Zerstörung von Netzwerken als Sonderfall des Netzwerkmanagments. Bausteine für den sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs


Diplomarbeit, 2002

113 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhalt

1. Netzwerke zwischen plapperndem Bazar und strukturpolitischer Intervention

2. Zerstörung von Netzwerken als Stiefkind der sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Netzwerkdebatte
2.1. Warum sich mit der Zerstörung von Netzwerken beschäftigen?
2.2. Zerstörung von Netzwerken und disziplinäre Netzwerkperspektiven

3. Was sind Netzwerke überhaupt?
3.1. Ursprünge des sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Netzwerkdenkens
3.2. Weiterer des Verlauf sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Netzwerkdiskurses
3.3. Netzwerke als Mikro-Makro-Scharnier
3.4. Netzwerke und Transaktionskostentheorie
3.5. Netzwerke zwischen Markt und Hierarchie
3.6. Netzwerke und Clans
3.7. Unternehmensnetzwerke
3.7.1. Horizontale Unternehmensvernetzung
3.7.2. Vertikale Unternehmensvernetzung
3.7.3. Regionale Unternehmensvernetzung
3.7.4. Global Cities und Vernetzung

4. Das Konzept der hierarchielosen regionalen Vernetzung des SFB 457 an der Technischen Universität Chemnitz
4.1. Modell der 2-Ebenen-Kooperation
4.2. Voraussetzungen und Entstehung von Netzwerkorganisationen
4.3. Netzwerkund Projektbetrieb

5. Zerstörung von Netzwerken
5.1. Das Modell der Zwei-Ebenen-Kooperation und die Zerstörung von Netzwerken
5.1.1. Zentrale Aufgaben des Netzwerkmanagements
5.1.2 Die Zerstörung von Netzwerken als Sonderfall des Netzwerkmanagements
5.1.3 Definition und Abgrenzung des Zerstörungsbegriffs
5.1.4 Typologie der Szenarien der Zerstörung von Netzwerken
5.1.5 Grundstrategien der Zerstörung von Netzwerken
5.2. Zerstörungsstrategien im Kontext des Niedergangs der Hanse
5.2.1. Kurze Entstehungsgeschichte der Hanse
5.2.2. Die Hanse als Modell der Städtevernetzung
5.2.3. Faktoren des Niedergangs der Hanse
5.2.4. Zerstörungsstrategien im Zuge des Niedergangs der Hanse

6. Netzwerke jenseits von Kultivierung und Einbettung

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Netzwerke zwischen plapperndem Bazar und strukturpolitischer Intervention

Auch über den wissenschaftlichen Diskurs hinausgehend stehen Netzwerke für Informationsfluss, Synergieeffekte, Partizipation und Identitätsstiftung; in jedem Fall unbestritten ist die allgemeine „... Konjunktur der Idee, dass Netzwerke Problemlö- sungen zustande bringen, die anderen organisatorischen Arrangements oder institutionellen Strukturen überlegen sind ...“ (Weyer 2000, 1). Egal, ob dabei ganz allgemein Kompetenzverbesserung und Effizienzsteigerung als Vorteile von Vernetzung (Reiss 1996, 198f) oder konkreter partizipatorische Aspekte einer Electronic Democracy (Winkel 2000, 19) zur Diskussion stehen: die größtenteils positive Konnotation des Netzwerkbegriffes scheint der kleinste gemeinsame Nenner einer ansonsten von Unübersichtlichkeit und Theoriedefiziten geprägten Debatte zu sein (vgl. etwa Tacke 2001, 40f).

Wer sich mit der Zerstörung von Netzwerken beschäftigt, erregt daher leicht den Verdacht, den Minimalkonsens einer äußerst kontroversen Debatte angreifen zu wollen. Dass die „... meisten z.T. lebenswichtigen Infrastrukturen - ob Bahn oder Sprachund Datennetze, Energieversorgung oder Rettungsdienste, Banken oder Krankenhäuser – (...) heute in hohem Maße von Informationstechnik und Vernetzung abhängig“ (Hutter 2000, 31) sind, mag den Ruch des sprichwörtlich subversiven Anliegens noch verstärken.

Aber auch jenseits des vergleichsweise engen Fokus der primär theoretisch oder informationstechnologisch orientierten Netzwerkdebatte muss mit Widerständen gerechnet werden: In der aktuellen Globalisierungsdebatte etwa beziehen sich die Begriffe Netzwerk bzw. Vernetzung gleichermaßen auf Voraussetzungen, Begleiterscheinungen und Folgen von Globalisierung bzw. werden als Maßeinheit von oder als Strategien für den Umgang mit Globalität gehandelt (vgl. etwa Held 1999; Altvater 1996; Stichweh 2000).

Gedanken an die Zerstörbarkeit von Netzwerken berühren demnach nicht nur Fragen der Sicherheit basaler Infrastrukturen. Sie scheinen auch auf grundlegende Prozesse gesellschaftlicher Entwicklung zu zielen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Gegenstand vorliegender Arbeit nicht nur als subversiv, sondern in letzter Konsequenz auch als hoffnungslos.

Schließlich können die mittels Netzwerkforschung gewonnenen Erkenntnisse und Strategieansätze mitunter als ebenso vielversprechend gelten wie die mit dem Begriff verbundenen Hoffnungen mächtig sind. Und was wird den Netzen nicht alles zugetraut:

- Das Internet entwickelt sich zum „plappernden Bazar“ (Hofman 2001, 5), zu einer Arena der Vernetzung, in der wiederum, mitunter weit gestreute, soziale Netzwerke etabliert werden können.
- Vernetzung erzeugt einen interund multikulturalen Zusammenhang (Glaser 1999, 8), der vor Ort in Form von Netzwerken integriert und lebbar gemacht wird.
- Netzwerke gelten als hilfreiches Instrument zur Erhaltung oder Erneuerung der Westlichen Wertekultur (Opaschowski 2001, 7-17). Auf die Spitze getriebene Szenarien beschwören gar die Möglichkeit der globalen Totalintegration durch die Vernetzung aller Menschen zu einer organismus- ähnlichen Gemeinschaft.
- Visionäre der Cyber-Demokratie versprechen zunehmend selbstbewusster einen Basisdemokratisierungsschub durch mehr Interaktivität, Multimedialität und Selektivität bei gleichzeitig niedrigeren Organisationsgraden (Jarren 1998, 13f). In der Gestalt internationaler Allianzen (MNU, NGO) oder subnationaler Strukturen (Bürgerinitiativen) setzen Netzwerke den Staat in eben dem Maße unter Druck, in dem sie sich als neuer Koordinationsund Verhandlungsmodus anbieten.
- Besonders prominent schließlich wird Vernetzung im wirtschaftswissenschaftlichen Kontext als Erfolgsrezept gehandelt, etwa als Instrument der Wiederbelebung strukturschwacher Wirtschaftsregionen (Wegge 1999; Grabher 1993), der Stabilisierung von Unternehmenseinheiten und der Anpassung an globalisierte Märkte ebenso wie flexibilisierte Konsumentenwünsche (Weyer 2000), der effizienten Abwicklung von F&E-Prozessen (Stichweh 1999) sowie der umfassenderen Einbindung der persönlichen Ressourcen der Belegschaft (Sydow 1999/2000). Mitunter gelten sie schlicht als (eine) Organisationsform der Zukunft (Sydow 1993).

In dieser zwangsläufig unvollständigen Liste an Beispielen tauchen Netzwerke einmal mehr als Ermöglichungshorizonte oder Demokratisierungsimpulse auf, als Instrumente ganzheitlicher Wertschöpfung oder Strategien nachhaltiger Integration; eben schlicht als Gussform des Fortschritts.

Die Beschäftigung mit der Zerstörbarkeit von Netzwerken nimmt sich demnach nicht nur aus als hoffnungslos subversiv, sondern auch als hoffnungslos reaktionär.

Folglich muss dieser Arbeit daran gelegen sein klarzustellen, dass es ihr nicht darum gehen kann, einen neuen Don Quichotte mit der Lanze des Fordismus in den Kampf gegen die Leitmetapher einer diagnostizierten Zukunft zu schicken.

Es soll lediglich darum gehen, ein Modell der Vernetzung kleiner und mittelständischer Unternehmen in einen allgemeineren Kontext zu übertragen, um von diesem Modell auf allgemeine Managementaufgaben im Zusammenhang mit Netzwerken schließen, und diese schließlich auf den Forschungsgegenstand, die Zerstörung von Netzwerken, zu beziehen. Dabei basieren die Überlegungen auf den drei folgenden Grundannahmen, deren Bestätigung das Ziel dieser Arbeit ist:

- Es kann nötig sein, Netzwerken zu zerstören.
- Es braucht sozialund wirtschaftswissenschaftliche Konzepte, um die Zerstö- rung von Netzwerken thematisch zu erschließen.
- Die Zerstörung von Netzwerken ist nicht nur theoretisch modellierbar, sondern auch bereits in der Praxis nachweisbar.

Die ersten beiden Grundannahmen sollen daher in Kapitel (2) diskutiert werden. Dafür werden in einem ersten Schritt Gründe für eine Auseinandersetzung mit der Zerstörung von Netzwerken gefunden werden (2.1). Daran anschließend soll folgende Situation dargestellt werden: Die Zerstörbarkeit von Netzwerken wird z.B. im Bereich informationstechnologischer Netzwerke oder krimineller Organisationen ebenso intensiv diskutiert wie sie innerhalb des sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Diskurses ausgeblendet wird (2.2).

Im Anschluss sollen Entwicklungslinien und der aktuelle Stand der sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Netzwerkforschung skizziert werden (3).

Dies vorausgesetzt lässt, sich mit dem Konzept der hierarchielosen regionalen Vernetzung des SFB 457 an der Technischen Universität Chemnitz, ein Strukturund Prozess-Perspektive integrierendes Netzwerk-Modell einfü]hren, das zum einen die Operationsweise von Netzwerken zu erklären im Stande ist und zum anderen zur präziseren Eingrenzung des hier verwandten Netzwerkbegriffes auf Netzwerke im Sinne von Netzwerkorganisationen taugt (4).

In ihrem zentralen Kapitel beschäftigt sich diese Arbeit mit der Modellentwicklung sowie der Suche nach Fällen und Strategien der Zerstörung von Netzwerken (5). Auf Grundlage von Modellanpassungen wird die Zerstörung von Netzwerken als Sonderfall des Netzwerkmanagements eingeführt. Da der Begriff der Zerstörung im betreffenden Kontext nicht geläufig ist, muss er in Abgrenzung zu bereits dokumentierten Fällen des Zerfalls und der Auflösung von Netzwerken hergeleitet werden. Daran anschließend werden Einfallstore für Zerstörungsaktivitäten und entsprechende Szenarien identifiziert, denen Strategien zugeordnet werden sollen (5.1). Unter Rückgriff auf das entwickelte Modell soll im darauf folgenden Abschnitt die Geschichte des Niedergangs der norddeutschen Städtehanse im Hinblick auf Zerstörungsszenarien und –strategien rekonstruiert werden (5.2).

Kapitel (6) dient der Zusammenfassung der Ergebnisse sowie der Diskussion weiterführender Fragestellungen.

2. Zerstörung von Netzwerken als Stiefkind der sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Netzwerkdebatte.

Die Vernetzung von Organisationen und die Initiierung von Netzwerkorganisationen gelten als zentrale Bausteine effizienter Gegenwartsund Zukunftsgestaltung: „Ein Seitenarm der Computertechnologie, am 10. Oktober 1969 am Stanford Research Institute unter dem Projektnamen Interface Message Processor/IMP geschaffen, jene erste Datenübertragungen zwischen zwei und mehreren Computern per Telefonleitung, ist zur übergreifenden Bedeutungsordnung geworden ...“ (Faßler 2001, 9).

Von einer zunehmenden Vernetzung aller binär codierbaren Realitätsbereiche ist seither die Rede. Auf die Spitze getrieben mündete der Befund von der Allgegenwart der Auswirkungen der informationstechnologischen Revolution zuletzt im Schlagwort Netzwerkgesellschaft , einem Begriff, der den Anspruch erhebt, „... die charakteristische Gesellschaftsstruktur des Informationszeitalters“ (Castells 2001b, 423) schlechthin zu bezeichnen. Andere Autoren formulieren bisweilen zurückhaltender und mahnen, Überlagerung nicht mit Ablösung zu verwechseln (vgl. Mutius 2000, 64).

Unabhängig von der Dringlichkeit scheint der Kern der Diagnose jedoch unangezweifelt und wird überwiegend positiv bewertet. Den wenigen Kritikern[1], die restriktive Aspekte der zunehmenden Vernetzung betonen, wird zumeist mit Hinweisen im Sinne von „There are no borders in cyberspace“ (Becker 1998, 8) begegnet. Und wenn doch anerkannt wird, dass Netzwerke als eine Form von Organisation über Grenzen und damit einschließende wie ausgrenzende Mechanismen verfügen, werden dieser Einschätzung die Chancen eines neuen Nomadentums (vgl. Opaschowski 1999, 14)

entgegengestellt: In einem pluralen Szenario netzförmig organisierter Gesellschaft bestehe auch im Falle unattraktiver Netzwerke immer die Option des Austritts und des Eintritts in ein anderes.

2.1. Warum sich mit der Zerstörung von Netzwerken beschäftigen?

Dennoch taugen Exklusionsrisiken als Argument zur Relativierung der aktuellen Netzwerk-Euphorie. Wie z.B. steht es um die Chance auf Wahlfreiheit, wenn - um ein Beispiel aus dem informationstechnischen Kontext zu wählen – der Neueintritt in einen Internet-Chatroom von den anderen Akteuren ignoriert oder durch sprachliche Codes verhindert wird?

Des weiteren lassen sich Steuerbarkeitsund Legitimationsdefizite anführen[2] : Netzwerke werden gemeinhin als selbstorganisierende Einheiten vorgestellt (vgl. u.a. Hakan 1995, Kruse 1996). In diesem Zusammenhang ist mitunter von Emergenzphä- nomenen, der Eigenregie der Netze oder Netzwerken als Servomechanismus die Rede (vgl. Faßler 2001, 21). Zu den positiven Effekten dieser strukturell angelegten Fähigkeit zur Selbstregulation zählen u.a. die hohe Flexibilität und Innovationsleistung netzförmiger Arrangements. Auf der anderen Seite werden Netzwerken „... beträchtliche Schwierigkeiten, Funktionen zu koordinieren, Ressourcen für bestimmte Ziele zu bündeln und, ab einer bestimmten Größe, die Komplexität einer gegebenen Aufgabe zu bewältigen ...“ (Castells 2001b, 431) attestiert. Die Konsequenzen dieser und ähnlicher Steuerungsdilemmata betreffend konkurrieren gegenwärtig drei Einschätzungen:

1. Manche Autoren gehen von einer generellen Unsteuerbarkeit von Netzwerken aus, wobei sich diese Einschätzung gleichermaßen auf interne wie externe Versuche kausaler Intervention bezieht[3] : Da sich ein Netzwerk auf Grundlage seiner selbstgewählten Zielstellung selbst organisiere, nehme es seine Umwelt durch die Brille seiner selbsterzeugten Relevanzkriterien wahr. Ein wie auch immer geartetes externes Steuerungsinteresse stehe demnach vor der Wahl, entweder das eigene Anliegen einem Netzwerk als externen Impuls anzubieten, und es damit dessen eigenlogi-

scher Selektion bei Gefahr des Ignoriertwerdens auszuliefern, oder aber das Anliegen im Hinblick auf „... das programmierte Ziel des Netzwerkes, seine Hilfssprache und seine Funktionsweise ...“ (Castells 2001b, 438) anzupassen und damit - im Zuge vorauseilender Unterwerfung unter die Logik der ja eigentlich zu steuernden Einheit - im Anspruch selbst zu reduzieren.

Netzwerke, deren Ziel immer auch das der direkten Umweltgestaltung ist, scheinen sich einer direkten Gestaltbarkeit durch ihre Umwelt also auf faszinierende Weise zu entziehen. Ein Umstand, der um so mysteriöser wirken muss, wenn er auf eine Welt bezogen wird, in der zunehmend mehr Wahrnehmungsbereiche netzförmig organisiert werden. Jedes neue Netzwerk erhöht den Anteil nicht länger kausal steuerbarer Umwelt und relativiert die Gestaltungspotenziale, die dieser Organisationsform heute zugetraut werden. Die Beweisführung vom Wert dieses zunehmenden Verzichts auf kausale Steuerung als rhetorische Metapher oder Realitätsbeschreibung ist bis heute nicht abgeschlossen und wäre anschlussfähig für einen Exkurs zum aktuellen Stellenwert des Risikobegriffs. Auf jeden Fall aber lassen sich aus dem eben beschriebenen konservative Argumente wie das von der Notwendigkeit der Bestandserhaltung nicht netzförmiger Organisationsstrukturen ableiten, auf dass die Option des „ Angriff[s] auf diese immateriellen Orte der Macht von einem außerhalb ihrer Logik angesiedelten Ort aus ...“ erhalten bleibe. Die einzige Strategie der kausalen Steuerung von Netzwerken bestünde demnach in der „ Ablehnung der Netzwerk-Logik durch Affirmation von Werten, die in keinem Netzwerk verarbeitet werden (...) können“ (Castells 2001b, 438). Wenn relevanter Gestaltungswille mit diesen Werten verknüpft ist, dann kann der Modus dieser Auseinandersetzung also kein pluralistischdiskursiver mehr sein: Ein Netzwerk, das Impulse aus seiner Umwelt weder ignorieren noch verarbeiten kann, hört auf zu funktionieren. Die einzige Möglichkeit absichtsvoll-kausaler Intervention gegen die Aktivitäten eines Netzwerkes wäre demnach die seiner Zerstörung.

In Konstellationen, in denen sich die Aktionen eines Netzwerkes feindlich gegen seine Umwelt richten, von anderen organisationalen Arrangements besser bewältigen ließen oder auf illegale, illegitime oder unlegitimierte Entscheidungen stützen, erscheint dessen Zerstörung nicht als abwegig.

Ein gewisses Maß an Legitimationsdefizit scheint die internen Prozesse von Netzwerken dabei prinzipiell zu begleiten: „Rationale wohlüberlegte Argumente spielen bei diesen Prozessen der Meinungsbildung oft nur eine untergeordnete Rolle. Bei kollektiven Effekten kommt es gar nicht auf objektive Maßstäbe an, sondern auf die subjektive Meinung, die sich schließlich im Kollektiv durchsetzt“ (Böse 1989, 185). An egalitäre Szenarien lässt sich beim Zustandekommen dieser Meinungen nur schwer denken: In Netzwerken bemisst sich die Relevanz eines seiner Elemente nach seinem (potenziellen) Beitrag im Hinblick auf das Funktionieren und die programmierte Zielstellung der Gesamtheit. Insofern kann von der Existenz zwar verdeckter, deswegen aber nicht minder bedeutungsvoller netzinterner Hierarchien ausgegangen werden. Kompetenzund Nützlichkeitserwägungen dürften darüber hinaus auch über Fragen der Inklusion und Exklusion potenzieller Mitglieder bzw. Elemente entscheiden. Wenn ein Netzwerk die Deutungshoheit über einen Wirklichkeitsbereich erlangt, wäre es von zentraler Bedeutung zu prüfen, welchen Anteil der von den Folgen seiner Aktivitäten Betroffenen es repräsentiert.

Diese letztlich demokratietheoretischen Überlegungen schließen einen weiterhin affirmativen Zugang zu Netzwerken ebenso wenig aus, wie sie Überlegungen zur Zerstörbarkeit von Netzwerken dringlicher erscheinen lassen.

2. Eine weitere Gruppe von Autoren teilt zwar ebenso die Grundannahmen von der informellen Natur, der Selbstorganisation und Unsteuerbarkeit, spricht aber dennoch von der Chance der „Kultivierbarkeit“ von Netzwerken. Dass in diesem Zusammenhang Analogien aus dem Bereich der Pflanzen zucht bemüht werden, scheint dem Mythos organisch-naturwüchsiger Kraft nicht zu schaden. Unter kultivieren wird dabei zumeist die Bereitstellung einer passenden Infrastruktur[4] verstanden (vgl. etwa Wenger 2000, 56f), und damit, um im Bild zu bleiben, die adäquate Wahl von Pflanzort und -zeit und ggf. passendem Dünger. Überlegungen dazu, dass es im Falle einer Zucht zu Fehlern und im Falle einer jeden Entwicklung zu Mutationen kommen kann, werden dabei nur insofern zu Ende gedacht, als dass mögliche Zerfallsszenarien diskutiert werden (vgl. u.a. Ring 1994). Falls eine Wucherung aber das Treibhaus verlässt, wäre man mit einem Inventar besser beraten, das neben wachstumsfördernden Düngeauch Vernichtungsmittel enthält.

Letztlich kann das aus dieser Perspektive skizzierte Bild also als Bekräftigung des Anliegens dieser Arbeit verstanden werden: die Auseinandersetzung mit Wegen der Zerstörung von Netzwerken ist nicht nur sinnvoll, sondern müsste insofern auch leicht zu bewerkstelligen sein, da sich Züchter meist ausgezeichneter Fachkenntnis rühmen dürfen. Die Legitimationsproblematik verbleibt in diesem Fall beim Fachmann, und liegt damit auf der Ebene vergleichsweise bekannter Legitmationsdilemmata im begrifflichen Oszillationsradius klassisch-moderner Steuerungspolitik. Die Tatsache, dass lobbyistisch „technokratisch“ (durch Versprechen auf Steuerbarkeit) legitimierte Funktionsträger zunehmend absichtsvoll Prozesse initiieren, die sich entsprechender Kontrolle im weiteren Verlauf entziehen, muss dabei nicht nur das Vertrauen in besagte Experten beeinflussen, sondern auch das in den Modus ihrer Legitimation. Experten und Interessenvertreter, die ihren Status nicht auf höhere Steuerungskompetenz gründen können, werden es beständig schwerer haben, diesen gegen rotierende oder basisdemokratische Prozesse der Zielbildung und Strategiewahl zu verteidigen. Die Fähigkeit zur Zerstörung eigenlogischer Organisationen kann demnach als systemerhaltend im Sinne von vertrauensbildend verstanden werden. Ebenso stellt sie ein Instrument der Reorganisation unplausibler Machtverhältnisse dar.

3. Schließlich sind da die Vertreter der Ansicht, dass Netzwerke nicht nur kultivierbar seien, sondern darüber hinaus gehend die Möglichkeit aktiv steuernden Netzwerkmanagements bestehe, sofern spezifische Konstitutionsund Strukturmerkmale hinreichend berücksichtigt seien (Sydow 2000, 11ff). Von der Transaktionskostentheorie inspiriert, gelten Netzwerke hier als hybride Organisationsform , die Strukturelemente marktförmiger wie hierarchischer Arrangements kombinieren (vgl. Sydow 1992/1999; Mayntz 1993). Netzwerkmanagement firmiert dabei als Oberbegriff für diverse Steuerungsaktivitäten: Selektion, Entscheidung, Prozessgestaltung (darunter etwa Projektsteuerung und Konfliktmanagement). Aspekte wie die Kontrolle und Steuerung dezentral verteilter, fluider Deutungsund Entscheidungskompetenzen lassen sich damit ebenso verbinden wie die Bündelung multidimensionaler Zieldiversitäten. Gleichwohl sich die entsprechenden Aufgabenfelder nicht von denen des klassischen Organisationsmanagements unterscheiden[5], wohne dem Netzwerkmanagement eine neue Qualität inne.

In diesem Zusammenhang wird gerade in der Bearbeitung der Organisationsgrenzen Potenziale gesehen, um angemessene Antworten auf aktuelle wie zukünftige Herausforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft finden zu können (MacMillan 1979; Tacke 1997; Ortmann 1999).

Insofern führt dieser Ansatz das weiter oben angeführte Exklusionsdilemma mit, siedelt es jedoch nicht auf der Ebene unbeeinflussbarer systemischer Eigenlogik an. Statt dessen benennt er, etwa in Gestalt des Grenzmanagers, identifizierbare Adressen für Aspekte der Intentionalität und Verantwortlichkeit. Legitimitätserwägungen betreffen demnach weniger die Organisationsform an sich, sondern vielmehr die Modalitäten, nach denen es zu die Organisation betreffenden Ressourcenkonzentrationen kommt. Diese Konzentrationen können dabei sowohl innerhalb als auch außerhalb des betreffenden Netzes angesiedelt sein.

Die Zerstörung von Netzwerken kann in dieser Perspektive als finales Steuerungsinstrument gelten, selbst wenn den Anforderungen und Problemen der Steuerung von Netzwerken auf den verschiedensten Ebenen gegenwärtig noch nicht zufriedenstellend begegnet werden kann (Sydow 2000, 11ff).

Unabhängig von der Spezifik des Zugangs erteilen die drei eben skizzierten Netzwerkverständnisse der Hoffnung eine Absage, die zunehmende Vernetzung der Welt werde begleitet durch die Herausbildung einer ganzheitlichen Vernunft, die die Eindimensionalität klassisch-modernen Denkens zu überwinden im Stande sei. Man mag folgende Einschätzung teilen: „Das wesentliche Kennzeichen der Dialektik der Aufklärung, der Verkehrung von Aufklärung in ihr Gegenteil, ist die einseitige Vorherrschaft der zergliedernden Vernunft; als instrumentelle Vernunft ist sie zweckhaft ausgerichtet“; davon aber, dass „ ... die analytische Vernunft (...) der Vernetzung entgegensteht“ (Glaser 1999, 5), kann nicht die Rede sein. Selbst im Fall der Unsteuerbarkeitsannahme muss ein Netzwerk als ein Arrangement zweckhaft auf ein Ziel hin ausgerichteter Elemente angesehen werden. Wer von Kultivierungsaufgabe oder Netzwerkmanagement spricht, versucht Fixund Umschlagpunkt instrumenteller Prozesse in Netzwerken zu identifizieren und der Steuerung zugänglich zu machen. Aus der Tatsache, dass sich das instrumentelle Denken eines neuen Mediums bedient, folgt jedenfalls nicht die Entwicklung einer qualitativ neuen Form nichtinstrumenteller Vernunft. Es gilt daher, vernetztes oder Ganzheitlichkeitsdenken nicht mit der Verdrängung klassisch moderner Rationalitätslogiken zu verwechseln: In einer kritischen Lesart etwa kann im Zusammenhang mit einer netzförmigganzheitlicheren Integration in Produktionsprozesse auch von zunehmend effizienteren Wegen der (Mehr)Wertschöpfung die Rede sein.

Komprimiert können also zwei Gründe genannt werden, sich mit der Zerstörung von Netzwerken zu beschäftigen: Von einem äußeren Standpunkt aus die Einsicht, dass es sich dabei um das einzige bzw. letzte Mittel der Steuerung von Netzwerken handelt. Und aus der Binnenperspektive heraus die Erkenntnis, dass ein Netzwerk das Ziel von Zerstörungsabsichten darstellen kann, wovon sich die Notwendigkeit der Suche nach Strategien der Reaktion auf bzw. der Prävention solcherlei Angriffe ableiten lässt.

Es wird im nächsten Schritt gezeigt werden, dass in bestimmten Bereichen der aktuellen Netzwerkdebatte die Zerstörbarkeit von Netzwerken hinsichtlich sowohl ihrer aggressiven wie auch ihrer präventiven Aspekte ebenso intensiv wie kontrovers diskutiert wird, in anderen dagegen nahezu überhaupt nicht. Diesen Zustand gilt es zunächst vorzustellen.

2.2. Zerstörung von Netzwerken und disziplinär Netzwerkperspektiven

Die im vorangegangenen Abschnitt verwandte Unterscheidung einzelner Netzwerkverständnisse wurde entlang theoretischer Erwägungen vollzogen. Der Vielfalt und Konkurrenz einzelner Netzwerkperspektiven entspricht jedoch auch eine hohe Diversität der Kategorisierungsversuche. Je nach Erkenntnisinteresse lassen sich Netzwerke u.a. unterscheiden

- nach deren Funktion: Innovations-, Verhinderungs-, Lernoder Selbsthilfenetzwerke,
- im Hinblick auf die Art der konstituierenden Elemente (Nachbarschafts-, Migranten- oder Unternehmensnetzwerke) oder die Intensität ihrer Verbindung,
- nach deren Organisationsgrad und –ebene (Netzwerke als Projekt, Prozesse und Infrastruktur),
- entlang geografisch-räumlicher Dimensionen: lokale, regionale oder globale Netzwerke,
- analog zu den disziplinären Feldern wissenschaftlichen Denkens: technische Verknüpfungen, wirtschaftliche Kooperationen, politikfeldbezogene Verhandlungssysteme oder soziale Beziehungsgeflechte.

Im Falle der letztgenannten Repräsentationsform handelt es sich um die geläufigste, die angesprochenen Kategorien-Beispiele können dabei als kleinster gemeinsamer Nenner oder als Basismodul verstanden werden, das je nach Autor und Anliegen erweitert werden kann.

Eine solche Trennung ist hilfreich insofern, als dass sie der thematischen Einordnung dieser Arbeit dient. Aspekte der Zerstörung und Sicherung informationstechnischer Netze können als vergleichsweise umfassend reflektiert gelten. Für den Bereich wirtschaftsund sozialwissenschaftlicher Untersuchungsgegenstände gilt das allerdings kaum. Es liegt daher nahe, den Stand der Auseinandersetzung im informationstechnischen Bereich kurz wiederzugeben und daraus Anregungen für den eigentlichen Gegenstandsbereich zu gewinnen. Dabei wird jedoch deutlich werden müssen, dass die eigentliche Trennlinie der Zerstörungsdebatte nicht entlang der Grenzen wissenschaftlicher Fachdisziplinen verläuft.

Zum einen behandelt eine Vielzahl von Beiträgen Sicherheitsprobleme im Hinblick auf informationstechnologische oder informationstechnologisch unterstützte Netzwerke und Infrastruktureinrichtungen. Dabei stehen z.B. Fragen der Verschlüsselung, des Datenund Verbraucherschutzes sowie elektronischer Zahlungssysteme im Vordergrund. Die entsprechend formulierten Schutzziele beziehen sich auf die Verfügbarkeit, Vertraulichkeit und Integrität von Informationen (Büllingen 1999, 30ff).

An anderer Stelle werden Risikofaktoren innerhalb informationstechnologisch vernetzter Gesellschaften thematisiert (Hutter 2002, 32ff): Im weltweiten Netz sei die Identifizierung und Haftbarmachung von Schadensverursachern größtenteils unmöglich, was um so unangenehmer ist, als dass das Spektrum der Verwundbarkeit als ebenso groß gilt wie das möglicher Angreifer und Angriffsoptionen. Im Falle des Angriffs eines verärgerten Mitarbeiters, „Cyberterrroristen“ oder Industriespions, einer kriminellen Organisation oder eines feindlichen Staates seien zudem die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zum Schutz der betreffenden Infrastruktureinrichtungen nach wie vor unklar. Unterschieden werden dabei „... drei Arten der subversiven oder aggressiven Gefährdung durch IT: Die Informationsnutzung durch entsprechende Kräfte; das sogenannte Hacking und den Cyber-Terrorismus bis hin zum Cyber War“ (Hutter 2002, 34).

Insbesondere die Gefahr des Cyber-Terrorismus bzw. -Krieges ist es, der allen voran in den USA Milliardenbeträge für die Simulation möglicher Angriffsszenarien sowie die Entwicklung von Schutzund Abwehrmaßnahmen bündelt, als da wären Schulungsmaßen und Kooperationsprojekte mit Wissenschaftseinrichtungen, die Sensibilisierung der Bevölkerung, internationale Anpassung entsprechender Rechtsnormen und die Zusammenfassung staatlicher, militärischer wie ziviler und ökonomischer Kräfte im Rahmen einer „Public Privat Partnership“. Am Anfang allerdings müsse eine Art Sicherheitscheck der IT-Infrastruktur stehen. „Die neuralgischen Punkte bzgl. Abhängigkeit und Verwundbarkeit sind zu ermitteln, zu bewerten und kontinuierlich fortzuschreiben“ (Hutter 2002, 38).

Auch wenn es bisweilen erscheint, als ob die Unspezifität dieser Programme auf spezifische Steuerungsprobleme in der Auseinandersetzung mit Netzwerken zurück zu führen sein kann, ist die Diskussion um Zerstörbarkeit von Netzwerken im Bereich der IT ungleich weiter fortgeschritten, als in anderen Zweigen der Netzwerkforschung.

Auf Netzwerke als Form sozialer Organisation bezogen wird über deren Zerstörung nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit kriminellen Strukturen nachgedacht. Die Rezepte ähneln denen der IT-Debatte. Die Sinnhaftigkeit des Anliegens scheint auch hier gänzlich außer Frage zu stehen. Um so verwunderlicher, dass grundsätzliche Überlegungen zur Zerstörbarkeit sozialer Netzwerke bislang nicht erfolgt sind. Deren Zerstörung scheint in den Sozialwissenschaften vornehmlich als etwas zu Vermeidendes zu gelten, so z.B. die Erosion nachbarschaftlicher Netzwerke als Ergebnis eindimensionaler Planungspolitik (Gentrification-Forschung) oder eines problematischen gesellschaftlichen Wertewandels (Kommunitarismus). Ähnliches gilt für die wirtschaftswissenschaftliche Netzwerkdiskussion, obwohl hier der Gedanke an die Zerstörung von Netzwerken im Kampf um Marktanteile oder im Zuge staatlicher Interventionen (z.B. Kartellbestimmungen) noch deutlich näher läge.[6]

In beiden Disziplinen dominieren Einschätzungen das Bild, die mit Netzwerken Begriffe wie z.B. Flexibilität, Effizienz, Innovation, Autonomie, Demokratie und Vertrauen assoziieren. Ineffiziente, innovationshemmende[7] oder undemokratische Netze scheint es entweder nicht zu geben, oder aber kein Kraut dagegen gewachsen zu sein. Der thematische Zuschnitt dieser Arbeit leitet sich aus dieser Konstellation ab. Die eigentliche Trennlinie verläuft aber nicht entlang disziplinärer Grenzen. Der angesprochene Themenkomplex Kriminalität und Vernetzung etwa berührt sowohl eine informationstechnologische (Missbrauch des Mediums und Angriffe auf Infrastruktur sowie, in beiden Fällen, Prävention) als auch eine soziale Dimension (Fragen der Entstehung aggressiver Organisationsziele und der Sprengung netzförmiger Strukturen sowie der entsprechenden Gegenmaßnahmen). Generelle Einschätzungen, die einer Logik der Vernetzung folgend etwa von dem Umstand ausgehen, dass auch „ ... die Herstellung von IT-Sicherheit entgegen einem weitverbreiteten Irrtum weniger eine ingenieurtechnische Herausforderung als eine Frage der sozialen Organisation darstellt ...“ (Winkel 2000, 19), erhärten das Bild von der Verwischung disziplinärer Grenzen.

Die Frage aber bleibt: Warum beschäftigt man sich mit Zerstörbarkeit von Netzwerken in manchen Bereichen intensiv, in anderen dahingegen ausgesprochen selten?

Die Grenze scheint dort zu verlaufen, wo klassisch hoheitlich-staatliche Aufgabengebiete betroffen sind und wo nicht. Der Diskurs trennt offenbar zwischen Bereichen mit entsprechend beschriebenem Regelungsbedarf (militärische Sicherheit, Infrastrukturerhalt, Kriminalitätsbekämpfung) und jenen, die sich staatlicher Intervention entziehen oder entziehen sollen (Markt, Lebenswelt )[8]. Insofern bringt die Metapher von

der Netzwerkgesellschaft nichts neues, sondern überträgt bestehende Deutungsverhältnisse lediglich auf eine neue Matrize.

Soll man aber allein aufgrund besagter Verhältnisse von einer ganz anderen Qualität, einem ganz eigenen, aus sicherheitspolitischer Perspektive betrachtet geringerem Stellenwert sozialer oder ökonomischer Netzwerke ausgehen?

Wenn nicht, dann ist eine Situation allerdings überdenkenswert, in der Modelle der „... Deregulierung und die Einführung flexibler Strukturen auch innerhalb der politischen Bürokratien“ (Bittlingmayer 2001, 16) als alle Bereiche der Gesellschaft erfassendes Leitbild gehandelt werden, gleichzeitig aber ausgerechnet in Bezug auf zentrale Fragen der staatlicher Organisation auf die Vorteile netzförmiger Organisation insofern verzichtet wird, statt dessen vielmehr erhöhter Regulierungsbedarf attestiert und sich in Bezug auf Lösungsansätze der Instrumente klassischer Steuerungspolitik bedient wird. Wenn sich Aspekte dieser strukturellen Parallelität konflikthaft aufeinander beziehen, sollten Kenntnisse bzgl. der Zerstörbarkeit von Netzwerken ein Anliegen beider Seiten sein.

Wer also den Anspruch hat, weitere Bereiche des Lebens zu regeln (Strategie) oder weitere Bereiche wenn zwar nicht für steuerungsbedürftig, so doch für schützenswert hält (Prävention), kommt um eine umfassendere Auseinandersetzung mit der Zerstö- rung von Netzwerken nicht herum.

In diesem Kapitel wurden Gründe aufgezeigt, die Antwort auf die Frage geben, warum die Zerstörung von Netzwerken ein Thema des sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Diskurses darstellen sollte:

Im Falle der Annahme, Netzwerke seien unsteuerbar, stellt sich zum einen die Frage, warum sie dann ein Instrument der strukturpolitischer Interventionen darstellen sollten. Zum anderen ergibt sich die Notwendigkeit, Techniken zur Zerstörung von Netzwerken zu entwickeln, da diese Techniken die einzige Alternative zur ohnmächtigen Passivität wären.

Im Falle der Kultivierbarkeitsannahme werden Fragen der Zerstörung von Netzwerken dann relevant, wenn das Kultivierte alles andere als den erwarteten Ertrag bringt. Hält man Netzwerke schließlich gar für steuerbar, dann stellt die Zerstörung von Netzwerken eine bislang ignorierte Managementaufgabe dar.

Daneben wurden demokratietheoretische und präventionsstrategische Aspekte betont, die im sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs bislang unterbelichtet geblieben sind und einer weiteren Durchdringung noch bedürfen.

3. Was sind Netzwerke überhaupt?

Die Beiträge zur aktuellen Netzwerkforschung spiegeln ein Bild, das mit Blick auf die Situation im Netz der Netze beschrieben wurde als „... ein Auf und Ab der Babylonisierung und De-Babylonisierung“ (Faßler 2001, 22): Einer seit den 1980ern rapide wachsenden Zahl von Einzelfallstudien ist die Erkenntnis zu verdanken, dass Netzwerkmetaphern auf nahezu jeden Forschungsgegenstand übertragbar sind. Als gleichermaßen anschlussfähig präsentiert sich das entsprechende Untersuchungsobjekt auf der Ebene der Kategorisierungsversuche. Dort entscheidet zumeist das jeweilige Erkenntnisinteresse, ob etwa informationstechnologische von politischen Netzwerken, Selbsthilfevon Innovationsnetzwerken oder Unternehmensvon Nachbarschaftsnetzwerken unterschieden werden. Und trotzdem mittlerweile in nahezu jeder Einleitung der einschlägigen Arbeiten die Konkurrenz der Definitionen, Dimensionen und Disziplinen den Ausgangspunkt zur Suche nach integrativen Zugängen darstellt, steht ein konsistenter theoretischer Rahmen zur Beschreibung und Erklärung von Netzwerken noch aus (vgl. Windeler 2001, S. 37; Tacke 2001, S. 40). Auf der abstraktesten Ebene der Debatte schließlich wird nach wie vor die Frage diskutiert, ob der Ursprung der heutigen Popularität vernetzten Denkens in der zunehmenden Evidenz der Tatsachen oder in einem von Seiten informationstechnologisch orientierter Disziplinen importierten Paradigmenwechsel gesehen werden muss (vgl. Castells 2000a, 5; Weyer 2000, 1).

3.1. Ursprünge des sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Netzwerkdenkens

Die Ursprünge des sozialund wirtschaftstheoretischen Netzwerkdenkens betreffend herrscht ein gewisses Maß an Übereinstimmung.

Für die Soziologie gilt gemeinhin die von Leopold von Wiese (1924) formulierte Beziehungslehre als Markierungspunkt. Diese identifiziert die Distanzierungen von Menschen und von Gruppen als die entscheidenden Grundtatsachen des sozialen Lebens. Diese seien analytisch zu isolieren, wodurch soziale Gebilde letztlich als Konfigurationen wechselnder Distanzierungen darstellbar würden. Dazu unterscheidet Wiese vier Kategorien entsprechender Relationierungen:

1. Soziale Prozesse als Elemente des sozialen Zusammenlebens. Betont wird hierbei die dynamische Seite veränderlicher Näherungsund Entfernungsprozesse.
2. Die (messbare) Distanz zwischen zwei oder mehreren sozialen Einheiten.
3. Den soziale Raum als Arena, in der sich soziale Prozesse ereignen.
4. Das soziale Gebilde, das sich aus einer Mehrzahl von sozialen Beziehungen zusammensetzt, wobei die Beziehungen so miteinander verbunden sind, „daß man sie im sozialen Leben als Einheiten deutet“ (Wiese 1924: S. 114).

Hier werden erste zentrale Merkmale netzförmiger Sozialorganisation zusammengefasst. In diesem Sinne ist die Beziehungslehre eine Vernetzungslehre, allerdings ohne dass die entsprechende Begrifflichkeit Verwendung findet[9].

Als erster Beweger im wirtschaftswissenschaftlichen Kontext wird das 1890 erschienene Werk Principles of Economics von A. Marshall (1982) gehandelt, obgleich auch hier noch nicht explizit von Netzwerken gesprochen wird. Sein pure agglomeration modell gilt jedoch als erste methodische Annäherung an die Thematik der räumlichen Konzentration von Unternehmen, für die Marshall drei Gründe ausfindig machte:

1. Die Existenz eines lokal spezialisierten Arbeitsmarktes,
2. spezifische nicht-ökonomische Rahmenbedingungen[10] und
3. ein konzentrierter Informationsund Ideenfluss.

Ein gedeihliches Zusammenspiel der Faktoren bewirke dann mitunter positive Emergenz-Phänome. Die von Marshall aufgeworfenen Fragestellungen werden heute u.a. im Bereich der industrial complex- oder industrial district- Forschung unter Rückgriff auf netzwerkanalytische Instrumentarien bearbeitet (vgl. etwa Gordon 2000).

In der Anthropologie wird die Verwendung des Netzwerkbegriffs auf A.R. Radcliff- Brown (1977) zurückgeführt, der ihn um 1940 im Zuge des Anliegens einführte, die Potenziale der Sozialanthropologie im Hinblick auf die Sozialstrukturanalyse aufzuzeigen. Der Vorteil einer strukturalistischen Sozialanthropologie läge dabei in ihrem antireduktionistischen Bemühen um Berücksichtigung sowohl sozialer Einzelphänomene (Variation) als auch sozialer Strukturen (Stabilität). Soziale Prozesse könnten demnach verstanden werden als „ ... the result of, and at the same time (...) a means of maintaining a certain structure, a network of relations between persons and collections of persons“ (Radcliff-Brown 1977, 228). Der Netzwerkbegriff wird dabei im Sinne einer schwach definierten Metapher verwandt; allerdings finden sich bereits hier erste Hinweise auf eine logische Trennung zwischen Netzwerk als Bezeichnung eines allgemeinen Potenzials möglicher Sozialbeziehungen (Infrastruktur) und Netzwerken als konkreten Formen des sozialen Zusammenlebens (Organisationseinheiten).

Ebenfalls zunächst in der Anthropologie angesiedelt sind schließlich die ersten Versuche der methodologischen Aneignung des Netzwerkbegriffs. In diesem Sinne gelten Class and committees in an Norwegian island parish von J.A. Barnes aus dem Jahre 1954 oder Familiy and social Networks von Elizabeth Bott von 1957 als Pionierleistungen.

So teilt Barnes die Sozialstruktur einer kleinen norwegischen Insel analytisch in drei Felder der sozialen Interaktion (vgl. Mitchell o.J., 15):

1. Industrial System (umfasst aus Einbindung in Arbeitsprozesse resultierende Beziehungen).
2. Territorial System (umfasst aus Einbindung in ein territorial-politisches Gebilde resultierende Beziehungen).
3. Personal Network (betrifft aus Einbindung in Freundschafts-, Verwandtschaftsoder Nachbarschaftsverhältnissen resultierende Beziehungen).

Das Personal Network überkreuze sich dabei mit denen der beiden anderen Felder und ergänze dementsprechend deren Integrationskapazitäten.

Botts Studie zu Sozialkontakten Londoner Familien geht dann bereits von der Existenz sozialer Netzwerke aus (ebd., 16). Die Qualität der Beziehungen, die Familien innerhalb solcher local groups unterhalten sei dabei eine gänzlich andere als die im Falle von Kontakten zu organisierten Gruppen (etwa Arbeit, Behörde, Schule). Local groups könnten dementsprechend als Vermittlungsinstanzen zwischen Familie und Gesellschaft fungieren.

3.2. Weiterer Verlauf des sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Netzwerkdiskurses

Darauf aufbauende Arbeiten bemühten sich zum einen um die Lokalisierbarkeit von Netzwerken innerhalb der Kontinuen bestehender Begrifflichkeiten. Als besonders gelungen galten dabei lange Zeit die Versuche im Gefolge des Transaktionskostenansatzes, Netzwerke als hybride Organisationsform zwischen den theoretischen Eckpfeilern Markt und Hierarchie einzupassen (vgl. u.a. Aldrich 1985; Powell 1990). Eine Vielzahl von Autoren leistete außerdem begriffliche Abgrenzungsarbeit (vgl. Mitchell o.J., 18ff).

Zum anderen wurde zunehmend eine Wahlverwandtschaft zwischen den Gegenständen anthropologischer, ethnologischer oder stadtsoziologischer Feldforschung und Netzwerkmodellen identifiziert (vgl. Wolfe 1978, 57). Inspiriert wurde diese Einschätzung nicht zuletzt durch Arbeiten zur Urbanisierung in afrikanischen Entwicklungsländern, die zunehmend den Einfluss verwandtschaftlicher bzw. informeller Konstellationen auf Prozesse des sozialen Wandels betonten. Vor allem Verwandtschaftsbeziehungen galten als Paradefall für Netzwerkforschung (vgl. Barnes 1972, 20f), bei der es im Endergebnis darauf ankommt, hochkomplexe Sachverhalte übersichtlich darzustellen. Entscheidende Impulse erhoffte man sich daher zunächst v.a. von Seiten der Mathematik (Grafentheorie, Topologie, ...). Grenzgänger zwischen Naturund Gesellschaftswissenschaften hatten zuvor bereits Bausteine für Methoden- und Kategoriensysteme einer formalen Netzwerkanalyse (Soziometrie, Gemeindeforschung) entwickelt, die den Untersuchungsgegenstand quantifizierbar und damit auch meta-analytischen Anliegen zugänglich machten.

Diese ersten Versuche, mathematische Modelle oder Techniken der elektronischen Datenverarbeitung der sozialtheoretischen Netzwerkforschung zugänglich zu machen (vgl. etwa Coleman 1957), fanden dabei etwa zehn Jahre vor dem Zeitraum statt, in dem die Grundtechnologie des Internets erforscht und 1969 schließlich zu einem ersten Ergebnis geführt wurde.

Anfang der siebziger Jahre[11] begann sich dann die Einschätzung durchzusetzen,

dass es sich bei Netzwerkansätzen nicht länger nur um auf bestimmte sozialwissenschaftliche Perspektiven festgelegte Deutungsversuche handle, sondern um ein interdisziplinäres Universalwerkzeug (vgl. Barnes 1972).

Die Computertechnologie absolvierte während dessen noch den Paradigmenwechsel von der „... Stapelverarbeitung zum interaktiven Dialog, vom Computer als arithmetic engine zu einem Kommunikationsgerät“; und als das in kleinen Dimensionen bereits 1973 installierte Internet ein knappes Jahrzehnt später immer noch kaum mehr darstellte als einen „... Teil der Kommandound Kontrollogik des War Theatre“ (Faßler 2001, 91), war der kometenhafte Aufstieg des Netzwerkdenkens schon diskutiert (vgl. Wolfe 1978, 53).

Es spricht daher viel dafür, die heutige Bedeutung des Netzwerkdenkens auf einen Paradigmenwechsel zurückzuführen, viel aber auch dagegen, dessen Ursprung im Bereich der Informationstechnologie anzusiedeln.

3.3. Netzwerke als Mikro-Makro-Schanier

Vielmehr lässt sich die Entstehung von Netzwerkmodellen als Reaktionen auf spezifische sozialwissenschaftliche Theoriedefizite begreifen. Die Schwächen der zum damaligen Zeitpunkt überwiegend strukturzentrierten Ansätze sind mittlerweile im Rahmen der Diskussion um das Mikro-Makro-Dilemma ausführlich diskutiert. Der Vorwurf an die Adressen der Soziologie aus der Strukturperspektive lautet knapp formuliert, dass sie „... gesellschaftliche Teilsysteme agieren [lassen], ohne die ablaufenden Prozesse klein zu arbeiten (etwa durch Transformation auf die Organisations- oder die Akteurebene)“ (Weyer 2000, 238). Gerade diese Aspekte gerieten aber desto mehr in den Vordergrund, je mehr bis dato ausgeklammerte Gegenstandsbereiche im Zuge vermehrter Umfrageund Feldforschung zu Tage kamen, die sich nicht länger zufriedenstellend in bestehende Theoriegebäude[12] integrieren ließen. Aus netzwerktheoretisch relevanter Sicht läutete dieser Umstand einen Paradigmenwechsel ein, der sich An vier Trends nachvollziehen lässt (vgl. Wolfe 1978, 56):

- Dem Trend vom Interesse für die Elemente eines Systems hin zum Interesse für deren Relationen,
- dem von der Verlagerung des Interesses von der Form auf die Prozesse,
- dem von der Suche nach Institutionen hin zur Suche nach Elementarphänomenen und
- dem vom zunehmenden Austausch funktionaler Modelle durch generative.

In der Hauptsache führte dieser Perspektivenwechsel allerdings zur Aufwertung individualistisch-behavioristischer Fragestellungen, die soziale Prozesse auf der Ebene basaler Interaktionen untersuchten und sich damit nicht nur in eine bis heute logisch unversöhnte Konkurrenz zu einer Soziologie aus der Vogelperspektive stellten, sondern auch deren Defizite spiegelte: Nun konnten zwar individuelle Handlungen erschlossen bzw. erklärt werden, nicht aber (deren Einfluss auf) die Entstehung und Entwicklung gesellschaftlicher Strukturen.

Dies in Rechnung gestellt, verbreiteten sich zunehmend dualistische Konzeptionen von Individuum und Gesellschaft, die aber die Mikro-Makro-Problematik einseitig in eine Richtung auflösen sowie Problemen der Vermittlung zwischen Prozessen der Aggregation (Mikroprozesse € Makroeffekte) und der Einbettung (Makroprozesse € Mikroeffekte) nur unzureichend Aufmerksamkeit schenken.

In jüngster Zeit wird daher mit der Netzwerkforschung die Hoffnung auf die theoretische Verknüpfbarkeit beider Perspektiven verbunden: Denn weder „... ist das Individuum ein Spiegelbild der Gesellschaft, das auf Normerfüllung programmiert werden kann, noch ist das Individuum derart handlungsmächtig, dass es durch seine Aktionen Gesellschaft beliebig gestalten und verändern kann. Wenn man die Netzwerkebene als Bindeglied in diese Prozesse schaltet, werden die Abhängigkeitsverhältnisse vermittelter und die Freiheitsgrade größer: Ein Individuum wird durch seine strukturelle Einbettung zweifellos in starkem Maße geprägt, aber dies ist kein gesellschaftlicher Zwang, denn andere Konstellationen sind ebenfalls möglich, die andere Prägungen bewirken. Und Gesellschaft muss nicht so sein, wie sie ist; aber es steht nicht im Belieben jedes Einzelnen, Veränderungen hervorzubringen. Soziale Netzwerke, in die individuelle Akteure ihre Strategien einbringen, erweisen sich hier als wesentlich wirksamer und folgenreicher“ (Weyer 2000, 239; vgl. auch Schenk 1984, 11).

Dennoch vermeidet eine Vielzahl auch der erst in jüngerer Zeit in den soziologischen Fachkanon eingegangenen Autoren einen direkten Rekurs auf Netzwerktheorie. Wenn doch, dann sprechend sie etwa wie Luhmann (1999, 811) von Netzwerkorganisation als Hemmnis der gesellschaftlichen Entwicklung, das im „... eher typischen

Falle (...) die autopoietische Autonomie der Funktionssysteme blockiert oder auf Teilbereiche ihrer operationalen Möglichkeiten reduziert“. Unter anderen Vorzeichen und mit anderem Ergebnis teilt Beck diese Einschätzung, wenn er von Vernetzung und der möglichen Verschmelzung zuvor funktional differenzierter Teilsysteme ausgeht, die ihm dann allerdings eher den Horizont für Gedanken an eine partizipatorische, ökologische Zukunft öffnet (vgl. Beck 1993, 78/98). Mitunter zeigen soziologische Arbeiten dabei auf, wie sehr die „Netzwerkbrille“ (Weyer 2000, 1) eben eine Brille ist, die man auch gegen andere tauschen kann: Saskia Sassen, die im Zuge ihrer Fallstudien zu den Metropolen des Weltmarktes nicht zuletzt den immensen Einfluss von Migrantennetzwerken auf die Alltagsgestaltung und wirtschaftliche Aspekte einer Global City herausgearbeitet hat, verzichtet im Rahmen grundsätzlicherer Überlegungen auf Netzwerkmodelle und kann daher auch zu dem Schluss kommen, dass die „... Informationstechnologien, von denen vielfach geglaubt wird, sie neutralisierten die Entfernungen, (...) in Wirklichkeit zur räumlichen Konzentration bei[tragen]“ (Sassen 1997, 161).

Bislang scheint speziell die soziologische Netzwerkanalyse mit dem Begriff des Netzwerkes keine spezifischen Strukturvorstellungen verbinden zu können – weder Skepsis noch Euphorie verfügen über hinreichend theoretisches Fundament.

3.4. Netzwerke und Transaktionskostentheorie

Die meisten Netzwerkanalysen stützen sich daher auf einen theoretischen Rahmen aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Kontext:

„Die Transaktionskostenbzw. Institutionenökonomie, die sich vor allem auf Oliver Williamson (1975) beruft, versucht herauszufinden, wieso bestimmte Transaktionen auf dem Markt erfolgen, andere hingegen in Organisationen (Unternehmen) vollzogen werden, die geordnete Strukturen und Regeln für die Steuerung ihrer internen Prozesse aufbauen. Diese Suche nach institutionellen Varianten bzw. Alternativen lässt sich [aber auch] als eine Art ´Soziologisierung´ der Ökonomie interpretieren ...“ (Weyer 2000, 5).

Dabei unterstellt der Ansatz zunächst im Sinne eines erweiterten Verständnisses des homo oeconomicus , dass sich Akteure nach den Gesetzen des Opportunismus sowie der bounded rationality verhalten. Vor diesem Hintergrund stellen sich interindividuelle Transaktionen zum einen als nicht ganz selbstverständlich und v.a. als kostenintensiv dar. Setzt man im Einklang mit der Theorie eine Umwelt mit beschränkter Ressourcenlage voraus, so ergibt sich daraus zum anderen die Notwendigkeit, die eigenen Transaktionskosten möglichst niedrig zu halten.

Nach Williamson lassen sich drei Dimensionen unterscheiden, von deren Ausprä- gung die Art und Kostenintensität der jeweiligen Transaktionsbeziehungen abhängt (vgl. Aldrich 1985, 283): - Häufigkeit: Je häufiger Transaktionen zwischen gleichberechtigten Partnern durchgeführt werden, desto höher wird der Druck, bei den jeweiligen Transaktionen Kosten zu sparen.

- Unsicherheit: Unsicherheit treibt Transaktionskosten in die Höhe; Transaktionsstrukturen, die Unsicherheit reduzieren, müssen daher Selektionsvorteile haben.

- Transaktionsspezifische Investitionen: Nicht nur die jeweils aktuell durchgeführten Transaktionen, sondern auch die Aufrechterhaltung der sie tragenden Beziehungen kosten Ressourcen.

In Bezug auf jedwede Kooperationsform ist das Kosten-Nutzen-Kalkül der Akteure demnach nicht nur bestimmt von der Höhe der jeweiligen Transaktionskosten, sondern berücksichtigt ebenso Randbedingungen wie eventuelle Folgekosten der betreffenden Kooperation.

Die institutionentheoretische Dimension des Ansatzes erschließt sich dann, wenn das Konzept der Transaktionskostentheorie (TAKT) auf o.g. Grundfrage angewandt wird: Welcher Modus notwendiger Austauschprozesse ist für ein Unternehmen mit den jeweils niedrigsten Transaktionskosten verbunden?

Zu Anfang wurden dabei zunächst zwei Austauschformen unterschieden: Markt und Hierarchie , die als idealtypische Fixpunkte die Ränder eines dualistischen Kontinuums markieren.

Demnach ist Markt eine Organisationsform im Sinne einer offene Arena, in der voneinander unabhängige Akteure kurzfristige Kooperationen eingehen, die über den Preis als zentralem Steuerungsmodus koordiniert werden. Im Gegensatz zu idealtypischen Märkten benötigen empirische in der Regel ein bestimmtes Minimum sowohl an Kooperationswillen seitens der Akteure, als auch an institutioneller Absicherung; konkret v.a. ein Vertragsrecht und die Bereitschaft der Beteiligten, sich auf dieses Recht festlegen zu lassen.

Auf der anderen Seite bezeichnet Hierarchie eine Organisationsform, die langfristige Aktivitäten strukturell dadurch absichert, dass sie der Kontrolle durch formale Regeln unterstellt werden. Regeln bestimmen auch den Zugang zur Organisation, Beitritt ist damit immer ein Schritt in ein Abhängigkeitsverhältnis: Nicht mehr die eigenen Kosten-Nutzen-Abwägungen bestimmen die Handlungen der jeweiligen Aktionseinheit, sondern organisationsspezifische Mechanismen der Fremdund Selbstkontrolle, die im Hinblick auf das Erreichen des Organisationsziels entlang einer Kontrollhierarchie angewandt werden.

Der Übergang von marktzu hierarchieförmigen Organisationsformen vollzieht sich nach der TAKT um so wahrscheinlicher, je höher die Faktorspezifität[13] eines Tauschbeitrages ist. Je spezialisierter also die Beträge und je spezifischer die Art der Kooperationsbeziehung, desto schwieriger wird es, eine bestehende Beziehung abzubrechen und die eigenen Beiträge anderen Verwendungszwecken zuzuführen. Auf diese Weise etablieren sich Abhängigkeitsverhältnisse, die einer neuen Form der Regelung bedürfen, da erhöhte Abhängigkeit mehr Unsicherheit provoziert, und Unsicherheit generell die Transaktionskosten steigen lässt. Im Falle zunehmender Faktorspezifität gewinnen Transaktionsstrukturen, die Unsicherheit reduzieren, daher zunehmend Selektionsvorteile. Unter diesen Voraussetzungen kann es für einen Akteur kosten-nutzen-rational sein, das Risiko eines Kooperationsabbruchs zu reduzieren, indem er seine eigenen Autonomiegrade reduziert. Nicht immer aber führt diese Entwicklung zur Ausbildung einer rigiden technokratischen Hierarchie - zwischen den beiden Polen des transaktionskostentheoretischen Kontinuums stehen Mischformen, die Elemente marktförmiger wie hierarchischer Organisation kombinieren.

„Ausgehend von diesem Ansatz hat sich eine breite Diskussion entwickelt, deren Kritik auf folgende Punkte abstellt:

- Eine unklare Grenzziehung zwischen Markt und Hierarchie,
- auf eine zu einseitige Orientierung am Effizienzkonzept (...),
- auf eine ungenaue Abgrenzung zwischen Transaktionskosten zu anderen Kostenarten,
- auf eine unzulängliche Formalisierung sowie
- auf die Ausblendung historisch-gesellschaftlicher Prozesse - insbesondere des Stellenwertes von Macht zur Erklärung der Organisationsentwicklung ...“ (Weyer 2000, 67), und deren Verlauf die Grenzen zwischen Wirtschaftsund Sozialwissenschaften zunehmend verwischt hat, etwa in den Bereichen der Identifikation von Unsicherheitsquellen (vgl. u.a. Aldrich 1985) oder der Konzeptionalisierung des Grenzbegriffs (vgl. u.a. Sydow 1999; Schreyögg 1998).

[...]


[1] Interessanter Weise ist der o.g. Schöpfer und leidenschaftliche Vertreter der Theorie von der Netzwerkgesellschaft, Manuel Castells, gleichzeitig einer der stärksten Kritiker der ihm diagnostizierten Entwicklung. In diesem Sinne erinnert er an Elmar Altvaters (1996) umfassenden Beitrag zur Globalisierungsdebatte, in dem die dort aufgezeigten Prozesse als ebenso nahezu unausweichlich wie kritikwürdig dargestellt werden. Bei einer gewogenen Lesart muss sich in beiden Fällen der Vorwurf der Skandalisierung allerdings nicht bestätigen.

[2] Steuerbarkeitsund Legitimationsdefizite sind die wohl bekanntesten Beispiele struktureller Dilemmata in Netzwerken. Daneben kann u.a. von Vertrauensdilemma, Konfliktdilemma, Besitzdilemma und Dilemma der Anschlussfähigkeit bzw. einem generellen Selbstorganisationsdilemma die Rede sein (vgl. Wetzel 2001a; Wetzel 2001b).

[3] Nicht selten gilt dabei: „Rationale wohlüberlegte Argumente spielen bei diesen Prozessen der Meinungsbildung oft nur eine untergeordnete Rolle. Bei kollektiven Effekten kommt es gar nicht auf objektive Maßstäbe an, sondern auf die subjektive Meinung, die sich schließlich im Kollektiv durchsetzt“ (Böse 1989, 185).

[4] Im Falle sozialer Netzwerke etwa in Form der Pflege und Förderung informeller Kontakte.

[5] Planung, Organisation, Integration/Führung, Grenzmanagement (vgl. Sydow 1999).

[6] Wenn doch einmal etwa „Streng vertraulich: Strategien zur Zerschlagung des Post-Monopols“ (Sprung 1984) versprochen werden, dann geschieht das vornehmlich deskriptiv, und in diesem Fall auf fünf Seiten.

[7] Als eine der wenigen Ausnahmen vgl. Grabher (1993a/b).

[8] Die Einschätzung, Marktprozesse oder bestimmte Bereiche des sozialen Lebens müssten sich staatlicher Kontrolle entziehen, führt dazu, dass sich neoliberale wie kritisch-alternative Kreise gleichermaßen von Netzwerkmetaphern begeistert zeigen können.

[9] Entsprechend ließe sich auch Georg Simmels Theorie sozialer Kreise anführen, nach der etwa die Identität eines Individuums weder aus sich heraus bestimmt, noch vom Wesen einer es einschließenden Einheit abgeleitet werden kann. Stattdessen gelten auch hier dessen Beziehungen zu seiner sozialen Umwelt als zentrale Analyseeinheiten.

[10] Genauer benennen konnte Marshall die Randbedingungen allerdings noch nicht. In heutiger Diktion wären dies etwa Erreichbarkeit und Effizienz lokaler Arbeitsmarkt-Service-Einrichtungen (vgl. Gordon 2000).

[11] Und damit zu einem Zeitpunkt, als,„Versuche, zwischen Computern Buchstaben hin und her zu schicken ...“ (Faßler 2001, 91) noch große Schwierigkeiten machten.

[12] Die Rede ist hierbei in erster Linie von statischen Ansätzen innerhalb eines für die 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts typischen funktionalistischen Paradigmas (Parsons, Schelsky, et al.)

[13] Je leichter ein bestimmter Beitrag auch anderen Verwendungszwecken zugeführt werden kann, desto niedriger ist seine Faktorspezifität (vgl. Williamson 1991, 16).

Ende der Leseprobe aus 113 Seiten

Details

Titel
Zerstörung von Netzwerken als Sonderfall des Netzwerkmanagments. Bausteine für den sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs
Hochschule
Technische Universität Chemnitz
Note
1.0
Autor
Jahr
2002
Seiten
113
Katalognummer
V114807
ISBN (eBook)
9783640149544
ISBN (Buch)
9783640149155
Dateigröße
4477 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zerstörung, Netzwerken, Sonderfall, Netzwerkmanagments, Bausteine, Diskurs
Arbeit zitieren
Steffen Roth (Autor:in), 2002, Zerstörung von Netzwerken als Sonderfall des Netzwerkmanagments. Bausteine für den sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114807

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