Die Celan-Goll-Affäre: Texte, Entwürfe und Notizen zu den Plagiatvorwürfen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

11 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Entstehungszeit und Art der Texte

3. Thematik der Texte
3.1. Direkte Stellungnahmen zu den Parallelstellen
3.2. Hinweise auf Veröffentlichungen vor 1950
3.3. Erwägung rechtlicher Schritte gegen die Goll-Witwe
3.4. Hinweis auf antisemitische Hintergründe
3.5. Geplante Rückgabe von Literaturpreisen

4. Schluß

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ausgerechnet der jüdische Schriftsteller Paul Celan (1920-1970), der sich in seinem Werk neben Übersetzungstätigkeiten hauptsächlich mit den Greueltaten im Dritten Reich beschäftigte, wurde von der Literaturszene im Nachkriegsdeutschland in eine Affäre um geistigen Diebstahl verwickelt. Initiiert durch die Witwe des französischen Dichters Ivan Goll (1891-1950) wurden zwischen 1953 und Celans Tod im Jahr 1970 immer wieder Verdächtigungen geäußert, Celan habe einige seiner Dichtungen stark an Werke Ivan Golls angelehnt. Zudem entbrannte auch ein Streit darüber, ob Celan die Rechte auf Übersetzungen der Gollschen Literatur ins Deutsche besäße oder ob dies der Witwe selbst vorbehalten war.

Genährt wurden solche Anschuldigungen insbesondere durch den Umstand, daß Paul Celan von Ende 1948 bis zum Tod Golls 1950 dessen engster Freund gewesen war und angeblich eine Adoption durch das Ehepaar Goll in Erwägung gezogen wurde.

Obwohl nie wirklich stichhaltige Beweise, die für Plagiarismus sprächen, aufgebracht wurden hielt sich ein leiser Verdacht gegen Paul Celan. Nachdem schließlich auch sein bekanntestes Werk, das Gedicht „Todesfuge“, das sich mit dem Holocaust befaßt, in Verdacht geriet, von einem Schulfreund abgeschrieben geworden zu sein, nahm sich Celan, seinerzeit selbst Insasse eines Konzentrationslagers, schließlich das Leben. Auch der Freitod konnte allerdings nicht das Verstummen der Vorwürfe bewirken, da in bestimmter Regelmäßigkeit immer wieder Äußerungen zu der sogenannten Celan-Goll Affäre gemacht wurden und werden.

2. Entstehungszeit und Art der Texte

Paul Celan war zunächst nicht gewillt, sich zu den Vorwürfen der Witwe Ivan Golls, die er für vollkommen lächerlich hielt, in irgend einer Form zu äußern. Er war davon überzeugt, daß jeder neutrale Beobachter ohne Zweifel erkennen würde, daß es sich um Unwahrheiten handelte. Auch das Döhl-Gutachten im Jahr 1961, daß Celan entlastete, sah der Dichter mit kritischen Augen, da er es als überflüssig empfand, sich mit der Sache überhaupt in solchem Maße zu beschäftigen.

Trotzdem existieren Texte und Notizen Celans zu den Plagiatvorwürfen. Zwei Briefe wurden auch veröffentlicht, in denen er sich zu der Affäre äußerte, dies jedoch nicht sehr explizit tat. Der größte Teil der vorhandenen Texte stammt jedoch aus seinem Nachlaß und wurde bis zum Erscheinen von Barbara Wiedemanns Buch „Paul Celan, die Goll-Affäre“ (2000) nicht publiziert. Wiedemann ordnet dem Kapitel „Texte, Entwürfe und Notizen zu den Plagiatvorwürfen“ insgesamt 36 Dokumente zu, von denen also seinerzeit 34 unveröffentlicht blieben.

Der Hauptanteil der nicht veröffentlichten Texte beinhaltet wesentlich deutlichere Äußerungen zum Thema. Sie entstanden größtenteils im Vorfeld von Celans Büchnerpreisrede „Der Meridian“ am 22.10.1960 und kurz danach. Einige der Gedanken, die sich in seinen Notizen finden, kehrten in seiner Büchnerpreisrede wieder, wobei deutlich wird, daß er dort weniger deutlich Stellung zu den Vorwürfen nahm, als er das anscheinend vorgehabt hatte. In einem der 1960 publizierten Texte heißt es:

„Handwerk – das ist Sache der Hände. Und diese Hände wiederum gehören nur einem Menschen, d.h. einem einmaligen und sterblichen Seelenwesen, das mit seiner Stimme und seiner Stummheit seinen Weg sucht.

Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte.“[1]

Während dies ohne den Hintergrund der Affäre nach einer völlig wertfreien Feststellung zum Thema Lyrik klingt, empfand Celan dies anders:

„...gibt mir die Gelegenheit, die G.-Sache auf ebenso diskrete wie deutliche Weise zu beantworten. Ich habe diese Gelegenheit beim Schopf bzw. bei einem Haare aus diesem Schopf ergriffen.“[2]

Was Celan als deutliche Stellungnahme bewertete, wird dem Leser nur klar, wenn er beim Lesen des Textes die Plagiatvorwürfe direkt im Hinterkopf hat. Da dieser Brief jedoch im Vorwort zu Celans Beitrag in Hans Benders Lyrikanthologie „Mein Gedicht ist mein Messer“ (1961) steht und damit nur einem stark begrenzten und intellektuellem Personenkreis zugänglich war, dürfte dessen Wirkung ebenfalls begrenzt gewesen sein. Der Name Goll taucht im Brief überhaupt nicht auf, von spezifischen Anschuldigungen ist ebensowenig zu lesen.

Ganz anders erscheinen die privaten, nicht publizierten Texte Paul Celans aus der Zeit. Dort heißt es beispielsweise:

„Die Hauptgangster seien jedoch genannt: die Witwe des Ivan Goll und ein gewisser Richard Exner in den USA, dem die Goll als Lohn für seine Mittäterschaft den Titel des „Ordinarius der Universität von Kalifornien“ zuerkannte.“[3]

Hier werden zumindest zwei Namen, nämlich die derjenigen, die laut Celan die Protagonisten der Angelegenheit waren, genannt. Die Ausdrücke „Hauptgangster“ und „Mittäterschaft“ sind eindeutig und entsprechen dem kriminalistischen Jargon. Der Unterschied in der Deutlichkeit der Textaussagen zu dem o.a. veröffentlichten Brief liegt auf der Hand.

3. Thematik der Texte

In seinen privaten Notizen und Entwürfen beschäftigte sich Paul Celan im Schwerpunkt mit fünf verschiedenen Themengebieten. Dabei handelte es sich um das Erwägen rechtlicher Schritte gegen die Goll-Witwe, Hinweise auf antisemitische Beweggründe seiner Gegner, die geplante Rückgabe zweier Literaturpreise, Hinweise auf Veröffentlichungen vor 1950 und direkte Stellungnahmen zu den mutmaßlichen Parallelstellen in Celans Lyrik. Diese Themen wurden immer wieder aufgegriffen und verdeutlichen, wie sehr die Umstände den Dichter beschäftigten, obwohl er in der Öffentlichkeit Zurückhaltung übte.

3.1. Direkte Stellungnahmen zu Parallelstellen

Von den fünf Hauptthemen in den Notizen und Entwürfen sind die Gedanken bezüglich der von Claire Goll genannten Parallelstellen von Paul Celans zu Ivan Golls Werken am wenigsten explizit. Celan geht zwar auf einige spezielle Textbeispiele ein und bewertet diese auch, er erklärt aber nicht, warum die Vorwürfe, er habe abgeschrieben, in diesen speziellen Fällen absurd sind. Ein Beispiel bezieht sich auf den Anfangsvers eines Gedichts in „Mohn und Gedächtnis“ (1952). Die Goll-Witwe beanstandet den Ausdruck „Aschenkraut“ als nicht von Celan stammend, wozu der Beschuldigte folgendes notierte:

„Parallelstellen, sofern sie nicht einer infantilen Vorstellung von der Sprache entstammen – so z. B. soll Paul Celans Gebrauch des Wortes „Aschenkraut“, also der jedem Deutschsprechenden bekannte Name der Cineraria eine Imitation von Yv. Golls französischen „Masques des Cendres“ sein - , diese Parallelstellen“[4]

Celan bezeichnet Claire Golls Verständnis der deutschen Sprache als infantil und versucht so den Eindruck zu erwecken, daß die mutmaßliche Parallelität der Texte der beiden Dichter auf unfachmännischem Urteilsvermögen beruht. Daß von Paul Celan hier in der dritten Person die Rede ist, weist darauf hin, daß es sich um einen Entwurf handelt, dessen Inhalt er nicht selbst, sondern von einer anderen Person publizieren lassen wollte. Diese Praktik ist typisch für viele derartige Celan-Texte aus der Zeit.

Eine direkte, ausführliche Begründung, was am Deutschverständnis der Goll-Witwe so unzulänglich ist, erfährt man allerdings nicht. Ebensowenig findet man eine Rechtfertigung des Gebrauchs des Wortes „Aschenkraut“; etwa eine Erklärung, daß dessen Verwendung völlig normal und autonom und keinesfalls als Anleihe an eine Vorlage Ivan Golls zu interpretieren sei. Dies entspricht der Grundhaltung Celans, sich nicht direkt zu den Anschuldigungen zu äußern und zeigt auch, daß er es offensichtlich für selbstverständlich betrachtete, daß jeder („Deutschsprechende“) sofort die Absurdität eines solchen Plagiatvorwurfs erkennen würde.

3.2. Hinweise auf Veröffentlichungen vor 1950

Um zu verdeutlichen, warum Claire Golls Plagiatvorwürfe unwahr sein mußten, wies Paul Celan darauf hin, daß einige der angeblich abgeschriebenen Gedichte bereits im Gedichtband „Der Sand aus den Urnen“ veröffentlicht worden waren und zwar 1948, also vor seiner Bekanntschaft mit Ivan Goll. Daß sie trotzdem behaupten konnte, sie seien zum Teil Plagiate, führte er darauf zurück, daß „Der Sand aus den Urnen“ bald nach seinem Erscheinen wieder zurückgezogen wurde, da beim Druck sinnentstellende Fehler gemacht worden waren. So war das Werk nur einem sehr kleinen Personenkreis bekannt.

3.3. Erwägung rechtlicher Schritte gegen Die Goll-Witwe

Wenn man sich im Nachhinein wundert, warum Paul Celan nie eine gerichtliche Klage gegen Claire Goll angestrengt hat, so findet man die Antwort darauf in Seine privaten Notizen aus der Zeit vor seiner Büchnerpreisrede. Mehrere entwurfartige Dokumente zeigen, daß er dies durchaus in Erwägung gezogen hatte. In einer handschriftlichen Notiz, die wahrscheinlich von einer Zugfahrt im Mai 1960 stammt, heißt es:

„Fischer behält sich, bei Weiterführ (ung) solcher Praktiken, als Unternehmen z (um) Schutze seines Autors gerichtliche Klage vor.“[5]

Der Dichter ging offensichtlich fest davon aus, daß sein damaliger Verlag („Fischer“) bereit gewesen wäre, ihn bei einer Klage zu unterstützen. Wieder spricht er von sich in der dritten Person, es handelt sich also um eine Vorlage, nach der er sich der Verlag in einer Bekanntmachung richten sollte. In den Anmerkungen zu diesem Dokument erklärt Barbara Wiedemann, daß Celan allerdings von einem Anwalt namens Sieger von rechtlichen Schritten abgeraten wurde und anschließend auch sein Verlag ihm die gewünschte Rückendeckung versagte.

Es kann nur vermutet werden, daß es von rechtlicher Seite als fraglich zu betrachten war, ob ein Zivilgericht (es handelte sich ja, wenn überhaupt, um eine zivilrechtliche Angelegenheit), das keinesfalls aus Sprach –oder Literaturfachleuten bestünde, ein adäquates Urteil formulieren könnte. Der Öffentlichkeit wäre natürlich eine Nichtverurteilung der Goll Nahrung für noch stärkere Anschuldigungen gegen Paul Celan gewesen. Das Erscheinen des Döhl-Gutachtens 1961 wiederum spricht gegen eine solche Beurteilung der Lage. Für den Fischer-Verlag könnte auch profitorientiertes Denken zum Ablehnen eines Gerichtsverfahrens geführt haben, da durch die Goll-Affäre die Texte ihres Schriftstellers wahrscheinlich populärer geworden waren.

3.4. Hinweise auf antisemitische Hintergründe

Durch die Haltung sowohl des Anwalts als auch des Verlags wird sich Paul Celan in seiner Meinung bestärkt gefühlt haben, es handele sich bei der gesamten Affäre um eine Verschwörung gegen ihn mit wahrscheinlich antisemitischem Hintergrund. Immer wieder wies er in seinen privaten Notizen darauf hin, daß ehemalige Nazis oder zumindest deren Kollaborateure noch immer in führenden Positionen in der Literaturszene tätig waren und sich an der Hetze gegen ihn beteiligten. Ferner äußerte er die Angst, die Zustände im Dritten Reich könnten wiederkehren:

„Sie werden die Dinge, die ich zu nennen beginne, wiederkommen sehen – in anderem, im selben Kontext.

Ich habe all dem acht Jahre lang zugesehen.“[6]

Der Hinweis, er habe etwas acht Jahre lang zugesehen, läßt keinen anderen Schluß zu als den, daß es sich bei dem, was „wiederkommen“ wird, um die Nazi-Zeit handelt. Zwar werden die „Dinge“ in einem „anderen Kontext“, sprich unter anderem Namen (in bezug auf Parteien oder genaue Zielrichtung) wiederkehren, was für Celan jedoch trotzdem „derselbe Kontext“ war, etwa im Hinblick auf Unterdrückung und Verfolgung Andersdenkender. „Derselbe Kontext“ kann auch so verstanden werden, daß er Antisemitische Beweggründe hinter der Hetze gegen ihn vermutete und deshalb eine landläufige Repression des Judentums in naher Zukunft wieder für möglich hielt.

Bekräftigt wurde eine solche Theorie dadurch, daß damals niemand öffentlich gegen Aussprüche der Goll-Witwe bezüglich des Todes der Eltern Celans vorging. Sie sprach unter anderem davon, daß der Dichter mit „der Legende“ vom Tod seiner Eltern „hausieren“ ginge[7]. Es muß für das Holocaust-Opfer Paul Celan unbegreiflich gewesen sein, daß jemand gut ein Jahrzehnt nach dem Ende des Dritten Reichs in der deutschen Öffentlichkeit solche Äußerungen machen konnte, ohne daß sich ein Sturm der Entrüstung erhob. Die Formulierung „Legende“ im bezug auf Todesopfer des Holocaust zielt deutlich in Richtung „Auschwitzlegende“, ein Ausdruck, der sogar einen Straftatbestand darstellt (was bedeutet, daß der Staat Anklage erheben müßte). Daß Celan unterstellt wurde, er gebrauche den Tod seiner Eltern muß für den Dichter eine weitere Bodenlosigkeit gewesen sein, da dies nicht vorhandene Trauer und Profitdenken implizierte. Zu dieser Art von Äußerungen notiert Celan: „So und nicht anders spricht auch der Hitler Nachwuchs.“[8]

3.5. Geplante Rückgabe von Literaturpreisen

Die Entrüstung über die Hetzkampagne und die damit verbundene Vermutung antisemitischer Beweggründe ging so weit, daß Paul Celan plante, zwei Literaturpreise zurückzugeben, die ihm kurz zuvor verliehen worden waren. Die Gründe lagen jedoch nicht darin, daß er beleidigt und von der Literaturszene allgemein enttäuscht war, sondern in der Tatsache, daß sich in den Listen der ihm vorangegangenen Preisträger die Namen einiger derjenigen befanden, die ihm später unterstellten, er sei ein Plagiator und die zudem auch zu den Kollaborateuren im Dritten Reich gehört hatten. Hierzu notiert er:

„Ich bin Träger zweier deutscher Literaturpreise: des Förderpreises für Literatur im Bundesverba (n) d der deutschen Industrie 195. und des Literaturpreises der freien Hansestadt Br (e) men 195.

Ich kann es nicht mehr verantworten, Träger dieser Preise zu sein.

Ich gebe sie zurück.“[9]

Die unvollständigen Angaben der Jahreszahlen ist darauf zurückzuführen, daß die Preise jeweils rückwirkend verliehen worden waren und Celan sich wohl nicht sicher war, um welche Jahre es sich genau handelte. An anderer Stelle heißt es in seinen Notizen: „Deutschen Industrie-Preis unter Hinweis auf „Hoh (hoff)- Jahresring zurückgeben.“[10] Daraus ergibt sich, warum er es „nicht mehr verantworten“ kann, Träger der Preise zu sein. Hohoff, der eine unrühmliche Vergangenheit im NS-Regime hatte, ergriff seinerzeit Partei für Claire Goll und war ebenfalls einer seiner Vorgänger als Träger des Literaturpreises der deutschen Industrie. Diese Verbindung (unter anderen) ließ Celan den Entschluß fassen, diesen Preis zurückzugeben.

Tatsächlich hat er dies jedoch nie getan. Auch hier scheint der Grund darin zu liegen, daß die Rückgabe ihm verliehener Preise an sich schon eine explizite Stellungnahme zu den Geschehnissen um seine Person beutet hätte und ferner auch eine Erklärung seiner Beweggründe erfordern würde. Das hätte geheißen, daß er seinem Prinzip, sich nicht zu der von ihm als lächerlich bezeichneten Affäre zu äußern. Er hätte damit der Affäre eine Bedeutung zugestanden, die sie seiner Ansicht nach nicht verdiente.

4. Schluß

Abschließend läßt sich sagen, daß die hier besprochenen Dokumente die innere Zerrissenheit Paul Celans verdeutlichen. Sein Entschluß, sich nicht öffentlich und explizit zu den Vorwürfen der Goll zu äußern stand nicht auf so festen Beinen, wie es nach außen den Anschein hatte. Eine Strategie, wie er sein selbstauferlegtes Schweigegelübde hätte umgehen können, bestand darin, einen Dritten (wahrscheinlich Klaus Demus) mit der Aufgabe zu betrauen, sich in Celans Sache an die Öffentlichkeit zu wenden. Dieses Vorhaben reduziert sein Schweigen, zu einer rein symbolischen Geste. Für ihn hatte die Affäre, so haltlos die Vorwürfe auch gewesen sein mochten, eine immense Bedeutung. Mutmaßlich gipfelte sie schließlich in seinem Selbstmord, kurz nachdem auch seine alleinige Autorenschaft der „Todesfuge“ in Zweifel gezogen worden war, wobei nicht sicher bewiesen werden kann, was seine Gründe für einen Freitod waren.

Es scheint, als sei Celans einziger Fehler gewesen, sich nie klar und deutlich zu den Vorwürfen zu äußern. Sein Standpunkt ist zwar nachvollziehbar, aber die breite Öffentlichkeit ist mit sublimer Abwehr nicht zu beeindrucken, sie braucht das offene Wort und die großen Überschriften in den Massenmedien, um zu urteilen. Hier liegt wahrscheinlich Paul Celans Fehleinschätzung.

Ob tatsächlich antisemitische Motive für die Hetze gegen ihn mitverantwortlich waren ist nicht eindeutig beweisbar, aber allein der begründete Verdacht hat dazu geführt, daß Celan sich (wieder) aufgrund seines Judentums ausgegrenzt fühlen mußte. Der Zeitraum, in dem sich dies alles abspielte, gebot jedoch in jedem Fall mehr Feinfühligkeit im Hinblick auf die Abstammung des Dichters.

Wie isoliert sich der Dichter in der deutschen Literaturszene gefühlt hat zeigt sich, wenn er von „den Freunden meiner Gedichte“[11] sprach, an die er sich in eigener Sache richtete. Hierbei handelte es sich anscheinend um eine imaginäre Gruppe von Menschen, die seine Literatur verstanden und schätzten und aus diesem Grund heraus die Vorwürfe und Anschuldigungen der Goll-Witwe als haltlos entlarvten. Sicher waren zu diesem Kreis auch seine Kollegen Klaus Demus, Ingeborg Bachmann, Nelly Sachs, Ilse Aichinger und Günter Eich zu zählen, aber wohl nicht nur Literaten, sondern eben alle die seine Gedichte schätzten. Diese Einordnung in „Freunde“ seiner Literatur im Unterschied zu anderen verdeutlicht Celans Gefühl von Ausgrenzung und Randgruppenzugehörigkeit.

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen muß man sich fragen, inwiefern in der Literatur eine Art „geistiger Befruchtung“ von Autoren untereinander nicht eine völlig legitime und gebräuchliche Praktik ist. Anlehnung an Werke anderer Autoren kann durchaus auch als Kunstgriff bewertet werden (sehr prominent zum Beispiel im Fall der Werke Shakespeares und Goethes) und eine Ähnlichkeit in der Symbolsprache eine notwendige Identifikation mit einer bestimmten Thematik sein, besonders wenn es sich um das Thema Holocaust handelt. Da die Witwe Ivan Golls dies überhaupt nicht in Erwägung zieht, liegt es nahe, anzunehmen, sie hatte zwar lange mit einem Dichter zusammengelebt, für Literatur offensichtlich aber ein sehr beschränktes Verständnis.

Literaturverzeichnis:

Wiedemann, Barbara.

„Paul Celan, Die Goll-Affäre“.

Frankfurt a.M., 2000.

[...]


[1] Wiedemann, Barbara. „Paul Celan, Die Goll-Affäre“. Frankfurt, 2000.

[2] ebenda

[3] ebenda

[4] ebenda

[5] ebenda

[6] ebenda

[7] ebenda

[8] ebenda

[9] ebenda

[10] ebenda

[11] ebenda

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Die Celan-Goll-Affäre: Texte, Entwürfe und Notizen zu den Plagiatvorwürfen
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Seminar für deutsche Literatur und Sprache)
Veranstaltung
Die Celan-Goll Affäre
Autor
Jahr
2001
Seiten
11
Katalognummer
V109629
ISBN (eBook)
9783640078080
ISBN (Buch)
9783640116416
Dateigröße
378 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ausgerechnet der jüdische Schriftsteller Paul Celan, der sich in seinem Werk neben Übersetzungstätigkeiten hauptsächlich mit den Greueltaten im Dritten Reich beschäftigte, wurde von der Literaturszene im Nachkriegsdeutschland in eine Affäre um geistigen Diebstahl verwickelt. Initiiert durch die Witwe des französischen Dichters Ivan Goll wurden zwischen 1953 und Celans Tod im Jahr 1970 immer wieder Verdächtigungen geäußert, Celan habe seine Dichtungen stark an das Werk Golls angelehnt.
Schlagworte
Celan-Goll-Affäre, Texte, Entwürfe, Notizen, Plagiatvorwürfen, Celan-Goll, Affäre
Arbeit zitieren
Guido Scholl (Autor:in), 2001, Die Celan-Goll-Affäre: Texte, Entwürfe und Notizen zu den Plagiatvorwürfen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109629

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