Die Organisation von genossenschaftlichem Wohnen im Modell der Dachgenossenschaft

Am Fallbeispiel der Hamburger Wohnungsbaugenossenschaft SCHANZE E.G.


Hausarbeit, 2007

39 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Wesen der einer Wohnungsgenossenschaft

3. Veränderung der Genossenschaftsstruktur - Abkehr von den traditionellen Grundwerten
3.1 Genossenschaften im Spannungsfeld von Wohnungsmarkt und –politik
3.2 Struktur der wettbewerbsorientierten Genossenschaft

4. Neue genossenschaftliche Wohnformen am Fallbeispiel der Dachgenossenschaft Schanze e.G.
4.1 Ursachen der Gründung von neuen gemeinschaftsorientierten Wohnformen
4.2 Gründungskonzeption der Dachgenossenschaft Schanze e.G
4.3 Rechtliche Organisation der Schanze e.G. und der Vereine
4.3.1 Organisationseinheit: Dachgenossenschaft
4.3.2 Organisationseinheiten: Wohngemeinschaften und ihre Mieter
4.4 Realisierungsphasen eines Wohnprojekts
4.4.1 Vorbereitung des Wohnprojektes
4.4.2 Baubeginn der Wohngebäude
4.4.3 Verwaltung der Wohnprojekte

5. Evaluierung des Organisationsmodells der Schanze e.G.
5.1 Hemmnisse einer erfolgreichen Umsetzung des Förderauftrags
5.1.1 Mangelndes Kapital
5.1.2 Komplexes rechtliches Organisationssystem
5.1.3 Mangelnde Qualifizierung auf Organisationsebene der Wohnvereine
5.1.4 Verminderte direkte Mitbestimmungsmöglichkeiten am Genossenschaftsbetrieb
5.2 Potentiale für eine erfolgreiche Umsetzung des Förderauftrags
5.2.1 Hohes Maß an Selbstbestimmung bei der wohnlichen Versorgung
5.2.2 Zukunftsfähiges Wohngenossenschaftsmodell durch flexible Organisationsstruktur
5.2.3 Entwicklung von Gemeinschaftsidentität und sozialer Integrationskraft
5.2.4 Effizientes Management des Geschäftsbetriebs durch hierarchische Kompetenzverteilung

6. Fazit

I. Abkürzungsverzeichnis

II. Quellenangaben

1. Einleitung

Wohnungsgenossenschaften sind bereits im 19. Jahrhundert in Verbindung mit der damaligen Wohnungsnot breiter Bevölkerungsschichten entstanden. Nach weiteren Gründungswellen bedingt durch den Wohnungsmangel nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg ist es erst wieder seit Mitte der 1980 verstärkt zu Gründungen dieses Wohnungsträgertyps gekommen.

Nach einer Definition von Markus Mändle ist eine Wohnungsgenossenschaft „…ein freiwilliger Zusammenschluss einer Personengruppe, mit einer nichtgeschlossenen Mitgliederzahl, die das gemeinsame Interesse verbindet, eine Verbesserung ihrer Wohnverhältnisse durch wohnungswirtschaftliche Leistungen und die Wohnungsversorgung ergänzende Maßnahmen der Genossenschaft zu erreichen.“[1] Das gemeinschaftliche Wohnen in Selbstverwaltung braucht klare Strukturen. Die Errichtung eines Unternehmens – den Genossenschaftsbetrieb – durch eine Gruppe von Menschen stellt dabei eine Möglichkeit dar die Wohnraumversorgung zu regeln. Die Genossenschaft ist ein Eigentumsmodell von Wohnraum, das auch für Bevölkerungsteile realisierbar ist, die finanziell nicht in der Lage sind, sich Individualeigentum leisten zu können. Durch die inhärente Dynamik des Wohnungsmarktes hat sich im Laufe der Zeit das Wesen der Genossenschaft gewandelt. Einige der traditionellen Genossenschaften sind den Marktmechanismen zum Opfer gefallen und haben aufgrund der Anpassung ihrer Unternehmensstruktur an den Wettbewerb, die enge Beziehung zu den Mitgliedern eingebüßt und laufen daher Gefahr, ihre spezifischen Eigenschaften zu verlieren. Diesem Typus der „wettbewerbsorientierten“ Genossenschaft steht eine neue wieder mehr gemeinschaftsorientierte Genossenschaftsgeneration gegenüber. Genossenschaftsvertreter sprechen von einer „Renaissance der Genossenschaften“. Hervorgegangen aus dieser Genossenschaftsgeneration ist auch die Wohnungsbaugenossenschaft Schanze e.G. (im Folgenden abgekürzt: Schanze e.G.) aus Hamburg. Die Schanze e.G. ist ein neues Genossenschaftsmodell, das in seiner Typologie als „Dachgenossenschaft“ umschrieben wird, bei dem sowohl einzelne Mieter, wie bei dem klassischen Genossenschaftsmodell als auch verschiedene Wohngemeinschaften den Genossenschaftswohnraum nutzen. Es gilt mit dieser Hausarbeit herauszufinden, ob dieser Typ von Wohnungsgenossenschaft ein Organisationsmodell ist, das die traditionellen genossenschaftlichen Grundwerten umsetzen und dabei den Anforderungen des Wohnungsmarktes und seinen Nachfragern gerecht werden kann. Die Fragstellung lautet daher: Kann das Organisationsmodell der Dachgenossenschaft die genossenschaftlichen Grundprinzipien erfolgreich umsetzen und somit zu einer „Revitalisierung des Genossenschaftsgedankens“ beitragen?

2. Das Wesen der einer Wohnungsgenossenschaft

Eine Organisationsform der Wohnraumversorgung stellt die Wohnungsgenossenschaft dar. Seit 1889 ist die Trägerstruktur der Wohnungsgenossenschaft rechtlich durch das Genossenschaftsgesetz (GenG) (Novellierung: 18.08.2006) verankert. Das in §1 GenG verankerte Prinzip der Mitgliederförderung ist das oberste Leitmaxime jeder Genossenschaft. Grundsätzlich bezieht sich der Förderauftrag einer Wohnungsgenossenschaft auf die Versorgung ihrer Mitglieder mit Wohnraum zu günstigen Preisen und in bedarfsadäquater Qualität.[2] Die Umsetzung des Förderauftrags erfolgt durch den in gemeinschaftlicher Selbsthilfe errichteten und verwalteten Genossenschaftsbetrieb einer Personengruppe. Gemäß dem Solidaritätsprinzip handeln die einzelnen Personen durch gemeinsame Aktionen und gegenseitige Unterstützung im Verbund und können dadurch den Handlungsspielraum erweitern und somit eine Verbesserung ihrer individuellen Wohnsituation herbeiführen. Für die Errichtung und Instandhaltung des genossenschaftlichen Wohnraums bringen die Mitglieder gemeinsam das notwendige Kapital auf. Dadurch kommt es zu einer wechselseitigen Kapital- und Leistungsbeziehung zwischen dem Betrieb und seinen Mitgliedern. Mit dem Erwerb der Mitgliedschaft ist die Pflicht zur Zeichnung von Geschäftsanteilen verbunden.[3] Mitglieder sind demnach Miteigentümer des Betriebs. Diese einzigartige Struktur der Einheit von Nutzer und Eigentümer beschreibt liegt dem genossenschaftlichen „Identitätsprinzip“ zugrunde. Über die Höhe und die genaue Verwendung der finanziellen Mittel entscheiden die Mitglieder der Genossenschaft selbst. Über die Wohnungsversorgung hinaus können auch weitere Förderziele vereinbart werden. Bei der Förderauftragerfüllung gilt absolute Gleichbehandlung der Mitglieder. Demnach hat jedes Mitglied das Recht auf wohnliche Versorgung während der gesamten Dauer ihrer Mitgliedschaft. Dadurch bedarf es der fortwährenden Erfassung der Mitgliedererwartungen und deren Umsetzung in eine mitgliederorientierten Geschäftspolitik.[4] Die Geschäftspolitik gestaltet die interne Leistungsbeziehung der Genossenschaft. Da die Mitglieder auch die Träger der Genossenschaftsunternehmung sind, vollziehen sich die Leistungsbeziehungen innerhalb ihrer eigenen Organisation.[5] Genossenschaften sind demokratisch aufgebaute Unternehmen, deren Organisationsbeziehungen durch das GenG und die Satzung bestimmt werden. Die Ausgestaltung der Satzung hinsichtlich sämtlicher Rechte und Pflichten obliegt den Mitgliedern der Genossenschaft. Die Steuerung und Koordinierung der Organisationseinheiten erfolgt nach dem Subsidiaritätsprinzip, bei dem die Kompetenzen im Verhältnis von hierarchisch geordneten Systemen so zugeordnet werden, dass übergeordnete Organisationseinheiten nur solche Aufgaben übernehmen, zu deren Wahrnehmung untergeordnete Einheiten nicht so gut in der Lage sind.[6] Die innerbetriebliche Organisation wird traditionell durch die Gremien: Generalversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat bestimmt. Die Generalversammlung, der sämtliche Mitglieder angehören, ist das oberste Entscheidungsorgan, das die Geschäftsführung, also Vorstand und Aufsichtsrat wählt und über Veränderungen des Genossenschaftsbetriebs abstimmt. Der Aufsichtsrat berät und überwacht im Auftrag der Generalversammlung den Vorstand, der das oberste Organ der Genossenschaft bildet. Das Prinzip der Selbstverwaltung bedingt, dass die Organe nur mit Mitgliedern der Genossenschaft zu besetzen sind. Durch das genossenschaftliche Demokratieverständnis, basierend auf dem Ein-Mitglied-Eine-Stimme-Prinzip, haben die Mitglieder die Möglichkeit durch Willensbildung ihre Rechte geltend zu machen, die genossenschaftliche Satzung zu gestalten und somit autonom den Genossenschaftsbetrieb zu steuern und zu kontrollieren.

3. Veränderung der Genossenschaftsstruktur - Abkehr von den traditionellen Grundwerten

3.1 Genossenschaften im Spannungsfeld von Wohnungsmarkt und –politik

Die Genossenschaft stellt innerhalb der Wohnungswirtschaft eine besondere Unternehmensform dar, bedingt durch ihre Doppelrolle als Wirtschaftsunternehmen und Sozialgemeinschaft und durch den als Bindeglied dienenden zentralen Förderauftrag der wohnlichen Versorgung. Dies unterscheidet die Wohnungsgenossenschaft in ihrem Wesen von anderen Anbietern auf dem Wohnungsmarkt. Private Haushalte, freie Wohnungsunternehmen, gemeinnützige Wohnungsunternehmen sowie Immobilienfonds oder Finanzinstitute sind Anbietergruppen, die Gewinnmaximierung anstreben, da für sie die Wohnung in erster Linie ein Investitionsgut darstellt.[7] Dadurch werden die Verkaufs- oder Mietpreise so gehalten, dass eine höchstmögliche Rendite erzielt werden kann. Den Anbietern gegenüber stehen die Nachfrager, die privaten Haushalte. Auf Grundlage des Kriteriums der Nutzenmaximierung wählen diese zwischen den Wohnungsträgern.[8]

Wohnungsgenossenschaften befinden sich durch die Einbettung in die Wohnungswirtschaft in einem Spannungsfeld von Mitgliedererwartungen, Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik.[9] Die Faktoren haben in unterschiedlichen Entwicklungsphasen verschieden stark auf die Geschäftspolitik eingewirkt und somit ihren spezifischen Charakter bestimmt. Ihren Ursprung haben die Wohnungsgenossenschaften in der Mitte des 19. Jahrhundert, als die Industrialisierung auch in Deutschland einsetzt und es zu einer Verknappung von günstigem Wohnraum für die breite Schicht der Arbeiterklasse mit eher geringem Einkommen kommt. In dieser Zeit stehen am Wohnungsmark der großen Anzahl an Wohnungssuchenden nur wenige Wohnungsanbieter gegenüber, die meist für kleine und meist schlecht ausgestattete Wohnungen eine hohe Miete verlangen. Die Intention von Wohnungsgenossenschaften ist es hierbei Abhilfe zu schaffen, indem sie sozial schwache Personen mit adäquatem Wohnraum versorgen.[10] Gründungswellen von Wohnungsbaugenossenschaften gehen im Laufe der Zeit einher mit akutem Mangel an bezahlbaren Wohnraum für die unteren Einkommensschichten. So folgt nach dem Ersten Weltkrieg die „größte Gründungswelle in der deutschen Wohnungsbaugeschichte“.[11] Auch nach dem Zweiten Weltkrieg und in den 1980er Jahren treten Wohnungsgenossenschaften verstärkt als Anbieter auf dem Markt in Erscheinung. Zunächst agieren die Genossenschaften noch in dem traditionellen genossenschaftlichen Sinne als Selbsthilfeeinrichtungen mit einer mitgliederbezogenen Geschäftspolitik unter der Leitung von ehrenamtlichen Mitgliedern, ausgerichtet auf das oberste Ziel der bedarfsadäquaten Wohnraumversorgung. Doch beginnen sich ab 1930, die Strukturen des traditionellen Genossenschaftstyps zu wandeln. Bedingt wird dies durch eine zunehmende Mobilisierung des nichtgenossenschaftlichen Wohnungsmarktes, wobei immer mehr verschiedene Arten von Wohnungsträgern auf den Markt treten. Diese natürliche Entwicklung wird durch staatliche Interventionen katalysiert. Die Politik der Weimarer Republik verfolgt das Ziel einer gemeinnützigen Bewirtschaftung der Wohnungswirtschaft und sieht daher eine Gleichschaltung von sämtlichen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen vor, darunter auch die Wohnungsgenossenschaften. Der Erlass des Wohngemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) 1940, das steuerliche Vergünstigungen für Wohnungsgenossenschaften als auch für andere gemeinnützig anerkannten Wohnungsunternehmen vorsieht, führt zu einer Gleichschaltung der Wohnungsanbieter.[12] Einige Zeit später veranlassen die Nationalsozialisten Zwangsverschmelzungen von Wohnungsgenossenschaften, aus denen große, zentralisierte Unternehmensstrukturen hervorgehen.[13] Nach dem Zweiten Weltkrieg sieht der Staat nicht länger eine Ausrichtung der Wohnraumversorgung an den Kriterien einer gemeinnützigen Wohnungswirtschaft vor. Durch den Erlass des Wohnungsbaugesetzes (WoBauG) in den 1950er kommt es, aufgrund der Objektförderung mit Bevorzugung von individuellem Eigentum, immer mehr zu einer Gleichstellung von nun allen Wohnungsbauträgern. Der Wettbewerb auf dem Wohnungsmarkt wird in der Nachkriegszeit auch durch den Wiederaufbau und den damit verbundenen Aufschwung der Bauwirtschaft bedingt. Hinzu kommt, dass in dem WGG die Baupflicht für Wohnungsunternehmen verankert wird.[14] Als es schließlich 1988 zu Wegfall des WGG kommt, begründet damit, dass die Versorgung der Bevölkerung weitgehend abgeschlossen sei, wird die endgültige formale Gleichstellung von Wohnungsanbietern vollzogen. Der sich im Laufe der Jahrzehnte immer mehr verschärfenden Wettbewerbsdrucks hat zu einem grundlegenden Strukturwandel der Wohnungsgenossenschaften geführt.

3.2 Struktur der wettbewerbsorientierten Genossenschaft

Die Markt- und Wettbewerbsprozesse haben Anpassungsreaktionen bei Wohnungsgenossenschaften ausgelöst, wodurch diese sich von der traditionellen, „prototypischen“ Struktur einer Genossenschaft abgewandt haben.[15] Das Resultat ist der Genossenschaftstyp mit einem ausgesprochenen Unternehmenscharakter, bei dem die traditionell enge Förderbeziehung zu den Mitgliedern durch eine teilweise vollentwickelte Marktbeziehung ersetzt wird. Charakteristisch für dieses Modell der wettbewerbsorientierten Genossenschaft ist dabei, dass in der Geschäftspolitik vorrangig das Ziel der Unternehmensexpansion verfolgt wird, entweder durch Fusionen oder interne Erweiterungen, beispielsweise durch die Bildung von Konzernstrukturen. In Deutschland besitzen ein Drittel der Wohnungsgenossenschaften mehr als 1.000 Wohnungseinheiten. Beachtlich ist, dass 13% der Wohnungsgenossenschaften, die über 2.500 Wohnungen oder mehr verfügen, über mehr als die Hälfte des genossenschaftlichen Wohnungsbestandes verfügen.[16] Die durchschnittliche Größe von Wohnungsgenossenschaften liegt in den alten Bundesländern bei 900 und in den neuen Bundesländern bei 1.550 Wohnungen.[17] Als „groß“ gilt eine Genossenschaft, wenn sie über einen Bestand von mehr als 500 Wohneinheiten verfügt.[18] Durch eine Steigerung des zu verwaltenden Wohnungsbestands und wachsenden Mitgliederzahlen wird jedoch die Umsetzung der mitgliederorientierten Geschäftspolitik an gemeinsamen Zielen immer schwieriger. Bedingt durch steigende Mitgliederzahlen und Unternehmensgröße sowie höhere Anforderungen an das Unternehmen, obliegt die Geschäftsführung vieler Genossenschaften „nicht mehr ehrenamtliche Genossen … sondern professionelle Manager[n]“.[19] Die Vorstände der großen Wohnungsgenossenschaften betrachten sich eher als Leiter moderner Serviceunternehmen und handeln daher nach ökonomischen Gesichtspunkten.[20] Das übergeordnete förderwirtschaftliche Ziel zugunsten der Mitglieder weicht dem Streben nach Markterfolg. Dies führt dazu, dass die Beziehung zum Mitglied durch eine reine Marktbeziehung zu ersetzt wird und die Geschäftspolitik an den Interessen des Managements ausgerichtet wird. Dabei entsteht eine erhebliche Diskrepanz der Interessen von Unternehmensführung und Mitgliedern, was zu einer Entfremdung der Teilsysteme Geschäftsbetrieb und Mitglieder führt. Ein großes Problem das mit dem Wandel der genossenschaftlichen Unternehmensstruktur einhergeht, ist, dass die Mitgestaltungsmöglichkeiten der Bewohner am Genossenschaftsbetrieb abnehmen und somit die Kontrolle der Geschäftsführung nicht mehr möglich sind. Laut einer Befragung (von A&K 1997) von Mitgliedern alter Wohnungsgenossenschaften gaben fast drei Viertel an, dass sie die Geschäftspolitik nicht mitbestimmen können.[21] Eine Entscheidungsfindung wird zum einen dadurch erschwert, dass die Genossenschaften im Wettbewerb mit anderen Wohnungsanbietern nach immer höheren Mitgliederzahlen streben. Die steigende Zahl an Mietern und somit auch an Interessen verringert sich die Wahrscheinlichkeit eines gemeinsamen Konsenses. In einigen großen Wohnungsgenossenschaften ist daher ein Auseinanderdriften der Mitglieder untereinander zu beobachten.[22] Dies erschwert eine effiziente Ausübung der Kontrollrechte am Genossenschaftsbetrieb. Die Einschränkung von Einflussmöglichkeiten wird dadurch vermindert, dass Mitgliederversammlungen durch die Vertreterversammlungen ersetzt werden. Denn nach dem Genossenschaftsgesetz kann ab einer Mitgliederzahl von 1.500 die Generalversammlung durch eine Vertreterversammlung ersetzt werden. Der Wechsel von direkter Demokratie auf repräsentative Demokratie führt zu einem erschwerten Zugang der Bewohner zu Informationen sowie zu weniger Wahrnehmungsmöglichkeiten ihrer Kontrollrechte.[23]

Die Entwicklungen, wie die Steigerung von Betriebsgröße, Mitgliederzahlen, Professionalisierung und die geringere Präsenz von Mitgliedern in den genossenschaftlichen Verwaltungsorganen, bedingt also einen Kontrollverlust der Mitglieder und somit ein Abkopplung des Geschäftsbetriebes von seinen Trägern. Der Verlust der genossenschaftlichen Identität ist die Umsetzung eines mitgliederorientierten Förderauftrags der Genossenschaft damit nicht mehr gewährleistet. Die marktwirtschaftliche Orientierung führt zu dem Verlust der für Selbsthilfeorganisationen so charakteristischen Fähigkeiten wie die Mobilisierung von Engagement und Ressourcen der Beteiligten. Mit dem damit verbundenen Verzicht auf direkte Selbstbestimmung unterscheiden sich die großen genossenschaftlichen Unternehmen für die Nutzer kaum noch von den Kapitalgesellschaften. Das Resultat ist eine Deformation der ursprünglichen Unternehmenskonzeptionen bei der die Wohnungsbaugenossenschaften ihre soziale Orientierung opfern. Selbsthilfe und Solidarität sind aus dem Sprachgebrauch der Genossenschaftler der Traditionsgenossenschaften weitgehend verschwunden.[24] Es gehen damit gerade die Eigenschaften verloren, die eine Wohnungsgenossenschaft von anderen Wohnungsanbietern unterscheidet und ihr auf dem Wohnungsmarkt Vorteile bieten würde.

Zwar hat es in den letzten Jahren einige vereinzelte Versuche von Wohnungsgenossenschaften gegeben, ihr Ansehen auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern und wieder zu einer mitgliederorientierten Geschäftspolitik zurückzufinden, z.B. durch eine Erweiterung von Dienstleistungsangeboten wie Conciergedienste, Fahrservices oder Altenbetreuung. Doch diese sind meist nur auf eine Verbesserung des Bestandes beschränkt und orientierten sich daher in ihrer Geschäftspolitik vor allem an den Bedürfnissen der vorhandenen Bewohner. Dadurch dass die schon länger bestehenden Genossenschaften durch eine stark überalterte Bewohnerstruktur gekennzeichnet sind mit einem hohen Anteil von Bewohnern, die älter als 65 sind, sind sie Wohnkonzepte der Genossenschaften stark auf diese Zielgruppe ausgelegt.[25] Diese Wohnungsgenossenschaften wagen selten Innovationen, z.B. aufwendige Um- oder experimentelle Neubauten, mit denen sie auf differenzierte Nutzerbedürfnisse und Haushaltsformen neuer Mitglieder eingehen. Viele der großen Genossenschaften sind zudem zu starren Gebilden geworden, in denen die genossenschaftlichen Prinzipien nicht mehr ausreichend beachtet werden.[26]

4. Neue genossenschaftliche Wohnformen am Fallbeispiel der Dachgenossenschaft Schanze e.G.

4.1 Ursachen der Gründung von neuen gemeinschaftsorientierten Wohnformen

Nach der Gründungswelle von Wohnungsgenossenschaften infolge des Zweiten Weltkriegs kommt es erst wieder ab Mitte 1980 zu vereinzelten Neugründungen von Selbsthilfegruppen, die auf gemeinschaftlicher Basis mit der Rechtsform der Genossenschaft experimentieren.

Eine Ursache für diese Entwicklung ist der Protest einiger Menschen gegen die als brutal und sozial ungerecht empfundene Stadterneuerungspolitik der Kommunen. In einigen westdeutschen Städten wird aufgrund von großflächigen Sanierungs- und Umnutzungsvorhaben den Mietern gekündigt.[27] Als äußerstes Mittel der Protestform sehen diese (Ex-)Mieter die illegale Besetzung leerstehender Häuser in potenziellen Sanierungsgebieten. Mit den Hausbesetzungen beabsichtigen sie durch Bündelung gemeinsamer Kräfte den Wohnraum bewahren. Um den Wohngruppen Wohnsicherheit zu geben, die Politik zu besänftigen und das Eigentum an besetzten Gebäuden zu sozialisieren, sieht man zu dieser Zeit in der Gründung von Genossenschaften die Lösung.[28]

Die Bildung von selbstverwalteten Wohnprojekten ist jedoch vor allem eine Reaktion auf die Wohnungsnot einiger Bevölkerungsgruppen ab 1980. Eine bedeutende Rolle spielt dabei der Wandel von Haushaltsformen und Lebensstilen. Aufgrund des Rückgangs der klassischen Familie und der damit zusammenhängenden Verringerung der Haushaltsgröße sowie der Zunahme von Single-Haushalten kommt es auf dem Wohnungsmarkt zu einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage.[29] Zudem führt die Auflösung der familiären Bindungen zu einer Pluralisierung von Haushaltstypen und einem individualisierten Lebensstil, durch den nicht nur Ein-Personen-Haushalte immer zahlreicher werden, sondern sich auch nicht-verwandte Individuen in Wohngruppen zusammenfinden. Der Zugang zu bedarfsadäquaten Wohnraum ist besonders für alle diejenigen schwierig, die ihre Wohnwünsche nicht durch den Erwerb von individuellem Wohneigentum verwirklichen können. Auf die differenzierte Nachfrage reagieren die Wohnungsträger eher unflexibel.[30] Im Genossenschaftsbau können viele Nachfrager keinen Wohnraum finden, dadurch dass sich die schwerfällig gewordenen alten Genossenschaften meist an den Bedürfnissen einer bestimmten Zielgruppe ausgerichtet haben. Das Angebot von Mietwohnungen entspricht oftmals in der Qualität der normierten Wohnvorstellung und lässt daher keine besonderen Wohnwünsche zu. Außerdem orientieren sich die Mietwohnungsanbieter verstärkt an den „zuverlässigeren“, einkommensstärkeren Haushalten.[31] Dadurch haben Bevölkerungsteile in dem Segment der unteren Einkommensschicht, oftmals ältere Menschen, Großfamilien, Arbeitslose, Alleinerziehende, Behinderten oder Migranten erhebliche Nachteile. Erschwerend kommt der Trend der Privatisierung in der Wohnungspolitik hinzu. Durch die Förderung von individuellem Wohneigentum und Verkäufe städtischer Wohnungsbestände, vorzugsweise an finanzkräftige Investoren, wird der soziale bzw. mietpreisgebundene Wohnungsbau kontinuierlich abgebaut.[32] Beispielsweise kommt die Privatisierungspolitik in dem Altschuldenhilfegesetz von 1993 zum Ausdruck, das die ostdeutschen Wohnungsunternehmen und –genossenschaften dazu verpflichtet, 15% ihrer Wohnungsbestände zu privatisieren. In den westdeutschen Städten sehen Städte und Kommunen in der Privatisierungspolitik die Möglichkeit, ihre leeren Haushaltskassen aufzufüllen.[33] Zudem rückt anstatt der Förderung der öffentlichen Wohnungswirtschaft, die nach dem Wegfall des WGG eher abgebaut worden ist, die Förderung von individuellem Wohneigentum im Rahmen des Eigenheimzulagengesetzes von 1996 mehr in den Fokus. Zudem ist die Förderung des sozialen Wohnungsbaus immer mehr gesunken, von knapp 4 Milliarden DM im Jahr 1993 auf 600 Millionen DM im Jahr 2000, Tendenz absteigend.[34] Bislang ist durch diese Maßnahmen der Bestand von sozial gebundenen Wohnungsbestände in Deutschland in den letzten Jahrzehnten beträchtlich geschrumpft, von 4,5 Millionen Wohnungen im Jahr 1990 auf 2 Millionen im Jahr 2000.[35] Diese Entwicklungen bedingen, dass die sozial schwachen Bürger mit ihren teilweise besonderen Wohnbedürfnissen von einem Gros der Miet- und Genossenschaftswohnungen, die in den Jahrzehnten davor von gemeinnützigen und privaten Anbietern geschaffen worden waren, nicht mehr adäquat versorgt werden.[36]

Diese Entwicklungen führen dazu, dass in vielen deutschen Städten, so auch in Hamburg, verstärkt in den 80er und 90er Jahren sich Wohngruppen bilden, in denen sich Individuen und Familien zusammenfinden, um gemeinschaftlich auf Selbsthilfebasis ihre wohnliche Versorgung zu organisieren.

[...]


[1] Mändle 2000, S.5

[2] König 2004, S.14

[3] Rädel 2000, S.13

[4] Rädel 2000, S.11

[5] Rädel 2000, S.6

[6] Mändle 2000, S.99

[7] Greve 1998, S.13

[8] Greve 1998, S.13

[9] Rädel 2000, S.9

[10] Rädel 2000, S.104

[11] Häußermann; Siebel 1996, zitiert nach König 2004, S.30

[12] König 2004, S.33

[13] König 2004, S.33

[14] Rädel 2000, S.105

[15] Bialek 1995, S.129

[16] Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen 2004, S.35

[17] König 2004, S.60

[18] König 2004, S.60

[19] Häußermann; Siebel 1996, zitiert nach König 2004, S.35

[20] König 2004, S.61

[21] König 2004, S.61 (Umfrage von Wohnungsgenossenschaften, durchgeführt von ANALYSE & KONZEPTE 2003, im Auftrag der Expertenkommission Wohnungsgenossenschaften)

[22] Rädel 2000, S.108

[23] Mändle 2000, S,164

[24] König 2004, S.38

[25] König 2004, S.61

[26] Oltmann 2004, S.27

[27] König 2004, S.41

[28] Bura 2006

[29] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2006, S.8

[30] König 2004, S.90

[31] König 2004, S.91

[32] Kiehle 2002, S.10

[33] König 2000

[34] Behrens 2000

[35] Eichstädt-Bohling 2000

[36] König 2004, S.39

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Die Organisation von genossenschaftlichem Wohnen im Modell der Dachgenossenschaft
Untertitel
Am Fallbeispiel der Hamburger Wohnungsbaugenossenschaft SCHANZE E.G.
Hochschule
Universität Hamburg  (Projektentwicklung & Projektmanagement)
Veranstaltung
Management in der Wohnungswirtschaft
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
39
Katalognummer
V94103
ISBN (eBook)
9783640098255
ISBN (Buch)
9783640111930
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Organisation, Wohnen, Modell, Dachgenossenschaft, Management, Wohnungswirtschaft
Arbeit zitieren
Mareike Schuppe (Autor:in), 2007, Die Organisation von genossenschaftlichem Wohnen im Modell der Dachgenossenschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94103

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