Fördert oder behindert Schulinspektion die eigenverantwortliche Schule?


Masterarbeit, 2008

45 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die „gute“ Schule
2.1 Internationale Vergleichsstudien
2.2 Schule als lernende Organisation
2.3 Kriterien für die Qualität von Schule und Unterricht

3. Die eigenverantwortliche Schule
3.1 Schule auf dem Weg zur Eigenverantwortung
3.2 Selbständigkeit und Qualitätsverantwortung verändern die Schule

4. Normung und Qualitätsbewertung im Bildungswesen
4.1 Der Ursprung des Qualitätsbegriffes
4.2 Der Einzug des Qualitätsbegriffes im Bildungswesen
4.3 Evaluation, der Wunsch nach Rückmeldung

5. Evaluationsverfahren
5.1 Interne und externe Evaluationsverfahren
5.2 Schulqualität im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdevaluation
5.3 Zeitlicher Mehraufwand und die Neudefinition von Lehrerarbeit

6. Schulintern evaluieren, Qualität entwickeln
6.1 Rahmenbedingungen beachten, Regeln klären
6.2 Die Vorbereitung der Evaluation
6.3 Der Projektplan und der Evaluationsbericht
6.4 Der Evaluationsgegenstand
6.5 Wer sollte evaluieren?
6.6 Aufwand – Nutzen; relevante Fragestellungen finden
6.7 Evaluationsinstrumente und –methoden
6.8 Ergebnisse auswerten und präsentiere

7. Die externe Evaluation als Spiegel des Geleisteten
7.1 Die Schulinspektion
7.2 Qualifikation und Funktion der Inspektoren
7.3 Die Vorphase
7.4 Die Durchführungsphase
7.5 Rückmeldung und Berichte zur Inspektion
7.6 Die Phase danach

8. Evaluationsverfahren in den einzelnen Bundesländern

9. Wirkungen der Schulinspektion

10. Fazit

Literaturverzeichnis

In der vorliegenden Masterarbeit werden nicht immer geschlechtsneutrale Bezeichnungen verwendet; bei maskulinen Substantiven sind als Personengeneralisierung jeweils sowohl Frauen als auch Männer gemeint.

„Qualität und Liebe haben ja vieles gemeinsam: Alle sprechen davon und alle glauben zu wissen, was es ist. Jeder empfindet ihr Fehlen, aber eine allgemein gültige Definition gibt es nicht. Und wie Liebe ist Qualität leicht flüchtig und nur durch ständige Bemühung und Pflege zu gewinnen und zu bewahren.“

Klaus Landfried, ehemaliger Präsident der Hochschulrektorenkonferenz

1. Einleitung

Das Bildungssystem in Deutschland steht vor einer großen Herausforderung. Lange Zeit wurde nur über die Struktur diskutiert und die Frage der Bildungsqualität nachrangig behandelt. Fthenakis Meinung nach sind umfassende Reformen notwendig, wenn der Anschluss an internationale Entwicklungen nicht verpasst werden soll (Vgl. Fthenakis 2008, S.1).

Auf internationaler Ebene werden seit über zehn Jahren eine politische und eine fachliche Bildungsdebatte geführt; in Deutschland stehen wir erst am Anfang dieser Entwicklung. Die Herausforderung lautet, sowohl die Struktur des Bildungswesens als auch die Bildungsqualität zu reformieren (Vgl. ebenda, S.6ff.).

Als eine Reaktion darauf wird die Schulinspektion an deutschen Schulen eingeführt. Auslöser dafür waren u.a. das schlechte Abschneiden bei internationalen Vergleichsstudien und die hohe Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss. Über die Qualität der Schulen wird seit Jahren meist kritisch debattiert, es wird diesen Institutionen veraltete Lehr- und Lernmethoden und teilweise ein fehlendes Verständnis für modernes Qualitätsmanagement vorgeworfen (Vgl. Lohmann 2006, S.6).

Schulinspektion wird als neues Instrument der schulischen Qualitätsentwicklung und –sicherung eingesetzt. „Inspektion“ bedeutet soviel wie die „Einsichtnahme“ in die Arbeit der Schule. Die Inspektion soll Einsicht gewinnen über die Qualität der Schule und die Bereiche, die den Erfolg einer Schule bestimmen und beeinflussen. Inspektoren ermitteln durch eine Analyse die Stärken und Schwächen bzw. die Verbesserungspotenziale anhand ausgewählter Kriterien. Diese beziehen sich auf den Unterricht und auf die Schule insgesamt (Vgl. Reißmann 2006, S.183f.).

Als Konsequenz daraus müssen sich die Bildungseinrichtungen entwickeln und ihre Qualität verbessern. Schulen stehen in letzter Zeit unter einem anspruchsvollen Erfolgsdruck und wollen diesem auf unterschiedlichen Wegen gerecht werden. Es darf dabei aber nicht vergessen werden, mit welchen Umbrüchen die Schulen in Deutschland zunehmend konfrontiert sind. Schule muss sowohl nach innen als auch nach außen agieren, um den gewandelten Anforderungen gerecht werden zu können. (Vgl. Ebenda, S.6)

Die Organisationsform „Eigenverantwortliche Schule“ ist seit dem 01.08.2007 für alle Schulen in Niedersachsen verbindlich. Die Politik fordert zu deren Umsetzung nach einer entsprechenden Qualifizierung für das Schulmanagement. In einem Artikel der Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 27.10.07 fordert die Fraktion der FDP: „´Eine Schulleiter-Akademie´ in Hannover oder Hildesheim solle die Leiter der Schulen fit machen für mehr Verantwortung in der Eigenverantwortlichen Schule.“ (Wallbaum 2007, Seite 5)

Als Lehrer an einer Berufsschule in Niedersachsen konnte ich bereits eine Schulinspektion miterleben. Neben verschiedenen Renovierungsarbeiten in der Schule und einem Schulleiter, der im Vorfeld der Schulinspektion kaum noch ansprechbar war, sind mir im Kollegium Neugier und Interesse, aber auch Ängste und Ablehnung aufgefallen. Folgende Aussagen blieben mir in Erinnerung: „Die Welle ist vorüber“ und „Das ist wie ein Unterrichtsbesuch im Referendariat, die müssen Fehler finden“. Die Ungewissheit, ob und wann ein Inspektor in den Unterricht kommt, bewirkt Anspannung. Ein Kollege, der in einer schwierigen Unterrichtssituation Inspektorenbesuch bekam, meldete sich danach beim Schulleiter und war nur schwer zu beruhigen. Die positiven Seiten der Schulinspektion und deren Auswertung fanden aus meiner Sicht im Kollegium nicht die angemessene Würdigung und Wertschätzung.

Mich interessiert in meiner Masterarbeit die Fragestellung, was die Schulinspektion der Schule bieten kann. Darüber hinaus möchte ich die Frage diskutieren, ob Schulinspektion die eigenverantwortliche Schule eher fördert oder doch behindert.

2. Die „gute“ Schule

2.1 Internationale Vergleichsstudien

Lehrkräften wird oft ein hoher Einfluss auf die Qualität einer Schule zugeschrieben, allerdings lassen einige Indikatoren darauf schließen, dass auch deren Einfluss recht beschränkt ist, obwohl die Ansprüche an diese Berufsgruppe enorm gestiegen sind (Vgl. Carle 2000, S.3ff.).

Für die Schule als Gestaltungseinheit ist die Arbeit der einzelnen Lehrkräfte das größte Potenzial im Schulentwicklungsprozess, aber die einzelne Lehrperson wird nicht mehr für die Qualität der schulischen Leistung verantwortlich gemacht, sondern die Einzelschule rückt als Gestaltungseinheit in den Vordergrund (Vgl. ebenda, S.6).

Die deutsche Schullandschaft und deren Abschneiden im internationalen Vergleich erschütterte die verbreitete Vorstellung, Deutschland habe eines der besten Bildungssysteme. Die Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudien wie TIMSS[1] bewirkten, dass nicht mehr die Einzelschule mit ihrem Kollegium, ihren Eltern und dem unmittelbaren Umfeld im Blick standen, sondern das ganze Bildungssystem. (Vgl. ebenda, S.8).

Wer bestimmt nun, was eine gute Schule ist? Liefern Rangkorrelationen von Schülerleistungen zwischen Klassenstufen verschiedener Schularten Aussagen über die Qualität von Schule und Unterricht? Sind die OECD[2] -Vergleichsstudien TIMSS und PISA[3] aussagekräftiger? Die Kultusministerkonferenz (KMK) strebt im Rahmen von PISA auch Leistungsvergleiche zwischen den Bundesländern an. Das Anliegen von PISA ist es, den OECD-Ländern Indikatoren zur Verfügung zu stellen, die ein international vergleichbares Systemmonitoring erlauben. Praktisch gibt es keine Hinweise auf Ursachen exzellenter oder weniger exzellenter Performanz und kaum Ansatzpunkte für konstruktive Interventionsmaßnahmen. Der Einwand bezieht sich auf folgende Punkte: Die Arbeit der Lehrer wird gar nicht und die der Schüler nur äußerst ausschnitthaft wahrgenommen. Der Ruf aus der Schulpraxis wurde aufgegriffen und die Studie um zusätzliche Komponenten ergänzt. Beim genaueren Betrachten geht es lediglich um eine etwas reichhaltigere Erfassung der Fazetten der Schülerleistung. Bei den Studien handelt es sich nicht um Entwicklungen, die die Schule in ihrer Arbeit unterstützen. In einer Zeit, in der die gesamte Lehrerschaft vor einem Generationswechsel steht und die Schule den Herausforderungen der gesellschaftlichen Umbrüche kaum nachkommt, binden die Vergleichsstudien Wissenschaftler und Mitarbeiter. Die Studien liefern keine gravierenden neuen Erkenntnisse, die einer Qualitätsentwicklung dienen könnten (Vgl. ebenda, S.9f.).

Der Bereich der Lehrerausbildung und der Art und Weise, wie Unterricht durchgeführt wird, erhält trotz dieser Umbrüche nicht die notwendige Unterstützung. Lehrer haben in der Ausbildung nicht gelernt, wie sie Schüler zum aktiven Lernen motivieren. Die häufigste Vermittlungsform von Fachlichkeit im Unterricht sei oft noch der Frontalunterricht (Vgl. Hilbig 2007, Seite 17).

2.2 Schule als lernende Organisation

Wissensbestände nahezu aller Fachrichtungen können kaum noch mittel- bis langfristig verbindlich in einer Wissensgesellschaft definiert werden. Von diesem Trend der Halbwertszeit von Wissen ist auch die Schule betroffen. Die Behaltensschulung kann somit nicht mehr das Leitmotiv unseres zukünftigen Bildungswesens sein. Gefragt ist die Entwicklung von Methoden- und Sozialkompetenz, die ein lebenslanges Lernen als persönliches Grundmuster moderner Lebensgestaltung ermöglichen. Die Nachhaltigkeit der Lernergebnisse und die permanente Erweiterung der Handlungskompetenz sind ein wichtiger Bestandteil im Hinblick auf einen persönlichen Lebenserfolg (Vgl. Arnold 2000, S.5ff.).

Der Wechsel von einem Bildungs-Vorratssystem zu einem permanenten Bildungs-Erneuerungssystem ist erforderlich. Die Lernprozesse werden selbst zum Gegenstand des Unterrichts, jeder Schüler soll zum Experten seines eigenen Lernens werden. Lernen lernen wird in jedem einzelnen Unterrichtsfach ein neues Teilgebiet. Lehrkräfte müssen sich „konstruktivistisch“ zu ihrem Fachwissen verhalten, um diesen Veränderungsprozess förderlich zu begleiten. Schule und Lehrerhandeln in der Wissensgesellschaft benötigt „Change-Agents“ oder besser „Moderatoren“ dieses „Know how to know“ Prozesses. Diese didaktische Transformation von Schule ist gleichzeitig das didaktisch-programmatische Zentrum einer modernen Schulentwicklung (Vgl. ebenda).

Die Schule als Ort des Lernens und des Lehrens steht vor der Herausforderung sich von einer belehrenden Anstalt hin zu einer lernenden Organisation zu entwickeln. Schule ist somit nicht nur als Organisation systemischer Lernprozesse zu sehen, sondern auch selbst zu Lernprozessen fähig (Vgl. Rolff 1993, S.138).

Schule kann sich nicht länger darauf zurückziehen, als Behörde und Dienststelle exogenen rechtlichen Vorgaben zu unterliegen, die sie zum Bestandteil einer statischen öffentlichen Verwaltung machen. Durch die teilweise rasanten Veränderungen in den ökonomischen, sozialen und technologischen Strukturdeterminanten muss sich die Schule flexibel den Konsequenzen struktureller Veränderungen ihres Umfeldes stellen (Vgl. Feser/ Flieger 2002, S.1).

Fullan bezeichnet die Schule als „lernendes Unternehmen“ (Vgl. Arnold 2000, S.1).

Reißmann meint dazu: „Die Schule wirkt auch als soziale und pädagogische Handlungseinheit: sie entwickelt und verändert sich als Organisation oder Institution und als `Betrieb` (…) Schule kann und muss daher als Ganzes gestaltet bzw. gesteuert werden.“ (Reißmann 2007, S.67)

Dieser Veränderungsdruck auf Schulen bewirkt auf der politischen Makroebene Antworten wie die organisatorische Teilautonomie und die pädagogische Qualitätssicherung für die einzelne Schule. Lernen wird in der Schule in einer doppelten Perspektive relevant. Schule organisiert Lernprozesse und ist auch selbst zu Lernprozessen fähig. Vor diesem Hintergrund besteht für die einzelne Schule die Notwendigkeit, den Wandel zu gestalten. Dazu gehört auch die Entnetzung aus dysfunktionalen Kontexten und Handlungslogiken. Schulen verfügen aber nur über wenig Erfahrungswissen, das zur Bewältigung und Management dieser Aufgaben erforderlich ist. Es werden deshalb häufig Verfahren verwendet, die nicht für den schulischen Kontext entwickelt wurden. Bewährt hat sich in diesem Zusammenhang das Change-Management, ein Verfahren, das bei der (Um-)Gestaltung von Organisationen in einem dynamischen Umfeld angewandt wird (Vgl. Feser/ Flieger 2002, S.1f.).

Arnold sieht folgende organisationalen Lernprozesse in der Schule mit diesem Wandel verbunden:

- Dezentralisierung und Teilautonomie der Einzelschule,
- das Ende der Behaltensschule,
- Qualitätssicherung und die Frage nach der „guten Schule“

(Vgl. Arnold 2000, S.2).

2.3 Kriterien für die Qualität von Schule und Unterricht

Mittlerweile gibt es system- und qualitätstheoretische Klärungen, die als Annäherungen an den Begriff „gute Schule“ oder „lernende Schule“ verstanden werden können. Die Ziele, Möglichkeiten und die Eigendynamik einer Organisationseinheit und der in ihr tätigen Menschen können systemtheoretisch als Ausgangspunkt genommen werden, denn Systeme funktionieren überwiegend selbstorganisiert und auf ihre eigenen Strukturen und Abläufe rückbezogen. Anhand der Managementforschung wurde mehrfach empirisch belegt, dass „von außen“ eine nachhaltige Entwicklung oder gar Innovation nicht erreichbar ist. Allerdings ermöglichen interne Anlässe die nachhaltige Entwicklung einer Organisation. Deshalb setzen systemische Managementkonzepte an den Eigenkräften eines Systems an und können einen fruchtbaren Einfluss auf die Schulentwicklung haben (Vgl. ebenda, S.8f.).

„(…) die sich verbreitende Einsicht, dass die Zeit zentraler Reformplanungen vorbei ist, weil sie nicht funktioniert, weil sie nicht akzeptiert werden und weil sie für die meisten Einzelschulen nicht passen. Anstelle dessen treten mehr und mehr Selbstorganisation in Form von Eigeninitiative und situationsangemessene Lösungen in lokaler und regionaler Schulentwicklung, die allerdings überlokale Unterstützungen benötigen.“ (Rolff 1993, S.9)

Schulqualität und Schulentwicklung können nicht angeordnet oder durchgesetzt werden. Das Qualitätsbewusstsein aller Beteiligten ist durch die Möglichkeiten zur Selbstevaluation und zur Gestaltung ihrer eigenen Prozesse zu stärken. Schulqualität entsteht nur durch die Verschwisterung von Schulentwicklung, Lernkultur-entwicklung, Team- und Organisationsentwicklung (Vgl. Arnold 2000, S.8f.).

Um eine qualitätsorientierte Schulentwicklung zu gestalten, ist ein pädagogisches Leadership erforderlich, das unter Verwendung zentraler Bildungsmanagement-kompetenzen den notwendigen Lernkulturwandel wirksam mit der Team- und Organisationsentwicklung der lernenden Schule verknüpfen kann. Zur Umsetzung dieser Aufgaben müssen Führungskräfte in der Lage sein, einem komplexen Anforderungsprofil zu entsprechen, das die folgenden Funktionen integriert: Schule verwalten, Qualität sichern, Personal fördern, Teams entwickeln, Ziele klären, Wandel gestalten, eigene Führung reflektieren, kooperieren und kommunizieren, Gespräche moderieren (Vgl. ebenda, S.42).

Das aktuelle Thema der Bildungsreform läuft auf Verschlankung und Verbesserung hinaus; beides zusammen wird durch Qualitätsentwicklung erreicht. Qualität ist das vorherrschende Thema dieser und der nächsten Jahre. Schule gerät dabei unter deutlichen Druck. Es wird immer mehr von ihr erwartet, bei immer weniger Mitteln. Die Wirtschaft, die selbst unter Druck steht, setzt die Schule unter Qualitätsdruck. Eltern, die besorgt sind um die Zukunftschancen ihrer Kinder, setzen die Schule zusätzlich unter Druck. Hilfreich kann ein Rückgriff auf internationale Qualitätsansätze und Modelle sein, um an den Schulen eine systematische Qualitätssicherung, die sowohl managementorientiert als auch bildungsangemessen ist, umzusetzen (Vgl. ebenda, S.43).

Die ableitbaren Elemente dieser Ansätze einer pädagogisch angemessenen Qualitätssicherung in der Schule müssen m.E. neu gebündelt, ergänzt und präzisiert werden. Sowohl die Steuerungs- und Prozessqualität von Schule, als auch die Lernkultur und Unterrichtsqualität müssen dabei in den Blick gerückt werden. Die Schule der Zukunft muss die für die Schüler wichtigen gesellschaftlichen und technischen Neuerungen erkennen und es den Schülern ermöglichen, sich angemessen auf diese vorzubereiten. Die Schule hat sich als flexibel agierende und qualitätsbewusste Institution zu präsentieren und dem vollziehenden Wandel anzupassen. Um sich den neuen Anforderungen stellen zu können, müssen an den Schulen die Voraussetzungen für eine Schulentwicklung geschaffen werden. Die Schulen benötigen dafür Unterstützung, um den internen und externen Druck zur Veränderung effektiv nutzen zu können. Schulen werden erst durch das Bemühen um eine kontinuierliche Qualitätssicherung zu lernenden Organisationen (Vgl. ebenda, S.43ff.).

Ein weiterer Aspekt ist der bildungspolitische Rahmen des Schulsystems mit seiner derzeit noch recht zentral verwalteten Schulstruktur. Aber bereits auch im staatlichen Bildungssystem greifen neue Steuerungsmodelle und Steuerungsstrategien. Für die Schulleitung gilt, ein neues Selbstverständnis in einem immer weniger von Hierarchien geprägten Gebilde zu entwickeln (Vgl. ebenda, S.48).

Der Abbau von Hierarchien wird durch die Finanzknappheit der öffentlichen Haushalte und durch einen starken Rationalisierungs-, Reform- und Innovationsdruck beschleunigt. Diese Situation stellt nicht nur wachsende Anforderungen dar, sondern erschließt auch Chancen für neue Gestaltungsspielräume der Schule (Vgl. Schüßler 2001, S.62).

Diese veränderten Anforderungen an die Schule bewirken eine Dezentralisierung und Deregulierung der Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen. Die Komplexität der schulischen Aufgaben erfordert eine Kompetenzverlagerung und damit eine Teilautonomie der einzelnen Schulen (Vgl. ebenda, S.73).

Melzer kommt in seinem Artikel „Der Beitrag der Schulforschung zur Qualitätssicherung und Entwicklung von Schule“ zu folgender Zusammenfassung: Aspekte der Schulqualität sind die Lehrerprofessionalität (z. B. Methodenkompetenz, Förder- und Integrationskompetenz), das Schul- und Klassenklima, die bestehenden Partizipationsmöglichkeiten für Schüler (und Eltern) sowie die Schulökologie (räumliche Aneignungsmöglichkeiten, außerunterrichtliche Angebote, Schulleben). In den Schulen, die auf eine in diesem Sinne positive Schulkultur verweisen können, haben Schüler eine überdurchschnittliche Freude am Lernen, sehen den Sinn des Lernens eher ein, haben bessere Schulnoten und besitzen ein positiveres Leistungsselbstkonzept. Sie empfinden in geringerem Maße Druck, Belastung und Angst; auch finden sich an solchen Schulen in den Lerngruppen weniger Außenseiter. Schließlich konnte festgestellt werden, dass abweichendes, aggressives und gewaltförmiges Schülerverhalten in dem Maße abnimmt, wie die jeweilige Schule die o. g. Qualitätskriterien erfüllt (Vgl. Melzer 1997, S.16ff.).

3. Die eigenverantwortliche Schule

3.1 Schule auf dem Weg zur Eigenverantwortung

In vielen Bundesländern und auch in Niedersachsen befindet sich die Schule auf dem Weg von einer bisher regulierten Behörde zu einem eigenverantwortlich agierenden „Unternehmen“. Ziel ist es, Verantwortung abzugeben an diejenigen, die dem Problem und seiner Lösung am nächsten sind, damit diese die Schule konkret gestalten können. Auslöser waren internationale Vergleichstests, die dem hochentwickelten Industrieland Deutschland schlechte Schulen bescheinigten (Vgl. Busemann u.a. 2007, S. 3f.).

Ein Beleg für den dringenden Handlungsbedarf sieht Carle darin, dass Schüler aus Migrantenfamilien in Hauptschulen und Sonderschulen überrepräsentiert sind und die Hauptschule schon als „Migrantenschule“ bezeichnet wird (Vgl. Carle 2000, S. 7).

Carle schreibt dazu: „Die wichtigsten Variationen in den Leistungsniveaus kommen vor allem durch einen Faktor zustande, der durch die einzelne Schule kaum beeinflussbar ist: durch die Rekrutierung der Schülerinnen und Schüler. Das Bildungsniveau und der soziale Status der Familie klärt nach wie vor die meiste Varianz der Schulleistung auf.“ (Ebenda, S.6)

„Dass die Chancengleichheit nach wie vor nicht erreicht ist und Kinder unterprivilegierter Familien immer noch benachteiligt sind, kann niemand verleugnen.“ (Ebenda, S.8)

Busemann ist in seinem Artikel sehr skeptisch, ob diesen Krisensymptomen in Deutschland mit alten Vorstellungen begegnet werden kann. Er sieht integrative Schulsysteme und andere Strukturen der Bildungsgänge oder mehr Ressourcen für die Schule nicht als direkte Hilfe an. Der Lernerfolg bleibt in zentralen Bereichen hinter dem internationalen Standard zurück. Schulen entscheiden über Lebenschancen und sind gleichzeitig ein maßgebendes Instrument für die Stabilität und der Integration einer Gesellschaft. Die Aussage: „Herkunft ist Zukunft“ hat immer noch eine große Bedeutung in Deutschland. In den Schulen wächst das Forschungs- und Erneuerungspotenzial einer Gesellschaft des entsprechenden Landes heran. Reformen des Schulwesens sind deshalb von entscheidender Bedeutung für Kinder, Jugendliche, Eltern und auch für ein ganzes Land (Vgl. Busemann u.a. 2007, S. 3f.).

Speziell die jüngsten PISA-Ergebnisse zeigen, in welche Richtung die Reformen des Schulwesens gehen müssen. Entstanden sind die Begriffe „belastete“ und „unbelastete“ Schule, die durch das soziale Umfeld, die sächliche Ausstattung und die Personalresourcen geprägt wurden. Allerdings sind schlechte Voraussetzungen nicht gleichzeitig ein Zeichen für schlechte Erfolge. Oft haben die „belasteten“ Schulen erstaunliche Erfolge. Im Umkehrschluss gibt es „unbelastete“ Schule, die weniger erfolgreich sind. Der Schlüssel zum Erfolg ist, wie

aktiv eine Schule folgende „Innere“ Elemente umsetzt:

- klare Zielvorstellungen und Kooperation in den Kollegien,
- die Praxis der Selbstüberprüfung und Selbstevaluation,
- Nutzung von Freiräumen in eigener Verantwortung,
- Konsens unter allen Beteiligten.

Diese „aktiven Schulen“ schaffen es, trotz widriger Rahmenbedingungen ein hohes Maß an Zufriedenheit mit der schulischen Arbeit zu erreichen und die Schüler zu ungewöhnlichen Leistungen zu führen (Vgl. Busemann u.a. 2007, S. 4).

Für den Erfolg einer Schule sind neben der Unterstützung durch Land und Schulträger, das Engagement von Leitung und Lehrkräften, Kommunikation und Kooperation mit klaren Zielvorstellungen und die Bereitschaft zu ständiger Verbesserung erforderlich (Vgl. ebenda).

Busemann gibt als Ziel für das Bundesland Niedersachsen folgende Zielrichtung an: „Dass unsere Schulen in Niedersachsen möglichst alle `aktive Schulen` werden, dass in ihnen ein Arbeitsklima herrscht, das an der guten Qualität der Arbeit interessiert ist, bei dem Zusammenarbeit mit allen Beteiligten gesucht und in eigener Verantwortung für alle Schülerinnen und Schüler sowie für die Organisation der Schulen der beste Weg gesucht wird, das ist das, was wir mit der Eigenverantwor-tlichen Schule in Niedersachsen erreichen wollen.“ (Ebenda, S. 4)

Für diese Schulen sollte anstelle einer perfekten Steuerung mit Vorgaben von außen folgendes treten:

- ein klares Ziel,
- eine regelmäßige Überprüfung der Ergebnisse,
- große Freiräume, um das Ziel in eigener Verantwortung anzustreben.

Die Übertragung von Verantwortung an diejenigen, die dem Problem und seiner Lösung am nächsten sind, entspricht dem „Subsidiaritätsprinzip“. Vom Gedanken dieses Prinzips ist auch das Konzept der Eigenverantwortlichen Schule erfüllt (Vgl. ebenda, S. 4f.).

„Verantwortung sollen in der Schule diejenigen übernehmen, die am nächsten dran sind. Ihr Wissen und Können ist das größte Kapital der Schule. Was sie allein nicht leisten können oder was zu Ungerechtigkeiten im gesamten Land führen würde, das muss die höhere Ebene übernehmen und für alle lösen.“ (Ebenda, S. 5)

3.2 Selbständigkeit und Qualitätsverantwortung verändern die Schule

Schule und deren Leitung stehen im Spannungsfeld zwischen Bewahren und Verändern und sind somit ein Ort von Reproduktion und Transformation. Bisher galt eine Schule als gut funktionierend, wenn sie als bürokratische Organisationseinheit nach den Vorgaben übergeordneter Kern- und Grenzwerten arbeitete. Das Ziel war eine reibungslose Verwaltung und eine Schulleitung, die vorwiegend als „Befehlsempfänger“ und „-weitergeber“ arbeitete. Die Schule war klar hierarchisch strukturiert und auf dem Verordnungsweg „von oben nach unten“ reguliert. Die Steuerung von Schule lag vor allem bei den übergeordneten Behörden. Der Nachteil bestand darin, dass sich Schulleitung oft um eine effiziente Schuladministration kümmerte, aber damit die pädagogischen Führungsaufgaben vernachlässigte (Vgl. Schratz 2003, S.1ff.).

Welche Nachteile entstanden der Einzelschule aus diesem defizitären Schulleiterhandeln:

1. Ziele der Schule werden nicht klar formuliert.
2. Eine Schulkultur und Schulphilosophie sind nicht vorhanden.
3. Das Profil der Schule weist keine Stabilität und Kontinuität aus. Der Schulleiter kümmert sich nicht ausreichend um sein Kollegium.
4. Es gibt kaum eine gemeinsame Unterrichtsplanung und –abstimmung, da die kollegiale Zusammenarbeit von der Schulleitung zu wenig gefördert wird.
5. Konferenzen konzentrieren sich hauptsächlich auf organisatorische und administrative Inhalte und geben Lehrern kaum Impulse für die Unterrichtsarbeit.
6. Der administrativen Verwaltungsarbeit kommt eine besondere Bedeutung zu, Anregungen für eine konkrete Unterrichtsverbesserung erfolgen kaum.
7. Es fehlt eine genaue Problemanalyse, Missstände werden verdrängt oder als nicht veränderbar akzeptiert.
8. Das Kollegium wird an schulinternen Entscheidungen und anstehenden Veränderungen nur unzureichend beteiligt bzw. informiert.
9. Schulleitung fehlt der Überblick über Stärken und Schwächen der Lehrerleistung. Schülern und Lehrern fehlt es an positiver Motivation wie Lob, Anerkennung, Auszeichnung und konstruktive Kritik durch den Schulleiter.
10. Fort- und Weiterbildung im Rahmen der fachlichen und schulpädagogischer Qualifikation von Lehrern werden von der Schulleitung zu wenig unterstützt.
11. Der Schulleiter beteiligt Schüler und deren Eltern nicht ausreichend oder nur entsprechend den schulrechtlichen Vorgaben am Schulleben. Die Identifikation mit der Schule wird somit nicht gefördert und eine Einbindung in das schulische Umfeld fast unterbunden.
12. Schüler werden zu wenig zur Verantwortungsübernahme angeleitet. Es entstehen immer neue Disziplinprobleme, auf die dirigistisch vom Schulleiter reagiert wird

(Vgl. ebenda).

Melzer sieht, wie sich Schule in einem stetigen Wandel befindet, der sich sowohl aus der Anforderungsstruktur und einer sich permanent verändernden funktionalen Differenzierung der Gesellschaft als auch aus der Selbstreferenz des politisch-administrativ organisierten Systems Schule ergibt. Diese Prozesse vollziehen sich im Alltag und verlaufen zum Teil unkontrolliert, so dass sich im Ergebnis einer mehr als 200-jährigen Geschichte des staatlichen Schulsystems in Deutschland eine große Vielfalt und Unübersichtlichkeit der Schulformen und Schullaufbahnen sowie der Inhalte und Methoden des Lehrens und Lernens ergeben haben (Vgl. Melzer 1997, S.16ff.).

[...]


[1] Third International Mathematics and Science Study. International vergleichende Schulleistungs-untersuchung, die seit fast vierzig Jahren die mathematischen und naturwissenschaftlichen Leistungen der Schlüsseljahrgänge von rund 15000 Schulen in 46 Ländern ermittelt und Hintergrundinformationen über den Unterricht, die Lehrer, die Schulen sowie Aspekte der außerschulischen Lebenswelt gewonnen hat.

[2] Im Zuge der PISA-Diskussion genießen die Arbeiten der OECD im Bildungsbereich eine große Aufmerksamkeit in Deutschland und liefern wichtige Erkenntnisse im Zuge der Reformdiskussion des deutschen Bildungssystems.

[3] Programme for International Student Assessment. Die Pisa-Studien der OECD sind internationale Schulleistungsuntersuchungen, die seit dem Jahr 2000 in dreijährigen Turnus in den meisten Mitgliedstaaten der OECD und einer zunehmenden Anzahl von Partnerstaaten durchgeführt werden und die zum Ziel haben, alltags- und berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten 15-jähriger Schüler zu messen.

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Fördert oder behindert Schulinspektion die eigenverantwortliche Schule?
Hochschule
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau  (Fernstudiengang)
Note
2,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
45
Katalognummer
V94614
ISBN (eBook)
9783640101382
ISBN (Buch)
9783640117321
Dateigröße
606 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fördert, Schulinspektion, Schule
Arbeit zitieren
André Brüggemann (Autor:in), 2008, Fördert oder behindert Schulinspektion die eigenverantwortliche Schule?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94614

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