. 25)

2.1.3 Behinderung

Der Begriff „Behinderung“ wird unterschiedlich definiert.

„Eine Reihe von Gemeinsamkeiten erhält jedoch folgende Begriffsbestimmung: Eine Behinderung ist demnach jede nicht nur vorübergehende Beeinträchtigung, die das geschädigte, d.h. körperlich, geistig oder seelisch funktionsgestörte Individuum erfährt, wenn man es mit einem nicht geschädigten Individuum gleichen Alters, Geschlechts und gleichen kulturellen Hintergrunds vergleicht und es in der Planung seiner Lebenswelt, seiner sozialen Beziehungen oder seiner materiellen Lebenssicherung (soziale Bedarfslagen) besonderer Hilfe durch die Gesellschaft bedarf.“ (Kreft/ Mielenz 1988, S. 89).

Nach Eberwein ist ein Schüler nur in Relation zu bestimmten Lernarrangements, Erwartungshaltungen und Beurteilungsmaßstäben von Schule und Lehrern „behindert“ (vgl. Eberwein 2002, S. 509).

Nach dem ökosystemischen Ansatz liegt „[…] Behinderung vor, wenn ein Mensch mit einer Schädigung oder Leistungsminderung ungenügend in sein Mensch-Umfeld-System integriert ist.“ (Hildeschmidt/ Sander 2002, S. 304).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterscheidet vier Begrifflichkeiten in ihrer aktuellsten Klassifikation von Krankheit und Behinderung, dem ICIDH-2 (International Classification of Functioning, Disability and Health):

- Impairment (Schädigung): Beeinträchtigung einer Körperfunktion oder -struktur im Sinn einer wesentlichen Abweichung oder eines Verlustes
- Activity (Aktivität): Möglichkeiten der Aktivität eines Menschen, eine persönliche Verwirklichung zu erreichen
- Participation (Soziale Teilhabe): Maß der Teilhabe an öffentlichen, gesellschaftlichen, kulturellen Aufgaben, Angelegenheiten und Errungenschaften
- Kontextfaktoren: Physikalische, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der ein Mensch das eigene Leben gestaltet

(vgl. Fornefeld 2002, o.S.)

Die Definition des Deutschen Bildungsrats zur „Behinderung“ lautet folgendermaßen:

„Als behindert im erziehungswissenschaftlichen Sinne gelten alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die in ihrem Lernen, im sozialen Verhalten, in der sprachlichen Kommunikation oder in den psychomotorischen Fähigkeiten so weit beeinträchtigt sind, dass ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft wesentlich erschwert ist. Deshalb bedürfen sie besonderer pädagogischer Förderung.“ (Biewer 2001, S. 216).

Herausgegriffen werden sollte meiner Meinung nach der Gedanke, dass ein Mensch nur dann von einer Behinderung betroffen ist, wenn die Gesellschaft bzw. sein soziales Umfeld nicht in der Lage ist, sich auf ihn einzustellen. Die Unfähigkeit der Anpassung an alle Schüler darf kein Grund für die Absonderung mancher Kinder sein. Es gilt also nur die vorherrschenden Bedingungen und Gegebenheiten des Schulsystems auf alle Kinder abzustimmen, damit keinem Kind mehr eine „unüberwindbare Behinderung“ attestiert wird.

2.1.4 Sonderpädagogischer Förderbedarf

Der separierende Begriff der „Sonderschulbedürftigkeit“ wurde von dem Begriff „sonderpädagogischer Förderbedarf“ abgelöst. Diese Bezeichnung ist insofern etwas ungeeignet, da jedes Kind einen besonderen, individuellen Bedarf an Förderung hat.

„Sonderpädagogischer Förderbedarf liegt vor, wenn ein Kind in seinen Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten so stark beeinträchtigt oder behindert ist, dass es ohne zusätzliche sonderpädagogische Förderung in der allgemeinen Schule nicht oder nicht mehr ausreichend gefördert werden kann.“ (Staatliche Schulberatung in Bayern 2007, http://www.schulberatung.bayern.de/lfb.htm#lbfs). Durch die sonderpädagogische Förderung können Kinder mit unterschiedlichem sonderpädagogischen Förderbedarf durchaus allgemeine Schulen besuchen, sie sind nicht mehr nur auf Förder- bzw. Sonderschulen angewiesen (vgl. ebd.). Die sonderpädagogische Unterstützung für einen Schüler ist also nicht mehr auf eine bestimmte Schulart bezogen.

Es gibt folgende Formen sonderpädagogischen Förderbedarfs und daraus sich ergebende Förderschwerpunkte:

Tabelle 1: Formen sonderpädagogischen Förderbedarfs und Förderschwerpunkte

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: vgl. Staatliche Schulberatung in Bayern

(2007, http://www.schulberatung.bayern.de/lfb.htm#lbfs)

Wie in der folgenden Abbildung erkennbar, stellt die häufigste Form sonderpädagogischen Förderbedarfs die Gruppe der Kinder mit Lernbeeinträchtigungen dar, wobei viele von ihnen aus sozial schwächeren Milieus stammen oder Kinder mit Migrationshintergrund sind (vgl. Schöler 1993, S. 223; vgl. Mand 2002, S. 360).

Abbildung 2: Förderschwerpunkte bei Schülern mit Behinderungen im Jahr 2003

(Anteile in Prozent)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz (2005, Dokumentation Nr. 177)

Wenn in dieser Zulassungsarbeit von Kindern mit Behinderung gesprochen wird, sind damit Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemeint.

2.2 Geschichtliche Entwicklung hin zur Integration

Die Ideen, behinderte Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, sind wie Dörte

Garde treffend formuliert

„[…] nicht plötzlich vom Himmel gefallen oder ein Produkt unserer besonders humanen Zeit, sondern sie haben sich kontinuierlich entwickelt und resultieren sowohl aus dem moralisch-ethischen Bewusstsein wie aus den sozio-ökonomischen Bedingungen, die sich während der letzten 200 Jahre im europäischen Raum ausgebildet haben.“ (Garde 1993, S. 13).

Daher soll ein kurzer geschichtlicher Überblick über die Entwicklung der ersten Sondereinrichtungen für behinderte Menschen bis hin zur Integrationsbewegung gegeben werden.

2.2.1 Geschichtlicher Überblick

Im 17./18. Jahrhundert haben sich im europäischen Kulturkreis zwei pädagogische Richtungen herauskristallisiert: Das pietistische und das philanthropische Menschenbild.

Das pietistische Menschenbild

Hier wird Behinderung als eine von Gott gewollte Strafe für einen Gott nichtgefälligen Lebenswandel angesehen. Daraus ergibt sich, dass das kindliche Fehlverhalten der Natur des Kindes angelastet wird. Gesellschaftliche Umstände als Ursache, die aber meist durch die Eltern herbeigeführt und daher von ihnen zu verantworten sind, werden abgelehnt. Um erwünschtes Verhalten zu erreichen, wurden als Erziehungsmaßnahmen z.B. die Prügelstrafe und Terror jeglicher Art eingesetzt. Das „sündige Leben“ behinderter Menschen konnte nur durch demütiges und frommes Verhalten getilgt werden.

Das philanthropische Menschenbild

Unabhängig von jeglichen körperlichen, geistigen oder sozialen Behinderungen wird hier von der Ganzheit des Menschen und der Würde jeden Lebens ausgegangen. Die Philanthropen, die auch Menschenfreunde genannt werden, sind als erste Vorreiter des Integrationsgedankens anzusehen.

Beide Menschenbilder hatten Einfluss auf die pädagogische Entwicklung:

Die pietistische pädagogische Ausrichtung teilte Behinderte in „noch Bildungs- bzw. Arbeitsfähige“ und in sogenannte „Idioten“ ein. Dies führte im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Bildung von Hilfsschulen und Idiotenanstalten. Heinrich Ernst Stötzner

(1832-1910) gründete 1881 eine der ersten Hilfsschulen Deutschlands. Im gleichen Jahr richtete Heinrich Kielhorn in Braunschweig eine Hilfsklasse ein. Mit seiner Schrift „Schulen für schwachbefähigte Kinder" rief Stötzner die Hilfsschulen ins Leben. Er propagierte darin eine eigenständige Schule für Kinder, die er als „die letzten in der Klasse" beschrieb. Der Besuch der Hilfsschulen war den Kindern vorbehalten, denen eine geringe kognitive Begabung attestiert wurde, nicht jedoch den „Blödsinnigen", für die angenommen wurde, dass sie nicht „schulbildungsfähig" seien. In einem Referat zur Heilpädagogischen Woche in Berlin im Jahre 1927 gebrauchte Eduard Spranger erstmals die Bezeichnung „Sonderschule“.

Die Philanthropen hingegen sahen - vom Rousseau’schen Ideal ausgehend - den Menschen als von Natur aus gut und fast unbegrenzt bildungsfähig. Die Förderung behinderter Kinder bezog sich auf die Entwicklung normaler Kinder und war Grundgedanke ihrer Pädagogik (vgl. Garde 1993, S. 16 f).

2.2.2 Bedeutung des Sonderschulwesens

Aufgrund der weiterhin bestehenden Sonderschulpädagogik herrschen in unserem Schulsystem aussondernde Bedingungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung. Die Entwicklung der Sonderschulpädagogik wird in der Fachliteratur über Inte-grationspädagogik oft in engem Zusammenhang mit der späteren Integrationsbewegung genannt. Deshalb soll im Folgenden dargestellt werden, wie sich das Sonderschulwesen herausgebildet und wie es letztendlich zur Integrationsdiskussion geführt hat.

In der Weimarer Verfassung und im Grundschulgesetz von 1920 war die Grundschule bereits als eine Schule für alle Schüler konzipiert. In den folgenden Jahrzehnten hat sie sich jedoch vom Grundkonzept einer Gesamtschule durch verschiedene Entwicklungen wieder entfernt (vgl. Eberwein 2002, S. 504). Die Nachkriegszeit brachte für die Hilfsschulen keine entscheidenden Veränderungen, vielmehr wurde an die bereits in der Weimarer Republik bestehenden Systeme angeknüpft. Auch der im Dritten Reich verwendete Begriff „Sonderschule“ wurde anstandslos übernommen und weitergeführt. Der Wiederaufbau von Sonderschulen ging nur sehr langsam voran, daher gab es auch für viele Kinder, vor allem für geistig behinderte, die als „schulbildungsunfähig“ galten, keine systematische Förderung. Diese Phase wird auch als Exklusion bezeichnet. Bis etwa 1960 wurden in allgemeinen Schulen Kinder mit Lern- und Verhaltensstörungen noch eher als „normale“ Kinder mit Entwicklungsproblemen akzeptiert. Oft besuchten auch körper- und sinnesbehinderte Kinder die Regelschulen, sie wurden dort aber nicht besonders gefördert oder unterstützt.

Erst in den 1950er und 1960er Jahren folgte der Ausbau des Sonderschulwesens in Deutschland. 1955 wurde der „Verband deutscher Hilfsschulen" in den „Verband

deutscher Sonderschulen" umbenannt. Als neue Bezeichnung der Schülerschaft setzte sich der Begriff „Lernbehinderte“ durch. Die Konferenz der Kultusminister verwendete diesen Begriff 1960 in einem Gutachten zur Neuordnung des Sonderschulwesens. Die Umbenennung der Hilfsschule zur „Sonderschule für Lernbehinderte" kam zuerst in Hessen auf, später im ganzen Bundesgebiet (vgl. Demmer-Dieckmann/ Struck 2001, S. 14; vgl. Wikipedia, Die freie Enzyklopädie 2008,

http://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%B6rderschule).

Durch den „explosionsartigen“ Ausbau des Hilfsschul- und des Sonderschulwesens zwischen 1960 und Mitte der 70er Jahre wurde einerseits die selektive Funktion des Bildungswesens unterstützt, andererseits stellte die ganzheitliche und ganztägige Betreuung der Sonderschulen für die Eltern behinderter Kinder einen großen Vorteil gegenüber dem Regelschulsystem dar. Sonderschuleinrichtungen können als wichtige historische Durchgangsphase angesehen werden, da so bei vielen Kindern oft erst bewiesen wurde, welche Lernfortschritte sie bei guter Förderung erzielen konnten. Insgesamt wurden in Deutschland zehn unterschiedliche Arten von Sonderschulen eingerichtet (vgl. Demmer-Dieckmann/ Struck 2001, S. 14).

Laut Schöler führen aber getrennte Institutionen zu Vorurteilen und tragen nicht zu einer Integration von behinderten Kindern in die Gesellschaft bei. Da zunehmend auch in Regelschulen die gezielte Förderung von behinderten Kindern möglich wird, werden Sonderschuleinrichtungen künftig nicht mehr notwendig sein (vgl. Schöler 1993,

S. 19 f). Meiner Meinung nach ist letzteres ein langer Prozess, der letztlich dazu beiträgt, dass sich alle Menschen von Kindheit an in unserer Gesellschaft dazugehörig fühlen.

2.2.3 Entstehung und Weiterentwicklung des Integrationsgedankens

Ende der 60er Jahre kam es im Bereich der Sonderpädagogik zur ersten Infrage-stellung der traditionellen Auffassung von Behinderung und der damit verbundenen schulischen Betreuung von Kindern mit abweichendem Lern- und Sozialverhalten. Im Zusammenhang damit steht auch die Diskussion um die Gesamtschule, die die Nichtaussonderung behinderter Kinder aus der allgemeinen Schule forderte. Diese anfäng-lichen Diskussionen haben sich zu einer Integrationsbewegung ausgeweitet und waren immer mit der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit verbunden - nicht nur in Bezug auf die Schule, sondern auch auf die Eingliederung von Behinderten aller Altersstufen, von Obdachlosen, Ausländern und Aussiedlern (vgl. Eberwein 2001, S. 10 f).

Etwa seit Beginn der 70er Jahre gab es erste Spielgruppen, wie das Kinderhaus

Berlin-Friedenau, in denen behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsame Erfahrungen sammeln konnten. Diese ersten Initiativen für die Entwicklung des gemeinsamen Lebens, Spielens und Lernens gingen von den Eltern behinderter Kinder aus, die sich Mitte der 80er Jahre auf Bundes- und Landesebene zur Elternbewegung „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen. Eltern gegen Aussonderung“ zusammenschlossen. Daher bezeichnet Hans Wocken die Eltern auch als die Erfinder integrativer Klassen (vgl. Gehrmann/ Hüwe 2001, S. 93; vgl. Schnell 2003, S. 35; vgl. Schöler 1993, S. 18).

Die ersten Versuchsschulen entstanden zu Beginn der 80er Jahre an mehreren Orten in Deutschland. Diese wurden nach dem Vorbild der Montessorischule in München (1970), der Laborschule Bielefeld (1974), der Fläming-Grundschule im damaligen West-Berlin (1975) und der Uckermark-Grundschule in Berlin-Schöneberg (1982) konzipiert. Nicht selten werden diese Schulen auch „Mutterklöster“ der Integration genannt. Da die gemeinsame Unterrichtung als effektiv und positiv betrachtet wurde, vermehrten sich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre die Schulversuche (vgl. Demmer-Dieckmann/ Struck 2001, S. 15).

Seit Ende der 80er und zum Beginn der 90er Jahre wurde die Integration von behinderten Kindern in Regelschulen in immer mehr deutschsprachigen Ländern zu einer ernsthaften Alternative gegenüber der Sonderschule.

Bereits im Schuljahr 1992/93 gab es erste gesetzliche Regelungen in Bundesländern wie Berlin, Brandenburg, Hessen, Schleswig-Holstein und Saarland (vgl. Demmer-Dieckmann/ Struck 2001, S. 14 f; vgl. Schöler 1993, S. 20 f). Große internationale Bedeutung für die Integrationsbewegung hatte die Erklärung der UNESCO-Weltkonferenz in Salamanca im Jahre 1994, die alle Regierungen zur Anerkennung der Integrationspädagogik auf Gesetzesebene und zur Aufnahme aller Kinder in allgemeine Schulen aufforderte (vgl. Myschker/ Ortmann 1999, S. 12).

Zeitlich parallel wurden von der deutschen Kultusministerkonferenz „Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland“ formuliert, die das einzelne Kind mit seinem individuellen Bedarf an Förderung hervorheben und sich deutlich für einen gemeinsamen Unterricht aussprechen. Dabei musste ab diesem Zeitpunkt die sonderpädagogische Förderung nicht mehr an Sonderschulen vollzogen werden, sie wurde zur Aufgabe für alle Schulen. Der gemeinsame Unterricht hängt aber dennoch von den schulorganisatorischen, sachlichen und personellen Gegebenheiten ab (vgl. Demmer-Dieckmann/ Struck 2001, S. 15; vgl. Füssel 2002, S. 161; vgl. Münch 2001, S. 21).

In den darauf folgenden Jahren wurden diese allgemeinen Empfehlungen durch Empfehlungen zu den einzelnen Förderschwerpunkten Lernen, Verhalten, Sprache und Kommunikation, Hören, Sehen, körperliche und motorische Entwicklung sowie geistige Entwicklung ergänzt (vgl. Walter 2004, S. 107).

Nach Eberwein kann die Integrationsdiskussion in vier Phasen aufgeteilt werden:

1. Phase: 1970 bis circa 1975

Durch die Einrichtung der Gesamtschule wurde 1970 eine reform- und gesellschaftspolitische Diskussion entfacht, bei der erstmals die Frage nach der Einbeziehung der Sonderschulen in die Gesamtschulen aufkam. Dies stellte somit den Beginn der ersten Phase der Integrationsdiskussion innerhalb der Sonderpädagogik dar. Im Mittelpunkt standen die theoretischen Auseinandersetzungen in Bezug auf die Integration von bestimmten Behinderungsgruppen in additive und integrative Gesamtschulsysteme. Darüber hinaus gab es Beratungsmodelle und Förderkonzepte mit dem Ziel, die Sonderschulbedürftigkeit zu reduzieren und Körperbehinderte in die allgemeinen Schulen zu integrieren. Im Rahmen der Gesamtschulen wurden unterschiedliche Ansätze sonderpädagogischer Förderung angeboten, wie beispielsweise Kleinklassen, sonderpädagogische Stützmaßnahmen und Einzelfallberatung (vgl. Eberwein 2002, S. 506 f).

2. Phase: 1973 bis 1982

Im Oktober 1973 wurde erstmals eine „Empfehlung zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“ der Bildungs-kommission des Deutschen Bildungsrates veröffentlicht: Es sollte nun so viel gemeinsamer Unterricht wie möglich und so viel getrennte Förderung von Kindern mit Behinderung wie nötig stattfinden (vgl. Muth 2002, S. 41).

In der zweiten Phase verlagerten sich die Integrationsforderung und die Integrationserwartung von der Gesamtschule auf die Grundschule. Sie war somit von der Kooperation zwischen Grund- und Sonderschule bestimmt. Es gab erste Teilintegrationen und integrative Klassen in Grundschulen sowie die Integration von körper- und sehbehinderten Kindern in allgemeine Schulen. Die ersten Anstöße dazu kamen zuerst von Eltern behinderter Kinder und von Vertretern in Jugend-, Gesundheits- und Sozialbehörden. Grundlage für die Forderung und Durchsetzung der Integration auch im Primar- und Sekundarbereich bildeten die langjährigen positiven Erfahrungen aus dem Kindergarten. Des Weiteren ist die zweite Phase durch Schulversuche geprägt, bei denen es nicht mehr nur um die Vermeidung von Sonderschulbedürftigkeit ging, sondern um die Einrichtung integrativer Klassen. Dies stellt eine qualitative Verbesserung in der Integrationsentwicklung dar (vgl. Eberwein 2002, S. 506 f).

3. Phase: 1982 bis circa 1990

In dieser Phase gab es eine erneute qualitative Veränderung durch den Schulversuch an der Uckermark-Grundschule in Berlin, da hier erstmals eine ganze Schule in ein Integrationsprojekt miteinbezogen wurde. Diese Grundschule war die erste Schule dieser Art in Deutschland.

4. Phase: 1990er Jahre

Diese Phase ist durch verschiedene Integrationsformen und –modelle gekennzeichnet. Die in den ersten drei Phasen aufgeführten Grundmodelle schulischer Integration wurden oft auch parallel zueinander praktiziert. Auch nichtbehinderte Kinder wurden in Sonderschulen integriert, mit dem Ziel, die Sonderschule langsam in eine integrative Grundschule zu verwandeln. Eine weitere Form der praktizierten Integration stellte die Einzelintegration dar, bei der ein einzelnes behindertes Kind in die wohnortnahe Grundschule integriert und somit nicht aus seinem sozialen Umfeld herausgerissen wurde. Ein Nachteil bei dieser Integrationsform ist, dass das traditionelle Ein-Lehrer-System mit zielgleichem Unterricht beibehalten wird. Für eine integrative Schule sind jedoch neue Ausbildungscurricula und veränderte und erweiterte Handlungskompetenzen der Lehrer notwendig (vgl. ebd., S. 507 f).

Insgesamt konnte sich also der Integrationsgedanke in den letzten vier Jahrzehnten immer mehr und mehr in den Köpfen unserer Gesellschaft durchsetzen und weiterentwickeln. Dies erklärt auch, warum die Pädagogik des gemeinsamen Unterrichts behinderter und nichtbehinderter Kinder bis heute so viele VerF.ter hat.

[...]

Ende der Leseprobe aus 119 Seiten

Details

Titel
Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Grundschule
Untertitel
Exemplarisch aufgezeigt am Integrationskonzept einer 1. Grundschulklasse
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Fakultät für Psychologie und Pädagogik, Lehrstuhl für Schulpädagogik)
Note
1,00
Autor
Jahr
2008
Seiten
119
Katalognummer
V117395
ISBN (eBook)
9783640199594
ISBN (Buch)
9783640205509
Dateigröße
1665 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Integration, Kindern, Förderbedarf, Grundschule
Arbeit zitieren
Vroni Kößler (Autor:in), 2008, Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117395

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