Oblatio: Eine gute Möglichkeit ein unerwünschtes Kind abzuschieben oder eine Chance zum besseren Leben?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

22 Seiten


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Grundlegende Information zu oblatio
2. Gute Möglichkeit unerwünschtes Kind abzuschieben
a) Oblaten aus armen Familien
b) Illegitime Nachkommenschaft
c) Große Zahl der Erben
d) Schwäche des Kindes
3. Oblatio als Karrieresprungbrett
4. Tiefer Glaube
a) Opferung des Kindes – ein wichtiger Glaubensinhalt
b) Oblatio infolge einer Prophezeiung
c) Perspektive des Kindes

III. Schlussbetrachtung

Literatur

Quellen

I. Einleitung

Wie war eine Kindheit im „finsteren“ Mittelalter? Gab es sie überhaupt? Diese Frage beschäftigt die Historiker nach wie vor. Seit Philippe Ariés[1] seine These – es gäbe keine „Kindheit“ im Mittelalter - in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufstellte, kommt es immer wieder zu Publikationen und Arbeiten, die das Thema unter verschiedenen Gesichtspunkten erforschen und in den meisten Fällen Ariés` Thesen widerlegen. Die vermeintlich fehlende Liebe und Kummer um den Nachwuchs, Bildung und Ausbildung sind in den Untersuchungen fast aller Forscher, die sich zum Thema „Kindheit“ äußern und oft vorbildhaft ihre Thesen durch entsprechende Quellen belegen[2], präsent. Die Ergebnisse könnte man sehr gut mit den Worten von Frank Meier zusammenfassen: „Die Einstellung der mittelalterlichen Gesellschaft zu Kindern erscheint uns ambivalent. Sie schwankte zwischen Liebe und Unerwünschtsein, zwischen Akzeptanz und Ablehnung.“[3] Einige Autoren versuchten diese Ambivalenz mit der „psychogenetischen Evolutionstheorie“[4], die nicht immer einleuchtend und zutreffend war, zu erklären.

So ist auch oblatio puerorum - die Darbringung von Kindern – aus vielen Arbeiten zur Kindheit im Mittelalter nicht wegzudenken. Oft aber wird dieses Phänomen nur als Faktum konstatiert[5] oder als ein Beweis für oder gegen die Elternliebe angeführt. Dieses Thema ist wahrscheinlich nach wie vor „ein Stiefkind der Forschung“[6], denn es gibt nur wenige Publikationen, die sich tiefgründig damit beschäftigen. Detlef Illmer und später Shulamith Shahar betrachteten es im Rahmen der Erziehung und Wissensvermittlung im Mittelalter[7], dabei gibt S. Shahar einen sehr guten Überblick. J. E. Boswell betrachtet oblatio als eine Variante der Aussetzung[8]. Möglicherweise ist die solide Untersuchung des Klosterlebens eines Kindes von Maria Lahaye-Geusen gegen diese Sicht gerichtet. Wobei diese Arbeit nur den Sollzustand schildert und keinen Ausblick in die Wirklichkeit bietet. Das ist auch nachvollziehbar, denn allzu viele Quellen hat man nicht. Die Regula Benedicti als „Anleitung zu christlichem Leben“[9] gibt nur die Richtlinien für bestimmte Situationen vor, ob und wie sie eingehalten werden ist der Schrift schwer zu entnehmen. Die Ekkehards des IV. Sankt Galler Klostergeschichten ebenso wie Heiligenviten können den Vorhang ein wenig lüften. Dabei ist bei den letzten zu bedenken, dass sie nach einem bestimmten Topos geschrieben wurden und deswegen das Leben eines Heiligen stark idealisierend darstellen. Sie geben nur sporadisch die Einblicke in die Wirklichkeit.

Eltern `opferten` ihre Kinder den Klöstern. Was bewegte sie dazu? War oblatio eine gute Möglichkeit ein unerwünschtes Kind abzuschieben oder gab sie ihm eine Chance zum besseren Leben und versprach eine gute Kariere? Es ist ein komplexes Thema, das sich nicht in schwarz / weiß teilen lässt. Trotzdem möchte ich in dieser Arbeit herausfinden, ob diese Frage eindeutig zu beantworten ist oder mindestens feststellen, welchem der beiden Pole die Wirklichkeit näher liegt.

II. Hauptteil

1. Grundlegende Information zu oblatio

Zunächst einmal möchte ich den zeitlichen Rahmen, in dem oblatio praktiziert wurde, umreißen und ein Paar grundlegende Informationen zu diesem Vorgang geben, die das Verständnis im weiteren erleichtern.

Die Darbringung der Kinder ist keine Erfindung der christlichen Religion. „Dort, wo das Opfer im Sinne einer vorzugsweise lebendigen Gabe einen zentralen Platz einnahm, war der Schritt zum Opfern eigener (oder auch fremder) Kinder nicht sehr weit.“[10] Die oblatio ist seit dem IV. Jahrhundert durch Quellen bezeugt[11]. Ab dem IX. Jahrhundert „wurde [...] die Benediktsregel zur ausschließlichen Norm monastischen Lebens gemacht.“[12] Die Aufnahme der Kinder erfolgte nach dem im Kapitel 59 der Regel vorgegebenen Muster:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Darbringung geschieht hier gleichzeitig mit der Profess – Ordensgelübde, welche die Eltern anstelle des Kindes, das noch nicht zehnjährig ist, leisteten.[14] Danach soll der Oblate keinen Kontakt mehr mit der Außenwelt haben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Eltern, so M. Lahaye-Geusen, würden nicht mal wissen, ob das Kind krank sei, oder ob es überhaupt noch lebe. Sie durften das Kind nicht besuchen. Es war ihnen verboten ein Begräbnis auszurichten oder dabei zu sein, denn von diesem Zeitpunkt war die Klostergemeinschaft die eigentliche Familie des Oblaten, die sich um sein geistiges und physisches Wohlergehen sorgte.[16] Der Präzedenzfall von Gottschalk von Orbais (ca. 806-869), welcher einer sächsischen Adelsfamilie entstammte, deckte Schwierigkeiten der lebenslangen Verpflichtung auf[17]. Im Laufe des XII. Jahrhunderts geht dieser Brauch zurück. Viele Faktoren[18], auf die ich im Rahmen meiner Arbeit nicht eingehen kann, kamen zusammen. Dabei spielte die Meinung des Oblaten keine Rolle. „Auf dem 4. Lateralkonzil (1215) wurde die oblatio für unrechtmäßig erklärt.“[19] In der Praxis ließ man Kinder nach wie vor in den Klöstern erziehen, nur der Zeitpunkt der Profess wurde heraufgeschoben, bis die Kinder die Ordensgelübde selbst leisten konnten. Thomas von Aquino (1224/25 - 1274), zum Beispiel, wurde von den Eltern als Oblate dargebracht, die Profess legte er aber bei den Dominikanern ab[20].

2. Gute Möglichkeit unerwünschtes Kind abzuschieben

In diesem Kapitel möchte ich nicht auf die Fragen des Glaubens eingehen, sondern nur die pragmatische Seite der Kinderdarbringung untersuchen. Oblatio bot in vielen Situationen, die in diesem Teil der Arbeit erörtert werden, eine gute Lösung aus einer schwierigen Situation herauszukommen. Die Klöster wurden oft von den Eltern „als bloße Versorgungsinstitute für ihre Kinder missbraucht”[21]. Wo die Grenze zwischen echter Not und Ablehnung dem eigenen Kind gegenüber liegt, ist kaum möglich eindeutig zu zeigen, denn zu der doppeldeutigen „Einstellung zur Kindheit im Mittelalter“ kommt noch die Subjektivität der Betrachtung hinzu.

[...]


[1] Ariés, Philippe, Geschichte der Kindheit [franz.: L’enfant et la vie familiale sous l’ancien régime. Paris 1960], Verlag dtv Wissenschaft, München 1975.

[2] Vgl.: Zielinski, Herbert, Elisabeth von Thüringen und die Kinder. Zur Geschichte der Kindheit im Mittelalter, in: Udo Arnold (Hg.), Elisabeth, der Deutsche Orden und ihre Kirche. Festschrift zur 700jährigen Wiederkehr der Weihe der Elisabethkirche Marburg 1983 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 18), Marburg 1983, S, 27-38; Mit vielen Quellen, die in verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten entstanden, hat F. Meier bewiesen, dass es keinen Mentalitätswandel in der Zeitspanne VIII. bis XV. Jahrhundert bezüglich der Liebe zu Kindern gegeben hat. Vgl.: Meier, Frank, Keine kleinen Erwachsenen. Das Bild des Kindes im Mittelalter und früher Neuzeit, in: Mit Kind und Kegel. Kindheit und Familie im Wandel der Geschichte, Ostfildern 2006, S. 29-40.

[3] Meier, Frank, Zwischen Lachen und Weinen. Kindheit früher und heute, ebd. S. 165.

[4] Vgl. DeMause, Lloyd, Evolution der Kindheit, in: Ders. (Hg.), Hört ihr die Kinder weinen? Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit, Frankfurt am Main 1980, S. 12-111; Lyman, Richard B., Barbarei und Religion: Kindheit in spätrömischer und frühmittelalterlicher Zeit, ebd., S. 112-146.

[5] Wie bei Arnold, Klaus, Die Einstellung zum Kind im Mittelalter, in: Bernd Herrmann (Hg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter, Stuttgart 1987, S. 57f.

[6] Lahaye-Geusen, Maria, Das Opfer der Kinder. Ein Beitrag zur Liturgie- und Sozialgeschichte des Mönchtums im Hohen Mittelalter (Münsteraner Theologische Abhandlungen, 13), Altenberge 1991, S. 4.

[7] Dazu: Shahar, Shulamith, Kindheit im Mittelalter, München 1991, S.213-237; Illmer, Detlef, Formen der Erziehung und Wissensvermittlung im frühen Mittelalter. Quellenstudien zur Frage der Kontinuität des abendländischen Erziehungswesens, München 1971, S. 10-28.

[8] Vgl.: Boswell, John, Expositio and Oblatio. The Abandonment of Children and the ancient and medieval Family, in: American Historical Review, 89.1, 1984, S. 10-33.

[9] Holzherr, Georg, Die Benediktsregel. Eine Anleitung zu christlichem Leben, Freiburg 2005.

[10] Lahaye-Geusen, Maria, S. 15.

[11] Regula Pachomii, Anfang 4. Jh.: oblatio wird erwähnt, vgl.: AG 1: Pueri oblati, im: HS: „Kindheit(en) im Mittelalter“ bei Prof. M. Blattmann, Uni Köln, SoSe 2007, Papier 19.

[12] Lahaye-Geusen, Maria, S. 22, dazu auch: Holzherr, Georg, S. 35 ff.

[13] RB 59,1-2.

[14] Vgl.: Lahaye-Geusen, Maria, S. 45 ; Illmer, Detlef, S. 26.

[15] RB 59,6.

[16] Vgl.: Lahaye-Geusen, Maria, S. 320-324.

[17] Vgl.: Boswell, John, S. 26.

[18] „ (…) the reason for this ruling was the unconsidered and overly quick reception of youngsters, who put on the clothing of holy religion before they are able to possess any rational intelligence, and since they are enmeshed in boyish foolishness they disturb everyone.” So Peter the Venerable, zitiert nach: Boswell, J., Anm. 44, S. 29.

[19] Shahar, Shulamith, S. 222.

[20] Vgl.: Eckert, Willehad Paul, Das Leben des heiligen Thomas von Aquino, in: Heilige der ungeteilten Christenheit. Dargestellt von den Zeugen ihres Lebens, Walter Nigg/ Wilhelm Schamoni (Hg.), Düsseldorf 1965, S. 7-19.

[21] Schreiner, Klaus, „Consanguinitas“. „Verwandtschaft“ als Strukturprinzip religiöser Gemeinschafts- und Verfassungsbildung in Kirche und Mönchtum des Mittelalters, in: Irene Crusius (Hg.), Beiträge zu Geschichte und Struktur der mittelalterlichen Germania Sacra, Göttingen 1989, S. 183.

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Details

Titel
Oblatio: Eine gute Möglichkeit ein unerwünschtes Kind abzuschieben oder eine Chance zum besseren Leben?
Hochschule
Universität zu Köln
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V116651
ISBN (eBook)
9783640186921
ISBN (Buch)
9783640195923
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Oblatio, Eine, Möglichkeit, Kind, Chance, Leben
Arbeit zitieren
Julia Alert (Autor:in), 2007, Oblatio: Eine gute Möglichkeit ein unerwünschtes Kind abzuschieben oder eine Chance zum besseren Leben?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116651

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