Heiratsanträge in 'Anna Karenina' und 'Pride and Prejudice' unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftlicher Konventionen und nonverbaler Kommunikation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Nonverbale Kommunikation und Körpersprache
2.2 Gesellschaft und Konvention
2.3 Der erste Heiratsantrag
2.4 Der zweite Heiratsantrag

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis
Primärliteratur:
Sekundärliteratur:

1. Einleitung

In Jane Austens Pride and Prejudice und Leo Tolstois[1] Anna Karenina spielt das Konzept der Ehe eine maßgebliche Rolle. In dieser Hausarbeit soll es jedoch nicht um die Probleme gehen, die nach der Eheschließung auftreten, sondern um den komplizierten Weg bis zum Traualtar. In beiden Romanen benötigen zwei Paare, nämlich Elizabeth Bennet und Fitzwilliam Darcy sowie Konstantin Dmitrijewitsch Lewin und Kitty Schtscherbatzki, zwei Heiratsanträge, um ans Ziel zu gelangen. Es stellt sich also die Frage, was beim ersten Antrag falsch gelaufen ist und was beim zweiten Antrag zum erwünschten Erfolg geführt hat. Wie die Analyse zeigen soll, haben – neben den ganz persönlichen Gründen – gesellschaftliche Konventionen einen großen Anteil an Zustimmung oder Ablehnung. Weiterhin wird sich zeigen, dass die bei den Anträgen und Liebesgeständnissen verwendeten Worte alleine nicht über Erfolg oder Misserfolg entscheiden, sondern nonverbale Kommunikation und mit ihr die Körpersprache weitere bedeutende Faktoren darstellen. Was sich auch in diesem Bereich vom ersten zum zweiten Heiratsantrag ändert, wird zu klären sein. Zu diesem Zweck gebe ich zuerst einen kurzen Überblick zu wichtigen Theorien über (nonverbale) Kommunikation und zeichne daraufhin ein kurzes Bild der in den Romanen behandelten Gesellschaften mit ihren ganz eigenen Regeln und Normen. Anschließend widme ich mich der ausführlichen Textanalyse der Heiratsanträge.

Im begrenzten Rahmen der Hausarbeit ist es nicht möglich, ausufernd die ganze Thematik der Romane zu besprechen; ich beschränke mich also im Wesentlichen auf die vier für mein Thema entscheidenden Kapitel: II,11 und IV,16 in Pride and Prejudice sowie I,13 und IV,13 in Anna Karenina. Gelegentlich gebe ich kurze Erläuterungen zu Geschehnissen vor und zwischen den Anträgen, setzte den gesamten Inhalt aber als bekannt voraus.[2]

Zur Analyse verwende ich Pride and Prejudice im englischen Original und ziehe zur Verdeutlichung und besseren Lesbarkeit gelegentlich meine eigene Übersetzung hinzu. Bei Anna Karenina bin ich auf die deutsche Übersetzung angewiesen. Hier beziehe ich mich auf die Übertragung von Fred Ottow, erschienen im renommierten Deutschen Taschenbuch Verlag. Ich selbst vermag nicht zu beurteilen, inwieweit dies eine ‚gute’ Übersetzung ist[3], habe aber den Text mit zwei russischen Muttersprachlerinnen besprochen und werde ihre Anmerkungen mit in die Analyse einfließen lassen.[4]

2. Hauptteil

2.1 Nonverbale Kommunikation und Körpersprache

Es ist hinlänglich bekannt, dass wir beim Gespräch nicht allein die Wortwahl unseres Gesprächspartners beachten, sondern auch ganz besonders nonverbale Zeichen und Körpersprache bewerten.[5] Im Bereich des Nonverbalen unterscheidet man verschiedene Unterkategorien: Körperbewegungen (wie z.B. Kopfnicken, Gesten, Stirnrunzeln, Körperhaltung und Blickverhalten), konstante körperliche Eigenschaften, durch die die Attraktivität einer Person beeinflusst wird, Berührungen, Parasprache (vokal ausgelegt: z.B. Stimmhöhe, Versprecher oder Pausen), Proxemik (das räumlich-kommunikative Verhalten), das Feld der Artefakte (z.B. Parfum, Kleidung) und schließlich Rahmenbedingungen wie Wetter oder Ort.[6]

"Es muß ferner daran erinnert werden, daß das 'Material' jeglicher Kommunikation keineswegs nur Worte sind, sondern auch alle paralinguistischen Phänomene […] innerhalb eines bestimmten Kontextes umfaßt – kurz, Verhalten jeder Art. Verhalten hat vor allem eine Eigenschaft, die so grundlegend ist, daß sie oft übersehen wird. […] Man kann sich nicht nicht verhalten. Wenn man also akzeptiert, daß alles Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation Mitteilungscharakter hat, d.h. Kommunikation ist, so folgt daraus, daß man, wie immer man es auch versuchen mag, nicht nicht kommunizieren kann."[7]

Wie sich zeigen wird, spielen auch das Wechselspiel der beiden Kommunikationsebenen, - digital und analog - eine Rolle:[8] „Überall, wo die Beziehung zum zentralen Thema der Kommunikation wird, erweist sich die digitale Kommunikation als fast bedeutungslos. […] [E]s ist leicht, etwas mit Worten zu beteuern, aber schwer, eine Unaufrichtigkeit auch analogisch glaubhaft zu kommunizieren. Eine Geste oder eine Miene sagt uns mehr darüber, wie ein anderer über uns denkt, als hundert Worte.“[9]

2.2 Gesellschaft und Konvention

"Ideological divergences notwithstanding, there is a general agreement among historians and literary critics that nineteenth-century literature concerns itself generally with the problems of the individual's interaction with society and that this literature achieves a remarkable verisimilitude [Plausibilität] in its portrayal of contemporary human life."[10] Dies gesagt, verzichte ich weitgehend auf eine Studie der Verhältnisse im England[11] und Russland des 19. Jhd. und beschränke mich darauf, die Gesellschaft und ihre Konventionen innerhalb der Romanwelt zu beschreiben.

Pride and Prejudice spielt durchweg im englischen Landadel, dem sogenannten ‚gentry’, einer Schicht zwischen dem Hochadel und dem Bürgertum. Dort hat sich ein festes System zur sozialen und ökonomischen Binnenstabilisierung der Klasse entwickelt, das maßgeblich durch kluge Ehestiftungen gesichert wird.[12] Dies dient nicht nur zur sozialen Absicherung der Töchter in solch einer patriarchalen Gesellschaft[13], die gesamte Familie ist auf eine 'gute Partie' angewiesen; der ökonomische Status der Familie steht im Vordergrund. Unter diesem Eindruck wiegt es schwer, dass das Vermögen von Vater Bennet nach dessen Tod an Cousin Collins fällt und somit die fünf Töchter ohne eigenes Hab und Gut zurückbleiben müssten. Das Lebensziel von Mutter Bennet ist es folglich, ihre Töchter um jeden Preis zu verheiraten. In Pride and Prejudice zeigt sich jedoch, dass die alten Muster langsam aufbrechen bzw. aufgebrochen werden. Die Familie fungiert zwar als emotionale Gemeinschaft; Gefühlsbeziehungen finden aber letztlich nur zwischen Individuen statt. Das zunehmende Individualbewusstsein, in das z.B. auch das Konzept der Liebesheirat fällt[14], und vermehrte soziale Mobilität tragen zur Destabilisierung des Systems bei.[15]

Zur Ergänzung sei hier kurz aus einer der damals in England so beliebten Konversations- und Anstandslehren zitiert[16]:

"Gute Erziehung und Etikette werden nicht selten für Synonyme gehalten. Aber der Fehler, sie als solche zu sehen, wird nach einer kurzen Untersuchung dieses Themas offensichtlich werden. Etikette besteht aus der Einhaltung der Sitten und Verhaltensformen, wie sie der Brauch in verschiedenen Ländern entwickelt hat. Gute Erziehung zeigt sich in der Art und Weise, mit der diese Verhaltensformen eingelöst werden. Es ist gut möglich, daß ein Mensch die Etikette befolgt, ohne gut erzogen worden zu sein, aber niemand kann gut erzogen sein und die Etikette mißachten. Selbst ein Narr wird in der Gegenwart eines Höhergestellten seinen Hut abnehmen und befolgt dabei die Regeln der Etikette; ein Gentleman wird zwar dasselbe tun, aber er wird es mit der Leichtigkeit und Würde tun, die gute Erziehung ausmachen."[17]

Darcy stammt aus einer angesehenen, sehr vermögenden Familie und verkehrt in den besten Kreisen. Gerade deshalb ist der erste Eindruck, den er auf Elizabeth und ihre Familie macht, denkbar schlecht. Durch sein hochmütiges und eitles Benehmen verhält er sich entgegen seiner guten Reputation. Er ist sich des Standesunterschiedes zu den Bennets stets bewusst und lässt diese das auch spüren. Will und kann er unter seiner Würde heiraten?

In Anna Karenina spielen Standesunterschiede oder ökonomische Absicherungen zumeist keine Rolle[18]. Die betreffenden Familien verkehren nur unter Ihresgleichen, es gibt lediglich Unterschiede im gesellschaftlichen Ansehen. Alle Protagonisten gehören dem gehobenen Bürgertum an, einer „Gesellschaft [mit] ihrer unerbittlichen Doppelmoral (Ehebruch, ja bitte, aber möglichst unauffällig) […]".[19] Einzig Lewin als Gutsbesitzer und Naturmensch fällt unter den Städtern (aus Moskau bzw. Petersburg) auf. Er ist kein Mann der Gesellschaft und macht dementsprechend auch oft keinen guten Eindruck, "[…] so zeigt sich Lewin völlig unfähig, die gesellschaftlichen Spielregeln […] zu begreifen."[20]

[...]


[1] Hier (und auch bei den Namen der Protagonisten) konkurrieren verschiedene Schreibweisen. Ich verwende in meiner Analyse jene, die auch in dem Text, den ich benutze, verwendet werden.

[2] Gerade im Bereich der Anna-Handlung des Doppelromans sind keine Erklärungen zu erwarten.

[3] Zumindest rein optisch trifft das zu. Die Übersetzung ist reich kommentiert und liefert auch ein Nachwort von Bodo Zelinsky, der sich in der Tolstoi-Forschung einen Namen gemacht hat.

[4] Beide waren sich jedoch einig, dass es sich im Großen und Ganzen um eine gelungene Übersetzung handelt; stark abweichende oder gar falsche, sinnverfälschende Übertragungen gab es – zumindest in den beiden zu analysierenden Kapiteln – nicht.

[5] "So wird bspw. der intensive Blick als Attraktion empfunden, wenn er von der geliebten Person kommt, als Irritation, wenn nicht gar Bedrohung jedoch, wenn es sich um eine unbekannte Person handelt." (A. Hübler, Körper, S. 44) Beliebt ist auch das Beispiel mit den verschränkten Armen, die Distanz oder sogar Ablehnung signalisieren.

[6] Ich halte mich hier an Axel Hübler, der in seinem Kapitel ‚Die 'Welt' des Nonverbalen’ (S. 11-40) verschiedene Theorien zusammenfasst. Nicht alle Bereiche werden für die Analyse fruchtbar sein.

[7] P. Watzlawick, Kommunikation, S. 51. Der Satz im Original (One cannot not communicate) hat sich zu einer gern- und vielzitierten These entwickelt.

[8] Matthias Freise wies dies in seinem Gastvortrag insbesondere für Leo Tolstois Textkonzeption nach.

[9] P. Watzlawick, Kommunikation, S. 64. David McNeills genetischer Ansatz schränkt dies etwas ein: "Das Gestische ist […] als ursprünglich postuliert. Gestik ist spontan, sofern es sich um spontane Rede handelt; und sie ist wahrhaftig, sofern die Rede als Ganzes wahrhaftig ist." (zitiert nach A. Hübler, Körper, S. 86). Seine Auslegung spielt aber für meine Analyse seine Rolle, da die Protagonisten in der Regel spontan und immer wahrheitsgemäß sprechen.

[10] weiter: "Some historians even argue that nineteenth-century novels should be considered as valid as any other historical document regarding the verity of their historical information and that this historical information is invariably sociological […]." J.F. Durey, Realism, S. 159. Durey bezieht sich hier vor allem auf J.A. Banks, Prosperity and Parenthood von 1954

[11] Auch L. Glage betont, dass Gesellschaft und Sprache im Pride and Prejudice das echte Leben widerspiegeln, vgl. ebd. 67ff.

[12] vgl. den berühmten ersten Satzes des Romans: "It is a truth universally acknowledged, that a single man in possession of a good fortune, must be in want of a wife." (J. Austen, Pride and Prejudice, S. 5)

[13] wobei Mr. Bennet etwas außerhalb dieses patriarchalen Systems steht. So lässt er seinen Töchtern eine gute Bildung zukommen und unterstützt auch das Konzept der Liebesheirat. Andererseits fehlt es ihm auch an Macht, da er durch Lebensstil und Erbrecht über zu wenig Vermögen zur Weitergabe an seine Töchter verfügt.

[14] Die für Mutter Bennet ganz offensichtlich kein hinreichender Grund ist. Anders lässt sich ihr wütendes Verhalten gegenüber Elizabeth, nachdem diese Collins Antrag abgelehnt hat, nicht erklären.

[15] vgl. auch Lydias Flucht mit Wickham. Durch dieses Handeln, dass allen Konventionen zuwider läuft, bringt sie auch ihre Schwestern in Gefahr, da das Ansehen (und der finanzielle Status!) der Familie in arge Mitleidenschaft gezogen wird. Die Familie wird von der Gesellschaft als Ganzes gesehen, kann aber durch eine Aktion eines einzelnen Mitglieds gestürzt werden.

[16] Man unterscheidet je nach Zielgruppe zwischen courtesy books, conduct books und etiquette books.

[17] zitiert aus John Butcher Instructions in etiquette (1847) nach A. Hübler, Körper,

[18] sieht man von den Szenen mit Lewin und seinen Bauern ab

[19] J.R. Döring-Smirnov in L. Tolstoi,

[20] a.a.O., S. 984.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Heiratsanträge in 'Anna Karenina' und 'Pride and Prejudice' unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftlicher Konventionen und nonverbaler Kommunikation
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Seminar für Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Ehe- und Ehebruchsromane im 19. Jahrhundert
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V88704
ISBN (eBook)
9783638040044
ISBN (Buch)
9783638936590
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heiratsanträge, Anna, Karenina, Pride, Prejudice, Berücksichtigung, Konventionen, Kommunikation, Ehe-, Ehebruchsromane, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Marion Klanke (Autor:in), 2006, Heiratsanträge in 'Anna Karenina' und 'Pride and Prejudice' unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftlicher Konventionen und nonverbaler Kommunikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88704

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