Zu Georg Büchners "Woyzeck" – Wegweiser zur Moderne?


Seminararbeit, 2008

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Georg Büchners Leben im zeitlichen Kontext und der Entstehung des "Woyzeck"- Fragmentes

III. "Woyzeck" und die Literatur der Moderne

IV. Georg Büchners „Woyzeck“ als Schlüsselwerk für die Autoren der Moderne

V. Schluss

I. Einleitung

Georg Büchners Fragmente, welche dem Publikum erst nach seinem Tod als editiertes und künstlich zusammengefügtes Werk unter dem Namen „Woyzeck“ bzw. „Wozzeck“ begegneten, gehören zusammen mit Büchners überschaubaren restlichen Werk unbestritten zu den größten literarischen Errungenschaften der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der als „Vormärz“ bezeichneten Literaturepoche, nicht nur was die neuartigen Stilmittel, sondern vor allem auch den Inhalt betrifft. Auch der Autor dieses Fragmentes, Georg Büchner (17.10.1813 – 19.02.1837), verdient höchste Aufmerksamkeit. Jedoch haben ihm diese die Literaturwissenschaften und die Presse schon in ausreichendem Maße zukommen lassen und spekuliert, welch großartiges Werk er wohl noch hätte hinterlassen können, wäre er nicht im Alter von 23 Jahren verstorben[1]. In dieser Arbeit soll nun weder auf die Person Georg Büchners und sein Leben in toto eingegangen werden, ebenso wenig auf das gesamte literarische Erbe. Im Fokus steht Büchners letzte bekannte Arbeit, die er den spärlichen Beweisen nach am 20. Januar 1837 bereits im Exil in Zürich befindlich abgebrochen hat[2]. Es soll in Grundzügen ermittelt werden, inwieweit „Woyzeck“ das Denken und Schaffen sowie den Stil von Künstlern, speziell von Literaten der deutschen Moderne[3], beeinflusst und möglicherweise in einigen Zügen vorgedacht hat. Dieser Gedanke erscheint vielleicht zunächst absurd, erhält jedoch einige Berechtigung, wenn man an die starke Rezeption der Werke Büchners im frühen 20. Jahrhundert, eben gerade durch bedeutende Vertreter der Moderne, denkt. Zu nennen sind hier neben den zahlreichen Kommentaren von bekannten Vertretern dieser Moderne, wie z.B. Rainer Maria Rilke[4] oder auch Alfred Döblin[5] zum „Woyzeck“ insbesondere die hohe Zahl der Theater- und Opernaufführungen. So wurde unter dem Regisseur Dr. Eugen Kilian und durch die beständige Mithilfe Hugo von Hofmannsthals bereits 1913 in München ein „Wozzeck“ auf die Bühne gestellt. Auch wenn es diese Version bereits auf zwanzig Aufführungen brachte, so war doch jene aus dem Jahre 1921 bekannter. Hier hatte nun der Woyzeck, herausgebracht von Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin, seine größten Erfolge. Auch im Nationalsozialismus wurde der sozialkritische „Woyzeck“ nicht verboten, nach dem Krieg wurde das Stück noch im Jahre 1945 wieder in Leipzig und Stuttgart aufgeführt. Vielleicht noch bedeutender für die Moderne als die theatralische Realisierung des Woyzeck-Stoffes ist dessen expressionistische Umsetzung als Oper durch Alban Berg. Es wurde 1925 an der Berliner Staatsoper „Unter den Linden“ als Dreiakter „Wozzeck“ uraufgeführt, nach etwa zehnjähriger Arbeit Bergs an dem Stück. Der besondere Erfolg begründete sich wohl auch dadurch, dass Berg die Seelenzustände der Protagonisten durch neuartige Musiktechniken auszuschmücken verstand, wodurch der Stoff noch einmal lebendiger erschien als in den Fragmenten Büchners. Akzentuiert wird der Einfluss von Alban Bergs Oper nochmals durch die Tatsache, dass seine Oper als Vorbild für vier der fünf bis 1996 entstandenen Filme war und sogar Persönlichkeiten wie Theodor W. Adorno nachweislich musikalisch beeinflusste. Diese Hochkonjunktur des Stoffes und vor allem dem Wirken des Dichters und Autors Georg Büchner schlug sich auch massiv in der zeitgenössischen Presse nieder. Dies beweist, dass Büchner knapp hundert Jahre nach seinem Tod den Zeitgeist getroffen zu haben scheint.

Nun müssen allerdings einige Formalien geklärt werden. Problematisch ist vor allem, dass Büchner keine Lesefassung des „Woyzeck“ hinterlassen hat, sondern eben nur verschiedene Text- und Entwicklungsstufen[6]. Die Anordnung der Szenengruppen spaltet die Wissenschaft immer noch in zwei Lager, jedoch könnte man mit dem Inhalt der Debatte und ihrer Geschichte eine eigene Arbeit füllen, wozu hier jedoch nicht der Raum ist. Werner R. Lehmann stellte einmal fest, dass es wohl keine Patentlösung für das Problem der Szenenanordnung geben kann[7]. Die Anordnung Lehmanns, zuerst erschienen als historisch-kritische Ausgabe 1967[8] und übernommen von der Münchner Ausgabe 1984, darf hier jedoch nicht verwendet werden, auch wenn seine Anordnung heutzutage als Standard gilt[9] und zumindest die bekannteste Lesefassung ist, denn man muss anführen, dass die ebenda genannte Version zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht zur Verfügung stand und somit auf die damalige Dramatik, Theater und Oper keinen Einfluss haben konnte. Die derzeitige Referenz war die Edition von Karl Emil Franzos, welcher Büchners Fragmente mit chemischen Verfahren zunächst wieder lesbar machte und als erster Mensch weitestgehend entzifferte und die bisherige, durch Georg Büchners Bruder Ludwig stark verfälschte und weitestgehende unvollständige Transkription verbesserte[10]. Allerdings ordnete auch Franzos die Szenen nach ästhetischen Gesichtspunkten und ergänzte auch Unvollständiges handschriftlich. Der „Wozzeck“ (nach einem Lesefehlers Franzos’) wurde zum ersten Mal vollständig in der Berliner Wochenschrift „Mehr Licht! Eine deutsche Wochenschrift für Literatur und Kunst“ im Jahre 1878 abgedruckt. Dieser kurze Abriss zur Editionsgeschichte soll nur zeigen, dass für einen Vergleich und die Feststellung einer eventuellen Einflussnahme auf die Moderne diese sicherlich fehlerhafte Erstausgabe genutzt werden muss[11] [12], auf welcher auch die Oper von Alban Berg, sowie ein Großteil aller Bühnenfassungen basieren[13]. Wollte man weitere Parallelen konstatieren, so müsste man eigentlich Einzelfallbetrachtungen verschiedener, besonders hervorstechender Werke der deutschen Moderne, ja eigentlich sogar denen der Unter- oder Teilbewegungen, dem Naturalismus, dem Expressionismus, der Wiener Moderne, der Dekadenz[14] usw. anstellen. Dies soll hier jedoch unterbleiben, da eine allgemeine Betrachtung sinnvoller erscheint und eine höhere Abstraktionsebene eine allzu detaillierte Einzelfalldarstellung vermeidet. Da die Büchner-Forschung nicht still steht, wurde neben den soliden Standardwerken, z.B. von Hans Mayer[15] oder Jan-Christoph Hauschild[16] schwerpunktmäßig auf modernere Literatur zurückgegriffen.

Im Kapitel II soll kurz der zeitliche Kontext, in den Georg Büchner „hineingeboren“ wurde und Aufwuchs, kurz dargestellt werden. Dies ist elementar, da die Motivation des Revolutionärs Büchners zu schreiben, primär eine extrinsische war. Im Kapitel III wird schließlich versucht, durch das Aufzeigen von Parallelen zu einzelnen Werken ein Bezug zur literarischen Moderne zu knüpfen, hierbei werden auch einige Techniken Erwähnung finden. Teil IV beschäftigt sich schließlich mit Georg Büchner in persona und seinem „Woyzeck“ als mögliche Schlüssel- und Identifikationsfigur berühmter Autoren der deutschen Moderne, wobei durch deren Auswahl ein kleiner „Querschnitt“ der Moderne, d.h. Naturalismus, Expressionismus und eine Sonder- bzw. Mischform abgedeckt werden soll. Der Schluss soll schließlich die gesammelten Ergebnisse vereinen und somit ein Fazit ermöglichen.

II. Georg Büchners Leben im zeitlichen Kontext und der Entstehung des "Woyzeck"- Fragmentes

Durch die Gnade Napoleons war Hessen seit dem Jahre 1806 ein Großherzogtum. Der nun zum Großherzog erhobene Ludwig I. musste hierfür jedoch seine linksrheinischen Territorien an Frankreich abtreten und dem Rheinbund beitreten. Nachdem er durch einen geschickten Schachzug beim Wiener Kongress Rhein-Hessen wiedererlangte, hob er im Jahre 1820 die Leibeigenschaft auf, erließ eine Verfassung und gestatte uneingeschränkte Pressefreiheit. Sein Nachfolger und Sohn, ab 1830 im Amt, zeigte jedoch ein geringeres Engagement und nahm nur peripher am politischen Geschehen Teil, verlangte jedoch, dass seine Privatschulden von über zwei Milliarden Gulden aus öffentlicher Kasse getilgt werden sollten. Als trotz leerer Staatskassen und einem harten Sparkurs der Betrag nicht zusammenkam, löste Ludwig II. erzürnt beide Regierungskammern auf und herrschte fortan wieder autokratisch. Es folgte ein Ausbau von Polizei und Konfidentwesen. Die Spionageaktivitäten konzentrierten sich auf die Aktivitäten der Intellektuellen, welchen eine Koordination von Aufständen unmöglich gemacht werden sollte. Die Landbevölkerung wurde dagegen von Militär und Polizei niedergehalten, einzelne Aufstände, wie zum Beispiel jenen oberhessischen des Septembers 1830, blutig niedergeschlagen. Dies ist der Hintergrund, vor dem Georg Büchner seinen "Hessischen Landboten" verfasste. Er konnte sich der Verhaftungs- und Auswanderungswelle der Zeit allerdings durch zeitgerechte Emigration nach Straßburg entgehen[17].

Georg Büchners Jugend wurde maßgeblich von seinem Unterricht am Darmstädter Ludwig-Georg Gymnasium beeinflusst. Eine gefragte und geförderte Eigenschaft der Schüler war hier die "imitatio", d.h. die Fähigkeit, sich in eine andere Person hineinversetzen zu können. Dies war wohl eine der Grundlagen, mit deren Hilfe Büchner seinen Protagonisten "Lenz" und "Woyzeck" eine derartige Plastizität verleihen konnte. Ein weiterer, bereits im Gymnasium erlernter Gedanke, war der der Überbietung des Vorbildes, d.h. der Anspruch, sein Vorbild nicht nur imitieren, sondern es wenn möglich übertreffen zu wollen[18].

[...]


[1] Siehe z.B.: Thadden, Elisabeth von: "Die Zeit verliert uns.". Die Zeit Campus (= 01/2006). URL: http://www.zeit.de/campus/2006/01/leben-vorbilder?page=1 [Stand: 15. April 2008].

[2] Glück, Alfons (2005): "Woyzeck. Ein Mensch als Objekt". In: Georg Büchner, Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck. Durchges. Ausg. Stuttgart: Reclam (= Universal-Bibliothek Interpretationen; 8415), S. 180.

[3] „Moderne“ soll hier zunächst als ein weit gefasster, allgemeiner Begriff verstanden werden-

[4] „Der Wozzeck […] wie vieles macht er unnütz, was man laut und begeistert begrüßt hat, wie vieles spätere. Hier geht ein Weg, ja ich möchte fast sagen: hier geht der Weg.“ Rainer Maria Rilke 1915. Zitiert nach: Hauschild, Jan-Christoph (1993): Georg Büchner. Biographie. Darmstadt: Hessische Historische Komm. (= Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission; N.F., Bd. 8), XIII.

[5] „Dieser Büchner war ein toller Hund. Nach kaum 23 oder 24 Jahren verzichtete er auf weitere Existenz und starb. Es scheint, die Sache war ihm zu dumm. […] Büchner, das war ein Revolutionär vom reinsten Wasser.“ Alfred Döblin 1921. Zitiert nach: Hauschild 1993 – Georg Büchner, XIV.

[6] Glück 2005 – Woyzeck. Ein Mensch als Objekt, S. 179-184.

[7] Mayer, Hans/Büchner, Georg (1998): Georg Büchner und seine Zeit. 1. Aufl., [Nachdr.]. Frankfurt am Main: Suhrkamp (= Suhrkamp-Taschenbuch; 58), S. 488.

[8] Hier ist die Quellenlage widersprüchlich, mancherorts wird das Erscheinen der Arbeit auf 1968 datiert.

[9] Simm, Hans-Joachim (1984): "Woyzeck". In: Büchner, Georg/Pörnbacher, Karl/Schaub, Gerhard (Hg.): Werke und Briefe. (3. Aufl.). München: Hanser (= Hanser-Bibliothek), S. 382.

[10] Er versuchte die „Zynismen“, welche Ludwig Büchner zur Verhinderung einer bösartigen Interpretation gestrichen oder geändert hatte wieder herzustellen. Aus: Simm, Hans-Joachim (2001): "Woyzeck". In: Büchner, Georg (Hg.): Werke und Briefe. Münchner Ausg., 8. Aufl. München: Dt. Taschenbuch-Verl., S. 619.

[11] Der unter 7 genannte Aufsatz von Hans-Joachim gibt einen ausführlichen überblick über die gängigsten Editionen des „Woyzeck“.

[12] Da die sog. „Frankfurter Ausgabe“ des „Wozzeck“ von Karl-Emil Franzos ungebräuchlich und heutzutage eher unbekannt ist, wurde sie in der Anlage hinterlegt. (http://de.wikisource.org/wiki/Wozzeck#Fr.C3.BCher_Morgen._Vor_Mariens_Hausth.C3.BCr.)

[13] Simm, Hans-Joachim (2001): "Woyzeck". In: Büchner, Georg (Hg.): Werke und Briefe. Münchner Ausg., 8. Aufl. München: Dt. Taschenbuch-Verl., S. 622.

[14] Dies dürften die wohl gängigsten Strömungen sein, welche man heute unter dem Begriff „Moderne“ zusammenfasst, jedoch sind dies keinesfalls alle, ebenso ist diese Zuordnung nicht unumstritten.

[15] Mayer, Hans/Büchner, Georg (1998): Georg Büchner und seine Zeit. 1. Aufl., [Nachdr.]. Frankfurt am Main: Suhrkamp (= Suhrkamp-Taschenbuch; 58).

[16] Hauschild, Jan-Christoph (1993): Georg Büchner. Biographie. Darmstadt: Hessische Historische Komm. (= Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission; N.F., Bd. 8).

[17] Jary-Jenecka, Friederike (1999): "Das Großherzogtum Hessen und die Familie Büchner". In: Csobádi, Peter/Herz, Joachim (Hg.): Alban Bergs Wozzeck und die zwanziger Jahre. Vorträge und Materialien des Salzburger Symposions 1997 ; Joachim Herz zum 75. Geburtstag. Salzburger Symposion. Anif: Müller-Speiser (= Wort und Musik; 40), S. 29-33.

[18] Dissel, Sabine (2005): Das Prinzip des Gegenentwurfs bei Georg Büchner. Von der Quellenmontage zur poetologischen Reflexion. Bielefeld: Aisthesis Verlag, S. 25.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Zu Georg Büchners "Woyzeck" – Wegweiser zur Moderne?
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
Veranstaltung
Literarisches Lesen
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
17
Katalognummer
V116021
ISBN (eBook)
9783640175888
ISBN (Buch)
9783640179619
Dateigröße
484 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Georg, Büchners, Woyzeck, Wegweiser, Moderne, Literarisches, Lesen
Arbeit zitieren
Christian Hauck (Autor:in), 2008, Zu Georg Büchners "Woyzeck" – Wegweiser zur Moderne?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116021

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