Ein kognitives Modell der Kommunikation: die Relevanztheorie. Oder: Wie verstehen wir, was wir verstehen?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

Abstract

1. Einleitung

2. Kommunikation im Modell: Code-Modelle und Inferenz-Modelle
2.1 Das Code-Modell und seine Grenzen
2.2 Das Inferenz-Modell
2.2.1 Der Beitrag von H. P. Grice zur Relevanztheorie
2.2.2 Kritik der Relevanztheorie an Grices Ideen
2.2.3 Die Relevanztheorie
2.2.4 Zusammenfassung am konkreten Beispiel

3. Die Relevanztheorie als kognitives Kommunikationsmodell

4. Schlussgedanke

Bibliographie

Abstract

The attempt towards a general theory of meaning and communication had for a long time been dominated by two general assumptions commonly agreed on by western linguists: firstly, that communication could be sufficiently described in terms of encoding and decoding signals, a model which dates back as far as to Aristotle, and secondly, that the meaning of a sentence would be determined by its truth conditions.

After J. L. Austin (1957), who was the first to remark that utterances do more than just giving statements which can be described as being either true or false, it was H. P. Grice, who made two important contributions to linguistic theory which can be regarded as having triggered modern pragmatics: With his theory of meaning, built on the observation that an utterance communicates much more information than just its semantic content, he discovered a whole new area of meaning, which cannot be accounted for in terms of truth-conditional semantics. Perhaps even more influential have been his William James Lectures in which he established the fact that human communication is governed by general principles on the assumption of which the hearer is able to recover the implicated content of an utterance. But although Grice's basic ideas are very convincing, he has left many problems open for further elaboration.

The Relevance Theory of Sperber and Wilson can be seen as having achieved this task by further developing Grice's basic ideas into a powerful explanatory model of communication and cognition.

This paper deals with the relation between Grice's ideas and the Relevance-Theoretic-approach to communication. After pointing out the impact of Grice's approach to Relevance Theory, it will be shown how Relevance Theory emerged out of a critical reassessment of Grice's ideas. As a result it should become clear what the advantages of a Relevance-Theoretic-approach to communication are and how it exceeds Grice's rather sketchy model of communication.

1. Einleitung

"The complete process of understanding is [...] [at its best] characterized by the joke about the two psychoanalysts who meet on the street. One says, 'Good morning'; the other thinks, 'I wonder what he meant by that'." (Pinker 1994: 230).

Wie verstehen wir, was wir verstehen? Diese Frage betrifft das Kernstück von Kommunikation als Prozess der Informationsübertragung zwischen Sprecher (Sender) und Hörer (Empfänger) anhand von Kommunikationsmitteln sprachlicher oder nichtsprachlicher Art.

Oft hört man in der Alltagskonversation Nachfragen unsicherer Sprecher der Art 'Verstehen Sie eigentlich, was ich meine?' oder Äußerungen wie 'Ich verstehe nicht, was Du meinst' von überforderten Zuhörern. Folglich scheint erfolgreiches Kommunizieren[1] in der Praxis nicht so einfach zu sein, wie es die Theorie definiert.

Erfolgreiche Kommunikation gelingt oft, obwohl dies eigentlich unwahrscheinlich ist, da Sprecher und Hörer immer individuell unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen: so differieren z.B. linguistische[2] und logische Kompetenz, sowie Welt- und enzyklopädisches Wissen, der Erfahrungshorizont, Ansichten etc. von Kommunikand zu Kommunikand. Aus diesem Grund ist erfolgreiche Kommunikation m.E. als erklärungsbedürftig anzusehen, denn der Erfolg stellt das Wunder dar, nicht der Misserfolg.

Warum bzw. auf welche Weise verstehen wir uns (glücklicherweise) trotzdem in der Mehrzahl der Fälle? Welches sind die Mechanismen auf sprachlich-linguistischer und kognitiv-inferentieller Ebene, die gegenseitiges Verstehen ermöglichen?

Diese Fragen zu beantworten (oder zumindest die Auseinandersetzung mit ihnen zu wagen) stellt das Ziel dieser Seminararbeit dar. Herangezogen werden dabei vor allem die Theorie von H. P. Grice (1967) und die Relevanztheorie von D. Sperber und D. Wilson (1986/1995).

2. Kommunikation im Modell: Code-Modelle und Inferenz-Modelle

Diese beiden Kommunikationsmodelle schließen sich grundsätzlich nicht gegenseitig aus, sondern sind durchaus als kompatibel anzusehen. Verbale Kommunikation kombiniert Codierungs- und Inferenz-Prozesse miteinander. Als alleinige Basis einer allgemeinen Theorie der Kommunikation ist keines von beiden Modellen allein hinreichend bzw. unspezifisch genug[3].

2.1 Das Code-Modell und seine Grenzen

Auf der Suche nach einer allgemeinen Theorie der Kommunikation stützten sich alle Erklärungsansätze – angefangen von Aristoteles bis hin zu modernen semiotischen Theorien – auf ein einziges Modell, das sogenannte Code-Modell.

Das Code-Modell beschreibt Kommunikation als einen Prozess des Codierens und Decodierens[4]. Laut Code-Modell codiert der Sprecher die Information, die er übermittelt wissen will (z.B. Ideen, Wünsche, Annahmen etc.) mittels Sprache, d.h. er 'verpackt' sie und 'schickt' sie anschließend als Botschaft durch ein bestimmtes Medium (z.B. die Luft oder ein Telefonkabel) zum Hörer. Dieser empfängt die Botschaft, decodiert sie nach den Regeln der Sprache[5], d.h. er 'entpackt' die Information wieder, um so die Botschaft des Sprechers zu verstehen[6] (vgl. z.B. das Modell von Shannon & Weaver 1949).

Das Code-Modell beschreibt Kommunikation als einen symmetrischen Prozess: Die Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg einer Kommunikation liegt laut Code-Modell zu gleichen Teilen bei Sprecher und Hörer. Kommunikativer Erfolg kann garantiert dadurch erreicht werden, dass Sprecher und Hörer das En- und Decodieren unter korrekter Anwendung des linguistischen Regelwissens durchführen.

Desweiteren sieht das Code-Modell die Bedeutung einer Äußerung konventionell mit der Äußerung selbst verbunden, d.h. es geht von einer prinzipiellen Identität von Code (= sprachlich explizit Gesagtes) und Botschaft (= intendierte Bedeutung; das Gemeinte) aus.

Insgesamt beschreiben Code-Modelle Kommunikationsprozesse als sogenannte 'fail-safe-mechanisms'; d.h., sie stellen das Gelingen von Kommunikation als den Normalfall dar, der voraussagbar immer dann eintritt, wenn sowohl von Sprecher- als auch von Hörer-Seite die Regeln der Sprache richtig angewandt werden.

Die Praxis erfolgreiche Kommunikation anhand des Code-Modells zu erklären hat sich aufgrund seiner Plausibilität mittlerweile so stark etabliert, dass es seinem Hypothesen-Status beinahe entwachsen scheint. Jedoch ist das Code-Modell eigentlich nur ein Vorschlag zur Beschreibung des Kommunikationsprozesses und weist neben all seinen Vorzügen auch nicht zu vernachlässigende Fehler und Lücken auf.

Der Hauptdefekt besteht laut Sperber und Wilson darin, "that it is descriptively inadequate: comprehension involves more than the decoding of a linguistic signal" (Sperber & Wilson 1995: 6). Diese 'Beschreibungsinadäquatheit' zu füllen suchen Inferenz-Modelle, wie die Relevanztheorie (Sperber & Wilson 1986/1995). Als Alternative (bzw. Ergänzung) zum Code-Modell schließt das Inferenz-Modell letzte Lücken zur Erklärung des Verstehensprozesses innerhalb erfolgreicher verbaler Kommunikation.

2.2 Das Inferenz-Modell

2.2.1 Der Beitrag von H. P. Grice zur Relevanztheorie

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte H. P. Grice mit seiner Theorie des Kooperationsprinzips und der Konversationsmaximen ein anderes Modell von Kommunikation: das Inferenz-Modell. Dieser Ansatz beschreibt Kommunikation als einen Folgerungsprozess, bei dem die Decodierung des verwandten Codes (z.B. sprachlicher Laute) lediglich eine untergeordnete Rolle im Verstehensprozess des Hörers spielt. Laut dieser Vorstellung basiert Kommunikation vielmehr auf Inferenz, d.h. auf dem Schlussfolgern und damit Ableiten der vom Sprecher intendierten Bedeutung einer Äußerung.

Herbert Paul Grice (1913 - 1988) galt als eine der Hauptfiguren der philosophischen Szene im Oxford der 40er und 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Er arbeitete u.a. mit J. L. Austin und P. F. Strawson. Grices Theorie hatte bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der analytischen Sprachphilosophie sowie der modernen Pragmatik, obwohl nur relativ wenig von seiner Arbeit tatsächlich veröffentlicht wurde. Als wichtigstes Werk gelten seine William James Lectures, die er 1967 an der University of Harvard hielt. Darin entwickelt er die Theorie der Konversationsimplikaturen ('Theory of Conversational Implicatures'). Diese Theorie basiert auf dem gleichen Ideengut wie Austins Sprechakttheorie[7]. Austin unterschied zwischen dem, was ein Sprecher sagt und dem, was er damit meint. Grice nahm dieses Prinzip für seine Theorie auf und baute es weiter aus; er versuchte zu erklären, wie ein Hörer von der Verstehensebene des explizit Geäußerten die implizierte Bedeutung (das Gemeinte) erschließen kann. Diese Theorie wurde von Grice selbst nie vollständig fertiggestellt. Seine Ausführungen tragen deshalb bruchstückhafte Züge und besitzen eher skizzenhaften Charakter. Außerdem steht seine Arbeit bis heute unter heftiger Kritik und wird oftmals missverstanden. Doch trotz alledem werden seine William James Lectures und insbesondere die darin enthaltene Implikaturen-Theorie als der einflussreichste Beitrag zur Entwicklung der modernen Pragmatik betrachtet.

Das Zentrale an Grices Entdeckung besteht darin, dass er erkannte, dass sich Sprecher und Hörer innerhalb rationaler Kommunikation grundsätzlich kooperativ[8] verhalten und dass gerade dieses Kooperieren dem Hörer das Ziehen von Schlüssen ermöglicht, die weit über das explizit vom Sprecher Geäußerte hinausgehen. Als Grundlage rationaler Kommunikation stellte Grice das sogenannte Kooperationsprinzip ('Cooperative Principle') auf:

"Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged" (Grice 1975: 60 ff).

Diesem fügte er vier Konversationsmaximen[9] ('Conversational Maxims') hinzu:

1. The Maxim of Quality - Try to make your contribution one that is true.

- Do not say what you believe to be false.
- Do not say that for which you lack adequate evidence.

2. The Maxim of Quantity -

- Make your contribution as informative as is required (for the current purposes of exchange).
- Do not make your contribution more informative than is required.

3. The Maxim of Relation/Relevance - Be relevant.

4. The Maxim of Manner - Be perspicuous.

- Avoid obscurity of expression.
- Avoid ambiguity.
- Be brief (avoid unnecessary prolixity).
- Be orderly.

(vgl. Grice 1975: 60ff).

Die Interpretation dieser Maximen hat oft zu Missverständnissen geführt. Bei einer einmaligen flüchtigen Lektüre könnte leicht der Eindruck entstehen, hierbei handele es sich um moralische Imperative zu ethisch korrektem kommunikativen Verhalten. Dies liegt jedoch genau nicht in Grices Absicht: Es geht ihm nicht um die Aufstellung moralischer Normen, sondern um einfache Regeln rationalen Verhaltens. Er wollte damit keine Anleitung zu richtigem kommunikativem Verhalten geben, sondern lediglich darauf hinweisen "... that in conversational interaction people work on the assumption that a certain set of rules is in operation, unless they receive indications on the contrary" (Thomas 1997: 390).

[...]


[1] ’Erfolgreich’ bedeutet hier und im folgenden, dass der Empfänger nicht nur hört, was gesagt wird,

sondern auch versteht, was damit gemeint ist.

[2] Dies ist selbst innerhalb einer Sprachgemeinschaft der Fall.

[3] Dies ist vergleichbar mit dem Postulat nach einem allgemeinen Prinzip der Bewegung: Fahrradfahren z.B.
besitzt sowohl eine physiologische als auch eine mechanische Bewegungskomponente; genauso
funktioniert verbale Kommunikation sowohl mit Hilfe von Codierungs- als auch Inferenz-Mechanismen.
Auf die gleiche Weise wie beim Fahrradfahren beide Bewegungskomponenten zusammenspielen, so
interagieren auch Inferenz- und Codierungstechniken bei verbaler Kommunikation (vgl. Sperber & Wilson
1995: 3).

[4] Code-Modelle werden auch als sogenannte ’Paket-Modelle’ bezeichnet, da sie den Kommunikations-
prozess auf eine Weise beschrieben, die dem Versenden eines Pakets ähnlich ist.

[5] Gemeint sind grammatische, syntaktische und semantische Regeln einer jeweiligen Einzelsprache.

[6] Oder in der Formulierung Steven Pinkers: "[In Code-Models] ideas are objects, sentences are containers,
and communication is sending. We 'gather' our ideas to 'put' them 'into' words, and if our verbiage is not
'empty' or 'hollow', we might 'convey' or 'get' these ideas 'across' 'to' a listener, who can 'unpack' our
words to 'extract' their 'content' " (Pinker 1994: 230).

[7] J. L. Austin (19762): How to do things with words, Oxford: Clarendon.

[8] 'Kooperativ' bzw. 'kooperieren' bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass Sprecher und Hörer im
Sinne der Erreichung eines gemeinsamen Ziels in der außersprachlichen Wirklichkeit zusammenarbeiten,
wie z.B. eine Fußballmannschaft in Teamarbeit zu elft am Sieg eines Fußballspiels arbeitet; vielmehr
handelt es sich um reines "linguistic goal-sharing" (Thomas 1997: 393) zwischen Sprecher und Hörer:
"'Use language in such a way that your interlocutor can understand what you are saying and implying'"
(Thomas 1997: 393). So kann auch ein Streitgespräch durchaus dem Kooperationsprinzip folgen, obwohl
die Kommunikanden unterschiedliche Ziele verfolgen. Auf linguistischer Ebene jedoch kooperieren sie
insofern, als dass sie gemeinsam das Gespräch aufrechterhalten und voranbringen.

[9] Zur Auswahl gerade dieser vier Kriterien für seine Maximen sagt Grice folgendes: "Es gibt natürlich noch
vielerlei andere Maximen (ästhetische, soziale, moralische) wie z.B. 'Sei höflich', die normalerweise in
Gesprächen ebenfalls befolgt werden [...] Die Gesprächsmaximen und die damit verbundenen Gesprächs
implikaturen stehen, so hoffe ich, in einem besonderen Zusammenhang mit den verschiedenen Zwecken,
die durch Sprechen [...] erfüllt werden können [...] Ich stelle meine Maximen auf, als ob diese Zwecke
und Ziele nichts anderes seien als ein maximal effektiver Informationsaustausch. Dies ist natürlich zu eng
gesehen und mein Schema muß allgemeiner gefaßt werden, so daß auch so allgemeine Gesprächs-
zwecke wie Beeinflussung oder Lenkung von Handlungen anderer darin Platz haben" (Grice in Kußmaul
1980: 115).

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Ein kognitives Modell der Kommunikation: die Relevanztheorie. Oder: Wie verstehen wir, was wir verstehen?
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)  (Kulturwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Hauptseminar: Kognitive Linguistik
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
20
Katalognummer
V11311
ISBN (eBook)
9783638175036
ISBN (Buch)
9783640202645
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Modell, Kommunikation, Relevanztheorie, Oder, Hauptseminar, Kognitive, Linguistik
Arbeit zitieren
Sabine Braun (Autor:in), 2002, Ein kognitives Modell der Kommunikation: die Relevanztheorie. Oder: Wie verstehen wir, was wir verstehen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11311

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