"Fewrige Pfeile des Teufels" - Melancholie und religiöse Anfechtung im Luthertum des 16. Jahrhunderts


Hausarbeit, 2004

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2 Die Darstellung der Melancholie in den Trostschriften
2.1 Melancholie im 16. Jahrhundert
2.2 Der Teufel als Urheber
2.3 Die Umstände der Melancholie
2.4 Die positiven Seiten der Melancholie
2.5 Methoden der Melancholiebehandlung

3 Wessen Mentalität schildern die Quellen?

4 Melancholie und Konfession
4.1 Melancholie und protestantischer Glaubenslehre
4.2 Melancholie als sozial akzeptierte Erfahrung

5 Fazit

6. Literaturverzeichnis
6.1. Quellen
6.2. Forschungsliteratur

1. Einleitung

”MELANCHOLIE RELIGIEUSE, (Théol.) tristesse née de la fausse idée que la religion proscrit les plaisirs innocens, & qu'elle n'ordonne aux hommes pour les sauver, que le jeûne, les larmes & la contrition du coeur. Cette tristesse est tout ensemble une maladie du corps & de l'esprit, qui procéde du dérangement de la machine, de craintes chimériques & superstitieuses, de scrupules mal fondés & de fausses idées qu'on se fait de la religion.”[1]

Wie dieses Zitat der Enzyklopädisten zeigt, hatte die Aufklärung kaum noch Verständnis dafür, wie ein Mensch aus Zweifel am eigenen Glauben in Melancholie verfallen konnte. Dabei war in den Jahrhunderten zuvor die religiöse Melancholie und der Umgang mit ihr zumindest unter Protestanten ein viel diskutiertes Thema. Dass der Teufel seine ”feurigen Pfeile”[2] abschießt und dadurch die Seele des Menschen in Brand setzt wie Soldaten eine belagerte Stadt, scheint für die Menschen des konfessionellen Zeitalters eine vollkommen plausible Vorstellung gewesen zu sein.

Schon im Mittelalter war eine der Melancholie eng verwandte Krankheit bekannt gewesen, nämlich die ”acedia”, die ”Mönchskrankheit”, zu deren Bekämpfung nicht zuletzt auch das Beten und Arbeiten der Benediktiner diente. Gerade die enge Verbindung von Melancholie und Mönchtum macht die Frage interessant, was aus der Melancholie wurde, als sich mit der Reformation die Meinung durchsetzte, dass, wie Luther es sagt, ”alle Christen [...] wahrhafftig geystlichs Stands”[3] sind. Wurden die Protestanten, wie es die katholische Seite behauptete, reihenweise Opfer von religiöser Melancholie? Oder besteht überhaupt kein spezifischer Zusammenhang zwischen der Konfession und einem bestimmten psychischen Zustand?

Die Hausarbeit geht diesen Fragen anhand von Trostschriften und -briefen Luthers und der lutherischen Orthodoxie des 16. Jahrhunderts nach. Die Auswahl der Texte erfolgte nach verschiedenen Kriterien: Die Texte sollten das Thema ”Melancholie und religiöse Anfechtung” möglichst direkt ansprechen; andere Geisteskrankheiten oder das Problem des Selbstmordes wurden weitestgehend ausgeklammert. Außerdem spielte die Verfügbarkeit der Schriften eine Rolle.

Das Thema ist bisher wenig untersucht worden: Die vorhandenen Forschungen zu Luthers Trostbriefen behandeln diese eher aus einer theologischen als aus einer historischen Perspektive.[4] Das gilt auch für die wenigen Untersuchungen zur lutherischen Orthodoxie.[5] Bei der reichlich vorhandenen Literatur zum Melancholiebegriff dominieren kulturwissenschaftliche Fragestellungen.[6]

Zunächst soll geklärt werden, welche Vorstellungen von Melancholie sich in den Trostschriften finden und welche Mittel die Autoren zu ihrer Bekämpfung empfehlen. Im zweiten Teil soll kurz erörtert werden, an wen sich die Schriften richteten und wessen Mentalität in ihnen zum Ausdruck kommt. Schließlich wird die Frage behandelt, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen Melancholie und protestantischer Glaubenslehre gab.

2 Die Darstellung der Melancholie in den Trostschriften

2.1 Melancholie im 16. Jahrhundert

Die frühneuzeitlichen Vorstellungen von psychischen Zuständen dürfen nicht an den Maßstäben moderner, medizinischer Begriffsbildung gemessen werden. Insofern überrascht es nicht, wenn keiner der untersuchten Autoren eine klare Definition des Phänomens ”Melancholie” gibt. Man würde wohl auch vergeblich versuchen, Melancholie in den Texten exakt von ebenfalls verwendeten Begriffen wie ”(geistliche) Traurigkeit” oder ”Schwermütigkeit” abzugrenzen.

Diese begriffliche Unschärfe ist teilweise auch darauf zurückzuführen, dass die Melancholie im 16. Jahrhundert eine Modeerscheinung war[7] und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen diskutiert wurde. Unter anderem Dürer und Cranach stellten die Personifikation der Melancholie in ihren Gemälden dar.[8] Im elisabethanischen England war die Krankheit sogar so verbreitet, dass man sie als ”the Elisabethean malady” bezeichnete; Shakespeares Hamlet zeigte genauso melancholische Züge wie der Zyniker Jaques in “As you like it”[9]. Robert Burton machte die Melancholie zum Thema seines berühmten, 1621 erschienenen Buches ”The Anatomy of Melancholy”.

Die mittelalterliche Wertung von Acedia und Melancholie als Todsünden hatte schon im 15. Jahrhundert der Florentiner Neuplatoniker Marsilio Ficino korrigiert, indem er das antike Bild des genialen Melancholikers wiederbelebt hatte.[10] Kein Wunder, dass unter den berühmten Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts zahlreiche Melancholiker waren: Michelangelo, Montaigne oder Rudolf II[11] sind nur einige Beispiele. Die frühneuzeitliche Medizin beschäftigte sich intensiv mit dem Phänomen[12] und griff Konzepte aus Galens Viersäftelehre wieder auf, die den Namen der Krankheit geprägt hatte.[13]

Für den Melancholiebegriff der untersuchten Trostschriften spielen diese unterschiedlichen Traditionen allerdings eine erstaunlich geringe Rolle.[14] Stattdessen dominiert, wie in den nächsten Kapiteln deutlicher werden wird, eine theologische Sichtweise auf die Krankheit.

2.2 Der Teufel als Urheber

Alle untersuchten Autoren sehen die Melancholie vor allem als Anfechtung des Teufels. So hebt Luther hervor, dass die melancholische Traurigkeit nicht von Gott, sondern vom Teufel komme.[15] Die Pfarrer schmücken in zahlreichen Metaphern und Vergleichen diesen Grundgedanken zu einem fast manichäistischen Bild aus.[16] Der Teufel versuche in seinem Ringen um die Seelen der Gläubigen, wie Andreas Celichius es formuliert, ”dem HERRN der Herrligkeit viel leuchtender Sternlein am Kirchenhimel”[17] hinwegzureißen. Wie eine Heuschrecke, die den Pflanzen auf dem Feld die Herzblätter ausfresse, fresse der Teufel bei den Menschen das Herzblatt des Glaubens.[18] Wilhelm Sarcerius sagt es nicht weniger drastisch: ” Item gleich als der luchs einen hirsch umbringet / wen er im auff den kopff springet und sich zwischen seine Hörner setztet und im das gehirn ausfrist...Also auch ist der Satan, wenn er einen menschen besitzet.”[19] Bei Sigismund Suevus klingen chiliastische Töne an, wenn er betont, dass der Teufel angesichts des kurz bevorstehenden Jüngsten Gerichts ”wie ein toller Hundt”[20] rasen würde, um noch möglichst viele Gläubige ins Verderben zu stürzen. Dieser intensive Teufelsglaube ist typisch für die gesamte theologische Literatur des 16. Jahrhunderts.[21]

Dass der Teufel die Menschen gerade durch Melancholie zu schädigen versucht, wussten schon die mittelalterlichen Mönche. Luther zitiert häufiger ihr Sprichwort: ”Melancholicum Caput est paratum balneum Diabolo”[22]. Eine Begründung dafür liefert die Schrift von Wilhelm Sarcerius: Der Teufel mache deswegen traurig, weil er selber traurig über seinen Sturz aus dem Himmel sei.[23] Der Gedanke, dass der Teufel seine eigenen psychischen Zustände auf die Menschen überträgt, spielte generell bei der dämonologischen Begründung von Geisteskrankheiten eine große Rolle.[24] Die dämonologischen Begriffe stellten dabei, wie Midelfort verdeutlicht, für die Gläubigen die Kategorien bereit, in denen sie ihr Seelenleben erfahren und anderen beschreiben konnten:

”It was in the intensely pious culture of Catholic cloisters and of gensio-Lutheran parishes unintentionally created or cultivated a demonic personality through which the pious could experience and express their temptations, doubts, and repressed attachments to the world.”[25]

Für viele der untersuchten Theologen ist klar, dass die Melancholie nicht nur ein Übel unter anderen, sondern das weit schrecklichste ist. Für Tilman Heßhus etwa ist die melancholische Anfechtung ein Vorgeschmack der späteren Höllenglut: ”Den in den boesen Teuflischen gedancken ist dem hertzen nichts anders zumute / denn wenn es bereits in der hellen glud lege.”[26] Peter Glaser listet die zahlreichen Leiden auf, die Christen zu seiner Zeit erdulden mussten, wie etwa Hunger, Armut oder Verfolgung, betont dann aber, diese seien ”ein schertz gegen den innwendigen Schrecken / engsten / unnd trawrigkeiten / welche S. Paulus nennet / fewrige pfeile des Teuffels.”[27] Die wahre Bedrohung für das Seelenheil sitzt also nicht in der Welt, sondern im Inneren des Menschen.

[...]


[1] Jaucourt, Ch. de.: Art. “Melancolie religieuse” in: Diderot / D’Alembert, Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences des arts et des métiers par une société de gens de lettres, Bd.10, Stuttgart 1966 (=Faksimile der ersten Auflage 1751-1780), S. 308.

[2] Eph 6,16. Siehe auch Fußnote 27.

[3] Luther, Martin: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung, in: WA (=Luther, Martin: Werke. Weimarer Ausgabe, 1883ff.) 1, S. 404-469 (407).

[4] Vgl. etwa Mennecke-Haustein, Ute: Luthers Trostbriefe, Heidelberg 1989.

[5] Vgl. Steiger, Johann Anselm: Melancholie, Diätetik und Trost. Konzepte der Melancholie-Therapie im 16. und 17. Jahrhundert, Heidelberg 1996.

[6] Das gilt auch für den Klassiker auf diesem Gebiet: Klibansky, Raymond - Panofsky, Erwin - Saxl, Fritz: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, Frankfurt / M. 1990. Als Überblick sehr gut geeignet: Weber, Wolfgang: Im Kampf mit Saturn. Zur Bedeutung der Melancholie im anthropologischen Modernisierungsprozess des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für historische Forschung 17 (1990), S. 155-192.

[7] Vgl. Schmitz, Heinz-Günter: Physiologie des Scherzes. Bedeutung und Rechtfertigung der Ars iocandi im 16. Jahrhundert, Hildesheim 1972, S. 119ff.

[8] Zu Dürer: Klibansky et al., Saturn und Melancholie, a.a.O., S. 397-512. Zu Cranach: Ebd., S. 563-571.

[9] Vgl. Klibansky et al., Saturn und Melancholie, a.a.O., S. 338.

[10] Zu Ficino: Klibansky et. al., Saturn und Melancholie, a.a.O., 367-394.

[11] Speziell zu den melancholischen Herrschern siehe Midelfort, Erik H.:Mad Princes of Renaissance Germany, Charlottesville 1994.

[12] Zusammenfassend dazu: Midelfort, Madness, a.a.O., S. 140-182.

[13] “melaina colh” = “schwarze Galle”. Für eine umfassende Darstellung der Kulturgeschichte des Melancholiebegriffs in Antike und Mittelalter vgl.: Klibansky et al., Saturn und Melancholie, a.a.O.

[14] Markus Schär kommt in seiner Untersuchung über das calvinistische Zürich zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. Schär, Markus: Seelennöte der Untertanen, Zürich 1985, S. 91ff. Zum Vordringen der medizinischen Perspektive im 17. Jahrhundert vgl. Koch, Ernst: Die höchste Gabe in der Christenheit. Der Umgang mit der Schwermut in der geistlich-seelsorgerischen Literatur des Luthertums im 16. und 17. Jahrhundert, in: Monika Hagenmaier / Sabine Holtz: Krisenbewusstsein und Krisenbewältigung in der frühen Neuzeit, Frankfurt 1992, S. 231-245 (S. 238).

[15] Siehe zum Beispiel den Trostbrief an Hieronymus Weller: WA Br. 5, 1593, Z. 18-20.

[16] Vgl. Schär, Seelennöte, a.a.O., S. 141/142.

[17] Celichius, Andreas: Nuetzlicher und notwendiger bericht, Von den Leuten, so sich selbst aus angst-verzweifflung, oder andern ursachen entleiben und hinrichten, Magedeburg 1578, bl. A3.

[18] Ebd., bl. B5.

[19] Sarcerius, Wilhelm: Der Hellische Trawer Geist. Bericht und Ursachen. Das der Teufel unter dem schein vermeinter froeligkeit alles traurens und schreckens voll, auch ein rechter freudenbrecher sey, sampt erklerung des 47. Psalms, wie man mit der Himelfart Christi diesem schwermütigen boesen Geist begegnen und widerstand thun sol, Eisleben 1568, bl. H3.

[20] Suevus, Sigismund: Treuwe Warnung, Fuer der leidigen Verzweiffelung, sampt nuetzlichem Bericht, wie und wadurch des Teuffels Leithstrick und Zweiffelsknoten auffgeloeset und zerstreuet werden, Görlitz 1572, bl. A4.

[21] Zum Teufelsglauben im Luthertum: Midelfort, Madness, a.a.O., S. 53/54. Als Überblick siehe auch: Delumeau, Jean: Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts, Bd. 2, Reinbek bei Hamburg 1985, S. 380-386.

[22] WA Tr. (=Tischreden) 1, 455.

[23] Sarcerius, Der Hellische, a.a.O., bl. A1.

[24] vgl. Midelfort, Madness, a.a.O., S. 92.

[25] Midelfort, Madness, a.a.O., S. 79.

[26] Heßhus, Tilman: Trostschrift an eine fuerneme Person vom Adel / mit hohen geistlichen anfechtungen hart beladen, in: Gaspar Melissander (Hrsg.): Trostbüchlein In hohen geistlichen Anfechtungen und schwermütiger Trawrigkeit, Jena 1572, bl. B3 - D6 (bl. B6/B7).

[27] Glaser, Peter: Wie der Christen Trawrigkeit, Schwermuth, und Melancholey, damit sie der Teufel plagt, etlicher massen zu stillen sey. darinne viel anfechtungen des Teufels angezeigt und widerlegt werden. Durch M. Peter Glaser, Prediger zu Dreßden gestellet, Nürnberg 1573, bl. A5. Das Pauluszitat stammt aus Eph 6, 16. Die Übersetzung ist ebenfalls vom Teufelsgauben des 16. Jahrhunderts beeinflusst: Im Original steht nämlich nur “belh tou ponerou", also “die Pfeile des Bösen”.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
"Fewrige Pfeile des Teufels" - Melancholie und religiöse Anfechtung im Luthertum des 16. Jahrhunderts
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Religion und Magie in der frühen Neuzeit
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V33084
ISBN (eBook)
9783638336536
ISBN (Buch)
9783640139187
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit untersucht den Melancholiebegriff in einigen Trostschriften Luthers und der lutherischen Orthodoxie im 16. Jahrhundert
Schlagworte
Fewrige, Pfeile, Teufels, Melancholie, Anfechtung, Luthertum, Jahrhunderts, Religion, Magie, Frühe Neuzeit, Kulturgeschichte, Reformation, Protestantismus, Martin Luther, Pfarrer
Arbeit zitieren
Moritz Deutschmann (Autor:in), 2004, "Fewrige Pfeile des Teufels" - Melancholie und religiöse Anfechtung im Luthertum des 16. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33084

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