Eduard von Simson - Professor in Königsberg, Präsident der deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt am Main 1848/49 und erster Präsident des Reichsgerichts


Seminararbeit, 2007

16 Seiten, Note: 18


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Simson als Parlamentarier
1. Das Jahr Achtzehnhundertachtundvierzig
2. Präsident des Nachparlaments zu Gotha
3. Präsident des preußischen Abgeordnetenhaus
4. Auf dem Weg zur deutschen Einigung: Präsident des Reichstages des Norddeutschen Bundes
5. Präsident des Zollparlamentes
6. Der Dezember Achtzehnhundertsiebzig
7. Präsident des deutschen Reichstags (1871-1874)

III. Der Richter Eduard von Simson
1. Die Richterlaufbahn
2. Erster Präsident des Reichsgerichts zu Leipzig (1879–1891)

IV. Würdigung

V. Bibliographie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eduard von Simson als Reichsgerichtspräsident Gemälde von Fritz Paulsen[1]

„Er gehörte zum Besten, was das oft geschmähte und doch atemberaubend interessante 19. Jahrhundert unter Deutschen hervorgebracht hat.“ [2]

I. Einleitung

Eduard von Simson wurde als Sohn eines [3] jüdischen Kaufmann zur Zeit Napoleons, am 10. Oktober 1810 in Königsberg (Preußen) geboren. Er war das älteste von fünf Kindern. Schon früh fiel er durch seine Begabung, aber auch seine Frühreife auf, die ihn aus seiner Altersgruppe herausstechen ließen. Noch im Jahre 1823 wurde von Simson zusammen mit seinen Geschwistern evangelisch getauft, worauf auch seine Eltern zum christlichen Glauben konvertierten. Die Taufe sicherte ihm später den Zugang zu Professur und öffentlichem Staatsamt.[4] Seine jüdische Herkunft vergaß von Simson jedoch nie. Später sollte er sich für die Gleichberechtigung von Juden und Christen sowie für die Konfessionsfreiheit einsetzen. Nach dem Besuch des Collegium Fridericianum, dem königlichen Gymnasiums Preußens an dem auch Immanuel Kant Schüler war, entschied er sich für ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Königsberg, welches er mit bereits 15 Jahren aufnahm. Dabei galt sein Interesse nicht nur der ausgesuchten Studienrichtung, sondern auch anderen Disziplinen. So hörte er Vorlesungen des Historikers Drumann, und des Philologen Lobeck. als Hilfsassistent hospitierte er bei dem Physiker Hagen. Er schloss sich der Burschenschaft „Corps Littuania“ an und gründete selbst einen literarischen Zirkel. Mit nur 18 Jahren promovierte von Simson unter Verleihung der venia legendi und begab sich im Jahre 1829 auf eine zweijährige „ peregrinatio academica “, die durch ein königliches Reisestipendium finanziert wurde. Mit dem Stipendium sollte von Simson an die Fakultät von Königsberg gebunden werden. Er verpflichtete sich nach seiner Rückkehr für zwei Jahre als Privatdozent dort zu lehren. Im Verlaufe dieser Reise machte er Bekanntschaft mit bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit, unter anderem Goethe und Savigny. Nach Aufnahme der Lehrtätigkeit im Jahre 1831 wurde er schon bald, nämlich im Jahre 1833 außerordentlicher Professor für römisches Recht und erhielt 1836 eine ordentliche Professur für römisches und preußisches Recht, die er mit Unterbrechungen bis 1860 wahrnahm. Durch seinen Vorlesungen, die er stets in freier Rede hielt und seinen Versuch seine Zuhörer aktiv in den Unterricht einzubinden, erlangte er schnell Beliebtheit bei den Studenten. Überraschend erscheint die Tatsache, dass von Simson praktisch nicht publiziert hat.[5] Dies mag aber durch die spätere Doppelbelastung durch seine zusätzliche Richtertätigkeit erklärbar sein. Das Amt als Hilfsrichters am Tribunal des Königreichs Preußen, welches er parallel zu seinem Professorendasein ab 1834 wahrnahm, zwang ihn dazu Kompromisse einzugehen. Nach Auflösung des Tribunals und Einrichtung des Appellationsgerichtes wurde er am 1. April 1849 zum Appellationsgerichtsrat ernannt. Ab 1860 fungierte er als Vizepräsident, ab 1869 als Präsident des Oberappellationsgerichts in Frankfurt an der Oder. Als Krönung seiner Richterlaufbahn erfolgte ein Jahrzehnt später, am 23. April 1879 die Ernennung zum ersten Präsidenten des Reichsgerichtes. Doch seine Karriere beschränkte sich nicht nur auf die Professoren und Richterlaufbahn. Eduard von Simson erhielt ebenso Anerkennung durch seine Tätigkeit als Präsident verschiedener Parlamente, insbesondere der Frankfurter Nationalversammlung, der er in der Zeit vom 18. Mai 1848 bis zum 20. Mai 1849 als Abgeordneter für Königsberg angehörte.[6] Bis auf den heutigen Tag ist er derjenige Parlamentspräsident, der den meisten Parlamenten präsidiert hat.

II. Simson als Parlamentarier

1. Das Jahr Achtzehnhundertachtundvierzig

Die Frankfurter Paulskirche, in welcher die[7] Nationalversammlung, das erste frei gewählte Parlament Deutschlands, tagte, stand ein Jahr lang im Mittelpunkt des politischen Geschehens. In ihrer Eröffnungsrede definierte ihr Präsident Heinrich von Gagern, die Schaffung einer auf parlamentarischen Demokratie beruhende „ Verfassung für Deutschland“ und die deutsche Einheit als Hauptaufgabe . Auch Eduart von Simson sollte zu einer der weithin sichtbaren und bestimmenden Gestalten gehören. Sein Weg dahin verlief schnell und erfolgreich. Im Jahre 1846 wurde Simson in die Stadtverordnetenversammlung Königsbergs gewählt. Nur zwei Jahre später, am 10. Mai 1848 obsiegte Simson überraschend in der Wahl gegen den zu den Wegbereitern des preußischen Liberalismus gehörenden Johann Jacoby. Doch damit stand Simson erst vor dem Beginn seiner großen politischen Karriere. Zunächst wurde Simson zum Schriftführer gewählt. In der Position als „Reichsvorleser“ und durch sein gewandtes Auftreten, aber auch sein rednerisches Geschick konnte Simson schnell Aufmerksamkeit und Beliebtheit erlangen. Schon im Oktober 1848 wählte man ihn daher in das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden der Nationalversammlung und bald darauf zum Nachfolger Heinrich von Gagerns und somit zum zweiten Präsidenten der Nationalversammlung.

Politisch gehörte Simson dem nationalliberalen Lager an, welches nach seinem Tagungsort als „Casino“-Fraktion bekannt wurde. Als stärkste Fraktion in der Paulskirche forderte diese die konstitutionelle Monarchie, wodurch sie auch als „Erbkaiserliche“ bezeichnet wurden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Lithographie "Club de Casino" von dem Künstler Friedrich Pecht aus dem Jahre 1849[8] Die eigentliche Einstellung Simsons zur Revolution ergibt sich jedoch aus dessen Tätigkeit im Untersuchungsausschuss. Dort erteilte er eine klare Absage an die Verfolgung der revolutionären Ziele durch Waffengewalt, wie sie von Friedrich Hecker in Baden betrieben wurde. Simson war politischem Radikalismus abgeneigt und trat für eine langsame und allmähliche Demokratisierung ein.[9]

Die von Simson geführte kleindeutsch-erbkaiserliche Partei unterstützte die Kaiserwahl König Friedrich Wilhelm IV, welcher am 28. März gewählt wurde. Als Vorsitzender der „Kaiserdeputation“ trug er am 3. April 1849 dem preußischen König in Berlin die Krone an. Zu Recht wird Simson daher heute auch als „Chorführer der Deutschen“ bezeichnet.

„Die verfassunggebende deutsche Reichsversammlung, im Frühling des vergangenen Jahres durch den übereinstimmenden Willen der Fürsten und Volksstämme Deutschlands berufen, das Werk der deutschen Verfassung zu Stande zu bringen, hat am Mittwoch, den 28. März des Jahres 1849, nach Verkündigung der in zweimaliger Lesung beschlossenen deutschen Reichsverfassung die in derselben begründete erbliche Kaiserwürde auf Seine königliche Majestät von Preußen übertragen. [...] Sie hat endlich den Beschluß gefaßt, den erwählten Kaiser durch eine Deputation aus ihrer Mitte ehrfurchtsvoll einzuladen, die auf Ihn gefallene Wahl auf Grundlage der Verfassung annehmen zu wollen. In der Vollziehung dieses Auftrages stehen vor Euerer königlichen Majestät der Präsident der Reichsversammlung und zwei und dreißig ihrer Mitglieder in der ehrfurchtsvollen Zuversicht, daß Euere Majestät geruhen werden, die begeisterten Erwartungen des Vaterlandes, welches Euer Majestät als den Schirm und Schutz seiner Einheit, Freiheit und Macht zum Oberhaupt des Reiches erkoren hat, durch einen gesegneten Entschluß zu glücklicher Erfüllung zu führen.“ [10]

Nach zunächst noch bedingter Zusage[11] lehnte dieser jedoch infolgedessen die Paulskirchenverfassung als „papiernen Wisch“ ab. Aus einem Brief Friedrich Wilhelms IV. vom 23. Dezember 1848 an Joseph von Radowitz, einem Abgeordneten der Nationalversammlung geht hervor:

[...] Jeder deutsche Edelmann, der ein Kreuz oder einen Strich im Wappen führt, ist hundertmal zu gut dazu, um solch ein Diadem! aus Dreck und Letten der Revolution, des Treubruchs und des Hochverrats geschmiedet, anzunehmen. Die alte, legitime, seit 1806 ruhende Krone deutscher Nation, das Diadem von Gottes Gnaden, das den, der es trägt, zur höchsten Obrigkeit Deutschlands macht, der man Gehorsam schuldet um des Gewissens willen, das kann man annehmen, wenn man in sich die Kraft dazu fühlt und die angeborenen Pflichten es zulassen. Die Krone aber vergibt keiner als Kaiser Franz Joseph, ich und unseresgleichen und wehe dem! der es ohne uns versucht und wehe dem! der sie annimmt, wenn ihr Preis der Verlust eines Drittels von Deutschland und der edelsten Stämme unseres deutschen Volkes ist. Gott helf uns! Amen. [12]

Das Ende des Paulskirchenparlaments war damit besiegelt. Bald wurden die Mandate der preußischen Abgeordneten aufgehoben. Das nach Stuttgart geflüchtete Rumpfparlament wurde schließlich von württembergischem Militär gewaltsam aufgelöst.

2. Präsident des Nachparlaments zu Gotha

Am 26. Juni 1849 wurde Simson zum Präsidenten[13] des Nachparlamentes zu Gotha gewählt, welches sich aus früheren liberalen Abgeordneten des Paulskirchenparlamentes zusammensetzte. Hier verständigte man sich auf eine Unterstützung der von Joseph von Radowitz konzipierten Unionspolitik und auf eine Teilnahme am Erfurter Unionsparlament, um nach dem Scheitern des Paulskirchenparlaments zumindest einen engeren Zusammenschluss Deutschlands zu erreichen. Gegenstand der Verhandlungen in Gotha war der Versuch die deutsche Einheit mit einer den monarchischen und Einzelstaatlichen Interessen entsprechende Verfassung durch eine freiwillige Union deutscher Staaten unter preußischer Führung herzustellen. In Anlehnung an die Paulskirchenverfassung, erarbeitete man daher einen Entwurf welcher im Erfurter Unionsparlament angenommen werden sollte. Simson gehörte zu den Abgeordneten des Erfurter Unionsparlaments. Er wurde wieder zum Präsidenten des Volkshauses gewählt. In einer Dankesrede erklärte Simson zur Eröffnung der Versammlung:

„Uns alle durchdringt die Einsicht in die tiefe Bedeutung de Aufgabe, die nach allem Misslingen immer von neuem an uns herantritt, ohne deren glücklichen Lösung wir kaum die Stelle bewahren werden, die wir innehaben und sicherlich diejenigen nicht erreichen, die uns doch nach dem Rate der Vorsehung gegönnt scheint unter den Völker der Erde…Lassen Sie uns mit entschlossenen Händen den Grund eines Baues befestigen helfen, der bald die große Mehrzahl, einst in seiner Vollendung alle Stämme unseres deutschen Vaterlandes unter seinem schirmenden Dache versammeln wird“ [14]

Der innerhalb des Erfurter Parlaments erarbeitete Verfassungsentwurf mit der Bereitschaft die preußische Hegemonie anzuerkennen, scheiterte an der fehlenden Bereitschaft der Unionsstaaten.

3. Präsident des preußischen Abgeordnetenhaus

Der gescheiterte Einigungsversuch Preußens bedeutete jedoch nicht das Ende der politischen Karriere Simsons. Als Zugeständnis an die Reformorientierten kam es noch 1849 zur Einrichtung eines Zweikammersystems, dem Preußischen Landtag. In die erste Kammer, dem so genannten Preußischen Herrenhaus berief der König in eigener Regie die Mitglieder. In der zweiten Kammer nahm auch Simson wiederum Platz. Ihre Mitglieder wurden aus politischen Parteien nach dem Dreiklassenwahlrecht bestimmt. Die Einführung des Kammersystems war zweifelsohne ein bedeutender Schritt hin zur konstitutionellen Monarchie und zu mehr Mitspracherechten des Volkes bzw. einzelner Teile davon. So bestimmte Artikel 62 der Verfassungsurkunde des preußischen Staates, dass die gesetzgebende Gewalt durch den König und die beiden Kammern des Abgeordnetenhauses ausgeübt wird. Simson war hier nur wenig Erfolg beschieden.

4. Auf dem Weg zur deutschen Einigung: Präsident des Reichstages des Norddeutschen Bundes

Preußen und dessen Verbündete konnten nach dem Deutschen Krieg im[15] Jahre 1866 die Vormachtstellung Österreichs in Deutschland brechen und lösten nach ihrem Sieg den Deutschen Bund von 1815 auf. Im Norddeutschen Bund gingen 22 Länder auf, die mit fast 30 Millionen Menschen besiedelt waren. Am 16. April 1867 konnte eine Verfassung angenommen werden, die im Wesentlichen mit der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 identisch. Es ist nicht verwunderlich, dass Simson auch für die Führung dieses Parlaments in Frage kam. Im März 1868 wurde er zum Präsidenten des Norddeutschen Reichstages gewählt. Die Volksvertretung nahm dann am 16. April die auf der Grundlage der Erfurter Versammlung erarbeitete Verfassung an. Simson äußerte sich dazu wie folgt:

„Mit Freuden nehme ich die Adresse des Norddeutschen Reichstages entgegen, die den Beweis liefert, daß die Saat des vorigen Jahres glücklich aufgegangen ist. Es sind Besinnungen und Hoffnungen ausgesprochen, welche die meinigen sind und die einst ihrer Erfüllung entgegen reisen können. Sie berühren in ihrer Ansprache den Ort, an welchem Sie mir die Adresse überreichen. Daß die wiederhergestellte Stammburg der Hohenzollern am Tage ihrer Einweihung Zeuge des Ausspruchs des Norddeutschen Reichstags gegen mich ist, beweist, daß die Vorsehung mit dem Geschlecht, daß hier entsproß, daß sie mit Preußen war und ist.“ [16]

Im norddeutschen Parlament saßen neben den älteren erfahrenen Parlamentariern auch jüngere Abgeordnete die das Revolutionsjahr 1848 als Studenten oder Kinder miterlebt hatten. Sie sahen Eduard von Simson als großes Vorbild an und bemühten sich, ihn zu unterstützen, was natürlich zu einer Beförderung des parlamentarischen Prozesses führte. Gemeinsam machte man sich daran die verfassungsrechtliche Grundlage der Reichseinheit zu schaffen. Und daran hat Simson als Integrationsfigur entscheidend mitgewirkt.[17]

5. Präsident des Zollparlamentes

Der Deutsche Zollverein zielte darauf ab[18] die süddeutschen Staaten enger an den neuen preußisch dominierten norddeutschen Bund zu binden und sie so eventuell zu integrieren. Häufig wird in dem Zollparlament ein Vorgriff auf den Reichstag des Kaiserreichs gesehen. Es handelte sich um einen ersten Schritt hin zu einem aus Abgeordneten aller deutschen Staaten bestehenden Gremium seit dem Zusammenbruch der Nationalversammlung 1849. Wiederum waren es Simsons begnadete Begabung, sein Redetalent und seine bereits gesammelten Erfahrungen, die ihm halfen auch an die Spitze des Zollparlaments gewählt zu werden. Durch sein Verhandlungsgeschick gelang es ihm eskalierende Auseinandersetzungen im Parlament zu verhindern und half so den Weg zur späteren Reichseinheit mitzubereiten.

Der Zollverein beschleunigte und erleichterte die politische Einigung Deutschlands unter preußischer Führung wesentlich. Simson hegte zwar zunächst Misstrauen gegen die Politik Bismarcks, doch legte sich diese zunehmend, sodass er schließlich den Nationalliberalismus mittrug und die Politik des späteren „eisernen Kanzlers“ unterstützte.

6. Der Dezember Achtzehnhundertsiebzig

Wieder war es Simson der im Dezember 1870 als[19] Präsident des Norddeutschen Bundes, König Wilhelm IV. im Namen des deutschen Volkes die Kaiserwürde antragen durfte, mit dem Unterschied, dass dieser sie diesmal auch annahm. Diese Tatsache zeigt, dass die Reichsgründung nicht bloßes Fürstenwerk, sondern durch eine nach allgemeinem Wahlrecht zustandegekommene Volksvertretung, also von unten, hervorgebracht wurde. Die zukünftige staatliche Entwicklung war nicht mehr ohne die angemessene Beteiligung eines nationalen Parlaments vorstellbar.[20] Lingelbach stellt dazu fest, dass Simson in der deutschen Verfassungsgeschichte „als Symbol für die Legitimation der Körperschaft, der er jeweils präsidierte [steht]. In diesem Sinne „adelte“ er die Institutionen.“[21]

7. Präsident des deutschen Reichstags (1871-1874)

Nach der in Versailles vollzogenen Kaiserproklamation, wurde Simson am 23. März 1871 zum Reichspräsidenten gewählt. Wenig später nahm der Reichstag die neue Reichsverfassung an, welche am 4. Mai 1871 in Kraft trat. Zu den Verdiensten Simsons in seiner Position im Reichstag zählen die Stärkung der Pressefreiheit und des Vereinsrechts. Im Jahre 1877 schließlich schied Simson aus dem Reichstag aus. Damit ging wohl seine letzte große Aufgabe als Parlamentarier zu Ende.[22]

III. Der Richter Eduard von Simson

1. Die Richterlaufbahn

Simson, der in Königsberg Römisches[23] Recht lehrte, wurde schon zu Beginn des Jahres 1834 als Hilfsrichter an das Tribunal von Königsberg berufen. Da das Landrecht von 1721 stark vom Römischen Recht beeinflusst wurde, galt Simson als prädestiniert für diese Anstellung. Jedoch konnte Simson durch diese neue Tätigkeit keine finanziellen Vorteile erwarten, denn sein Zuverdienst am Gericht wurde ihm beim Professorengehalt wieder abgezogen. Insofern ist es richtig zu sagen, dass Simson seine richterliche Tätigkeit mehr oder minder unentgeltlich vorgenommen hat.[24]

Wie bereits erwähnt, begann Simson ab dem Jahre 1846 als „Tribunalsrath“ in Königsberg zu wirken. 1849 wurde er zum Appellationsgerichtsrat in Königsberg ernannt. 1860 wurde Simson dann zum Vizepräsidenten des Appellationsgerichts in Frankfurt an der Oder vorgeschlagen und ernannt, da der dortige Vizepräsident an das Appellationsgericht zu Ratibor ernannt worden war. An diesem Gericht, an dem auch Carl Friedrich von Savigny tätig war, sollte Simson neun Jahre seiner Richterlaufbahn zubringen. Aus einer Beurteilung durch seine Vorgesetzten erfahren wir, dass Simson „sich mit dem ungetheiltesten Interesse den Arbeiten des Kollegiums widme, dabei eben so große Geschicklichkeit als Gründlichkeit bewähre, dergestalt, daß er auch zum Präsidenten eines großen Gerichtshofes als vorzüglich zu halten sei.“ Dies sollte sich später tatsächlich bewahrheiten, zunächst mit der Ernennung zum Präsidenten des Appellationsgerichts in Frankfurt an der Oder und danach zum Präsidenten des neu gegründeten Reichsgerichts in Leipzig. Allerdings stimmt auch, wie der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs Gerd Pfeiffer zu Recht feststellt, dass außer einigen wenigen Eckpunkten nur wenig über Simsons richterliche Laufbahn und Tätigkeit bekannt ist.

2. Erster Präsident des Reichsgerichts zu Leipzig (1879–1891)

Im April 1879 erhielt Simson das Diplom der Ernennung[25] zum Reichsgerichtspräsidenten, das von Bismarck persönlich redigiert worden war. Sein Wortlaut soll hier wiedergegeben werden:

„An der Ersten Präsidenten des K. Appellationsgerichts Herrn Dr. Simson, Frankfurt a. O.

Seine Majestät der Kaiser haben auf seinen Vorschlag des Bundesraths geruht, Sie zum Präsidenten des Reichsgerichts vom 1. Oktober d. J. zu ernennen und Ihnen den Charakter als Kaiserlicher Wirklicher Geheimer Rath mit dem Prädikat ‚Excellenz’ zu verleihen. Eurer Excellenz beehre ich mich die unter dem 23. April d. J. Allerhöchst vollzogenen Urkunden anliegend zu übersenden. Ew. Excellenz wissen schon aus meinen mündlichen Mittheilungen, wie sehr ich mich freue, daß seine Majestät der Kaiser durch seine Auszeichnung Hochdero Verdienste von Neuem anerkannt haben und wie lebhaft ich wünsche, daß Gott Ihnen für lange Zeit Gesundheit verleihe, um Ihre langjährige Arbeit an der Herstellung und Befestigung des Reichs auch in der Stellung eines ersten Richters im Reich fortzusetzen. Gez. Fürst von Bismarck.“[26]

Mit dem am 1. Oktober 1979 gegründeten Gericht ging die seit Beginn des 19. Jahrhunderts bestehende Forderung nach einer uniformen Gerichtsbarkeit und der Schaffung eines allgemeinen deutschen Obergerichts auf. Nach Untergang des Römischen Reiches deutscher Nation und dem damit verschwundenen Reichskammergericht war diese Forderung allzu verständlich. Das neue Gericht setzte sich aus 5 Zivilsenaten, 3 Strafsenaten sowie 2 Hilfssenaten zusammen. Simson gehörte dem 4. Zivilsenat an, der sich mit bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten u.a. aus seinem Heimatbezirk Königsberg beschäftigte. Zu den Aufgaben als Präsident zählte neben der grundsätzlichen Organisation dem Gericht eine unabhängige und gefestigte Stellung im Reich zu verschaffen. In dieser Aufgabe war Simson sicher nicht minder erfolgreich, doch war sein Schaffen dabei einfach weniger auffällig. Am bewundernswertesten ist dabei, dass Simson diesen Weg für ein oberstes Gericht in eigener Person auf parlamentarischer Ebene geebnet hatte.

Mit dem Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 12. Juni 1869 wurde ein oberster Gerichtshof für Handelssachen, das erste gemeinsame Zentralgericht eingerichtet. Mit Inkrafttreten des Gerichtsverfassungsgesetzes am 1. Oktober 1879 wurde dieses vom Reichsgericht abgelöst. Da das GVG keine Bestimmung über dessen Sitz enthielt, entschied sich der Bundesrat für Leipzig. In der Aula der Universität Leipzig fand die feierliche Eröffnung des Reichsgerichts statt. Der Präsident des Reichsgerichts, Dr. Simson, hielt nach der Vereidigung der Reichsgerichtsräte eine Anrede an die Versammlung, und sagte darin: »Neben den Pfeilern, die das Reich seit seinem Bestehen tragen, der Einheit des Heeres, der Auswärtigen Angelegenheiten, der Beziehungen des Verkehrs, erhebt sich mit diesem Tage ein vierter von gleicher Stärke, von gleicher Bedeutung, zu gleichem Behufe: die Gemeinsamkeit des Rechtslebens in unserem Vaterlande.« [27]

In der Wahrung und Erhaltung der Rechtseinheit des Reiches lag die Hauptaufgabe des Reichsgerichts. Zuständig war es in Zivilsachen für Revision gegen die Endurteile der Oberlandesgerichte sowie für Beschwerden gegen landesgerichtliche Entscheidungen, in Strafsachen in erster und letzter Instanz für Hoch- und Landesverrat, in zweiter und letzter Instanz für Revision gegen Urteile der Strafammern sowie gegen Urteile der Schwurgerichte. Gewahrt werden sollte die Einheitlichkeit der Rechtssprechung durch die Einrichtung eines Plenums und der Vereinigten zivil- und der Vereinigten Strafsenate. Man hielt Simson für den am Besten geeigneten Kandidaten, da er als Parlamentarier die Reichsgründung mit voller Begeisterung mitgetragen und diese Haltung als Präsident des Reichstages bestätigte.

IV. Würdigung

Eduard von Simson ist wohl eine der herausragenden Persönlichkeiten Deutschlands des 19. Jahrhunderts. Seine Betätigungsfelder konnten vielfältiger nicht sein und seine Bedeutung für die Entwicklung Deutschlands hin zu einem demokratischen Rechtsstaat ist unschätzbar. An dieser Stelle darf Simsons jüdische Herkunft nicht unerwähnt bleiben. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde nicht nur das Porträt Simsons aus deutschen Gerichtssälen entfernt, noch mit ihm der gesamte Rechtsstaat. Altkanzler Helmut Kohl weist zu Recht darauf hin, dass Simson durch seine Abstammung wusste, „was es heißt, wenn Menschen vor dem Gesetz nicht gleich sind, und was das Recht für den Schutz von Menschenwürde und Freiheit immer bedeutet.“[28] Simson verkörpert geradezu einen dem Rechtsstaat verpflichteten Diener, sowohl als Parlamentarier als auch als Richter.

V. Bibliographie

Allgemeine Deutsche Biographie, Auf Veranlassung und mit Unterstützung Seiner Majestät des Königs von Bayern Maximilian II. hrsg. durch die Historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften. Duncker & Humblot, Leipzig 1.1875-56.1912, 1967-1971 (Repr.). Online verfügbar auf den Seiten der Bayerischen Staatsbibliothek unter http://mdz.bib-bvb.de/digbib

Kern, Bernd-Rüdiger und Schroeder, Klaus-Peter (Hrsg.): Eduard von Simson (1810 – 1899) „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts, erschienen in der Reihe Juristische Zeitgeschichte, Nomos Verlag, Baden-Baden 2001.

Kirchner, Hildebert; Eduard von Simson – Ein großer Parlamentarier und Richter – Reden und Aufsätze zu seinem Gedenken, Verlag der Gesellschaft für Kulturhistorische Dokumentation e.V., Karlsruhe 1985.

Lautemann, Wolfgang und Schlenke, Manfred (Hrsg.), Geschichte in Quellen. Das bürgerliche Zeitalter 1815–1914, München 1980, S. 221 f.

[...]


[1] Abbildung aus : Eduard von Simson – Ein großer Parlamentarier und Richter, Umschlagseite. Gemälde von Fritz Paulsen (1838–1898): Porträt Eduard von Simson, 1880 Oil on wood, 74 x 60.5 cm Collection: Nationalgalerie Berlin, A I 456.

[2] Weizsäcker, Richard von, in Eduard von Simson – ein großer Parlamentarier und Richter, S. 12.

[3] Vgl. dazu allgemein: Schroeder, Klaus-Peter, in Eduard von Simson, Juristische Zeitgeschichte, S. 1- 3. Kern, Bernd-Rüdiger, S. 26-31. Vgl. ebenso seine Biographie in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Bd. 54, S. 348 ff., auch online verfügbar auf den Seiten der Bayrischen Staatsbibliothek: http://mdz.bib-bvb.de/digbib/lexika/adb/images/adb054/@ebt-link?target=idmatch(entityref,adb0540350), ebenso Pfeiffer, Gerd, Biographische Skizzen zu Eduard von Simson, in Eduard von Simson – Ein großer Parlamentarier und Richter, S. 35-56.

[4] Siehe Schroeder, S. 24.

[5] Vg. ADB, S. 349: „Als Schriftsteller ist er von auffälliger Unfruchtbarkeit gewesen“.

[6] Dazu schreibt Gerhard Lingelbach: „Simson scheint für Präsidentenämter wie geschaffen zu sein. In fünf Präsidentschaften deutscher Volksvertretungen war er gewählt. Und dies stets mit achtenswerten Leistungen und Wirkungen, die in wohl auch immer zum Vorschlag für weitere Ämter auszeichneten.“, vgl. Lingelbach, Gerhard; Martin Eduard von Simson – ein Mann adelt parlamentarische Institutionen, in: Eduard von Simson (1810-1899) – „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts, S. 71.

[7] Vgl. dazu: Schroeder, Klaus-Peter, S. 7 ff.; Laufs, Adolf, Eduard Simson – Präsident der deutschen Nationalversammlung, in Juristische Zeitgeschichte, S. 41 – 70.

[8] Gemeinfreie Abbildung online verfügbar auf den Seiten des Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasiums unter: http://www.mgf-kulmbach.de/bilderdaten/Revolution1848/Seiten/casinopartei_JPG.htm

[9] Vgl. Schöder, S. 22.

[10] Ansprache des Präsidenten der Nationalversammlung und Leiters der Kaiserdeputation, Eduard Simson, beim Empfang durch den König im königlichen Schlosse zu Berlin am 3. April 1849.

[11] Vgl. Antwort Sr. Majestät des Königs an die Deputation der Frankfurter Nationalversammlung: Meine Herren! Die Botschaft, als deren Träger Sie zu Mir gekommen sind ... von Friedrich Wilhelm, Berlin, 1849 Flugblatt vom 3. April 1849.

[12] Lautemann, Wolfgang und Schlenke, Manfred (Hrsg.), Geschichte in Quellen. Das bürgerliche Zeitalter 1815–1914, München 1980, S. 221 f.

[13] Vgl. Schroeder, S. 11-12.

[14] Siehe Schroeder, S. 12.

[15] Vgl. auch die Reichstagsprotokolle bis 1895 der Bayrischen Staatsbibliothek in München, welche online in digitalisierter Form zur Verfügung stehen: http://mdz1.bib-bvb.de/cocoon/reichstag/start.html

[16] Wiedergegeben bei Lingelbach, S. 81-82.

[17] Lingelbach, S. 82.

[18] Siehe Lingelbach, Simson – ein Mann adelt parlamentarische Institutionen, in Juristische Zeitgeschichte, Band 10, S. 77-80.

[19] Eine schöne Beschreibung der Geschehnisse in Versailles, siehe Wadle, Elmar, Von Versailles nach Leipzig, S. 89-95.

[20] So beschreibt es treffend der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages Philipp Jenninger, in Eduard von Simson – Ein großer Parlamentarier und Richter, S. 17.

[21] Lingelbach, S. 73.

[22] Vgl. Schroeder, S. 17.

[23] Siehe dazu: Kern, Bernd-Rüdiger, S. 32, S. 37 ff.

[24] Vgl. Pfeiffer, S. 59.

[25] Dazu Pfeiffer, S. 54-55. Ebenso: Wadle, Elmar, Von Versailles nach Leipzig – Notizen zu vier Tagen im Leben des Eduard von Simson, in: Juristische Zeitgeschichte, Band 10, S. 95 ff.

[26] Siehe Pfeiffer, S. 69.

[27] No. 41. Provinzial-Correspondenz, Siebzehnter Jahrgang. 9. Oktober 1879. Die Amtspresse Preußens ist auf der Homepage der Staatsbibliothek zu Berlin auch online einsehbar unter: http://amtspresse.staatsbibliothek-berlin.de/vollanzeige.php?file=9838247/1879/1879-10-09.xml&s=2

[28] Kohl, Helmut, in: Eduard von Simson – Ein großer Parlamentarier und Richter, S.14.

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Details

Titel
Eduard von Simson - Professor in Königsberg, Präsident der deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt am Main 1848/49 und erster Präsident des Reichsgerichts
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Strafrechtsvergleichung)
Note
18
Autoren
Jahr
2007
Seiten
16
Katalognummer
V110991
ISBN (eBook)
9783640091010
ISBN (Buch)
9783640138692
Dateigröße
619 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eduard, Simson, Professor, Königsberg, Präsident, Nationalversammlung, Frankfurt, Main, Präsident, Reichsgerichts
Arbeit zitieren
Philipp Hujo (Autor:in)Anna-Lisa Overhoff (Autor:in), 2007, Eduard von Simson - Professor in Königsberg, Präsident der deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt am Main 1848/49 und erster Präsident des Reichsgerichts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110991

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