Der Begriff "Übertragung" in Studien über Hysterie und Bruchstück einer Hysterie-Analyse


Seminararbeit, 1993

20 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1 Einleitung

2 Studien über Hysterie

3 Bruchstück einer Hysterie-Analyse
3.1 Krankengeschichte der Dora
3.2 Ausführungen zur Übertragung

Literaturverzeichnis

Abstract

Diese kurze Arbeit stellt den psychoanalytischen Begriff der 'Übertragung' in seiner anfänglichen Konzeption dar, so wie er in Freuds frühen Schriften, den Studien über Hysterie (1895 zusammen mit Josef Breuer) und Bruchstück einer Hysterie-Analyse (1905), verstanden und gebraucht wird. Die Analyse der Patientin Dora aus der letzten Schrift nimmt breiten Raum ein, da sie Freud dazu führte, die umfassende und elementare Bedeutung der Übertragung für die Therapie anzuerkennen. Schon zu dieser Zeit, den Anfängen der Psychoanalyse, konnte Freud nicht mehr übersehen, dass der Erfolg der psychoanalytischen Kur mit dem Erkennen und dem richtigen Umgang der 'Übertragung' steht oder fällt. Sie stellt den Analytiker vor die größte Herausforderung, erweist sich jedoch zugleich als das größte Hilfsmittel, um die Behandlung gelingen zu lassen.

1 Einleitung

In dieser Seminararbeit sollen zwei frühe Schriften Freuds – die Studien über Hysterie von 1895, zusammen mit seinem Freund und Kollegen J. Breuer veröffentlicht, und Bruchstück einer Hysterie-Analyse aus dem Jahre 1905 (1901) – hinsichtlich der Bedeutung des Terminus 'Übertragung' besprochen werden. Von dem erstgenannten Buch nahm die Psychoanalyse praktisch ihren Ausgang, was damit zusammenhing, dass in den Studien eine vollkommen neue Methode vorgestellt wurde, die J. Breuer 'Katharsis' nannte und bei seiner Patientin Anna O. erfolgreich gewesen war.[1] Freud änderte die Breuersche Methode dahingehend ab, dass er immer mehr auf die Hypnose verzichtete und diese durch die Drucktechnik ersetzte, einen Kniff, bei dem der kranken Person die Hand auf die Stirn gelegt wurde, um auftretende Widerstände durch leichten Druck zu überwinden.

Ein zusätzlicher wichtiger Punkt in dieser frühen Schrift betrifft Freuds Verständnis der Ätiologie der Neurosen: Die Ursache für den Erwerb einer Neurose findet man in sexuellen Momenten begründet, genauer gesagt war er der Meinung, dass "verschiedene sexuelle Momente, ganz allgemein genommen, auch verschiedene Bilder von neurotischen Erkrankungen erzeugen."[2]

In Bruchstück einer Hysterie-Analyse sind eindeutig die sexuellen (traumatischen) Erlebnisse Doras für die Erkrankung ausschlaggebend – eine Thematik, die die gesamte Abhandlung durchzieht. Man kann annehmen, dass die um Jahre verzögerte Veröffentlichung der Krankengeschichte nicht zuletzt den Bedenken des Autors gegenüber ihrem explizit sexuellen Inhalt zuzuschreiben war. Freud bemerkt hierzu in seinem Vorwort:

In dieser einen Krankengeschichte (…) werden nun sexuelle Beziehungen mit aller Freimütigkeit erörtert, die Organe und Funktionen des Geschlechtslebens bei ihren richtigen Namen genannt, und der keusche Leser kann sich aus meiner Darstellung die Überzeugung holen, dass ich mich nicht gescheut habe, mit einer jugendlichen weiblichen Person über solche Themata in solcher Sprache zu verhandeln.[3]

Er geht ebenfalls auf die veränderte psychoanalytische Technik ein, die sich seit den Studien ergeben hatte. Waren damals die Symptome Ausgangspunkt der psychoanalytischen Arbeit gewesen, so lag zu dieser Zeit die Betonung auf der Initiative des Patienten: er durfte das Thema der Arbeit bestimmen, während der Analytiker praktisch die Oberfläche in Angriff nahm, die das Unbewusste der Aufmerksamkeit des Patienten entgegenbrachte.[4]

Im Rahmen von Freuds Gesamtwerk schließt sich die Krankengeschichte der Dora der Traumdeutung aus dem Jahre 1900 an, da zwei Träume der Kranken ausführlich gedeutet und in die Behandlungsgeschichte eingeflochten werden. Zugleich nahm Freud hier einiges vorweg, was später in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905) ausgearbeitet wurde.

2 Studien über Hysterie

Kranke, die sich der psychoanalytischen Methode überantworten, räumen dem Arzt ein Vertrauen ein, das selbst intimste Angelegenheiten umfasst. So ist es in der Analyse nur natürlich, dass die persönliche Beziehung zum Therapeuten ins Zentrum rückt, ja sogar erst die Möglichkeit für den Einfluss des Arztes und die Lösung des Problems schafft.[5]

Bei der Überwindung des psychischen Widerstands[6] sah Freud zwei Momente am Werk. Zum einen das gesteigerte Interesse des Patienten an psychischen Vorgängen, sozusagen ein intellektuelles Interesse, das den Kranken zum Mitarbeiter in der Analyse werden lässt und ihn zur objektiven Betrachtung seiner selbst anleitet. Das zweite Moment beruht auf affektiven Gegebenheiten: Zwischen Krankem und Arzt sollte ein positives (persönliches) Verhältnis bestehen, denn ohne die persönliche Geltung des Analytikers ist der Widerstand nicht zu überwinden. Freud beschreibt diese Aufgabe folgendermaßen:

Man wirkt, so gut man kann, als Aufklärer, wo die Ignoranz eine Scheu erzeugt hat, als Lehrer, als Vertreter einer freieren oder überlegenen Weltauffassung, als Beichthörer, der durch die Fortdauer seiner Teilnahme und seiner Achtung nach abgelegtem Geständnisse gleichsam Absolution erteilt; man sucht dem Kranken menschlich etwas zu leisten, soweit der Umfang der eigenen Persönlichkeit und das Maß von Sympathie, das man für den betreffenden Fall aufbringen kann, dies gestatten.[7]

Normalerweise ist es jedoch so, dass sich der Behandlung Hindernisse entgegenstellen, die Beziehung zwischen Arzt und Patient gestört ist. Dabei versagt auch die Aufgeschlossenheit des letzteren.

(…) wenn der Arzt sich nach der nächsten pathogenen Idee erkundigen will, tritt der Kranken das Bewusstsein der Beschwerden dazwischen, die sich bei ihr gegen den Arzt angehäuft haben.[8]

Die zu bewältigenden Widrigkeiten machen sich in drei Hauptfällen bemerkbar:

1. Bei persönlicher Entfremdung des Patienten vom Arzt. Der Kranke hat Vorbehalte gegenüber dem Arzt, der Behandlungsmethode oder fühlt sich beleidigt, nicht ernst genommen u.ä. Diese Barriere ist leicht zu beheben, indem man sich mit dem Patienten bespricht und ihn aufklärt.
2. Dieser Fall tritt ein, wenn der Kranke sich davor fürchtet, in übermäßige Abhängigkeit vom Arzt zu geraten und so seine Selbstständigkeit zu verlieren. Besonders bei Patienten von entgegengesetztem Geschlecht besteht die Angst, sich sexuell an den Therapeuten zu binden. Freud sieht darin ein bedeutsameres Hindernis, das weniger individuell bedingt ist, sondern im Wesen der therapeutischen Fürsorge begründet liegt. Dem Kranken ist nun ein neues Motiv zum Widerstand in die Hand gegeben, das die gesamte Behandlung durchzieht und sich nicht an bestimmten Erinnerungen festmachen lässt. Wenn die Druckprozedur angewendet wird, klagt der Patient gewöhnlich über Kopfschmerzen, er schafft sich praktisch ein hysterisches Symptom, das seine Abneigung vor Beeinflussung widerspiegelt.
3. Wenn der Kranke erschreckt feststellt, dass er peinliche Vorstellungen, die während der Analyse auftauchen, auf den Arzt überträgt. "Die Übertragung auf den Arzt geschieht durch falsche Verknüpfung."[9] Freud erklärt diesen Punkt am Beispiel einer Patientin, die an einem hysterischen Symptom litt. Ursprung des Symptoms war ein sofort ins Unbewusste verdrängter sexueller Wunsch: Die Kranke hatte mit einer bestimmten männlichen Person ein Gespräch geführt und wünschte sich aus dieser Situation heraus, dass der Mann doch kräftig zugreifen und ihr einen Kuss aufdrängen solle. Derselbe Wunsch kam dann in der Analyse auf Freud bezogen zum Vorschein:

Es war also so zugegangen: Es war zuerst der Inhalt des Wunsches im Bewusstsein der Kranken aufgetreten, ohne die Erinnerungen an die Nebenumstände, die diesen Wunsch in die Vergangenheit verlegen konnten; der nun vorhandene Wunsch wurde durch den im Bewusstsein herrschenden Assoziationszwang mit meiner Person verknüpft, welche ja die Kranke beschäftigen darf, und bei dieser Mesalliance – die ich falsche Verknüpfung heiße – wacht derselbe Affekt auf, der seinerzeit die Kranke zur Verweisung dieses unerlaubten Wunsches gedrängt hat.[10]

Jede der drei Möglichkeiten setzt dem Arzt Widerstand entgegen, der entkräftet werden muss. Das impliziert schon die folgenden Bemerkungen, dass nämlich das einzelne Hindernis – und dazu zählt ebenfalls die Übertragung – als ein im Rahmen der Erkrankung neu entstandenes Symptom zu betrachten und auch so anzugehen ist. Für die Übertragung beinhaltet eine solche Herangehensweise als ersten Schritt das "Auffinden und Nachweisen des Hindernisses" (Bewusstmachen); die zweite und größere Schwierigkeit besteht darin, den Patienten zum Mitteilen zu bewegen.

Anfangs könnte man in dieser Tatsache eine Mehrbelastung für den Analytiker sehen, was aber nicht der Fall ist. Für den Erfolg schien es gleichgültig – Freud bezieht sich auf ein Fallbeispiel –, "(…) ob sie [die Patientin][11] diese psychische Abstoßung im historischen Falle oder im rezenten mit mir zum Thema der Arbeit nahm."[12]

Zusammenfassung:

Zur Zeit der Studien über Hysterie definierte Freud die Übertragung als einen Fall, bei dem unbewusste Vorstellungen und der dazugehörige Affekt irrtümlich auf die Person des Arztes übertragen werden. Es ist weiterhin ersichtlich, dass der Begriff "als ein sehr lokalisiertes Phänomen betrachtet werden muss."[13] Die Übertragung ist eines von drei "Haupthindernissen", die sich dem Therapeuten entgegenstellen und wird keinesfalls mit anderen Faktoren wie der persönlichen Geltung des Arztes in Verbindung gebracht. Eine gleichermaßen isolierte Betrachtungsweise erfährt der Begriff durch die Auffassung, dass die Übertragung mit dem Wesen der therapeutischen Beziehung nichts zu tun hat.

In jenem Zeitabschnitt erkannte Freud auch, dass der Übertragungsmechanismus dann ausgelöst wird, wenn der Arzt sich daran macht, äußerst wichtige verdrängte Inhalte aufzudecken (Übertragung als Form des Widerstands).

3 Bruchstück einer Hysterie-Analyse

3.1 Krankengeschichte der Dora

Im Folgenden gebe ich einen kurzen Abriss der Krankengeschichte Doras, damit die späteren Ausführungen zur Übertragung besser eingeordnet werden können.[14]

Um die Erkrankung Doras zu begreifen, muss sie auf dem Hintergrund der eigenen Familienkonstellation sowie der intimen Beziehung ihrer Familie zu dem Ehepaar K. erläutert werden. Dora suchte Freud im Alter von 18 Jahren auf, da sie unter anderem an nervösem Husten, Verstimmungen und Selbstmordgedanken litt. Im Laufe der Behandlung verdeutlichten sich vier zentrale Punkte, die für die 18-jährige mit Konflikten beladen waren.

[...]


[1] Die kathartische Methode brachte ein hysterisches Symptom dadurch zum Verschwinden, dass der Betreffenden unter Hypnose die verursachende Situation mit allen Details in Erinnerung gerufen wurde und die Patientin dem unterdrückten Affekt Ausdruck verlieh.

[2] Freud, Studien über Hysterie, S.206.

[3] Freud, Bruchstück einer Hysterie-Analyse, S.12.

[4] Freud, Bruchstück, S.15.

[5] Freud, Studien, S.213.

[6] Um den Begriff 'Widerstand' verständlicher zu machen, werde ich einige Worte zur Entstehung des hysterischen Symptoms anfügen: Zuerst wurde die unverträgliche Vorstellung, d.h. eine Vorstellung, die beim Kranken peinliche Gefühle hervorruft, vom ICH abgewehrt und so aus dem Bewusstsein verdrängt. Gerade diese Abstoßung und Verdrängung ließ die Vorstellung pathogen werden, ein Zusammenhang, den Freud KONVERSION nennt. Während der Analyse wird dem Arzt dann jedes Mal, wenn er der unbewussten Vorstellung näher kommen möchte, Widerstand entgegengesetzt. Bei ihm handelt es sich um dieselbe psychische Kraft wie beim Verdrängungsvorgang, denn das ICH widersetzt sich dem Bewusstwerden der pathogenen Vorstellung (Studien, S.215f.).

[7] Freud, Studien, S.227f.

[8] Ebd., S.244.

[9] Ebd., S.244 [Freuds Hervorhebung].

[10] Ebd., S.244f.

[11] Eckige Klammern zeigen in der gesamten Arbeit meine Ergänzungen an.

[12] Ebd., S.245. Psychische Abstoßung (des peinlichen Affekts).

[13] Laplanche, Das Vokabular der Psychoanalyse, S.552.

[14] Die Zusammenfassung geschieht, um die zum Teil theoretischen Erläuterungen des folgenden Unterkapitels zum Terminus besser nachvollziehen zu können. Hierbei gehe ich auf die wichtigsten Stationen und Zusammenhänge aus der Falldarstellung der Dora (Freud, Bruchstück) ein, habe die Freudschen Ausführungen jedoch vor allem sprachlich vereinfacht, um dem Leser einen eingängigen Überblick zu bieten.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der Begriff "Übertragung" in Studien über Hysterie und Bruchstück einer Hysterie-Analyse
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Psychoanalyse)
Veranstaltung
Übertragung und Gegenübertragung
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1993
Seiten
20
Katalognummer
V116974
ISBN (eBook)
9783640193400
ISBN (Buch)
9783640193493
Dateigröße
432 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bruchstück, Hysterie-Analyse, Psychoanalyse, Freud Sigmund, Übertragung, psychoanalytische Technik, Anfänge Psychoanalyse, frühe Psychoanalyse
Arbeit zitieren
M. A. Michael Röder (Autor:in), 1993, Der Begriff "Übertragung" in Studien über Hysterie und Bruchstück einer Hysterie-Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116974

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