Auf Rekordjagd - Betriebssport in der Weimarer Republik


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2008

14 Seiten, Note: ohne


Leseprobe


Auf Rekordjagd – Betriebssport in der Weimarer Republik*

von Harald Winkel

Der Gedanke des Betriebssports, d. h. die Schaffung von Sportangeboten innerhalb der Betriebsstrukturen, die es auf freiwilliger Basis den Arbeitnehmern ohne Unterschied ihres Alters, der betrieblichen Position oder des Geschlechts ermöglichen, sportlichen Aktivitäten nachzugehen, nimmt seinen maßgeblichen Ausgang in Deutschland zu Beginn der Weimarer Republik. Vielerorts bauen Betriebe Sportanlagen auf, deren Nutzung jedem interessierten Werksbediensteten und in der Regel auch seinen Angehörigen offensteht. Die nach Kriegsende in rasanter Weise aufblühende Sportbegeisterung macht auch vor den Toren der Fabriken und anderer Wirtschaftsunternehmen nicht halt.1

Die Initiatoren des Betriebssports werben zu Beginn für ihre Idee mit Werten wie Freude, Geselligkeit und Kameradschaft, aber auch mit Erholung und Ausgleich zur täglichen Arbeit. Oftmals gibt der Wunsch, das immer populärer werdende Fußballspiel im Kreise der Arbeitskollegen zu pflegen, den ersten Anstoß. Es bilden sich sportambitionierte Interessengemeinschaften, die den Unternehmensleitungen ihre Wünsche vorbringen. Angesichts der desolaten finanziellen Lage des Sport- und Vereinswesens der Nachkriegszeit sind gerade die Großunternehmen am ehesten in der Lage, den Bitten nach Ausrüstung und Übungsstätten zu entsprechen. Zweck des Vereins, heißt es beispielsweise in der Satzung des Sportvereins der Dresdner Bank Frankfurt (D.B.S.), ist, den Angestellten der Dresdner Bank in Frankfurt a. M. und der ihr nahestehenden Betriebe, sowie deren Angehörigen Gelegenheit zur Ausübung jeglichen Sportes und zur Pflege kameradschaftlichen Geistes zu geben.... Die Dresdner Bank in Frankfurt a. M. hat sich bereit erklärt, in weitgehendem Maße den D.B.S. zu unterstützen. Sie stellt dem Verein Sportplatz, Dusche- und Umkleideräume zur Verfügung, ferner einen geeigneten Raum zur Aufbewahrung der Gerätschaften. Ueber die gesamte Höhe der Aufwendungen hat der D.B.S. ständig mit der Direktion... in Fühlung zu bleiben.2

Die zentrale Zielsetzung des Betriebssports kristallisiert sich während der zwanziger Jahre immer mehr heraus. Er wird verstanden als eine Art Gegenbewegung zu Industrialisierung und industriellen Lebensformen. Er wird gerade angesichts der tiefgreifenden strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft der Nachkriegsjahre als Ausgleich und Erholung gesehen. Die Produktionsorganisation und damit die Arbeitswelt unterliegen in dieser Zeit einem radikalen Wandel.

Der Start der deutschen Wirtschaft in die Friedenszeit ist nämlich mit einer erheblichen Wandlung ihrer Produktionsorganisation verbunden.3 Die Produktivitäts- und Profitsteigerung in der industriellen Massenfabrikation wird zur obersten Maxime der Unternehmer. Nur durch eine Erhöhung der industriellen Arbeitsproduktivität könne sich die exportorientierte Wirtschaft in einer Zeit politischer und ökonomischer Notlagen, in der das Ausmaß der Kriegsfolgen für Wirtschaft und Handel katastrophal und für die Zukunft vor allem wegen der immensen Reparationsforderungen der Alliierten zunächst noch unübersehbar ist, auf dem Weltmarkt behaupten. Durch eine konzentrierte Rationalisierung der Arbeitsprozesse soll eine effizientere, beschleunigte und kostengünstigere Produktion erreicht werden. Dies wird durch eine organisatorische Optimierung der Herstellungsprozesse, vor allem mittels einer Konzentration industrieller Betriebe zu größeren Unternehmensgefügen, der Bildung von Kartellen und Syndikaten und einer verstärkten Mechanisierung der Produktionsvorgänge umgesetzt. Besonders nach der Währungsstabilisierung setzt 1924 ein Rationalisierungsboom ein, um vor allem dem relativ hohen Arbeitskostendruck entgegenzuwirken. Die Verfahren dieser strukturellen Veränderungen orientieren sich weitestgehend an amerikanischen Entwicklungen, die sich insbesondere mit den Schlagworten Fließbandarbeit und Taylorismus umreißen lassen.4 Bei dem durch seine Umsetzung in der Automobilgroßserienfertigung Henry Fords populär gewordenen System der Fließbandarbeit (Ford’sche System) wird der Produktionsprozess in viele kleine Teilschritte zergliedert, bei denen die Tätigkeit des Arbeiters auf genau festgelegte, immer wiederkehrende Arbeitsschritte reduziert wird, wobei der Arbeitsrhythmus dieser repetitiven Arbeitsvorgänge von der Geschwindigkeit des die Werkstücke zur nächsten Arbeitsstufe transportierenden Bandes vorgegeben wird. Die nach ihrem amerikanischen Begründer F. W. Taylor benannte wissenschaftliche Betriebsführung (scientific management) beschreibt eine Methode des effektivsten Gebrauchs des Produktionsfaktors Mensch. Mittels Zeit- und Bewegungsstudien versucht Taylor, noch brach liegendes Leistungspotential der Arbeiter aufzudecken. Durch Analyse und Optimierung des entsprechenden Arbeitsschrittes sowie der jeweiligen Ausführung desselben durch den Arbeiter wird der schnellste und effizienteste des in kleinste Einheiten zerlegten Produktionsablaufs ermittelt, wobei der Arbeiter aller arbeitsorganisatorisch planenden und kontrollierenden Denkprozesse entbunden wird. Motivierender Anreiz für diese monotone, quasi mechanische Arbeit, zu der keine besonderen Qualifikationen mehr erforderlich sind, soll nach Taylor eine leistungsorientierte Entlohnung sein. Aber nicht nur die Industriearbeiter sind von grundlegenden Veränderungen bezüglich der Arbeitsorganisation und -anforderungen betroffen; Modernisierung und rationalisierte Arbeitsmethoden halten vor allem auch in der kaufmännischen Betriebsorganisation, in Büros und Verwaltung Einzug.

Zunehmend erkennt man die negativen Auswirkungen der taylorisierten Arbeitsabläufe auf den menschlichen Körper. Die oft nur aus wenigen, stetig wiederholten Handgriffen bestehende Arbeit führt im Vergleich zu der bisherigen Fabrikarbeit in der Regel zu einer geringeren, dafür aber auch einseitigen körperlichen Belastung. Bewegungsverarmung und Überbelastung bestimmter Körperpartien schädigen den Organismus. Durch Taktarbeit oder den aus äußerst knapp veranschlagten Akkordanforderungen resultierenden Zeitdruck entsteht mentaler Stress. Zudem macht die monotone, abstumpfende Fließbandarbeit den solchermaßen unterforderten Geist träge. Diese Auswirkungen werden auch bei Angestellten mit sitzender Tätigkeit festgestellt. Die immer umfangreicher werdenden, standardisierten, zunehmend mechanisch auszuführenden Büro- und Verwaltungstätigkeiten werden als ein sich ungemein ausweitendes Problemfeld ausgemacht. In den neuen Schreibbüros klagen die Frauen über Lärm und nervliche Belastung, schmerzende Rücken und geschwollene Handgelenke. Ärzte diagnostizieren Nervosität aufgrund von Stress als ein typisches Zeichen der Zeit. Unter den körperlichen und geistigen Anspannungen verkümmern zudem Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen. Der dequalifizierte und leicht austauschbare Arbeiter erfährt sich immer mehr als ein unbedeutendes Rad in dem von Maschinen dominierten Produktionsprozess. Ziel scheint es zu sein, dass der Mensch in diesem System durch seine optimierte Funktionalität, dem mechanischen Verrichten des ihm obliegenden Arbeitsschrittes oder dem Bedienen von Maschinen selbst wie eine Maschine funktioniert und seine Leistung ausschließlich in den Dienst von Effektivität und Produktivität stellt.

[...]


* Der vorliegende Beitrag basiert auf Arbeiten zur Vorbereitung einer Großausstellung über die Beschleunigung des Lebens im ersten Drittel des 20. Jahrhundert („Tempo, Tempo ...“), die ca. zwischen 1993 und 1998 an der Philipps-Universität Marburg unter Leitung von Prof. Dr. Peter Borscheid stattgefundenen haben. Die Ausstellung konnte letztendlich nicht verwirklicht werden. Der Artikel wurde 2008 überarbeitet und aktualisiert.

1 Vgl. zum Betriebssport in Deutschland während der Weimarer Republik etwa Andreas LUH, Betriebssport zwischen Arbeitgeberinteressen und Arbeitnehmerbedürfnissen – Eine historische Analyse vom Kaiserreich bis zur Gegenwart (Sportforum 6), Aachen 1998; DERS., Betriebssport in Deutschland. Entwicklung und Struktur vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, in: Zwischen Arbeitnehmerinteressen und Unternehmenspolitik. Zur Geschichte des Betriebssports in Deutschland (ISHPES-Studies 5), hg. von Gertrud Pfister, Sankt Augustin 1999, S. 7-17, hier S. 9 f. – Zum Sport in der Weimarer Republik allgemein vgl. etwa Erich BEYER, Sport in der Weimarer Republik, in: Geschichte der Leibesübungen, hg. von Horst Ueberhorst, Bd. 3/2, Berlin u. a. 1982, S. 657-700.

2 §§ 2 und 11 der Satzungen und Geschäftsordnung des Dresdner Bank Sportvereins (D.B.S.) in Frankfurt am Main, gegründet am 14. August 1930.

3 Vgl. allgemein etwa Friedrich-Wilhelm HENNING, Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Teil 1: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik 1914 bis 1932 (Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands 3,1), Paderborn u. a. 2003.

4 Vgl. etwa Dudo VON ECKARDSTEIN/Günther SCHANZ, Artikel: Taylorismus, in: Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, 2. überarbeitete und erweiterte Aufl. München 1993, Bd. 2, S. 2066 f.

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Details

Titel
Auf Rekordjagd - Betriebssport in der Weimarer Republik
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Note
ohne
Autor
Jahr
2008
Seiten
14
Katalognummer
V117785
ISBN (eBook)
9783640201167
ISBN (Buch)
9783640206421
Dateigröße
399 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Aufsatz Sportgeschichte, Quellen sind komplett in den Fußnoten zitiertAufsatz Sportgeschichte, Quellen sind komplett in den Fußnoten zitiert
Schlagworte
Rekordjagd, Betriebssport, Weimarer, Republik
Arbeit zitieren
Dr. Harald Winkel (Autor:in), 2008, Auf Rekordjagd - Betriebssport in der Weimarer Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117785

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