"In meiner Komödie hat es am Ende vollkommen finster zu sein"

Zum komischen Aspekt der Künstler- und Geniefiguren Thomas Bernhards anhand ausgewählter Dramen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschungslage

3. Das Komische bei Bernhard

4. Bernhards Künstler- und Geniefiguren
4.1. Der Kunstbegriff Bernhards

5. Einzelanalyse ausgewählter Dramen
5.1. Minetti
5.2. Immanuel Kant
5.3. Der Weltverbesserer
5.4. Der Theatermacher
5.5. Kurze Zusammenfassung

6. Schluss

7. Verwendete Literatur

Texte Thomas Bernhards

Sekundärliteratur

1. Einleitung

Thomas Bernhards Theaterstücke sind ausnahmslos Komödien. Ihr Personal erinnert an traditionelle Typenkomödien, doch gibt es bei Bernhard keine kathartische Einsicht oder Abstrafung des überzogenen Charakters. Besonders seine Genie- und Künstlerfiguren verlassen ihre Rollen nicht, sondern beharren bis zum Ende auf der Konsistenz ihres Daseins.

Wir wollen betrachten, wie das Komische bei Bernhards Stücken entsteht und welche besondere Ausformung es bei den Genies erhält. Mir scheint, dass sie gerade weil sie wissen, dass sie eine Rolle spielen, in einen grotesken Selbstwiderspruch treten, der ihnen aber letztlich den Triumph über ihre Umwelt erlaubt. Da Künstler bei Bernhard immer auch Wahnsinnige sind, die weit von der Gesellschaft entfernt existieren, folgt ihr Spiel anderen Regeln als aus der sozialen Praxis vorausgesetzt wird. Deswegen können sie noch im finalen Scheitern den Sieg davontragen.

2. Forschungslage

Thomas Bernhard ist lange Zeit ausschließlich als apokalyptischer, pessimistischer Autor verstanden worden. Die Präsenz des Todes in seinem Werk veranlasste viele Interpreten, ihn als Nihilisten zu begreifen, für den das Leben immer sinnlos ist. Doch der komische Aspekt wurde erst in den letzen zehn Jahren wirklich entdeckt und germanistisch aufbereitet. Obwohl seine öffentlichen Auftritte und sein dramatisches Werk offensichtlich komisch sind, tat sich die Sekundärliteratur schwer, diesem Aspekt genügend Aufmerksamkeit zu schenken.

Ruixiang Han hat eine der ersten Abhandlungen über das Komische bei Bernhard verfasst, in Der komische Aspekt in Bernhards Romanen liefert er sehr gute Analysen verschiedener Techniken und Phänomene in Bernhards Erzählwerk. Er geht aus von Bernhards Äußerung „es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt“[1] und weist auf, dass diese Einstellung, anders als von vielen Interpreten verstanden, keine Verneinung des Lebens bedeutet, sondern antithetisch das Lebendige stärker hervorhebt. Bernhard erwartet vom Leser eine „kritische Distanz zum Dargestellten“, keine „direkte Betroffenheit“[2]. Anstatt sich die düstere Weltauffassung anzueignen, soll er in Widerspruch zu ihr treten. Dann eröffnet sich der Blick dafür, dass zusammen mit den Äußerungen immer auch eine charakterliche Disposition vermittelt wird. Die Figuren laden zur Kritik ein und damit zum Verlachen. Indem der Leser sich fragt, warum er über einen bestimmten Mangel gelacht hat, entsteht ein Erkenntnisprozess.

Uwe Betz unternimmt in seiner umfangreichen Analyse Polyphone Räume und karnevalisiertes Erbe den Versuch, Bachtins Theorie des Chronotopos auf Thomas Bernhards Werk anzuwenden. Laut Bachtin gewinnt das Gesagte erst im Kontext der Kommunikationssituation, also des Raumes und der Zeit, seine Bedeutung. In der Literaturtheorie bedeutet dies, dass durch die Ansiedlung in bestimmten raum-zeitlichen Situationen ein Text sich in die Tradition eines bestimmten Genres stellt. Hierbei identifiziert Betz die Bühne als den Bachtinschen Topos des Markplatzes, er geht also nicht auf die fiktionalen Räume ein, sondern generalisiert das dramatische Werk Bernhards als Ausformung dieser Tradition. Der Marktplatz ist der Chronotopos des Karnevals, einer „volkstümlich-subversiven Urkraft“[3]. Diese Kategorien sind schwer mit Bernhard zusammenzubringen, denn die Grundstimmung Bernhards ist düster, nicht karnevalistisch-fröhlich, das Volkstümliche war ihm immer verhasst, zudem befinden seine Charaktere sich fast immer in Innenräumen, in denen sie sich von der Gesellschaft isolieren. Betz aber sieht in der Hinwendung Bernhards zum Theater eine „Öffnung hin zu Gesprächspartnern, Welt und Öffentlichkeit“[4]. Zum Marktplatz treten zwei weitere Topoi, der des „Lebenswegs“ und der der „Begegnung“[5]. Durch diese „Polyphonie“ ergeben sich Überschneidungen, welche laut Betz die gewählte Tradition selbst dekonstruieren: „Bernhards Texte können allein deswegen als karnevalisierte Literautur verstanden werden, weil sie die Antithesen und Dichotomien, die Wissenschaft, Kritik und Vernunft errichtet haben, zuspitzen, unsinnig machen, dialogisch verkreuzen und ihre Grenzlinien in Mesalliancen verschwimmen lassen. Das muß schließlich als das eigentliche Geschehen des Marktplatzes (als Theater) angesehen werden“. Weil Bernhard das aufklärerische Erbe in den Reden seiner Figuren also in eine absurde Übertreibung führt, lösen sich Sinnzusammenhänge auf und hier wäre das Karnevaleske zu finden. Ich habe den Eindruck, dass Betz, will er vom Marktplatz ausgehen, um Bernhard zum Karnevalisten zu machen, zum einen eher eine generelle Komödientheorie liefert, anstatt speziell auf Bernhards Topoi einzugehen, zum anderen Bernhard selbst stark verdrehen muss, um hier Bachtin anwenden zu können. Geht er vom Karnevalistischen zum Marktplatz, verdreht er Bachtin selbst. Mir scheint dieser Ansatz das Komische an Bernhard nicht hinreichend zu erklären, um einen komplexen Unterbau wie den Bachtins zu rechtfertigen.

Michael Grabher widmet in Der Protagonist im Erzählwerk Thomas Bernhards dem Verhältnis von Komik und Tragik ein kurzes Kapitel in der Besprechung des Romans Alte Meister. Hierin sieht er die Komik allerdings vor allem in den „Schimpftiraden“[6] Regers, die viel Sprachwitz enthalten. Er hält fest, dass der Humor in Bernhards Werk „absichtlich mehrdeutig angelegt“[7] ist, da sich die Komödie immer aus der Tragödie ergibt. „Komisch ist die fatale Selbstüberschätzung des Subjekts, tragisch die daraus folgende Ausweglosigkeit“, fasst er das Verhältnis zusammen. Mit der Selbstüberschätzung trifft er zwar einen Aspekt der Bernhardschen Komik, aber das Verhältnis zur Tragik liegt meines Erachtens genau andersherum. Weil aus der verzerrten Weltsicht der Protagonisten eine Ausweglosigkeit entsteht, ist ihr Scheitern komisch. Angesichts der Banalität ihres Schicksals wird alles, was sie wichtig nehmen, lächerlich. So ist auch das Bernhardzitat zu verstehen, das Grabher zum Beleg anführt: „Na, um mir diese furchtbaren Dinge überhaupt erträglich zu machen, hab ich schon als Kind immer den Umweg über das Theatralische gesehen, nicht. Die fürchterliche Wirklichkeit letzten Endes niemals als Tragödie, sondern als Komödie“[8].

3. Das Komische bei Bernhard

Dass Verzweiflung und Nihilismus im dramatischen Werk Bernhards Grundpositionen sind, die immer wieder auftauchen und für die Charakterkonstitution wichtig sind, ist nicht zu leugnen. Beinahe alle Bühnenfiguren leiden ganz fundamental an der Welt, die ihnen keinen Platz in ihr gibt. Sie sind Ausgestoßene oder Abgestoßene und versuchen, der stets ekelhaften Welt draußen in einen Privatraum zu entkommen. Diese Flucht führt sie aber immer nur zu sich selbst, und hier finden sie den eigentlichen Grund ihrer Verzweiflung. Bernhards Figuren sind Versager, die ihren eigenen Ansprüchen nicht genügen, ihre Pläne nicht verwirklichen und kein Glück finden können. Diese Erkenntnis wird in verschiedenen Bewusstseinsstufen immer wieder formuliert, genauso oft aber verdrängt, indem am eingeübten Alltag festgehalten wird.

Die auf Bernhards Pessimismus abhebenden Forscher haben also nicht unrecht, aber sie betrachten doch nur einen Teilaspekt, aus dem sich die eigentliche Poetik Bernhards nicht eröffnet. Es ist durchaus nicht einfach, im Durcheinander von Positionen der Figuren und Bernhard selbst eine einheitliche programmatische Autorenmeinung auszuzeichnen. Denn diese gehen nicht nur in den literarischen Texten, sondern oft auch in den autobiografischen Texten und den öffentlichen Äußerungen Bernhards[9], durcheinander. Dies ist ein kalkuliertes „Verwirrspiel um Fiktion und Realität“[10], welches einen wichtigen Teil der Selbstinszenierung Bernhards darstellt. Natürlich spiegeln die Figuren Aspekte Bernhards und mit ihnen gestaltet er auch einen Teil von sich aus. Doch als Autor steht er eben immer noch ein Stück über den Reden und Handlungen seiner Figuren, und er betrachtet sie mit dem Auge eines Komikers, selbst wenn das Geschehen auf der Bühne scheinbar ganz schrecklich ist.

Der Komiker ist immer auch ein Nihilist, denn er negiert die Wichtigkeit eines Wertes. Während also die Figuren alles schrecklich ernst nehmen, ist ihr Verhalten für Bernhard komisch. Die Behauptung ist zwar nicht umkehrbar, aber im Fall Thomas Bernhards kann doch festgestellt werden, dass weil er an der Welt verzweifelt und menschliches Handeln für sinnlos hält, er alles komisch findet. In vielen Äußerungen postuliert er eine Vertauschbarkeit oder zumindest Unentschiedenheit der Begriffe Tragödie und Komödie[11], es handle sich um eine Frage der Perspektive. Was von innen tragisch scheint, ist von außen betrachtet komisch, denn die Figur hat ihre momentane Situation im Blick, der Außenbetrachter relativiert angesichts der Totalität die Kategorien von Wichtigkeit und Nichtigkeit. Je nach momentaner Empfänglichkeit wird die Wirklichkeit als tragisch oder komisch erlebt.

Bernhards große Pointe ist der Tod. In vielen seiner Dramen muss der Protagonist am Ende sterben, aber auch ohne diesen dramaturgischen Kniff ist der Tod stets präsent. Oft wurde sein Werk als morbid oder düster bezeichnet, da die ständige Präsenz des Todes und Sterbens eine wichtige Komponente der Poetik Bernhards ist. Sie wurde aber selten als das Brennglas verstanden, in dem alles, was ohne sie schrecklich wäre, komisch erscheint. Ruixiang Han vermutet, „es sind die Begriffe [Finsternis und Tod] selbst und die Erwartungen, die man üblicherweise an diese Begriffe knüpft, die sein Werk in falschem Licht erscheinen lassen“[12]. Angesichts des Todes wird das gesamte Leiden, Hoffen und Fürchten sinnlos und lächerlich. Die Zwangssituation, in die sich seine Figuren begeben, wird von ihnen selbst immer als vorübergehend verstanden, stets existiert die Perspektive oder zumindest das Spekulieren auf eine Änderung der Situation, sie bleibt aber unentrinnbar, wenn die Figur schließlich in ihr stirbt. Die Ausrichtung des Daseins auf Vergangenes oder Zukünftiges, die für Bernhards Figuren so typisch ist, offenbart ihre Widersinnigkeit angesichts des plötzlichen Lebensendes. Nie wird ein großer Plan vollendet, keine Hoffnung erfüllt sich, das vereitelte Leben endet einfach und gibt den Protagonisten der Lächerlichkeit preis. Der Tod in Bernhards Stücken ist immer ein boshafter, der keine Größe verleiht, sondern nur Bedeutungslosigkeit bewusst werden lässt. Er ist der absolute Relativierer, von ihm aus betrachtet ist das Leben, das vorgestellt wurde, sinnlos und damit komisch.

Bernhards Figuren fangen sich selbst in Situationen, in denen sie keinen Ausweg mehr haben. Sie wählen die Isolation und sind ihr daraufhin ausgeliefert. Deswegen verneinen sie häufig eine intelligible Freiheit, wenn sie etwa alle Charaktereigenschaften auf eine Erscheinung einer generellen Konstellation reduzieren. Zum Beispiel bezeichnet Bruscon im Theatermacher sein Schauspielerleben nicht als gewählt, sondern sieht sich als „geborene[n] Theatermensch“[13]. Noch extremer wird dieser Fatalismus, wenn ganz simple Vorlieben oder Abneigungen als unverfügbar bezeichnet werden, wie im Heldenplatz, wenn Professor Schuster sich als den „geborene[n] Mantelhasser“[14] bezeichnet. Haben die Figuren sich so alle Auswege aus ihren Lebensrollen verbaut, bleibt ihnen nur ein verzweifeltes Weitermachen in den eingeübten Mustern oder die Flucht in den Selbstmord, welche als einzige erlaubt, der Existenz zu entkommen, ohne die Rolle aufzugeben.

[...]


[1] Ruixiang Han: Der komische Aspekt in Bernhards Romanen. Stuttgart: Heinz, 1995. S. 7.

[2] Ebd., S. 25.

[3] Uwe Betz: Polyphone Räume und karnevalisiertes Erbe – Analysen des Werks Thomas Bernhards auf der Basis Bachtinscher Theoreme. Würzburg: Ergon-Verlag, 1997. S. 33.

[4] Ebd., S. 256.

[5] Ebd.

[6] Michael Grabher: Der Protagonist im Erzählwerk Thomas Bernhards. Hamburg: Verlag Dr. Kovac, 2004. S. 255.

[7] Ebd., S. 256.

[8] Ebd., S. 257.

[9] Vgl. hierzu: Suitbert Oberreiter: Lebensinszenierung und kalkulierte Kompromißlosigkeit – Zur Relevanz der Lebenswelt im Werk Thomas Bernhards. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1999, vor allem das gleichnamige Kapitel S. 95ff.

[10] Kay Link: Die Welt als Theater – Künstlichkeit und Künstlertum bei Thomas Bernhard. Stuttgart: Heinz 2000. S. 121.

[11] Vgl. hierzu: Ruixiang Han: Der komische Aspekt in Bernhards Romanen. Stuttgart: Verlag Hans-Dieter Heinz 1995. V.a. S. 34ff.: „ „Komödie“ und „Tragödie““.

[12] Ebd., S. 14.

[13] Thomas Bernhard: Der Theatermacher. S. 24.

[14] Thomas Bernhard: Heldenplatz. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995. S. 40.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
"In meiner Komödie hat es am Ende vollkommen finster zu sein"
Untertitel
Zum komischen Aspekt der Künstler- und Geniefiguren Thomas Bernhards anhand ausgewählter Dramen
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Deutsche Sprache und Literatur II)
Veranstaltung
Das Komische
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V88055
ISBN (eBook)
9783638034104
ISBN (Buch)
9783640204427
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Komödie, Ende, Komische
Arbeit zitieren
Bastian Rittinghaus (Autor:in), 2005, "In meiner Komödie hat es am Ende vollkommen finster zu sein", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88055

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