Wieviel Freiheit ist "genug"? - Die Auseinandersetzung David vs. Milton Friedman vor dem Hintergrund des philosophischen Freiheitsbegriffs


Diplomarbeit, 2008

85 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Ökonomen und Philosophen - philosophische Implikationen ökonomischer Modelle

2 Thomas Hobbes: wirtschaftliche Entwicklung und der philosophische Freiheitsbegriff seit der Aufklärung

3 Milton Friedman - Freiheit in Zeiten der sozialistischen Alternative
3.1 Kapitalismus und Freiheit
3.2 J.S. Mill und A. Smith - Urväter des Individualismus, des Marktes und der Freiheit
3.3 R. Nozick - Die Suche nach einer Grenze staatlicher Autorität
3.4 Free to Choose
3.5 Isaiah Berlin - Der Begriff der Freiheit im 20. Jahrhundert
3.6 Wie frei sind wir eigentlich? - Determinismus und ein kompatibilistischer Lösungsversuch

4 David Friedman - Freiheit konsequent: Anarchismus
4.1 Konzeption des Libertarismus in MF
4.2 J. Locke - Freiheit und Eigentum
4.3 J.C. Lester - Freiheit gleich Minimierung von Zwang
4.4 Murray N. Rothbard - Eine Ethik der Freiheit
4.5 Tyler Cowens Kritik an Friedman - Probleme der Stabilität und Monopolisierung

5 Versuch einer Wertung - Das Zuwenig; das Zuviel; ein „Genug"?
5.1 Das Zuwenig - Der optimistische Ansatz
5.2 Das Zuviel - Der pessimistische Ansatz
5.3 Das Genug - Existiert eine Goldlöckchen-Lösung?

6 Siglenverzeichnis

7 Literaturverzeichnis

Anhang 1: Interview mit Mr. David Friedman

Anhang 2: The Advantage of Capitalist Trucks

1 Ökonomen und Philosophen - philosophische Implikationen ökonomischer Modelle

Jedem wissenschaftlichem Schreiben geht das Denken voraus. Denken ist subjektiv, und jedem Subjekt ist eine Philosophie zu Eigen. Jedes Schreiben birgt somit die Philosophie des Autors in sich, gleichgültig, ob er sie explizit formuliert, oder sie nur durch die niedergeschriebenen Fakten durchscheint. Diese Arbeit wird die philosophischen Implikationen zweier Ökonomen herausarbeiten, von denen jeder auf seine Weise im Zentrum einer bestimmten wirtschaftswissenschaftlichen Ideologie stehen. Der Reiz der Auseinandersetzung der beiden nährt sich vordergründig daraus, dass sich beide familiär sehr nahe stehen. David ist der Sohn von Milton Friedman. Wird Milton Friedman als WirtschaftsNobelpreisträger und Berater marktliberaler Regierender schon von linken und sozialistischen Wortführern für vermeintliche Ungerechtigkeiten wirtschaftlicher Entwicklung als Galionsfigur eines menschenverachtenden Kapitalismus verantwortlich gemacht, ist die ökonomische Theorie seines Sohnes - wenn auch nicht annähernd gleich bekannt - noch weit darüber hinaus gehend. Was an dieser Feststellung Ursache und was Wirkung ist, ist nicht klar auszumachen. Denn in den Augen der meisten - Ökonomen oder Intellektuelle - wird schon die oberflächliche Betrachtung der Grundkonzeption des Sohnes zur Ablehnung einer näheren Auseinandersetzung führen. Sie benehmen sich damit allerdings der Beschäftigung mit einer Philosophie, die erst durch ihre Radikalität Konsistenz erlangt. Erst von diesem radikalen Standpunkt aus jedoch kann sie Wirkung auf gegenwärtige Fragen der Wirtschaftsphilosophie ausüben.

Ziel der Arbeit ist die Gegenüberstellung eines konsequenten Liberalismus - der des Vaters[1], mit einem extremen Liberalismus - dem des Sohnes. Es wird zu erörtern sein, worauf sich die jeweiligen Ansichten gründen. Zunächst muss dazu die Grundlage des väterlichen Denkens erarbeitet werden (Abschnitt 3), um davon ausgehend darstellen zu können, was dem Sohn daran nicht weit genug gehend erscheint (Abschnitt 4).

Beide Autoren sind Ökonomen, d.h. nach ihrem eigenen Selbstverständnis, dass sie ihre Konzeptionen ausdrücklich nicht als Beitrag zur Philosophie verstanden sehen wollen. David Friedman beruft sich beispielsweise im I immer wieder auf den fehlenden moralphilosophischen Anspruch seines Schreibens an Stellen, an denen eben gerade mit philosophischen Ansätzen die Konsistenz der Argumentation zu hinterfragen ist.[2] Hierin mag mutmaßlich eine subjektive Einschätzung David Friedmans zu sehen sein, sich mit der Philosophie in einen vagen Bereich zu begeben, der die vermeintliche Objektivität der Wirtschaftswissenschaft vermissen lässt. Andere haben diese Besorgnis nicht geteilt - sei es, weil die Zeit die beiden Wissenschaftsbereiche noch nicht ausdifferenziert hatte (Hume, Hobbes, Locke, Smith, um nur einige zu nennen), sei es, weil sie es explizit als erforderlich ansahen, dem wirtschaftlichen Denken ein philosophisches Fundament mitzugeben (so vor allem Nozick, Rothbard und Lester). Es wird daher bei der Analyse der Werke von Milton und David Friedman in einem ersten Schritt darum gehen müssen, den Rahmenbau der Gedanken freizulegen. Dazu müssen die philosophischen Gedanken von den unterstützenden empirischen Beobachtungen getrennt werden, um einen klaren Blick auf die Grundkonzeptionen zu erhalten. Stehen dann die Fachwerke der Gedankengebäude ohne stützende, aber auch verkleidende, empirische Füllmaterialien da, kann die Statik der Gedanken überprüft werden. Will sagen: Erst nach klarer Abstraktion der Philosophie von der Empirie kann erstere auf Konsistenz und Kohärenz hin analysiert werden.

Festzustellen wird dann aber sein, dass an einigen Stellen der Konzeptionen wiederum Stützpfeiler angebracht werden müssen, um das Gedankengebäude halten zu können. Diese werden in der Hinzuziehung von Philosophen und mehr philosophisch orientierten ökonomischen Autoren gefunden. Teilweise rekurrieren die beiden Friedmans unmittelbar auf diese, wie Milton vor allem auf Mill und Smith. In anderen Teilen der Werke können diese Denker ungenannt in den Darlegungen entdeckt werden.

Zur philosophischen Analyse gehört auch die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Kritikern. Diesen muss Raum gegeben werden, um dem Gedankengebäude Gelegenheit zu geben, zu beweisen, dass es nicht nur bei Sonnenschein stehen bleibt, sondern auch in der Lage ist, Stürmen der Kritik Stand zu halten. Jeder Autor versucht, die ihm bekannten Kritiken bereits im Werk selbst aufzugreifen und zu widerlegen. Diesbezüglich muss sich zeigen, wie weit dies jeweils gelungen ist. Andere Kritiken sind vom Autor entweder nicht gesehen worden oder gar bewusst ausgelassen. Diese müssen aufgegriffen und erörtert werden.

Zu Beginn muss noch eine Sprachregelung getroffen werden, um die Darstellung im Text zu vereinfachen. Milton Friedman vertritt klassisch liberale Positionen und kann daher als Liberaler bezeichnet werden. Die Ideologie von David Friedman wird als libertär bezeichnet, womit in erster Linie verdeutlicht werden soll, dass sie an vielen Stellen über liberale Gedanken hinausgeht. So einfach diese sprachliche Festlegung war, so schwer wird es, die jeweiligen Antonyme zu fassen, ohne gleich feste Assoziationen auszulösen. Mag auch ,konservativ' gewöhnlich als Antonym für ,liberal' definiert werden, erscheint dies im hiesigen Diskussionszusammenhang nicht opportun, denn im Vergleich zu Davids Ansichten können die von Milton als durchaus konservativ bezeichnet werden. Deshalb wird hier stattdessen ,sozialistisch' bzw. ,Sozialismus' verwendet werden, da dies den Implikationen des Argumentierens Milton Friedmans am ehesten entspricht. Noch schwieriger ist es bei David Friedman. Um die Intention seines Schreibens zu berücksichtigen wird hier das Antonym ,Etatistisch' bzw. ,Etatismus' verwandt.

Diese Arbeit beginnt mit einem kurzen einführenden Abschnitt in den modernen Liberalismus Thomas Hobbes'. In den beiden folgenden Abschnitten werden die beiden Protagonisten anhand ausgewählter Publikationen vorgestellt, und jeweils mit ihren Ideengebern, Mitdenkern und Kritikern konfrontiert. Dabei wird sich diese Arbeit bewusst auf liberale Philosophen konzentrieren müssen, die wegen der philosophiegeschichtlichen Genese dieser Denkrichtung fast alle dem angelsächsischen Sprachraum zuzuordnen sind. Eine Ausweitung auf weitere Freiheitstheoretiker - insbesondere auch Kant - wurde unterlassen, weil dadurch einerseits die Stringenz der Argumentationsführung verloren ginge, andererseits aber auch eine nur kursorische Erwähnung der kantischen Freiheitsphilosophie dieser nicht annähernd gerecht werden könnte.

Statt in einem einleitenden Kapitel die verschiedenen Freiheitskonzeptionen zunächst einführend darzustellen, werden diese Explikationen jeweils an den geeigneten Stellen während der Auseinandersetzung mit den Argumentationslinien der besprochenen Autoren eingeflochten. Intention dieser Vorgehensweise ist, dass sich durch diesen Aufbau im Verlauf der Lektüre ein aufbauendes Bild der Freiheitsphilosophie entwickelt. Die Wurzeln des Liberalismus seit der Aufklärung werden in Abschnitt 2 erörtert. Im Rahmen der Darlegung der Philosophie Milton Friedmans wird Platz sein für dessen Fortschreibung durch Smith und Mill (Abschnitt 3.2) sowie der neuzeitlichen Minimalstaatsphilosophie Nozicks (Abschnitt 3.3). Die philosophisch notwendige Auseinandersetzung mit den Differenzierungen der positiven und negativen Freiheit findet sich in Abschnitt 3.4, eine Beleuchtung des gegenwärtigen Überlegungsstands zum Determinismus wird sich in Abschnitt 3.5 passenderweise einfügen lassen. David Friedmans Anarcho-Kapitalismus wird in Abschnitt 4 dargelegt werden. In diesem Kontext muss sich mit der Verbindung der Frage des Liberalismus mit der des Eigentums beschäftigt werden (Abschnitt 4.2). Konzeptionelle Einwände von Lester und Rothbard finden ihren Platz in Abschnitt 4.3 und 4.4, wo auch das Verhältnis von Freiheit zu Macht und Zwang beleuchtet werden wird. Ökonomische Einwände gegen den Libertarismus David Friedmans werden in Abschnitt 4.5 erörtert.

Im letzten Abschnitt 5 wird versucht werden, eine Antwort auf die Frage des Themas der Arbeit zu finden. Hier werden die konzeptionellen Anforderungen des Liberalismus an die Rationalität anzusprechen sein, und abschließend an einem ausgewählten Beispiel aus der aktuellen europäischen Sozialstaatsdiskussion das Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit beleuchtet.

Im Rahmen dieser Arbeit wurde mit dem David Friedman ein Interview durchgeführt, um ihm selbst Gelegenheit zu geben, zu einzelnen Aspekten seiner Konzeption Stellung zu nehmen und diese an kritischen Stellen zu ergänzen. Das Interview ist im Anhang 1 abgedruckt. Die Aussagen werden in diese Arbeit an geeigneten Stellen mit einbezogen werden.

2 Thomas Hobbes: wirtschaftliche Entwicklung und der philosophische Freiheitsbegriff seit der Aufklärung

„Individualismus, als eine elementare theoretische Position, geht mindestens auf Hobbes zurück. "[3]

Diese Arbeit beginnt mit der Aufklärung. Aus der Retrospektive kann festgehalten werden, dass die neuzeitliche wirtschaftliche Entwicklung bis zur Ausdifferenzierung des Kapitalismus, der philosophischen Emanzipation weg von der gedanklichen Unterwerfung unter staatliche und kirchliche Autoritäten hin zum Primat der menschlichen Vernunft, nur um wenige Jahrzehnte verschoben aufeinander folgte. Emanzipation ist Freiwerdung. Die der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegenden Gedankengänge liberaler Autoren werden offenbaren, dass geistige, physische und wirtschaftliche Freiwerdung nicht zufällig in genau dieser Reihenfolge auftraten, sondern dass dahinter liegend gerade ein Kontinuum zu erkennen ist. Geistige und physische Freiheit ist, wenn auch nicht hinreichende, so doch zumindest notwendige Bedingung für wirtschaftliche Prosperität - das ist Friedmansches Diktum, unabhängig vom Vornamen des jeweiligen Autors. Es erscheint daher nur folgerichtig, diese Arbeit mit dem Denker zu beginnen, der in der Neuzeit erstmalig staatliche Autorität nicht aus einer ihr übergeordneten Autorität ableitet, sondern sie als das Ergebnis vernunftorientierten Handelns freier Individuen darstellt: Thomas Hobbes[4].

Schon in der Konzeption des ,Leviathan' kommt die Grundidee Hobbes' zum Vorschein, die die Begründung des modernen Liberalismus übernimmt. Der Staats-Leviathan ist ein „künstliches Tier"[5], das von den Individuen erschaffen worden ist und von ihnen gebildet wird. Hobbes beginnt daher folgerichtig im Ersten Teil mit einer Darstellung des Menschen, worauf erst im Zweiten Teil die der Genese des Staates folgt. Schon hieran ist zu erkennen, welche Rangfolge er seiner Staatsbegründung zu Grunde legt. Am Anfang steht das Individuum bzw. deren viele, aus deren Aggregation schließlich erst das Staatsgebilde erwächst. Diese heute möglicherweise triviale Erkenntnis kam zur Zeit Hobbes revolutionäre Bedeutung zu, weil sie erstmals dem Individuum eine Rolle zusprach, die vorher allein einem Schöpfergott bzw. der aus ihm abgeleiteten absolutistischen Staatsgewalt zukam. Sie gewinnt aber auch heute wieder an Bedeutung, wo die Genese eines Staatsgebildes nicht mehr hinterfragt wird, sondern stattdessen lediglich über Möglichkeiten verhandelt wird, staatliches Handeln auszuweiten. Hobbes Philosophie mahnt auch noch im 21. Jahrhundert etatistische Rhetoriker.

Hobbes setzt die Fähigkeit zur Anwendung der Vernunft als den Menschen konstituierend voraus. Die Vernunft befähigt ihn, Streitigkeiten beizulegen und vom Glauben zum Wissen überzugehen.[6] Sie u.a. unterscheidet ihn vom Tier.[7] Die Vernunft befähigt zur ,Überlegung'. „Das, was nach der angestellten Überlegung unmittelbar folgt, sei es Neigung oder Abneigung, heißt Wille"[8] Der Wille seinerseits generiert Handlungen, die insofern frei sind, als dass sie der vernunftorientierten Überlegung entspringen. Nach weiteren Ausführungen über das Wesen und den Gebrauch der Vernunft, kommt Hobbes aus dem hiesigen Blickwinkel der Betrachtung im dreizehnten Kapitel zum Kern des Problems menschlichen Miteinanders. Die Vernunft ist subjektiv empfunden und lässt den Menschen sich auf sich selbst konzentrieren. In Verbindung mit der implizit vorausgesetzten Knappheit der Ressourcen entsteht daraus der intersubjektive Konflikt:

Sooft daher zwei ein und dasselbe wünschen, dessen sie aber nicht zugleich teilhaftig werden können, so wird einer des anderen Feind, und um das gesetzte Ziel, welches mit der Selbsterhaltung immer verbunden ist, zu erreichen, werden beide danach trachten, sich den anderen entweder unterwürfig zu machen oder ihn zu töten. [...] Hieraus ergibt sich, daß ohne eine einschränkende Macht der Zustand der Menschen ein solcher sei, wie er zuvor beschrieben wurde, nämlich ein Krieg aller gegen alle[9]

Der Selbsterhaltungstrieb des Menschen verbunden mit einem vernunftgeleiteten Egoismus lässt die Menschen untereinander in einem fortwährenden Kriegszustand leben. Ohne einschränkende Gesetze oder Mächte bestünde gesellschaftliches Miteinander im Wesentlichen aus Angriff oder besser Übergriff (auf das Eigentum des Anderen) und Verteidigung dagegen. „Freiheit begreift ihrer ursprünglichen Bedeutung nach die Abwesenheit aller äußeren Hindernisse in sich."[10] Das ist zunächst einmal eine rohe Freiheit[11], die Freiheit des Naturrechts, die nun aber eingeschränkt wird.

Hobbes transformiert diese ursprüngliche Freiheit in die natürliche Freiheit durch „natürliche Gesetze und [] Verträge"[12], die ihren Ursprung ebenfalls in der menschlichen Vernunft haben. Das erste dieser natürlichen Gesetze ist die subjektive Verpflichtung, sich um Frieden zu bemühen, das zweite, sich mit (nur) dem Maß an Freiheit zufrieden zu geben, das man selbst dem anderen zubilligt. Verträge sind einzuhalten. Im Naturzustand sind diese Grundsätze allerdings nicht justiziabel, weil es an einer dafür verantwortlichen Instanz fehlt. Sie gelten daher nur foro interno, d.h. sie werden vom Gewissen anerkannt, nicht aber von einem Gerichtshof - foro externo - der annahmegemäß noch nicht existiert.[13] Der bis hierher konstatierte Freiheitsbegriff - die natürliche Freiheit - ist daher zwar absolut, auch ursprünglich, allerdings wenig operabel, da die die Freiheit einschränkenden Bedingungen nicht durchgesetzt werden können. Dieser Gedankengang bildet den Übergang zum Zweiten Teil des Leviathan, der sich nun mit der Genese des Staates als rechtsdurchsetzende Institution beschäftigt. Wichtig hier noch einmal festzuhalten ist aber, dass die individuelle Freiheit unabdingbar zur Staatsrechtfertigung notwendig ist, was im Wesentlichen das liberalistische Moment Hobbes'scher Philosophie umschreibt.

Die Absicht und Ursache, warum die Menschen bei all ihrem natürlichen Hang zur Freiheit und Herrschaft sich dennoch entschließen konnten, sich gewissen Anordnungen, welche die bürgerliche Gesellschaft trifft, zu unterwerfen, lag in dem Verlangen, sich selbst zu erhalten und ein bequemeres Leben zu führen; oder mit anderen Worten, aus dem elenden Zustande eines Krieges aller gegen alle gerettet zu werden.[14]

Aus dem Bestreben, sich, letztlich zur Rettung der eigenen Freiheit, in dieser selbst zu beschränken, entsteht der Staat durch einen

Vertrage eines jeden mit einem jeden, wie wenn jeder zu einem jeden sagte: ,/ch übergebe mein Recht, mich selbst zu beherrschen, diesem Menschen oder dieser Gesellschaft unter der Bedingung, daß du ebenfalls dein Recht über dich ihm oder ihr abtrittst' Auf diese Weise werden alle einzelnen eine Person und heißen Staat oder Gemeinwesen. So entsteht der große Leviathan oder, wenn man lieber will, der sterbliche Gott [...].[15]

Durch freiwillige Übereinkunft wird die natürliche individuelle Freiheit transformiert in eine bedingte bürgerliche Freiheit, die „Freiheit des Staatsbürgers"[16]. Diese Freiheit reicht nur noch soweit, wie der Staat sie nicht durch Gesetze[17] beschränkt.[18] Die natürlichen Gesetze finden Eingang in die Gesetze des Staates. „Als Menschen müssen wir den natürlichen Gesetzen, als Bürger aber den bürgerlichen Gesetzen Gehorsam leisten."[19]

Was der Hobbes'schen Philosophie der ,natürlichen Freiheit' und abgeleiteten ,Freiheit des Staatsbürgers' konzeptionell fehlt, ist eine Darlegung der Grenzen staatlicher Freiheitsbeschränkung. Das Individuum delegiert zu seinem eigenen Nutzen seine Freiheitsausübung an den Staat. Es unterwirft sich damit freiwillig dieser freiheitsbeschränkenden Institution. Die so erlangte Macht des Staates hat noch absolutistischen Charakter, denn das Individuum hat seine Freiheit abgegeben, verbunden mit der impliziten Hoffnung, der Staat werde sie im Wissen seiner Verantwortung Gott gegenüber im Sinne der Einzelnen ausüben.

„Es liegt auf der Hand, daß Hobbes das Problem der Machtbeschränkung des Staates mit diesen Überlegungen noch nicht gelöst hat. Dieser Aufgabe haben sich dann spätere Zeiten unterzogen."[20] Den Denkern dieser ,späteren Zeiten' das Wort zu erteilen soll im Folgenden der Raum sein.

3 Milton Friedman - Freiheit in Zeiten der sozialistischen Alternative

Milton Friedman[21] lehrte an der Universität von Chicago und war maßgeblich prägend für die Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen Richtung, die heute als Chicagoer Schule bezeichnet wird. Dieser Begriff steht mittlerweile synonym für den Neoliberalismus des 20. Jahrhunderts. „Friedman's political economy is in essence a restatement of the classical liberalism of the eighteenth and nineteenth century".[22] Diese Feststellung ist so offenkundig wie unbestritten und bringt das Wesen der hier besprochenen Arbeiten Friedmans auf den Punkt. Die hier in Bezug genommenen Liberalen des 18. und 19. Jahrhunderts sind in erster Linie Adam Smith und John Stuart Mill, auf die Friedman immer wieder rekurriert, um seine Ideologie zu fundieren und Ideengeber beim Namen zu nennen.

In der folgenden Darstellung der Ideen Friedmans muss die Vehemenz deutlich werden, mit der Friedman den Wirtschaftsliberalismus verteidigt. Er lässt nur wenig Platz für das, was Europäer ,Soziale Marktwirtschaft' nennen. Zahlreiche Besuche sozialistischer Staaten haben ihm darüber hinaus gezeigt, dass fehlende wirtschaftliche Freiheit auch individuelle Unfreiheit mit sich bringt. Hingegen sind ihm Chile und China nach 1976 ein Beispiel dafür, dass zumindest langfristig wirtschaftliche Freiheit auch individuelle hervorbringt und diese wiederum politische.[23] Aus diesen Feststellungen nährt sich das, was Krugman nach Friedmans Tod dessen „Absolutismus hinsichtlich der Tugenden des Marktes und der Laster des Staates"[24] nennt. Für Krugman hat sich Friedman durch seine polit-ökonomischen Gegner in eine extreme Ecke drängen lassen.

[V]on Milton Friedman, dem großen Verfechter des freien Marktes, wurde erwartet, daß er den wahren Glauben predigte, nicht aber Zweifel laut werden ließ. [... ] Als Folge davon verhärtete sich mit der Zeit seine erfrischende Bilderstürmerei zu einer rigiden Verteidigung dessen, was die neue Orthodoxie geworden war.[25]

Diese Auffassung kann nicht unkommentiert bleiben. Niemand würde so etwas von dem Urvater der freien Marktwirtschaft, Adam Smith, behaupten - warum sollte man dann von Friedman annehmen, dass er aus persönlicher Schwäche an einer von seiner eigenen divergierenden Meinung festhielt? Die weiteren Ausführungen werden deutlich machen, dass Friedman nicht mehr, aber auch sicher nicht weniger ist, als das, was Krugman eine Seite vorher von ihm sagt: Der „beste [... ] Sprecher für die Vorteile des freien Marktes seit Adam Smith".[26]

„Friedman's emotional libertarianism leads him to extremist position of drawing a sharp dichotony concerning the ways of organizing economic activity: central direction involving the use of coercion [...] or voluntary cooperation [...]."[27] Dieses Urteil trifft ganz sicher zu, wenn auch sein Autor damit eine umfassende Kritik der Philosophie Friedmans stützen will. Friedman ist ganz sicher ein ,emotionaler' Liberaler, was die Vehemenz, der Wortwitz und die Ausdauer der Verteidigung der freiheitlichen Konstitution deutlich machen. Es darf behauptet werden, dass gerade die Emotionalität der Werke deren Einfluss befördert haben. Auch der zweite Aspekt der Typologisierung Rayacks trifft zu: die Dichotomie zwischen zentraler Planwirtschaft und freier Marktwirtschaft. Einen ,dritten Weg' gibt es für Friedman aus Gründen nicht, die noch dargelegt werden.

Die beiden Hauptwerke, die hier zur Analyse der liberalen Konzeption Friedmans herangezogen werden, sind CF und FTC. Ersteres entstand bereits 1962, FTC schrieb Friedman zusammen mit seiner Frau Rose 1979/1980. Die zehn Kapitel von FTC sind die Niederschrift der zehn Folgen einer Fernsehserie, die in den USA im Jahre 1980 ausgestrahlt wurden. Darin präsentiert Friedman sein Verständnis der Zusammenhänge zwischen wirtschaftlicher und politischer Freiheit und ökonomischer Prosperität.

CF entstand nahezu zeitgleich mit MH, einem der Hauptwerke Friedmans. Im letztgenannten Werk analysiert Friedman u.a. die Ursachen der Großen Depression in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts und benennt diese schwerpunktmäßig als in der falschen Geldpolitik der amerikanischen Notenbank liegend. Die Ausführungen zur Staatstätigkeit in der Geldpolitik in CF machen deutlich, dass offenbar die Auseinandersetzung mit dem geldpolitischen Versagen staatlichen Handelns seinerzeit Friedman den Blick geöffnet haben für übergeordnete Zusammenhänge - der gegenseitigen Bedingung von individueller Freiheit und wirtschaftlicher Entwicklung. Dieses Erkennen fand seinen ersten Niederschlag in CF. Im Wiederaufgreifen dieses Themas mit FTC ca. 20 Jahre später wird deutlich, dass das Streben nach Freiheit und die daraus abgeleiteten wirtschaftspolitischen Zusammenhänge ein Kontinuum im Leben und Werk Friedmans darstellten. Rayack wirft Friedman implizit vor, sein Ruhm gründe sich in erster Linie auf dem Monetarismus, wodurch er dem liberalen Schreiben Friedmans nur episodischen Charakter zuschreibt, dem es an wissenschaftlicher Genauigkeit fehle.[28] Das Aufzeigen dieser Zusammenhänge war aber eben gerade nicht nur Ausgleich zur stringenten Arbeit an der geldpolitischen Geschichte Amerikas, sondern Ausdruck einer starken Überzeugung, die nicht unausgesprochen bleiben konnte. 20 Jahre später fühlte Friedman sich bewogen, dem Thema noch durch den Untertitel ,Ein persönliches Bekenntnis' mehr Deutlichkeit zu geben. Mit FTC ist auch in der Bibliografie Friedmans eine Veränderung markierbar, nach der intensiven Beschäftigung mit dem Monetarismus, die schließlich in dem Nobelpreis gipfelte, nun die Vertiefung der Auseinandersetzung mit freiheitlichen Ideen in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts.

3.1 Kapitalismus und Freiheit

In CF widmet sich Friedman dem Zusammenhang zwischen individueller und wirtschaftlicher Freiheit. Die politische Freiheit spielt dabei als Kategorie der individuellen Freiheit eine Rolle. Im Vorwort von 1971 zur ersten deutschen Auflage fasst er die Verknüpfung beider Kategorien zusammen:

Dennoch hat nichts im letzten Jahrzehnt meine Meinung darüber geändert, dass die Bewahrung der individuellen Freiheit das Hauptziel aller sozialen Einrichtungen ist; dass staatliche Eingriffe in die private Sphäre die größte Bedrohung für diese Freiheit sind; dass freie Märkte für Güter und Ideen die entscheidende Vorbedingung für die individuelle Freiheit bleiben. (CF 19)

Staatliche Eingriffe sind somit immer Eingriffe in die individuelle Freiheit. Die Freiheit des Individuums erhält damit einen übergeordneten Status, der zunächst einmal nicht gerechtfertigt werden muss. Vielmehr sind alle Beschränkungen dieses Status zu begründen, ansonsten zu unterlassen. Damit ist Friedman auf einer Linie mit den liberalen Vordenkern seit Hobbes und ganz eng bei den amerikanischen Verfassungsvätern, die eben diesen Grundsatz sogar in die Unabhängigkeitserklärung aufgenommen haben. Marktwirtschaftliche Freiheit erhält die Eigenschaft der „Vorbedingung für individuelle Freiheit". Sie ist nicht Resultat, sondern Bedingung für diese Freiheit. Mit diesem Diktum stellt sich Friedman radikal in Opposition zum sozialistischen Denken seiner Zeit, in der der Kommunismus eine scheinbar ,echte' sozialistische Alternative bot. Denn der aufgezeigte Zusammenhang mag nicht jedem ohne weiteres derart ins Auge springen wie Friedman. Ist nicht vielmehr genau das Gegenteil der Fall, nämlich, dass wirtschaftliche Freiheit aus freien individuellen Entscheidungen resultiert, diese aber nicht bedingt? Kriterium für die Entscheidung dieser Frage ist für Friedman ökonomische Effizienz.[29] Effizienz ist Freiheit, Ineffizienz ist Unfreiheit. Ineffizienz benimmt Subjekte um Handlungsmöglichkeiten, Möglichkeiten, ihrer Freiheit durch Wahl aus Alternativen Ausdruck verleihen zu können, weil diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. In diesem Sinne wird im Verlauf der Beschäftigung mit CF noch deutlicher werden, wie die postulierte Kohärenz zwischen Freiheit und Effizienz aufzufassen ist.

Zunächst ist aber das Wesen des Gebildes zu verstehen, dass gemeinhin mit ,Staat' bezeichnet wird. Jede Interpretation des Staates als etwas über dem Einzelnen Stehendes, das gebietet und dem zu folgen ist, weist Friedman zurück. „Für den freien Bürger ist sein Land [... ] die Versammlung der Individuen, die es bilden, nichts außerhalb oder gar über ihm Stehendes." (CF 24) Analog zur Amerikanischen Verfassung hat diese Versammlung die Aufgaben „für Gesetz und Ordnung zu sorgen, die Einhaltung privater Verträge zu überwachen, für Wettbewerb auf Märkten zu sorgen [... und] Aufgaben zu erfüllen, von denen wir glauben, dass sie für Einzelne zu schwierig und zu kostspielig wären." (CF 25) Hier ist schon zu erkennen, dass Friedman es bei einer Kritik am Umfang staatlichen Handelns belassen wird. Er geht nicht den Weg der Staatskritik bis zur Anarchie weiter, wie es sein Sohn später tun wird.

Hinzuzufügen ist noch die Bedeutung der Dezentralisierung staatlichen Handelns, wenn es denn nun einmal anhand der obigen Kriterien notwendig sein sollte. Je zentraler die staatliche Gewaltausübung, desto größer gerät sie und von den Individuen unkontrollierbarer wird sie ausgeübt. Dezentralisierung ist daher das Mittel, staatliches Handeln einzuschränken. Um es noch einmal deutlich herauszuarbeiten, was hinter diesem Ziel steht: Staatliches Handeln schränkt individuelle Freiheit ein. Dieses ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn die Gesellschaft insgesamt dadurch an Effizienz gewinnt.

Damit ist der Rahmen abgesteckt, der dem Staat und seinem Handeln zugebilligt wird. Der Staat ist bei Friedman ganz im Hobbes'schen Sinne die Institution, die eine Menge von vernunftbegabten Individuen zur - effizienteren - Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen errichtet. Der Staat ist Diener, nicht Herr; er hat nur instrumentellen Charakter. Die weiteren Ausführungen Friedmans werden sich im Wesentlichen mit empirischen Überlegungen beschäftigen, bei denen analysiert wird, an welchen Stellen beobachtetes staatliches Handeln diesen Rahmen überschreitet. Den empirischen Überlegungen in CF wird hier nun zunächst anhand ausgewählter Aspekte noch etwas Raum gegeben, um die verbindende Linie der Gedankenführung zu verdeutlichen. Daran anschließend wird noch einmal zurückgesprungen auf die den Überlegungen zu Grunde liegenden philosophischen Implikationen.

Ökonomische Probleme wegen staatlicher Eingriffe

Die Ursachen der Großen Depression in den 1930er Jahren lagen in der restriktiven Geldpolitik der Regierung - das war das Ergebnis der Arbeit an MH. „Die große Depression [... ] wurde mehr durch ein falsches Vorgehen der Regierung als durch eine der freien Marktwirtschaft innewohnende Labilität hervorgerufen." (CF 61) Das mag als Beleg schon genügen, um die bereits oben erwähnten Kernkritik Friedmanschen Schreibens herauszuarbeiten: Staatliche Aktivität, die über das eben noch zu rechtfertigende Maß hinausgeht, schränkt die Freiheit des Individuums ungerechtfertigt ein. Ungerechtfertigt ist diese Einschränkung deshalb, weil das Ergebnis ineffizient ist: es wird wirtschaftliche Depression statt Wohlstandssteigerung verursacht. Das politische Staatssystem fördert „weiterhin den Mythos, dass die Privatwirtschaft instabil ist, währenddessen liefert seine Verhaltensweise fortwährend einen Beweis dafür, dass der Hauptfaktor der ökonomischen Instabilität heutzutage der Staat ist." (FTC 104) In Bezug auf die Geldpolitik wird Friedman schließlich mit seiner Argumentation durchdringen, wenn auch die Mittel nach weiteren Jahrzehnten währungspolitischer Forschung mittlerweile andere als die von Friedman vorgeschlagenen sind.

Später wird Friedman aus dem beobachteten Staatsversagen die Schlussfolgerung ziehen, dass „man mit schlechten Mitteln gute Ziele zu erreichen versucht." (FTC 111) Die guten Ziele sind die Behebung von Missständen oder die Hebung des Wohlfahrtsniveaus, die schlechten Mittel sind die des Staates.

Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen

Es gibt nur wenige Maßnahmen, die die Sache der Freiheit im In- und Ausland besser fördern könnten. Anstatt ausländischen Regierungen unter dem Namen wirtschaftlicher Hilfe Almosen zu gewähren, wodurch wir nur den Sozialismus fördern - und zur gleichen Zeit für das, was sie gerade produzieren können, Restriktionen einzuführen, womit wir das freie Unternehmertum behindern -, könnten wir einen konsistenten und prinzipiellen Schritt tun. Wir könnten der übrigen Welt sagen: Wir glauben an die Freiheit, und wir möchten sie auch praktizieren. Niemand kann euch zwingen, frei zu sein. Das ist eure Sache. Aber wir können euch volle Kooperation anbieten, mit gleichen Bedingungen für alle. Unser Markt steht euch offen. Verkauft hier, was ihr könnt, und was ihr wollt. Nutzt die Gelegenheiten, zu kaufen, was ihr möchtet. So kann die Kooperation zwischen den einzelnen Menschen weltweit sein und frei. (CF 97)

Hier kommt ein konstitutives Charakteristikum der Philosophie der Freiheit deutlich zum Ausdruck. Freiheit ist etwas, dass nur dann Konsistenz erlangt, wenn Subjekte sie sich gegenseitig zusprechen. Die von mir selbst in Anspruch genommene oder geforderte Freiheit muss auch jedem anderen Individuum zugebilligt werden. Die von einer Gruppe Individuen in Anspruch genommene Freiheit, muss diese auch allen anderen Gruppen zubilligen. Wenn sie das tut, führt dies zu höherer Freiheit für die Angehörigen beider Gruppen. Das Argument legt auch den eigentlichen Gehalt vieler Staatsaktivitäten offen: Protektionismus zu Gunsten der eigenen Gruppe unter Missachtung der Freiheit von Außenstehenden.

Gutscheinfinanziertes Schulsystem

Mit dem Bereich der Bildung findet Friedman noch ein legitimes Handlungsfeld staatlicher Institutionen. Allerdings plädiert er für eine Umstellung des Finanzierungssystems; weg von staatlichen Vorgaben für Unterrichtsinhalte, Schulkonstitutionen und Ortspflichten, hin zu einem gutscheinfinanzierten System. „Jegliche Zuwendungen sollten an Einzelpersonen erteilt werden mit der Möglichkeit, sie für Lehrformen ihrer Wahl auszugeben." (CF 124) Hier ist es bereits angelegt: Free to Choose - Freiheit der Eltern oder Studenten zu wählen. Warum sollte eine staatliche Institution anstelle der Konsumenten über Unterrichtsinhalte entscheiden? Wenn jeder selbst sich die Inhalte einkauft, die er präferiert, weiß er anschließend auch, wer verantwortlich für die Resultate ist: er selbst.

Überflüssige Anti-Diskriminierungsgesetze

Jeder sollte das individuelle Recht haben, andere zu diskriminieren. Niemand hat beispielsweise die Pflicht, jemanden einzustellen, dessen Glaube, Rasse oder Geschlecht ihm nicht gefällt. Denn warum sollte er? Wenn seine (diskriminierenden) Präferenzen nicht mit der Produktivität korrelieren, schadet er sich selbst. Dazu hat er aber das Recht. Andere Unternehmen werden dies als Wettbewerbsvorteil erkennen und auszunutzen versuchen.

Diskriminierendes Verhalten wird daher zwangsläufig durch das Marktgeschehen verschwinden oder eben dadurch gerechtfertigt werden. (CF 135 ff.)

Monopole

Monopole sind im Allgemeinen ein Übel der Marktwirtschaft. Die Frage ist nur, was dagegen unternommen werden sollte bzw. was das kleinere Übel ist. Friedman identifiziert drei Möglichkeiten der Monopolbildung: „privates, unkontrolliertes Monopol, vom Staat kontrolliertes Monopol und Staatsbetrieb". (CF 159) Eine Diskussion der Monopollehre und der ökonomischen Argumente für ihre Instabilität und der Möglichkeiten der Bekämpfung muss anderen Arbeiten vorbehalten bleiben, ebenso wie empirische Feststellungen zur Prognose Friedmans, dass „ein privates, unkontrolliertes Monopol, wo immer es möglich ist, das kleinste Übel ist". (CF 159) An dieser Stelle bleibt zunächst jedoch der Friedmansche Vertrauensvorschuss in private statt staatliche Institutionen zu konstatieren.

soziale Verantwortung von Arbeitgebern

Es gibt wenig Entwicklungstendenzen, die so gründlich das Fundament unserer freien Gesellschaft untergraben können, wie die Annahme einer anderen sozialen Verantwortung durch Unternehmer als die, für die Aktionäre ihrer Gesellschaften so viel Gewinn wie möglich zu erwirtschaften. (CF 165)

Dieser Satz ist so paradigmatisch wie konstitutiv für den Liberalismus. Liberalismus basiert auf Individualismus. Liberalismus widerspricht jeder Form des Sozialismus. Die aggregierten Interessen der Individuen ergeben in der Gesamtheit den Wohlstand der Gesellschaft - non vice versa. Liberalismus ist daher auch immer Individualismus.

freie Berufswahl und Lizenzzwang

„Angenommen, ein jeder hätte als Arzt praktizieren können, mit der einzigen Einschränkung der rechtlichen und finanziellen Verantwortlichkeit für jeden durch Betrug oder Nachlässigkeit angerichteten Schaden." (CF 191) Warum sollte es nicht zulässig sein, sich auch bezüglich der Gesundheitsversorgung für unterschiedliche Qualitätsgrade frei zu entscheiden? Ein Großteil staatlicher Lizenzen dient dem Schutz der von der Lizenz umfassten Interessengruppen, zum Schaden der Gesamtwirtschaft. Lizenzen können auch von privaten Einrichtungen vergeben werden, die sie effizienter bereitstellen können. Die Nachfrager sollten das Recht auf Wahl zwischen lizenzierten und unlizenzierten Anbietern haben.

Einkommensverteilung

Das ethische Grundprinzip, das die Einkommensverteilung in einer vom freien Markt geprägten Gesellschaft unmittelbar rechtfertigen würde, müsste lauten: Jedem dasjenige, was er und die in seinem Besitz befindlichen Mittel erwirtschaften.' (CF 193) Jeder Mensch ist qua Geburt Inhaber eines Loses der Lebenslotterie. Das Zufallsprinzip einer solchen Lebenslotterie verteilt Talente, den Geburtsort, die Mittel der Eltern, individuelle Risikopräferenz usw. Würde man nun bestrebt sein, die Verhältnisse in einer Gesellschaft zu egalisieren, käme dies einem Verbot der Teilnahme an dem Lotteriespiel gleich. Dabei steht auch das Gleichheitspostulat[30] im Hintergrund, allerdings in seiner besonderen Ausprägung der Chancengleichheit, auf deren Abgrenzung zur Ergebnisgleichheit weiter unten noch eingegangen wird. Die Geburt bestimmt den Beginn der Lotterie. Ob man sich freiwillig oder gezwungenermaßen an dieser Lotterie beteiligt, ist - soweit überhaupt philosophischer Natur - eine Frage des Determinismus, dessen Diskussion an dieser Stelle noch zurückgestellt werden soll. Fragen des Startkapitals, soweit sie sich auf die Mittel und nicht nur die subjektiven Persönlichkeitsmerkmale beziehen, sind Fragen nach der Historie der Eigentumsverteilung, die ebenfalls hier weiterhin hinausgeschoben wird auf den nächsten Abschnitt. Übrig bleiben gleichberechtigte Teilnehmer der Lotterie. Wie sie ihren Gewinn verwenden, bleibt Gegenstand ihrer freien Entscheidungen. Ein Beispiel illustriert, was gemeint ist (CF 196): Robinson wird auf einer fruchtbaren Insel angespült, zwei Leidensgenossen aber auf jeweils sehr kargen Inseln. Ist Robinson verpflichtet, den anderen etwas abzugeben? Wenn das von einer Mehrheit bejaht wird, dann stellt sich die Frage, warum nur eine Minderheit jemanden verpflichten würde, einen gefunden 20-$-Schein mit seinen Freunden zu teilen. Wenn er es macht, ist er nett, hat sich aber freiwillig dafür entschieden.

Sind wir dazu bereit, an uns selbst und an unsere Mitmenschen die Forderung zu richten, dass jeder Mensch, dessen Wohlstand über dem durchschnittlichen Wohlstand der Weltbevölkerung liegt, sich augenblicklich von seinem Mehrbesitz durch gleichmäßige Verteilung gegenüber dem Rest der Weltbevölkerung zu trennen habe? Wir würden es bewundern, wenn einige wenige derart handeln. Eine weltweite ,Geschenkverteilung' würde jedoch jede Zivilisation unmöglich machen. (CF 197, Hervorhebung im Original)

Die genannten Beispiele der Argumentationen mögen ausreichen um zu belegen, wie weit der Liberalismus von den von Friedman vorgefundenen Staatskonzepten entfernt ist. Als Ergebnis dieses Erosionsprozesses der Freiheit bleibt der postulierte Effizienzverlust im Sinne von Wohlfahrtsschmälerung übrig. „Die großen Erfolge der Zivilisation [...] sind nie von zentralen Staatsgewalten ausgegangen. [Sie] waren das Ergebnis individuellen Genies, kraftvoll vertretener Minderheits-Ansichten, eines sozialen Klimas, das Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit erlaubte." (CF 26) werden soll, um das Rahmenwerk der Friedmanschen Darlegungen zunächst weiter zu stabilisieren aber auch einer Prüfung zu unterziehen.

3.2 J.S. Mill und A. Smith - Urväter des Individualismus, des Marktes und der Freiheit

Auch für John Stuart Mill ist der Individualismus die Quelle, aus der die Menschheit schöpft. Jeder Schritt dahin, diese Quelle zu verstopfen oder zu verunreinigen, benimmt zuerst den Einzelnen und dann in der Folge auch die Gesellschaft um Möglichkeiten der Entwicklung. Würde man menschliches Handeln durch die gleichen Handlungen von „Maschinen-Automaten in menschlicher Form"[31] ersetzen, ginge darüber das individualistische Wesen des Menschen verloren. Die Abgrenzung des Menschen von den Maschinen-Automaten macht deutlich, was den Menschen seiner Natur nach konstituiert: Nicht das Anpassen an die Wünsche und Vorstellungen Anderer, seien es nun andere Individuen oder staatliche Autoritäten, sondern das Ausleben eigener Präferenzen und Stärken wie „ein Baum, der wachsen und sich nach allen Seiten ausbreiten will."[32] Individuelle Freiheit ermöglicht es Einzelnen, durch Auslebung ihrer Fähigkeiten und Neigungen Außergewöhnliches hervorzubringen. „Das Genie kann nur atmen in einer Atmosphäre von Freiheit. Personen von Genie sind ex vi termini individueller als andere Leute, folglich weniger fähig, sich ohne schmerzhaften Zwang in eine der wenig zahlreichen Formen hineinzupassen, die die Gesellschaft bereithält [...]".[33]

War bei Mill noch die das Individuum umgebende Gesellschaft das durch Forderungen und sozialen Druck die Freiheit einschränkende Moment, verschiebt Friedman dieses in Richtung der regierungsstaatlichen Institutionen, die im Laufe der dazwischen liegenden ca. 100 Jahre an Einfluss auf individuelles Handeln erheblich gewonnen hatten. Der zu Grunde liegende Gedanke bleibt hingegen der gleiche: Freiheitsbeschränkungen, gleich von welcher Stelle, nehmen dem Genie die Luft zum atmen. Mill legt auch die Diskrepanz dar, die die Majorität den Wert der Freiheit nicht erkennen lässt: „Originalität ist das Ding, dessen Gebrauch unoriginellen Geistern unverständlich bleibt. Sie sehen nicht ein, was es für sie bedeuten könnte - wie sollten sie auch!"[34]

„Es scheint, ein Volk kann für eine gewisse Zeit fortschrittlich sein und bleibt dann stehen. Wann steht es still? Wenn es aufhört Individualität zu besitzen."[35] Hier wird erneut der Zusammenhang zwischen Millschem Denken und Friedmans Effizienzthese offensichtlich: Effizienz bedingt Fortschritt ebenso wie die Individualität. Nimmt man dem Individuum die Freiheit verbleibt nur noch der ,Maschinen-Automat in menschlicher Form'. Dieser ist aber nicht in der Lage, über die vorgegebenen Begrenzungen hinaus kreativ oder genial zu sein. Ist das Ziel mit wirtschaftlicher Prosperität definiert, ist für Friedman und Mill gleichermaßen eindeutig, dass zur Zielerreichung Individualismus und Liberalismus das Mittel der Wahl sein müssen. Abschließend dazu noch einmal Mill: „Der stärkste aller Gründe gegen die Einmischung der Öffentlichkeit in rein persönliche Handlungen ist aber, daß sie der größeren Wahrscheinlichkeit nach fälschlich oder am falschen Platze erfolgt."[36]

Für Mill gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die Majorität gemeinsam bessere Entscheidungen trifft als der Einzelne. Friedman nimmt diesen Gedanken auf, um von ihm ausgehend darzulegen, dass eine staatlich gelenkte Wirtschaft Ausdruck genau der bereits von Mill kritisierten gesellschaftlichen Majorität ist - mit dem gleichen Ergebnis. Hiermit rückt auch die politische Komponente der Betrachtung in den Blickpunkt. Die Art staatlicher Eingriffe in das Wirtschaftsleben war zur Zeit der Abfassung von CF zunächst einmal grundsätzlich bipolar: freie Marktwirtschaft versus zentrale Planwirtschaft. Friedman erörtert die Zusammenhänge von wirtschaftlicher und politischer Freiheit im ersten Kapitel: „In diesem Kapitel soll die These vertreten werden, [...] dass zwischen Wirtschaft und Politik engste Beziehungen bestehen, dass nur bestimmte Kombinationen wirtschaftlicher und politischer Formen möglich sind." (CF 30) Das Ergebnis ist oben bereits zusammenfassend dargestellt worden. Wirtschaftliche und politische Freiheit sind Unterkategorien individueller Freiheit als solches. Wird die politische Freiheit eingeschränkt, folgt daraus notwendigerweise die Einschränkung wirtschaftlicher Freiheit, weil Menschen infolgedessen nicht mehr in allen Lebensbereichen nach eigenem Gutdünken entscheiden und handeln können - et vice versa. Die freie Wirtschaft „gibt den Menschen das, was sie wollen, und nicht das, was ihnen eine bestimmte kleine Gruppe aufzwingen will." (CF 38) Staatliches Handeln ist Macht, und Macht ist Freiheitsbeschränkung. Zwischen den alternativen Wirtschaftsordnungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts bestand die Diskrepanz, wem diese Macht zuzubilligen sei - den staatlichen oder den marktwirtschaftlichen Institutionen. Dadurch werden wirtschaftliche Entscheidungen zu politischen. Friedmans Präferenz muss nun nicht noch einmal in Frage gestellt werden: „Als Liberale sehen wir in der Freiheit des Individuums [... ] das höchste Ziel aller sozialen Einrichtungen." (CF 35)

Neben Mill ist Adam Smith die wichtigste Referenz der freien Marktwirtschaft. Von Smith übernimmt Friedman in erster Linie den Gedankengang der Steuerung der Wirtschaft durch die unsichtbare Hand des Marktes. Gerade dadurch, dass jeder seine eigenen Ziele nach eigenem Gutdünken verfolgt, erreichen alle gemeinsam ein Wohlstandsniveau, das unter Dirigismus selbst des intelligentesten und wohlwollendsten aller Menschen nicht erreichbar wäre. Handel findet auf der Grundlage freiwilligen Austausches statt. Wirtschaft und Handel sind nicht der Kampf um die Verteilung einer bestimmten „Menge Kuchen [...], den die eine Partei nur auf Kosten der anderen gewinnen kann" (FTC 25), sondern das Ergebnis unkoordinierter eigennutzorientierter Handlungen freier Individuen, die den Kuchen durch Aggregation individueller Handlungen vergrößern .

Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen- sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht ihre eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil.[37]

So abgedroschen das Smith-Zitat bei Friedman für seine Kritiker klingen mag, so aktuell und unwiderlegt ist es für den darauf Rekurrierenden. „The important point is that we in our private live and they in their governmental lives are all moved by the same incentive: to promote our own self-interest." (EF 15) Der Mensch ist Mensch, weil er nach seinem eigenem Vorteil strebt. Das ist so wenig verwerflich wie es natürlich ist. Ihn darin zu behindern, ohne dass einer der noch zu erörternden Staatshandlungsbegründungen vorliegt, stellt einen unrechtmäßigen Eingriff in die individuelle Freiheit dar. Das ist nicht nur eine Verletzung der natürlichen Rechte des Menschen, sondern - mindestens langfristig - auch zum Nachteil der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Dieses Smithsche Credo am Leben zu erhalten wird Friedman Zeit seines Lebens nicht müde werden.

Auch die Aufzählung der unabdingbar durch staatliche Institutionen zu übernehmenden Aufgaben innerhalb einer menschlichen Gesellschaft erkennt Friedman als im Wesentlichen schon bei Smith begründet, nämlich die Landesverteidigung, den Rechtsschutz und den Ausgleich externer Effekte[38], wobei gerade die Analyse des noch zu rechtfertigenden Ausmaßes staatlicher Eingriffe aufgrund des letztgenannten Merkmals das Wesen der Friedmanschen Argumentation ausmacht.[39]

Zurück zu Friedman selbst, der seine Argumentation fortführt, indem er versucht, „die Rolle des Staates in einer freien Gesellschaft" (CF 46 ff.) zu definieren. „Der konsequent Liberale ist kein Anarchist." (CF 59) Inwieweit dieses Statement bereits Ausdruck der Diskussion mit dem Sohn darstellt, wird noch zu diskutieren sein.[40] Jedenfalls ist Friedman nie Anarchist gewesen und hat dem Staat klare Aufgaben zugewiesen. „Paradoxically, he emphasizes the importance of government. Although he opposes much government activity, he believes that the way to a better future will be through government reform."[41] Übergeordnet ist es Aufgabe der Regierung (Friedman setzt den Begriff ,Regierung' bewusst ein, um die Gruppe von Menschen, die die Regierung und ihre Institutionen bilden, abzugrenzen vom ,Staat', der wie oben schon erwähnt, aus der Gesamtheit der Bürger besteht) als „Spielleiter und Schiedsrichter"[42] zu fungieren. Wirtschaft ist ein Spiel nach Regeln. Die Regeln legen die Spieler fest, sie sind die handelnden Wirtschaftssubjekte. Sie - und nur sie - haben auch das Recht, die Regeln zu ändern, nicht aber die Regierung. Dennoch braucht das Spiel einen Schiedsrichter, der notfalls die Regeln interpretiert und für ihre Einhaltung sorgt. Wesentliche Bereiche, die Interpretation und Durchsetzung der Regeln notwendig machen, sind Monopolbekämpfung, Definition von Eigentumsrechten, Schlichtung bei Auseinandersetzungen über Regelverstöße, Schaffung eines monetären Systems und Unterstützung der Familien bei der Fürsorge der Unzurechnungsfähigen (Kinder und Geisteskranke). An dieser Liste misst Friedman die Rechtfertigung der Regierungstätigkeit seiner Zeit, dem sich die folgenden Kapitel widmen.

Was den Darlegungen Friedmans an dieser Stelle fehlt, ist eine Theorie, die die gelisteten Regierungsaktivitäten gerechtfertigt sein lassen. Friedman selbst hat diese Schwachstelle erkannt und in FTC gleich zu Beginn benannt. Dort sagt er vorab im Vorwort, dass in dem Buch „keine Grenzen" des Staates aufgezeigt „und keine genauen Richtlinien für die Rolle des Staates in diesem System" gegeben werden sollen. (FTC 9) Warum sollte also ausgerechnet der oben umrissene Katalog staatlichen Handelns gerechtfertigt sein? David Friedman wird daran seine Zweifel zu Papier bringen, weil ihm bereits dieser Grundkatalog viel zu weit geht. Die Sozialisten hingegen werden einen derartigen ,Staat' schon gar nicht mehr als solchen erkennen, zumindest aber die gelisteten Aspekte derart weitgehend interpretieren, dass sie nicht mehr Friedmanschem Denken entsprechen.

An dieser Stelle der Rechtfertigung dieses (der Ausdruck ,minimalstaatlichen' schwebt bereits in der Luft, soll aber noch zwei Sätze lang zurückbehalten werden) Handelns der Regierung steht jedenfalls das Friedmansche Gedankengerüst etwas wackelig im Wind philosophischen Hinterfragens und bedarf der Abstützung. Zwölf Jahre nach dem Erscheinen von CF kann in Robert Nozicks Anarchie, Staat, Utopia der Versuch gesehen werden, die aufgezeigte Lücke bei Friedman zu füllen, wenn auch die Intention Nozicks nicht unmittelbar darauf abzielt. Deshalb wird nun Nozick hier Gelegenheit gegeben werden, das Friedmansche Denken zu ergänzen.

3.3 R. Nozick - Die Suche nach einer Grenze staatlicher Autorität

Stellt man sich den Staat als monolithische Institution vor, die die Gesellschaft von Individuen stützt und fundamentiert, ist Milton Friedman der Ideologe, der fragt, wie viel von dem Monolith weggenommen werden kann, ohne dass seine Wesenheit verloren geht und er seine stützende Funktion verliert. Robert Nozick nähert sich derselben Frage von der anderen Seite und untersucht, wie viel es gerade dafür bedarf. Während Friedman den Anfang mit einer deskriptiven Kritik staatlichen Handelns macht, verfolgt Nozick einen normativen Ansatz der Staatsrechtfertigung. Beide lehnen den Anarchismus ab; Friedman ist oben bereits schon dazu zu Wort gekommen. Nun Nozick:

Daher ist die Untersuchung seiner Eigenart [des Staates] und seiner Schwächen dafür entscheidend, ob es besser einen Staat anstelle der Anarchie geben sollte. Falls sich zeigen ließe, dass der Staat besser wäre als selbst dieser günstigste anarchische Zustand [...], dann wäre das ein Grund für das Bestehen des Staates; es wäre eine Rechtfertigung des Staates.[43]

Friedman will den Staat mit seinen über das unvermeidlich notwendige Maß hinaus gehenden Auswüchsen zurückdrängen, beschneiden, um ein höheres Wohlstandsniveau zu erreichen. Nozick will den Staat rechtfertigen, bis zur Grenze, hinter der er nicht mehr rechtfertigbar ist. Friedman vertritt das ,so wenig wie möglich', Nozick das ,soviel wie nötig' der Staatsbegründung. Friedman erspart sich eine theoretische Fundierung, weshalb hier Nozick nun parallel herangezogen wird.

Nozick bezieht sich ausdrücklich auf den Lockeschen Naturzustand[44], und geht somit von der dort dargestellten Grundrechtetrias von Freiheit, Leben und Eigentum aus. Eine genaue Darlegung der Konzeption Lockes soll hier noch für den nächsten Abschnitt aufbehalten werden. Zur Durchsetzung dieser Rechte schließen sich die Menschen in Vereinigungen zusammen. Diese Vereinigungen schützen sie auch vor Übergriffen anderer auf ihre Rechte und fordern für die Mitglieder Entschädigungen für Rechtsverletzungen ein. Entweder durch kämpferische Auseinandersetzung oder durch friedliche Einigung erhält in einem Gebiet eine Schutzvereinigung die Vorherrschaft. Die Schutzorganisation ist noch kein Staat, da ihr das dafür charakteristische Merkmal des Gewaltmonopols fehlt. Die monopolistische Schutzvereinigung wird aber gegenüber den Außenstehenden, d.h. den Nichtmitgliedern, ein Verbot der Privatjustiz durchsetzen. „Aus ihrer Macht ergibt sich ihre tatsächliche Stellung als letzte Durchsetzungs- und Urteilsinstanz gegenüber ihren Klienten".[45] In diesem Stadium ist die Schutzvereinigung ein ,Ultraminimalstaat'. Durch das Verbot der Privatjustiz greift sie allerdings in das Recht der Freiheit der Außenseiter ein, sodass sie nach dem Entschädigungsgrundsatz Nozicks dafür entschädigt werden müssen. Der Entschädigungsgrundsatz besagt, dass „die Verbietenden" den „Ausgleich für die Nachteile des Verbots minus die Kosten, die der vom Verbot Betroffene ohne das Verbot gehabt hätte"[46], aufzubringen haben. Für die Mitglieder der Schutzvereinigung ist es aber das günstigste, die Außenseiter mit zu schützen, statt ihnen jeweils eine Entschädigung zu zahlen. „Wäre dies nicht billiger, so würden die Leute keine Schutzleistungen kaufen, sondern lieber mit ihrem Geld ihre Schäden beseitigen."[47] Mit Hilfe des postulierten Entschädigungsgrundsatzes ist der „Minimalstaat" gerechtfertigt:

[D]ie Organisation schützt auf ihrem Gebiet Nichtmitglieder, denen sie die Selbsthilfe gegenüber ihren Mitgliedern untersagt, auch wenn das von ihren Mitgliedern bezahlt werden muss [...]. Dazu ist sie aufgrund des Entschädigungsgrundsatzes verpflichtet: Wer in Selbsthilfe jemandem risikoreiche Handlungen verbietet, die sich aber auch als harmlos herausstellen können, der muss ihn für diese Nachteile entschädigen.[48]

Bis hierher ist Nozick nun also den Weg er Staatskritik aus der Friedman entgegengesetzten Richtung gegangen. „Wir sind von Anarchie zum Minimalstaat gekommen; unsere nächste Aufgabe ist der Nachweis, dass man weiter nicht gehen sollte.[49] In Friedmans Analysen befindet sich der moderne westliche Staat bereits weit über den von Nozick markierten Minimalstaat hinaus in Bereichen, in denen er ungerechtfertigt in die Rechte von Freiheit, Leben und Eigentum des Individuums eingreift. Für beide Autoren ist jede weitere Tätigkeit des Staates ungerechtfertigte Umverteilung. Sie nimmt gewaltsam dem einen Individuum etwas weg, fügt ihm Nachteile zu und greift in seine Rechtetrias ein, um damit Vorteile oder Güter für andere Individuen bereitzustellen. Nozicks Gegenargumentation ist moralphilosophischer Natur, Friedmans Analyse demgegenüber eher empirisch angelegt.

„Der Minimalstaat ist der weitestgehende Staat, der sich rechtfertigen lässt. Jeder weitergehende Staat verletzt die Rechte der Menschen."[50] Über das Entschädigungsprinzip hinaus gibt es nur zwei Möglichkeiten, ohne Menschenrechtsverletzung Eigentum zu übertragen: „Wenn jemand etwas bekommt, dann von einem anderen im Austausch gegen etwas oder als Geschenk."[51] Damit werden Tausch und Geschenk zu den einzig moralisch gerechtfertigten Eigentumsübertragungsmöglichkeiten. Ein Staat, der sich aufgrund seines Gewaltmonopols darüber hinweg setzt, indem er zwangsweise Umverteilungen vornimmt, verstößt letztlich gegen das Kantische Prinzip der Menschwürde, dessen Ausdruck es ist, Menschen nicht als Mittel, sondern stets als Zweck des Handelns zu betrachten. Menschen „dürfen nicht ohne ihr Einverständnis für andere Ziele geopfert oder gebraucht werden".[52] Ein umverteilender Staat tut jedoch genau das. Er benutzt Menschen als Mittel, indem er sie für Steuereinnahmen arbeiten lässt. „Die Besteuerung von Arbeitsverdiensten ist mit Zwangsarbeit gleichzusetzen."[53]

Hat also der Staat kein Recht, von den Individuen etwas über deren freiwillige Beiträge für die Sicherung ihrer Rechte Hinausgehendes zu verlangen, um es anderen zu geben, folgt daraus konsequenterweise, dass der Einzelne eben gerade dieses Hinausgehende als sein Eigentum behalten oder es mit einer der beiden genannten Möglichkeiten auf andere übertragen, respektive frei nach seinem Gutdünken darüber verfügen kann. Eine derart konstituierte Gesellschaft fixiert die vorgefundene Eigentumsverteilung als gerechtfertigt, da sie sich in einer Kette freiwilliger Tauschakte oder Geschenke zum vorgefundenen Verteilungszustand hin entwickelt hat. „Die Gerechtigkeit bei den Besitztümern ist etwas Historisches; sie hängt davon ab, was tatsächlich geschehen ist."[54] Dieses tatsächliche Geschehen sind die Eigentumsübertragungsakte der Vergangenheit, die ihren Ausgangspunkt in der ursprünglichen Appropriation der vom Menschen vorgefundenen Naturgüter genommen hat. An dieser Stelle soll die Rekonstruktion der Nozickschen Argumentation anhand von Lockes Theorie der Appropriation zu Gunsten einer intensiveren Beschäftigung damit im nächsten Abschnitt noch zurückgestellt werden. Nozick kommt jedenfalls zu dem Schluss, dass die vorgefundene Eigentumsverteilung gerechtfertigt ist und kein Recht irgendeiner Instanz ableitbar ist, das freie Verfügungsrecht der Einzelnen zu beschränken. Würde man dies wollen, „muß man entweder die Menschen ständig davon abhalten, Güter nach ihrem Willen zu übertragen, oder man muß ständig [...] Menschen Güter wegnehmen, die ihnen andere aus irgendwelchen Gründen übertragen haben."[55]

[...]


[1] Wenn vom Vater bzw. von Milton Friedman gesprochen wird, ist zu berücksichtigen, dass gerade an den mehr philosophischen bzw. grundsätzlichen Werken Milton Friedmans nach dessen eigener Aussage ganz maßgeblich auch seine Frau, Rose Friedman, beteiligt war. FTC haben beide gemeinsam geschrieben. In einem Interview sagte Rose allerdings einmal: „Nachdem ich Milton kennen gelernt hatte, konnte ich nur noch halb so viel sagen. Nachdem David geboren wurde, kam ich gar nicht mehr zu Wort." (Jahn (2003), S. 135) Keineswegs soll daher die Rolle von Rose Friedman hier unterschätzt oder ignoriert werden. Der sprachlichen Einfachheit halber wird hier allerdings von Milton gesprochen werden, auch an den Stellen, bei denen beide gemeint sind.

[2] siehe I, Antworten zu Fragen 3, 4, 20 und 23

[3] Macpherson (1973), S. 13

[4] Diese Extraktion der Hobbeschen Freiheitsphilosophie orientiert sich in Teilen an Schapp (1994), S. 84 ff. und 108 ff.

[5] Hobbes (2005), Einleitung, S. 5

[6] ebd., 5. Kapitel, S. 40 f.

[7] ebd., 6. Kapitel, S. 53

[8] ebd., 6. Kapitel, S. 56 (Hervorhebungen im Original)

[9] ebd., 13. Kapitel, S. 113 ff.

[10] ebd., 14. Kapitel, S. 118

[11] Im „Naturzustand,, haben „alle ein Recht auf alles, die Menschen selbst nicht ausgenommen. [...] Solange daher dieses Recht gilt, wird keiner, sollte er auch der Stärkste sein, sich für sicher halten können." (ebd., 14. Kapitel, S. 119)

[12] ebd., 14. Kapitel, S. 118 ff.

[13] ebd., 15. Kapitel, S. 140

[14] ebd., 17. Kapitel, S. 151

[15] ebd., 17. Kapitel, S. 155 (Hervorhebung im Original)

[16] ebd., Überschrift des 17. Kapitel, S. 187

[17]künstliche Bande“ (ebd., 21. Kapitel, S. 189 - Hervorhebung im Original)

[18] ebd., 21. Kapitel, S. 190

[19] ebd., 26. Kapitel, S. 228

[20] Schapp (1994), S. 112

[21] In den Abschnitten 3 und 4 wird zur besseren Lesbarkeit auf die Vornamen verzichtet. Wenn nicht ausdrücklich anders benannt, bezieht sich ,Friedman' in Kapitel 3 immer auf Milton Friedman (ggf. Rose Friedman einschließend), in Kapitel 4 immer auf David Friedman.

[22] Rayack (1987), S. 9

[23] Zum zufälligen Abfassungszeitpunkt dieser Arbeit mag die Aussage in Bezug auf China oberflächlich betrachtet wie Hohn erscheinen. Kurzzeitige aktuelle Ereignisse dürfen aber nicht den Blick für langfristige Entwicklungen verloren gehen lassen. Gerade das China der Nach-Mao-Zeit ist ein Musterbeispiel für Friedmans Postulat, dass individuelle Freiheit der wirtschaftlichen Freiheit auf dem Fuße folgt.

[24] Krugman (2007), S. 521

[25] ebd., S. 521

[26] ebd., S. 520 - Wobei die Aussage allenfalls hinsichtlich der rhetorischen Prägnanz Friedmans zugestimmt werden kann. Die Vorteile des freien Marktes werden von über Friedman hinausgehenden Autoren noch stringenter expliziert - das wird der weitere Verlauf dieser Arbeit deutlich zeigen.

[27] Rayack (1987), S. 105

[28] ebd., S. 9

[29] Da der Begriff der Effizienz im Folgenden immer wieder auftauchen wird, erscheint eine Definition schon an dieser Stelle angebracht. Wegen des Kontextes der hier geführten Diskussion, wird auf die von David Friedman ausdrückliche präferierte Effizienzdefinition von Marshall zurückgegriffen (siehe u.a. Friedman, David, 2000, S. 18 f.). Danach ist eine Situation effizient, wenn keine Verbesserung mehr möglich ist. Eine Verbesserung ist möglich, wenn die Summe der Individualnutzen nach einer Transaktion größer ist als vorher. Für die Bemessung des Individualnutzens wird dabei auf subjektive Präferenzbewertungen zurückgegriffen.

[30] siehe auch CF 232: „Das Fundament der liberalen Philosophie ist der Glaube an die Würde des Einzelnen, anseine Freiheit zur Verwirklichung seiner Möglichkeiten in Übereinstimmung mit seinen persönlichen Fähigkeiten mit der einzigen Einschränkung, dass er nicht die Freiheit anderer Personen beschränke, das Gleichezu tun. Dies impliziert den Glauben an die Gleichheit der Menschen in einer Beziehung: ihrer gegenseitigenUngleichheit. Jeder Mensch hat das gleiche Anrecht auf Freiheit.“

[31] Mill (2004), S. 82

[32] ebd.

[33] ebd., S. 89 (Hervorhebung im Original)

[34] ebd., S. 90

[35] ebd., S. 98

[36] ebd., S. 115

[37] Smith (1996), S. 17

[38] Externe Effekte sind solche positiver oder negativer Art, die nicht über das Marktsystem vermittelt werden, bspw. der Schutz von Menschen vor Überschwemmungen durch einen Damm, die sich nicht an den Kosten der Herstellung des Dammes beteiligt haben.

[39] siehe FTC 40 f.

[40] Wobei bereits hier Bezug genommen werden kann auf die Antwort Davids zu Frage 17 im I. David Friedman gibt heute an, dass es über die Frage des Anarchismus' keine größeren ideologischen Auseinandersetzungen mit dem Vater gegeben habe. (Angesichts der Vehemenz, die beide Protagonisten in ihren schriftlichen Werken verströmen, erscheint dies kaum vorstellbar, muss aber auch hier nicht entschieden werden. Zumindest sind solche Diskussionen und diesbezügliche Argumentationslinien des Vaters nicht dokumentiert.) Im Wesentlichen sei es in den Diskussionen nur um die Frage der tatsächlichen Funktionalität der vom Sohn konzipierten Institutionen gegangen: „ The basic question was whether the sort of institutions I described would work. He thought they might but probably wouldn' t, I thought they might not but probably would."

[41] Ebenstein (2007), S. 2

[42] ebd., S. 49

[43] Nozick (2006), S. 26

[44] ebd., S. 32

[45] ebd., S. 153

[46] ebd., S. 156, Hervorhebung im Original

[47] ebd.

[48] ebd., S. 159

[49] ebd., S. 200

[50] ebd., S. 201

[51] ebd., S. 201, 202

[52] ebd., S. 57

[53] ebd., S. 225

[54] ebd., S. 204

[55] ebd., S. 218

Ende der Leseprobe aus 85 Seiten

Details

Titel
Wieviel Freiheit ist "genug"? - Die Auseinandersetzung David vs. Milton Friedman vor dem Hintergrund des philosophischen Freiheitsbegriffs
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
85
Katalognummer
V117419
ISBN (eBook)
9783640197187
ISBN (Buch)
9783640197200
Dateigröße
1506 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Aus dem Gutachten zur Arbeit: In wirtschaftsphilosophischer Hinsicht ist Gutachter in vieler Hinsicht gänzlich anderer Überzeugung, es war aber nicht die Konformität von Meinungen, sondern die Kraft der Argumente zu prüfen. Die philosophischen Bezugnahmen der Arbeit sind durchweg von großer interpretatorischer Angemessenheit und der Sache nach von hohem Niveau. Die Arbeit sagt vielleicht das Beste, was man philosophisch zur neoliberalen Ideologie sagen kann.
Schlagworte
Wieviel, Freiheit, Auseinandersetzung, David, Milton, Friedman, Hintergrund, Freiheitsbegriffs
Arbeit zitieren
René Ruschmeier (Autor:in), 2008, Wieviel Freiheit ist "genug"? - Die Auseinandersetzung David vs. Milton Friedman vor dem Hintergrund des philosophischen Freiheitsbegriffs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117419

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