Der Aufbau-Verlag und die Wende

Programm- und Strukturveränderungen infolge der Wiedervereinigung


Magisterarbeit, 2006

81 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Kurze Geschichte des Verlagshauses
2.1 Die Anfänge
2.2 Erste Erweiterung zum Verlagshaus und der Fall Biermann
2.3 Die Nachwendezeit
2.3.1 Der Besitzerwechsel
2.3.2 Weitere Ergänzungen des Verlagshauses
2.4 Der neue Verleger
2.5 Die Eigentumsfrage

3 Die Entwicklung des Verlages von seiner Gründung bis zur Wiedervereinigung im Detail
3.1 Die Arbeitsbedingungen in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR
3.2 Das Programm und die Autoren

4 Was ändert sich mit der Wiedervereinigung?
4.1 Strukturveränderungen und die daraus resultierenden Probleme
4.1.1 Autorenrechte und Lizenzverträge
4.1.2 Der Buchhandel und das „Leseland“
4.1.3 Entlassungen, Kürzungen am Programm und die neue Bedeutung von Marketing und Werbung
4.1.4 Erfahrungen mit der westlichen Arbeitsweise eines Verlages
4.1.5 Die Affäre um Plusauflagen
4.1.6 Schutzfristen und positive Erfahrungen mit der Wende
4.2 Programmveränderungen
4.2.1 Profilbestimmung
4.2.2 Sachbuch und neue Editionen
4.2.3 Die Reform des Verlagshauses
4.2.4 Veränderungen am Programm aus ökonomischen Gründen
4.2.5 Erneuter Ausbau des Verlagshauses
4.2.6 Der Aufbau-Verlag im 21. Jahrhundert

5 Resümee

6 Literaturverzeichnis
6.1 Primärliteratur
6.1.1 Archiv
6.2 Sekundärliteratur
6.2.1 Presse
6.2.2 Bücher
6.2.3 Internet

1 Einleitung

Mit Autoren wie Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Theodor Fontane, Lion Feucht­wanger, Arnold Zweig, Ber­tolt Brecht, Anna Seghers, Eva und Erwin Strittmatter oder auch Armin Mueller-Stahl, Bri­git­te Rei­mann, Fred Var­gas und Thomas Lehr hat die Aufbau-Verlagsgruppe Ber­lin eine Rei­he hoch­ka­rä­tiger Namen von den Klassikern über Exil­auto­ren bis hin zu zeitgenössischer Literatur vor zuweisen. Die Verlagsgruppe besteht aus fünf Verlagen: dem Aufbau-Verlag, dem Ver­lag Rütten & Loe­ning, dem Aufbau-Taschenbuch-Verlag (A t V), dem Gustav Kie­penheu­er Verlag sowie dem Audio-Verlag (D<A>V). Die insgesamt etwa 320 Neu­er­scheinun­gen pro Jahr sowie ein Um­satz von 16,2 Millio­nen Euro (2004)[1] bescherten der Aufbau-Gruppe – einem der weni­gen noch konzernunab­hän­gi­gen, priva­ten Edi­tions­häuser in Deutsch­land – in dem jährlich vom Fachmagazin buch­re­port veröffent­lichten Ran­king Die Top 100. Die 100 größten Ver­la­ge in Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz sowohl im letzten als auch im vor­letzten Jahr „nur“ Platz 77. Für das Jahr 2005 wur­den drei Pro­zent mehr Umsatz er­war­tet, teil­te Verleger Bernd Fritz Lunke­witz auf einer Presse­konferenz im Okto­ber letzten Jahres mit.[2] Mit den höch­sten Zu­wächsen rechnete man beim Audio-Ver­lag, wäh­rend der Bereich Hard­cover offenbar Ein­bußen und das Taschen­buch Kon­stanz zu brin­gen versprachen. Nach dem momen­ta­nen Stand der Dinge wird sich der Um­satz jedoch auf Vor­jah­res­niveau be­we­gen.[3] Angesichts der schwie­ri­gen Marktlage geht es dem Unternehmen gut.

Um­fra­gen des Marktforschungs­unter­neh­mens Innofact AG nach Be­kanntheit und Image der größten deutschen Buchverlage bei Ver­brau­chern zeigen im Vergleich zum oben genannten Ranking ein anderes, deut­lich positiveres Bild: Für 2003 ermittelte eine Stu­die unter 1.713 Buch­käu­fern zwischen 14 und 65 Jahren Aufbau als den sympathischsten, glaubwürdigsten und innovativ­sten deutschen Verlag.[4] Außerdem wurde er bezüglich der Frage nach einem gu­ten Pro­gramm am besten beur­teilt. Seine Bedeutung werde laut Ein­schät­zung der Ver­braucher in Zu­kunft zu­nehmen. Zwei Jahre später – im Jahr 2005 – erzielte der Verlag im selben Ranking, dieses Mal wurden 1.882 Buchkäufer befragt, ähnliche Er­geb­nis­se:[5] Wiederum wurde er zum sympathischsten und glaub­wür­dig­sten deut­schen Verlag gekürt. „Der Verlag mit den höchsten Sympathie­wer­ten ist Auf­bau. Hierbei ist zu bedenken, dass der Aufbau-Verlag über­pro­portional von Probanden aus den neuen Bundesländern bewertet wur­de und dabei auch von einem ‚Ost-Bonus’ profitiert.“[6] Unter den belle­tri­sti­schen Verla­gen ist er wiederum der Verlag mit dem besten Programm. Von einer all­ge­meinen Bekanntheit kann heute trotzdem nicht mehr die Rede sein: Bei der ungestützt, das heißt ohne Vor­gaben, gestellten Frage „Welche Buch­ver­lage kennen Sie?“ konnte sich Aufbau in den letz­ten drei Jahren nicht ein einziges Mal im vorderen Drittel platzieren. Im Bereich der gestützten Be­kanntheit erzielte er dagegen in beinahe allen Kategorien – wie zum Beispiel in den oben ge­nann­ten „glaubwürdiger Verlag“, „sympathischer Verlag“ etc., aber auch in Bezug auf die Frage nach einer langen Tradition und einem klaren Profil – stets Spitzen­plätze.

Diese Untersuchungen offen­ba­ren: Die größ­ten Ver­lage sind nicht zwangs­läufig die be­kann­testen[7] – zumal den Ver­brau­chern eher Belle­tri­stik- als Wis­senschafts­ver­lage ein Begriff sind, zu­min­dest, wenn man sie unge­stützt befragt – und man­cher für eigen­ständig gehaltene Verlag ge­hört längst einem der großen Konzerne an. An­ge­sichts dessen über­treibt man wohl kaum, wenn man – wie es auch WDR 5 im Dezember letzten Jahres im Tischgespräch mit Verleger Bernd Fritz Lunke­witz tat – den Aufbau-Verlag mehr als 60 Jahre nach seiner Gründung als eines der renom­mier­te­sten Ver­lags­häu­ser Deutschlands be­zeichnet. Doch diese Entwick­lung war nicht un­be­dingt ab­zu­se­hen und bedurfte großer An­strengun­gen: „Uns gibt es noch; und das ist nichts, was sich von selbst ver­stün­de.“[8]

In der DDR war Aufbau unzweifelhaft der führende Verlag für Belle­tri­stik, galt gewissermaßen als das DDR-Pendant des Suhrkamp-Verlags.[9] „Aufbau – das war die DDR im Verlagsformat.“[10] Entstehung, Druck und Veröf­fent­lichung von Büchern waren im Osten Deutsch­lands staatlich kon­trol­liert. Sie unterlagen der Zensur durch die Re­gie­rung beziehungsweise durch die SED. Angeblich besaß der Auf­bau-Verlag aber, wenigstens bis zur Verhaftung des Ver­lagsleiters Wal­ter Janka 1956, „wegen seiner berühmten Autoren stets eine Son­derstellung mit direk­tem Draht zum Po­litbüro“.[11] Die Buch- und Lite­ra­turpolitik war nicht von markt­wirt­schaft­li­chen, an Ge­winn orien­tier­ten, also west­lich-kapitalistischen Über­le­gun­gen be­stimmt, sondern stark ideo­logisch geprägt. Als dann im Herbst 1989 die Mauer fiel, sah das „Haus in der Franzö­si­schen Straße“ – wie alle Ver­la­ge der DDR – einer ganz und gar unge­wis­sen Zukunft entgegen. Vom einen auf den ande­ren Tag gab es keine zwei voneinander ab­ge­schot­te­ten Buchmärkte mehr, am 1. Dezember 1989 wurde die Druckgenehmigungspflicht auf­ge­ho­ben, Schrift­steller sahen sich zum Teil in zwei Verlagen be­hei­ma­tet, Bü­cher aus dem Westen waren um ein Vielfaches teu­rer als die sta­at­lich subventionierten der DDR, für die Leser im Osten aber auch vielfach in­ter­essanter, weil sie sich mit an­deren The­men be­schäf­tigten und an­ders aufge­macht waren. Mit dem En­de der Subventionspolitik und der Über­nah­me des westdeutschen Preisbindungs­systems am 1. Juli 1990 war das Ende für preiswerte Bücher aus dem Osten gekommen. Der Westen hatte auf dem ver­ein­ten Buch­markt Unterpreisangebote konkurrierender Fir­men und Reimporte west­deutscher Bücher befürchtet.[12] Theoretisch hatte die Möglichkeit bestanden, sich in der ehemaligen DDR billig mit Literatur aus den alten Bundesländern einzudecken und diese anschließend an ihrem Herkunftsort wieder zum regulären Preis zu verkaufen.

Im Zuge des Mauerfalls kamen plötzlich viele Fragen auf: Wie sollte man als Ost-Ver­lag mit diesen veränderten Bedin­gun­gen in einem Ge­samtdeutschland umgehen? Mit welchen Schrit­ten könnte eine Posi­tionssiche­rung erreicht wer­den, um den prophezeiten Un­ter­gang abzu­wen­den? Die Pfunde des Verlags waren seine Urheberrechte und sein Renommee, doch: Was wür­den diese im Ver­gleich zum Wissen westdeutscher Verlage über Sorti­ment, Vertrieb und Buch­handel wiegen? In der von der Bun­deszen­trale für politische Bil­dung her­ausge­ge­be­nen Publikation Aus Politik und Zeit­ge­schich­te konnte man im Jahr 2000 lesen: „Gemessen an der Tatsa­che, dass die Über­le­bens­chan­ce für ost­deut­sche Verlage 1990 selbst in optimi­stischen west­deut­schen Prog­nosen bei kaum mehr als einem Drittel lag, er­staunt die Vielzahl der alten Ver­lagsnamen, die – wenn auch in zum Teil dra­stisch re­du­zier­ter Be­triebsgröße – noch am Markt sind. Unter den bel­le­tristischen Ver­lagen der DDR hat der renom­mierte […] Aufbau-Verlag die wohl inte­res­santeste Ent­wick­lung ge­nom­men.“[13]

Die etwa 78 Verlage der ehemaligen DDR sahen sich sowohl unter­ein­ander als natürlich auch gegenüber den Westverlagen mit ver­schie­de­nen Aus­gangskon­stel­lationen konfrontiert. Hatte Aufbau dank sei­nes Auto­renstamms, seiner Größe, Bekanntheit und kulturellen Bedeu­tung sowie seines engagierten neuen Besitzers bessere Start­be­din­gun­gen als an­dere DDR-Verlage, so darf man dessen Er­folg im Kampf um eine Spit­zenpo­sition auf dem gesamtdeutschen, markt­wirt­schaft­lich orga­nisier­ten Buchmarkt dennoch keines­wegs zu gering schät­zen. Um die eigene Kon­kur­renzfä­hig­keit sicherzustellen und die Bedürfnisse der Le­ser im Osten wie im We­sten zu befriedigen, musste man zu Verände­run­gen be­reit sein. Die Ent­wick­lun­gen von der historischen Zäsur „Wende“ bis heute nach­zuzeich­nen, ist das Anlie­gen dieser Arbeit. Den Schwer­punkt der Be­trachtun­gen wird selbstver­ständ­lich die Literatur bilden. Da­ne­ben sollen Eigen­tums­-, Perso­nal­fra­gen und ande­re Strukturverände­run­gen inner­halb des Ver­lagshauses zur Sprache kommen. Als eine der zentralen Fragen in Fol­ge der Wieder­vereinigung sollte sich für den Aufbau-Verlag näm­lich bald heraus­kri­stal­li­sie­ren, ob eine Ver­än­de­rung in der Pro­gramm­po­litik von Nö­ten sein wür­de, um mit der Kon­kur­renz und den Markt­zwän­gen im vereinigten Deutsch­land fertig zu wer­den, und wie die­se dann aus­sehen könnte. Eben­falls von Inter­esse ist da­bei, inwieweit man das hohe Niveau des Pro­gramms halten konnte.

Zunächst soll die Situation vor der Wiedervereinigung in den Blick ge­nommen werden, auf deren Basis eine Gegenüberstellung zur Lage danach möglich wird. Um den Neuerungen nachzuspüren, habe ich haupt­säch­lich eine Aus­wer­tung von Presseberichten, Programm­vor­schau­en des Verlages, dem in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrten Verlags­archiv sowie Informationen aus erster Hand von Elmar Faber, dem letzten Chef des Verlages zu DDR-Zeiten (1983 – 1992), Gotthard Erler, dem ehe­ma­ligen Cheflektor und Geschäftsführer (bis 1998) sowie Bernd F. Lunke­witz, dem jetzigen Verleger der Aufbau-Verlagsgruppe, im Hin­blick auf das Literaturprofil nach 1989 vorgenommen. Was bewirkte der Mauerfall per­so­nell, wirt­schaftlich und programmatisch? Wie vollzog sich der Wechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft? Welche Autoren gingen oder blieben, welche kamen neu hinzu? Wel­che Bücher verlegte Aufbau? Gab es neue Rei­hen, Seg­men­te etc. oder fie­len alte weg?

Diese und an­gren­zen­de Fragen sollen im Haupt­teil der vorliegenden Untersuchung be­antwor­tet werden, nachdem ein Abriss der Geschichte sowie eine genauere Betrachtung der Verlagsarbeit in der DDR von 1945 bis 1989 Entste­hung, Entwicklung und die Produk­tionen des Verlags­hau­ses aufge­zeigt hat.

2 Kurze Geschichte des Verlagshauses

Zu­nächst möchte ich die Geschichte des Verlages knapp rekapitulieren, um einen Eindruck vom Untersuchungsgegenstand zu vermitteln. Dabei sol­len lediglich wichtige Ereignisse im Hinblick auf den Verlag als Unter­nehmen ge­nannt werden. Auf Autoren und das Verlags­pro­gramm werde ich in den darauffolgenden Kapiteln eingehen.

2.1 Die Anfänge

Der Grundstein des Verlages wurde am 16. August 1945 mit der Gründung der Aufbau-Verlag GmbH gelegt. Der Dich­ter Jo­han­nes R. Becher, dessen Name den Besatzern als Bürg­schaft für die politische Richtung des Verlages galt,[14] initiierte das Unternehmen im Auftrag des Kul­tur­bun­des zur De­mo­kratischen Erneuerung Deutsch­lands.[15] Noch im sel­ben Mo­nat erhielt der Verlag die notwendige Lizenz der sowje­ti­schen Mi­li­tärad­mi­nistra­tion und begann mit der Produktion der er­sten Bücher. Im Früh­jahr 1946 erwarb der Kul­turbund e. V. durch no­ta­riel­len Kauf­vertrag alle Ge­sell­schafts­anteile an der Aufbau-Verlag GmbH. 1947 wurde der aus dem Moskauer Exil zurückgekehrte Erich Wendt Ver­lagsleiter. In den ersten fünf Jah­ren seines Bestehens hat der Verlag 236 Erst­auf­la­gen in ins­ge­samt 6,5 Mil­lio­nen Exem­pla­ren herausgegeben; mehr als die Hälfte dieser Bücher stamm­te aus der Feder von Schrift­stellern, welche die NSDAP ins Exil ge­trie­ben hatte.

Wal­ter Janka, der im Exil in Mexiko den Verlag El libro libre geleitet hatte, löste 1952 Erich Wendt als Verleger ab. 1955 wurde der Aufbau-Verlag auf Anweisung des Sekretärs des Ma­gi­strats von Berlin im Han­dels­register von der Abteilung B für juristische Per­sonen (Kapitalgesell­schaften) – wie Aktien­ge­sell­schaften (AGs), Kom­manditgesellschaften auf Aktien sowie Gesell­schaf­ten mit beschränk­ter Haf­tung (GmbHs) – in die Ab­tei­lung C für volkseige­ne und gleichgestellte Betriebe umgeschrie­ben;[16] die handels­recht­li­che Form der GmbH entfiel.[17] Er blieb jedoch Eigentum des Kulturbundes. Nach Jan­kas Inhaf­tie­rung 1956 – auf welche an ande­rer Stelle noch ein­ge­gan­gen wird – trat Klaus Gysi[18] des­sen Nach­folge an.

2.2 Erste Erweiterung zum Verlagshaus und der Fall Biermann

Im Rah­men einer organisato­ri­schen, program­ma­ti­schen und verwal­tungs­mäßigen Neuord­nung der DDR-Verlage ab dem 1. Januar 1964, der so­ge­nann­ten „Pro­fi­lie­rung des Verlagswesens“, wurden dem Aufbau-Ver­lag die Buch­bestände und Ver­lags­rechte des ihm im Profil ähnlichen Thürin­ger Volks­ver­lages so­wie des Arion Verlages in Wei­mar übertragen. Der schon 1844 in Frank­furt am Main ge­grün­de­te Verlag Rütten & Loening, seit 1952 eine Beteiligung des Berliner Ver­la­ges Volk und Welt GmbH, wurde auf­ge­teilt: Die Buch­bestän­de und Verlags­rech­te seines wis­senschaft­lichen Be­reichs wurden dem Berliner Verlag der Wis­sen­schaft übertra­gen. Einige Mitarbei­ter, die sonsti­gen Ver­mögens­wer­te sowie der bel­le­tri­stische Anteil gingen an den Auf­bau-Verlag. Die Firma Rütten & Loening blieb im Handels­re­gister als selb­ststän­diges Unter­neh­men einge­tra­gen, wur­de seit­dem jedoch in Per­so­nalunion vom Aufbau-Verlag ge­führt. Orga­ni­sa­torisch und wirt­schaft­lich wurden beide Verlage zusam­men­ge­fasst als „Aufbau-Ver­lag, Berlin und Wei­mar“, durch die Haupt­ver­wal­tung Verlage und Buchhandel beim Mini­ste­rium für Kultur ver­wal­tet und an­ge­leitet. Auf­bau publizierte jedoch weiterhin ein eigenständiges Pro­gramm dieses Verlages unter dem Namen „Rütten und Loening, Berlin“. Dank der Neu­ord­nung konzentrierte sich jeder Ver­lag auf ein bestimmtes Themen­spek­trum. So wie Aufbau lediglich Bel­le­tri­stik verlegte, publizierte bei­spiels­weise der Dietz Verlag fast ausschließlich politische Sach­bücher. Die Neu­ordnung diente dem Zweck stärkerer Kontrolle und gesteigerter planwirt­schaftlicher Effizienz mittels Spezialisierung sowie weitgehender Vermei­dung von Über­schnei­dungen.[19]

Er­schienen bei Rütten & Loening anfangs uni­versalwissenschaft­li­che und belle­tri­sti­sche Titel – wie kurz nach seiner Gründung eines der erfolg­reich­sten Kinderbücher der Welt: Der Struwwel­peter, das in mehr als 100 Sprachen übersetzt wurde, sowie Die heilige Familie von Karl Marx und Fried­rich Engels – so wur­de der Verlag Anfang des 20. Jahrhunderts zum Wis­sen­schafts­ver­lag für Geschichte, Juris­pru­denz, Kunst- und Literatur­ge­schichte sowie Judaistik um­ge­staltet.[20] In den 1920ern konzentrierte man sich wieder auf das Belle­tristikprogramm und bald erreichte Rütten & Loe­ning solch hohe Auf­la­gen, dass er zu einem der bekanntesten Verlage Deutschlands wurde. 1936 kam es in Folge der Nürnberger Gesetze zum Zwangsverkauf des Verlages. Unter dem neuen Verleger Albert Hach­feld pro­filierte man das Unter­neh­men in der Nazizeit zum Klas­sikerverlag um, verlegte aber auch regime­treue Gegen­warts­lite­ra­tur und einschlägige poli­ti­sche Schrif­ten. Der Ver­lag, nun in Potsdam ansäs­sig, wur­de als „kriegswichti­ges Unter­nehmen“ ein­gestuft. In den Nachkriegsjah­ren erfolgte die Enteignung Hach­felds wegen national­so­ziali­stischer Betätigung. Die Ver­mö­gens­masse des Ver­lages verwaltete die Verlags­ge­sellschaft der bran­denbur­gi­schen Landesregie­rung,[21] bis der Verlag Volk und Welt sie 1951 er­warb. 1952 wurde in Ost Berlin eine neue Rütten & Loening GmbH mit der Vermögensmasse als Einlage gegründet. Zu DDR-Zeiten bekannt für seine buch­künstlerischen, bibliophilen Ausgaben, ist Rütten & Loening heute ein Publikumsverlag für deut­sche sowie inter­na­tionale Unter­hal­tungsliteratur und kann mit einem breiten­wirksamen Sachbuch­programm zu Themen der Kultur- und Sozialge­schich­te auf­war­ten.

Nach Gysis Berufung zum Minister für Kultur 1966 wurde Fritz-Georg Voigt neuer Verlagsleiter bei Aufbau.[22] 1976 protestierten einige Autoren des Verlages gegen die Ausbürgerung des Lyrikers und Liedermachers Wolf Biermann,[23] die großes Auf­se­hen – nicht nur im Literaturbetrieb – er­regte. Dies drückte sich unter an­de­rem in Form einer Petition der drei­zehn namhaften DDR-Schriftsteller Sarah Kirsch, Christa Wolf, Ste­fan Heym, Volker Braun, Franz Fühmann, Stephan Hermlin, Günter Kunert, Hei­ner Müller, Rolf Schneider, Gerhard Wolf, Jurek Becker, Günter de Bruyn und Erich Arendt aus.[24] Rund 100 Intel­lek­tuel­le aus der DDR solida­ri­sier­ten sich mit der Petition. We­gen daraufhin ein­set­zender Re­pres­sionen sei­tens der SED, die ver­suchte, das politische Selbst­bewusstsein zu zer­set­zen,[25] verließ ein Teil von ihnen in den fol­gen­den Jahren die DDR. Es kam zu zahlrei­chen Aus­schlüssen aus Par­tei und Schriftsteller­ver­band. Diese Vor­gän­ge führ­ten zum sogenann­ten „Exo­dus der DDR-Künstler“. Wäh­rend zum Beispiel Reiner Kun­ze, Nina Hagen und Armin Müller-Stahl den Osten verlie­ßen, blieben andere, vor allem junge Au­toren wie Christa Wolf, Vol­ker Braun und Ulrich Plenzdorf, zurück. Sie wollten für eine Ände­rung des po­litischen Systems in der DDR kämpfen und ver­such­ten den schwie­rigen Balanceakt zwi­schen Soli­da­ri­tät und Kritik. Wieder andere lebten weiter­hin in der DDR und veröffent­lichten – zum Teil unter gro­ßen Schwierig­kei­ten – im We­sten, bei­spiels­weise Ste­fan Heym und Monika Ma­ron.

Im Jahre 1983 trat schließlich Elmar Faber[26] – zuvor Verlagsleiter der Edition Leipzig – an die Spit­ze des Aufbau-Verlages. Als man 1985 bei Auf­bau das Jubiläum an­lässlich des 40-jähri­gen Bestehens beging, hatte der Verlag be­reits Bü­cher aus 55 Län­dern verlegt.[27] Die Texte vieler Auto­ren, deren Weltrech­te bei Aufbau la­gen, wurden in alle be­deu­ten­den Spra­chen über­setzt.

2.3 Die Nachwendezeit

2.3.1 Der Besitzerwechsel

Nach dem Fall der Berliner Mauer im Herbst 1989 erklärte die SED über­raschend, dass der Aufbau-Verlag ihr Eigentum sei.[28] Mehrere Autoren und die Belegschaft protestierten dagegen. Anfang 1990 be­schloss die Partei dann, den Aufbau-Verlag sowie den Verlag Rütten & Loe­ning in Volkseigentum zu überführen. Da­mit gerieten die nun „volks­ei­ge­nen“ Ver­la­ge als umgewandelte „GmbH im Aufbau“ in den Zuständig­keitsbe­reich der Treuhandan­stalt, deren erster Präsident Detlev Roh­wed­der den Er­halt des Aufbau-Verlages zur Chef­sa­che er­klär­te.

Infolge der neuen Situation eines gesamt­deut­schen Mark­tes und den damit einher­ge­hen­den Proble­men, welche im Ver­lauf dieser Arbeit noch zur Sprache kommen werden, er­leb­te die Aufbau-Verlags­grup­pe ge­wal­tige Umsatz­ein­brüche – dagegen „be­deu­tete der Untergang der DDR für Buchverlage aus den alten Bun­des­län­dern eine will­kommene Erweiterung ihres Mark­tes, wie sie sie sich idea­ler nicht wün­schen konnten“[29] – und musste mehr als zwei Drit­tel des Personals ent­las­sen. Von den 180 Ange­stell­ten aus DDR-Zeiten ver­blie­ben 50. Auch die hauseige­ne Ab­tei­lung für Korrekturen – zur Unter­stüt­zung des Lektorats – konnte nicht auf­recht er­hal­ten wer­den. Ende 1990 sah sich der Verlag aus ökono­mi­schen Grün­den ge­zwun­gen, sei­nen zwei­ten Sitz in Weimar auf­zu­ge­ben.[30] Im selben Jahr erfolgte die Gründung des Aufbau-Taschenbuch-Verlages[31] – es wur­den Taschenbücher produziert und ab 1991 auch vertrieben –, der je­doch erst am 1. März 1994 als GmbH ge­schaffen wurde, da „nach Aus­kunft der Rechtsabteilung der Treuhand­an­stalt […] die Neugründung einer GmbH […] erst möglich ist, wenn der Aufbau-Verlag Berlin und Weimar und Rütten & Loening Berlin selbst als GmbH gegründet sind“.[32]

Am 18. September 1991 erwarb eine Investorengruppe unter Füh­rung der BFL-Beteiligungs-GmbH des Immobilienunter­neh­mers Bernd F. Lunkewitz aus Frankfurt a. M. die angeschlagene Aufbau-Verlag GmbH und die Rütten & Loening GmbH von der Treuhandanstalt. Damit war der Verlag privatisiert. 1992 wur­de Rüt­ten & Loening eine Toch­ter­gesellschaft von Aufbau. Gleichzeitig über­nahm Haupt­ge­sell­schaf­ter Lun­ke­witz nach dem Weggang Elmar Fabers wegen „gravierender Meinungs­ver­schieden­heiten zur Programm­politik“[33] – seine Losung war „wir sind und bleiben der Suhrkamp des Ostens“, Lun­ke­witz dagegen wollte Faber zufolge mehr „Strand­korb­literatur“ machen – selbst die Leitung des Ver­la­ges. Man kon­zi­pierte neue Titel, eine moderne Aus­stattung und neuartige Werbung. Das Ver­triebs­system wurde erwei­tert, die Pro­gram­me der Ver­la­ge neu ge­wich­tet. Bei der ersten Zu­sammen­kunft mit seinen neuen Mitar­bei­tern gab der frisch­gebackene Ver­leger aus dem Westen als Programm aus, Aufbau solle weder Ost-Verlag blei­ben noch West-Verlag werden, sondern ein ge­samt­deutscher Verlag sein – be­zo­gen auf die Spra­che und nicht auf Sta­atsgrenzen.[34] Er sollte sei­ne Hei­mat also nicht nur in der gesamten Bun­desre­publik, sondern auch in der Schweiz und in Öster­reich haben.

2.3.2 Weitere Ergänzungen des Verlagshauses

Ab 1994 durf­te sich schließlich der Gu­stav Kiepenheuer Verlag, welcher 1991 von der Treuhandanstalt privatisiert und 1993 an diese zurückge­ge­ben wor­den war, nebst der ange­schlos­se­nen Samm­lung Diederich zur Aufbau-Verlagsgrup­pe zählen. Der tradi­tions­rei­che Verlag war 1909 durch den Buch­händler Gustav Kiepen­heuer, einen engen Freund von Kurt Wolff und Ernst Ro­wohlt, in Weimar gegründet wor­den.[35] Er konnte namhafte Schrift­steller, unter anderem André Gide, Lion Feuchtwanger, Geor­ge Bern­hard Shaw, Bertolt Brecht, Gottfried Benn, Arnold Zweig, Anna Seg­hers und Joseph Roth für sich ge­win­nen. 1933 wurden 75 % der Verlags­pro­duktion verboten und teilweise ver­nich­tet. Als „undeutsch“ klassifiziert fie­len zahlreiche Werke der Bücher­ver­brennung durch nationalsoziali­sti­sche Studenten auf dem Opernplatz vor der Berliner Humboldt-Universität zum Opfer. 1944 er­folg­te die Schließung des Verlages durch die Reichs­schrift­tumskammer, 1946 nahm man die Arbeit wie­der auf. Im Jahre 1948 be­auf­tragte Gustav Kiepenheuer seinen Prokuristen und Mitgesell­schaf­ter Cas­par Witsch als zukünftigen Geschäftsführer mit der Gründung der Gustav Kie­penheuer GmbH in Hagen. Nach dem Tod des Verlegers 1949 führte des­sen Witwe Noa die Geschäfte weiter. Indessen missbrauchte Witsch die Voll­macht Kiepenheuers und nahm eigen­mäch­tig sowie ent­ge­gen den Bestimmungen des Gesell­schafts­ver­trages, der eine Mehrheit für Gustav Kiepenheuer und eine Minderheit für Witsch vorsah, neue Mehr­heits­ge­sell­schafter auf­, sodass der Anteil Kiepenheuers unter 25 % ge­drückt wur­de.[36] 1951 kam es daher zu gerichtlichen Ausein­an­der­set­zun­gen, in deren Folge Noa Kiepenheuer sich gezwungen sah, das Eigentum am West­ver­lag komplett ab­zu­geben, dieser sich allerdings im Namen vom Ori­ginal­verlag abgrenzen musste. In Hagen ent­stand „Kie­pen­heuer und Witsch“ – der die Rechte des Kiepen­heu­er Verlages nutzte – während der Verlag Gustav Kie­penheuer zunächst in Wei­mar blieb, 1970 nach Leipzig ging und 1994 mit dem Erwerb durch Bernd F. Lun­ke­witz schließ­lich in die Ber­li­ner Aufbau-Ver­lags­gruppe ein­ge­glie­dert wurde, aber den­noch bis zum Jahr 2004 seinen Sitz in Leipzig behielt.

Im Herbst 1996 bezog Aufbau sein neues, zentral zwischen Alexan­derplatz und Friedrichstraße gelegenes Domizil am Hackeschen Markt, nach­dem er – worauf ich später näher eingehen werde – das Haus in der Französischen Stra­ße nach 50 Jahren hatte räu­men müs­sen, da die Treu­hand dieses an die Delbrück-Bank, seinen ehemaligen Eigentümer, ver­kaufte.[37] 1999 wurde Der>Audio<Verlag – die jüngste Ergänzung der Grup­pe – auf Initia­tive des Süd­west­rundfunks und des Auf­bau-Ver­lages gegrün­det.[38] Neben die­sen hal­ten die Media-Tochter des Westdeutschen Rundfunks, der SPIEGEL - Ver­lag und die RBB Media Anteile. Derzeit hat die Aufbau-Verlags­grup­pe insgesamt rund 70 Mit­arbei­ter, die jedes Jahr ein Früh­jahrs- und ein Herbstprogramm mit jeweils etwa 150 Titeln sowie das Pro­gramm des Aufbau-Taschen­buch-Verlages be­treu­en.[39]

2.4 Der neue Verleger

Quereinsteiger Bernd Fritz Lunkewitz ist bekennender Marxist und Ex-KPDML-Mitglied. Er studierte Politik und Philosophie – jedoch ohne Ab­schluss – und grün­dete als Student in Frank­furt am Main die sozialistische Rote Garde Bockenheim.[40] Im Anschluss als Immobi­lien­investor vermö­gend ge­wor­den – die Instrumente des Kapitalismus auszuprobieren, sie zu kri­ti­sie­ren und gleichzeitig zu beherrschen, das sei sein Experiment ge­we­sen,[41] so Lunkewitz –, nahm sich der Mann aus dem Westen 1991 des ehe­maligen Flaggschiffes der DDR-Verlage an. Seine Grätsche zwischen Marxis­mus und Kapitalismus wirke nicht einmal lächerlich, eher exotisch und image­bil­dend, urteilte der Münchner Merkur. Im April 1991 erhielt Lun­kewitz im Auftrag der Treu­hand einen Anruf von Hilmar Hofmann, dem ehema­li­gen Frankfurter Kul­turdezer­nenten, da dieser ihn nicht nur als Im­mobilien­ma­na­ger, sondern auch als Literaturfreund und Mitglied der Stif­tung Lesen kannte.[42] „Es war ein Traum von mir, zurückzukehren aus dem harten, nur kommerziell angelegten Immobi­lien­geschäft zu einer Tätig­keit, die mit gei­sti­gen Inhalten zu tun hat. Ich wollte mehr machen als nur Häu­ser bauen. […] Ich hätte auch Suhrkamp ge­kauft“, sagte er der Welt am Sonntag, aber „große Verlage gibt es nicht an jeder Ecke. Die Chance, ein Haus wie Aufbau zu kaufen, be­kommt man nur einmal.“[43] Die histo­risch ein­zigartige Gelegenheit wurde nur durch den Untergang der DDR mög­lich.

Der Literaturbetrieb reagierte ab­leh­nend auf den Branchen­fremdling, unbeeindruckt von seiner Mitgliedschaft in der Stiftung Lesen. „Ich habe nicht den richtigen Stall­ge­ruch",[44] sagte der Alt­acht­und­sech­ziger. Man be­lächel­te ihn als Angeber und Neureichen – denn einen Namen hat­te er sich als Kunstsammler und Mäzen gemacht –, als großen Jun­gen, der sich endlich seinen Kindheitstraum gekauft hat. Was das Magazin DER SPIEGEL 1998 dies­bezüglich schrieb, gilt auch heute noch: „Also wollte und will es der Neuverleger allen zeigen, auch wenn die Besitzver­hält­nis­se bis heute nicht völlig geklärt sind […].“[45] Trotz sei­ner Er­fol­ge, die ihm Recht ge­ben, wird Lunkewitz noch immer von so manchen Ver­lags­leuten skep­tisch be­äugt, von einigen aber auch be­staunt. Diesbezüglich ließ er un­längst ver­lauten: „Den Aufbau-Verlag hatten alle schon abgeschrieben. Seit ich den Verlag über­nommen habe, ist unser Umsatz um das Fünf- bis Sechsfa­che ge­wachsen. Das ist die Sprache, die jeder versteht. Das Ge­rede von Niveau ist be­langlos.“[46]

Nach eige­nen Angaben hatte der Ge­schäfts­mann, dem es in erster Linie auf den Erfolg des Ver­la­ges an­kommt, 1998 schon 25 Millionen DM in die Aufbau-Verlags­grup­pe in­ve­stiert, doch er hat auch deutlich ge­macht: Als Mäzen will er nicht miss­ver­standen werden. Die Bilanzen sollen stim­men. Lunkewitz hat Aufbau wie er sagt ge­kauft, „weil er die Tradition des Hau­ses schätzt“ und „weil es eine neue Heraus­for­de­rung ist, einen so be­deuten­den Verlag in eine neue Zeit zu führen“.[47] Es war die Chance, das Metier noch einmal zu wechseln in Richtung seines einstigen Berufsziels Lektor oder Journalist.[48] Sein Vorgänger im Amt des Verlagsleiters, Elmar Faber, hin­ge­gen sieht ein anderes Motiv als über­ge­ord­net an: Als Immo­bi­lienmak­ler hatte der ge­bür­ti­ge Kasseler eigentlich nie die Möglichkeit, sich öffent­lich positiv darzu­stel­len.[49] Wie könnte er die­ses Bedürfnis besser be­frie­digen als mit einem Verlag – einem renom­mierten noch dazu? „Lunke­witz ist ein Spie­ler.“ Dass auch die Literatur eine Rolle bei der Ent­schei­dung spielte, bezweifelt Faber nicht. Doch da es in allen Jahrhunderten stets unter­schied­liche Physiognomien im Lite­ra­tur­betrieb gegeben hat und Gründer- wie Um­bruchzeiten solche unge­wöhnlichen Charakter immer be­sonders auf­fäl­lig machen, findet Faber den heutigen Aufbau-Chef nicht sonderlich ver­rückt. Jedoch gehe von sei­ner „schillernden Figur“ durchaus eine „gewisse Faszination“ aus.

2.5 Die Eigentumsfrage

1995 kam es ein zweites Mal zum Erwerb des Aufbau-Verlags durch jenen Mann, der sich eigentlich als dessen Eigentümer betrachtete, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Treuhand den Verlag seinerzeit gar nicht hätte verkaufen können, da dieser weder SED-Besitz noch ein volks­eige­ner Betrieb war, son­dern Eigentum des Kultur­bun­des. Eine Kauf­sum­me ist allerdings noch nicht geflossen, weil die Bundesanstalt für vereini­gungsbe­dingte Son­deraufgaben (BvS), eine der Nachfolgeorganisationen der 1994 aufgelösten Treuhandanstalt, dem Ver­trag mit dem Kulturbund, der unter ihrer treu­hän­derischen Ver­waltung steht, bis heute nicht zu­ge­stimmt hat.[50] Damit ist der Kauf „schwebend unwirksam“[51] und nun um­stritten, wem Aufbau eigentlich ge­hört. Die BvS vertritt den Standpunkt, dass beim Verkauf 1991 alles mit rechten Dingen zuging: „Nach unserer Auffassung sind Lunkewitz und seine Mitgesellschafter Eigentümer des Aufbau-Verlages mit allen Aktiva und Passiva, einschließlich aller Autoren­rechte.“[52]

Der seit­her geführte Rechts­streit über die Eigentumsverhältnisse an den Verlagen Aufbau und Rütten & Loening, mit dem Ziel der Rechts­sicherheit für den Besitzerstatus Lunkewitz’,[53] ist bis heute nicht ent­schie­den. Während sich der Kulturbund als Eigentümer betrachtet, ist die Unab­hän­gi­ge Kom­mis­sion zur Über­prüfung des Vermögens der Parteien und Mas­sen­or­ga­ni­sa­tionen der DDR, die noch bis 1998 dessen Einschätzung teil­te, in­zwi­schen auch der Ansicht der BvS, dass der Verlag rechtmäßig an die Inve­sto­ren­gruppe unter Führung der BFL-Beteiligungs-GmbH von Bernd F. Lun­ke­witz verkauft wur­de. Dieser verklagte noch im Jahr 1995 die Treu­hand, um endlich klare Verhält­nisse zu schaffen. Die besondere Proble­matik des Rechtsstreits hängt mit dem Urheberrecht zusammen: Wenn der heutige Aufbau-Verlag nicht mit jenem Aufbau-Verlag der DDR iden­tisch sein sollte, würden die – wie man annehmen sollte mit dem Ver­lag er­wor­be­nen – Rechte vom heutigen Verlag zu Unrecht genutzt.

Das Landgericht Ber­lin urteilte 1995, dass sich die SED / PDS zu Un­recht als Eigentümer ausge­ge­ben hätte.[54] Trotzdem blieben die Ei­gen­tumsver­hältnisse offen, ein Anspruch Lunkewitz’ auf Schadenersatz von der Treu­hand wurde ver­neint.[55] Im Mai 1998 wies das Kammergericht Ber­lin die Klage der Investoren­gruppe gegen die BvS auf Übertragung aller Rech­te des 1945 gegrün­de­ten Auf­bau-Verlags, was durch den Kauf­ver­trag aus dem Jahre 1991 nicht ge­sche­hen sei – man habe ihr eine „ver­mögenslose Hülle“[56] verkauft –, in zweiter Instanz zurück.[57] Die grund­sätz­liche Klärung der Eigentumsfrage konn­te laut dem Richter im Urteil nicht behandelt werden, da weder der Eini­gungsvertrag von 1990 noch die Rechtsprechung zum rechtlichen Sta­tus von organisa­tionseigenen Betrie­ben grundlegende Aus­sa­gen gemacht hat. Auch das Berliner Verwal­tungsgericht kam 2002 in der Frage nach dem Eigentümer zu keinem ab­schlie­ßenden Ergebnis.[58] Im Jahre 2001 soll er – was sich nicht belegen lässt und im Hinblick auf den EuGH auch definitiv nicht stimmt – auf einer Pres­sekon­fe­renz im Rahmen der Frank­furter Buchmesse gesagt haben: „Mitt­lerweile be­fin­den wir uns vor dem europäi­schen Gerichtshof. Wir hat­ten mit Gerich­ten zu tun, die das Recht gebeugt haben."[59] Der Internet­sei­te des Verlages zufolge ver­schleppt das Bun­desamt zur Regelung offener Ver­mögens­fra­gen seit Jah­ren die Ent­schei­dung, wem die Verlage nun wirk­lich ge­hö­ren.[60] Ende 2005 hat man sich vor dem Landgericht in Frank­furt am Main wieder zu einem Prozess ge­troffen. Als nächstes steht der Gang vor das Ober­lan­desgericht an.

[...]


[1] Vgl. www.harenberg.de/mambo/index.php?option=com_wrapper&Itemid=183 (Die Top 100. Die 100 größten Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz) (Alle Inter­net­sei­ten zuletzt überprüft am 18. 2. 2006).

[2] www.mvb-boersenblatt.de/sixcms/detail.php?id=97068.

[3] Vgl. Telefongespräch mit dem kaufmännischen Leiter des Aufbau-Verlages, Jens Mar­quardt, am 3. 2. 2006.

[4] Vgl. Verlagsranking 2003. INNOFACT AG (Düsseldorf), September 2003, S. 33ff.

[5] Vgl. Verlagsranking 2005. INNOFACT AG (Düsseldorf), Oktober 2005, S. 67ff.

[6] Ebd, S. 70.

[7] Vgl. Die Top 100.

[8] Pätzold, Dietrich: „Stolz und Trotz und Enthusiasmus. Aufbau-Verlag präsentierte Er­folgs­geschichte nach 1990“. In: Ostsee-Zeitung, 24. 1. 2002.

[9] Vgl. Hein, Helmut: „Der Investor. Wie Bernd Lunkewitz den ‚Aufbau’-Verlag rettete – und was da­bei passierte“. In: die Woche. Die Wochenzeitung für Regensburg und die Re­gion, 5. 3. 1998, S. 16.

[10] Küpper, Mechthild: „Lachende Erben. Der Berliner Auf­bau-Ver­lag hat die DDR über­lebt, in diesen Tagen wird er 50. Der neue Verleger fand eine so­lide Ge­schäfts­grund­lage vor. Er trotzt nur so vor Zuversicht“. In: Wochenpost, Nr. 33 / 10. 8. 1995, S. 41.

[11] Lokatis, Siegfried / Tiepmar, Stefan: „Verlagsarchive der DDR. Ein Überblick“. In: Leipzi­ger Jahrbuch zur Buchgeschichte 6. Herausgegeben von Mark Lehmstedt und Lo­thar Poet­he. Wies­baden 1996, S. 451 – 466, hier: S. 452.

[12] Vgl. Rumland, Marie-Kristin: „Wandel, Kontinuität und Neubeginn. Das Verlagswesen in den neuen Bundesländern 1989 – 1993“ In: Leipzi­ger Jahrbuch zur Buch­geschichte 4. Hrsg. von M. Lehmstedt und L. Poethe. Wies­baden 1994, S. 227 – 268, hier: S. 231.

[13] Kahlefendt, Nils: „Abschied vom Leseland? Die ostdeutsche Buchhandels- und Ver­lagsland­schaft zwischen Ab- und Aufbruch“. III. Die Verlage. In: Aus Politik und Zeitge­schichte (B 13/2000). Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ (www.bpb.de/publi­ka­tio­nen/4W9PZ9,0,0,Abschied_vom_Leseland.html).

[14] Vgl. Wurm, Carsten: Jeden Tag ein Buch. 50 Jahre Aufbau-Verlag 1945 –1995. Berlin 1995, S. 9.

[15] Die meisten Daten zur Verlagsgeschichte stammen von der Homepage des Verlages: www.aufbauverlag.de (unter: Verlage, Verlagsgeschichte).

[16] Vgl. Wurm, S. 125.

[17] Vgl. Altenhein, Hans: „Das Haus in der Französischen Straße“. In: Börsen­blatt. Wo­chen­ma­ga­zin für den deutschen Buchhandel, Heft 7 / 24. 1. 1989, S. 247 – 251, hier: S. 248. Im Folgenden als Börsenblatt.

[18] Er war inoffizieller Mit­arbeiter der Staats­sicher­heit. Vgl. dazu Walther, Joachim: Siche­rungs­bereich Literatur. Schriftsteller und Staats­si­cherheit in der Deutschen Demo­kra­ti­schen Republik (Analysen und Dokumente. Wis­senschaftliche Reihe des Bundes­be­auftragten, Band 6). Berlin 1996, S. 565f.

[19] Vgl. Wurm, S. 54.

[20] Vgl. www.aufbauverlag.de/index.php4?page=58&& (gesamter Absatz).

[21] Vgl. E-mail Bernd F. Lunkewitz an die Verfasserin vom 9. 2. 2006 (auch der folgende Satz).

[22] Vgl. Wurm, S. 130.

[23] Vgl. ebd, S. 134.

[24] Vgl. www.mdr.de/thueringen-journal/archiv/103333.html.

[25] Vgl. Wurm, S. 82.­

[26] Die Staatssicherheit hatte Faber offenbar dreimal als inoffiziellen Mitarbeiter zu ge­win­nen versucht, was dieser aber – wie berichtet wird – aus moralischen sowie Gewis­sens­gründen stets ablehnte. Vgl. Walther, Joachim: S. 728.

[27] Vgl. Wurm, S. 137.

[28] Vgl. www.aufbauverlag.de/index.php4?page=52&& (auch alle folgenden Angaben in diesem Unterkapitel).

[29] Ziermann, Klaus: Der deutsche Buch- und Taschen­buchmarkt 1945 – 1995. Berlin 2000, S. 187.

[30] Vgl. Die Welt, 13. 12. 1990, Meldung S. 22.

[31] Vgl. Persönliches Gespräch mit Elmar Faber am 11. 1. 2006 im Verlag Faber & Faber Leipzig.

[32] Vgl. Brief Elmar Faber an die Treuhand-Anstalt (z. Hd. Herr Neumann) vom 5. 8. 1991 (per Fax von Bernd F. Lunkewitz am 15. 2. 2006).

[33] Vgl. Persönliches Gespräch mit Elmar Faber (Mini-Disc 1, 04:40ff.). Auf diesen Aspekt wird in Kapitel 4.2.3 näher ein­ge­gan­gen (Umstellung von Rütten & Loening). Laut Lun­ke­witz woll­te Faber R & L im Anspruch noch über Aufbau stellen. Er dagegen sah den Aufbau-Verlag als das literarische Flaggschiff der Gruppe an und wollte bei R & L wei­ter­hin populäres machen statt illu­strier­ter, teurer Bücher.

[34] Vgl. Lücke, Detlev: „Ich hätte gern einen Stall voller Dostojewskis“. In: Das Parlament, Nr. 40 – 41 / 29. 09. 2003.

[35] Vgl. http://www.aufbauverlag.de/index.php4?page=56&&.

[36] Vgl. zu Kiepenheuer: E-mail Bernd F. Lunkewitz sowie Telefongespräch mit Aufbau-Chef Bernd F. Lunkewitz am 15. 2. 2006.

[37] Vgl. „Neues Haus für Aufbau-Verlag. Oblomov-Theater muß raus“. In: Berliner Kurier, 20. 1. 1996. Siehe Kapitel 2.6.

[38] Vgl. www.der-audio-verlag.de/index.php4?page=5700.

[39] Vgl. www2.aufbauverlag.de/index.php4?page=12360.

[40] Vgl. www.3sat.de/kulturzeit/events/bml02/bml.php?url=/kulturzeit/specials/30690/in­dex. html.

[41] Vgl. www.merkur-online.de/nachrichten/kultur/kunstakt/art282,78803.html?fCMS=621b aee38c4c2fbaa044e9e209b3318b (Diller, Christine: „Ideologische Irrungen und Wir­rungen. Aufbau-Verleger Bernd F. Lunkewitz aus Berlin zu Gast in München“. In: Münchner Mer­kur, 16. 1. 2003).

[42] Vgl. www.welt.de/daten/2001/11/24/1124lp297703.htx (Wittstock, Uwe: „Der Che Gue­vara von Kassel“. In: Die Welt , 24. 11. 2001).

[43] www.wams.de/data/2002/07/07/429331.html (Gutzmer, Alexander: „Emotionaler Mehr­wert durch Poesie“. In: Welt am Sonntag , 7. 7. 2002).

[44] Wittstock.

[45] Vgl. „Das Aufbau-Wunder“. In: DER SPIEGEL, Nr. 15 / 1998 (6. April), S. 214 – 216, hier: S. 214.

[46] Heimann, Holger: „Man muss das Glück wollen“. Interview. In: Börsenblatt, Heft 42 / 19. 10. 2005, S. 39.

[47] „50 Jahre Aufbau-Verlag“ in der Sendung Kulturthema der Deut­schen Welle (Hörfunk-Studios Berlin) vom 9. 8. 1995.

[48] Vgl. Telefongespräch mit Aufbau-Chef Bernd F. Lunkewitz am 3. 2. 2006.

[49] Vgl. Persönliches Gespräch mit Elmar Faber (MD 2, 6:30ff.) (Rest des Absat­zes).

[50] Vgl. Schmid, Klaus-Peter: „‚Ich sitze in einem geklauten Auto’. Um das Eigentum an dem Ostberliner Aufbau-Verlag ist ein bizarrer Rechtsstreit entstanden“. In: Die Zeit, Nr. 19 / 29. 4. 1998, S. 28 (auch folgende Angaben).

[51] DER SPIEGEL, Nr. 15 / 1998 (6. April), S. 217 – 219, hier: S. 217.

[52] Zitiert nach: Schmid.

[53] Telefongespräch mit Jens Marquardt.

[54] Vgl. Walraf, Klaus: „Der Berliner Aufbau-Verlag ist erfolgreich, obwohl es ihn viel­leicht gar nicht gibt. Unklare Eigentumsverhältnisse nach der Privatisierung / Gerichtstermin am Diens­tag“. In: Berliner Zeitung, 2. 5. 1998, S. 26.

[55] Vgl. Schmid.

[56] Vgl. Walraf.

[57] Vgl. Wienert, Klaus: „Aufbau-Verlag vor Gericht unterlegen. Treuhand-Nachfolgerin BvS sieht sich bestätigt“. In: Berliner Zeitung, 6. 5. 1998, S. 31 (auch folgender Satz).

[58] „unterm strich“. In: taz (die tageszeitung), Nr. 6927 / 11. 12. 2002, S. 17.

[59] www.literaturnetz.com/content/view/4849/111.

[60] Vgl. www2.aufbauverlag.de/index.php4?page=12358.

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Der Aufbau-Verlag und die Wende
Untertitel
Programm- und Strukturveränderungen infolge der Wiedervereinigung
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
81
Katalognummer
V89120
ISBN (eBook)
9783638059541
ISBN (Buch)
9783640175727
Dateigröße
707 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aufbau-Verlag, Wende
Arbeit zitieren
Simone Rath (Autor:in), 2006, Der Aufbau-Verlag und die Wende, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89120

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