Kohlbergs Theorie der moralischen Entwicklung und ihre pädagogischen Implikationen


Hausarbeit, 2007

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entwicklungspsychologische Grundlegungen: Kohlbergs kognitionszentrierte Theorie der Moralentwicklung
2.1. Grundannahmen kognitionszentrierter Entwicklungspsychologie
2.2. Gegenstand Kohlbergs Theorie: moralisches Urteilen
2.3. Kohlbergs Untersuchungsdesign: Dilemma-Situationen
2.4. Kohlbergs Stufenmodell
2.4.1. Charakteristika der Stufentheorie
2.4.2. Darstellung der empirisch nachweisbaren Stufen
2.5. Entwicklungsmotoren moralischen Lernens

3. Nunner-Winklers moralische Motivation – die affektiv-motivationale Seite der Moral

4. Pädagogische Implikationen der Ansätze

5. Pädagogische Konzepte zur Moralentwicklung
5.1. Dilemma-Diskussionen: Der „Blatt-Effekt“
5.2. Der „Just community approach“ – Kohlbergs pädagogische Umsetzung der entwicklungspsychologischen Grundlagen

6. Resumé

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

An den Beginn dieser Hausarbeit möchte ich zwei Thesen stellen:

„Konventioneller Ethik- oder Sozialkundeunterricht hat keine Effekte auf das Niveau moralischen Urteilens“ (vgl. Montada: 1995, 639).

„Nur brauchbare psychologische Theorien eröffnen die Chance (aber noch keineswegs die Gewissheit) einer sinnvollen Praxis im Unterricht“ (Edelstein: 2001, 13).

Daher soll im folgenden dargestellt werden, wie sich eine Moralerziehung denken lässt, die auf Kohlbergs gut bewährter Theorie der kognitiven Entwicklung moralischen Urteilens beruht. Auch die bemerkenswerte Kritik Nunner-Winklers hinsichtlich der affektiv-motivationalen Entwicklung von moralischer Motivation kann für die pädagogische Praxis bedeutsam sein.

Wie sich diese psychologischen Ansätze in pädagogische Kontexte „übersetzen“ lassen, soll anhand der ihnen eigenen Implikationen für das pädagogische Vorgehen dargestellt werden. Im letzten Teil der Arbeit werde ich zwei Konzepte der Moralerziehung kurz vorstellen, die auf Kohlbergs Theorie aufbauen: Dilemma-Diskussionen und den Just-community-Approach.

2. Entwicklungspsychologische Grundlegungen: Kohlbergs kognitionszentrierte Theorie der Moralentwicklung

Der Entwicklungspsychologe Lawrence Kohlberg hat mit seiner in den sechziger Jahren entwickelten Theorie der Entwicklung der Begründung von moralischen Entscheidungen die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit Fragen der Moralentwicklung geprägt.

Laut Flammer hat seine Stufentheorie „manchen Bewährungstest bestanden“ (S. 153), wenngleich auf Grund der neueren Forschung eine Weiterentwicklung der Theorie geboten scheint. Dazu soll unter Punkt 3 die Kritik von Nunner-Winkler vorgestellt werden. Kohlberg selbst hat seine Theorie über 20 Jahre ständig fortgeschrieben und sich nicht nur mit der Beschreibung empirisch nachweisbarer Stufen moralischen Urteilens beschäftigt, sondern auch mit der Möglichkeiten und Bedingungen der pädagogischen Beeinflussung der Moralentwicklung.

Hier soll nun zunächst Kohlbergs kognitionszentrierte Theorie vorgestellt werden, die die Basis für die weitergehende Beschäftigung mit der Moralentwicklung bildet.

2.1. Grundannahmen kognitionszentrierter Entwicklungspsychologie

Kohlbergs Stufentheorie beschäftigt sich als Teil der kognitiven Entwicklungspsychologie mit Denk- und Erkenntnisprozessen moralischen Urteilens, die sich im Verlauf der Lebensspanne qualitativ verändern. Er schließt dabei an die kognitiv epistemologische Forschungstradition Jean Piagets an, die den Prozess der Entwicklung des logischen Denkens in den Blick nimmt. Ebenso wie Piaget „kommt Kohlberg zu der Auffassung, dass Entwicklung als ein sich lebenslang vollziehender Prozess der Umbildung bzw. Reorganisation kognitiver (Wissens-) Strukturen zu verstehen ist.“ (Schuster: 2001, 180). In beiden Theorien sind jedoch vor allem die strukturellen Entwicklungen in der Kindheit und der Adoleszenz zentral, da hier auf Grund der vergleichsweise geringeren Wissens- und Erfahrungsbeständen größere Ungleichgewichte zwischen ausgebildeten mentalen Strukturen und der Umwelterfahrung vorliegen dürften als bei Erwachsenen. Die Umbildung der organisierten Wissensbestände findet dabei immer in der Auseinandersetzung des sich bildenden Subjektes mit seiner Umwelt statt. Anders als dem behavioristischen oder dem psychoanalytischen Paradigma liegt den Theorien von Piaget und Kohlberg somit ein aktives Menschenbild zu Grunde. Der Mensch kann nur durch eine aktive Konstruktionstätigkeit seine Umwelt begreifen und zu Erkenntnissen kommen. „Man nimmt nicht einfach die Realität als solche ´wahr´, sondern entwirft immer zunächst Hypothesen resp. mentale Instrumente (z.B. Konzepte) und prüft dann, ob man mit der ´Welt´ auf diese Weise zurechtkommt“ (Flammer: 2003, 125).

Basierend auf dieser Konstruktionstätigkeit findet Entwicklung statt, indem die kognitiven Strukturen komplexer werden und damit der Umwelt angemessener werden. „Die majorisierende Äquilibration (vgl. Piaget) impliziert, dass immer mehr Standpunkte zu einander in Beziehung gebracht werden und Widersprüche auf einer höheren Ebene gegenseitig verträglich gemacht werden“ (Flammer: 2003, 152). Die Entwicklung hängt demnach von entwicklungsrelevanten und entwicklungsanregenden Erfahrungen ab, die das Individuum mit seiner Umwelt macht, nicht von „spezifischen Erfahrungen mit den Eltern oder Erlebnisse von Disziplinierung, Bestrafung oder Belohnung“ (Kohlberg: 1976, 163).

Diese Grundannahmen sind sowohl für die Theorie wichtig, als auch insbesondere für die sich daraus ableitenden pädagogischen Einflussmöglichkeiten. Welche konkreten Implikationen diese Grundlegungen mit sich bringen, wird unter Punkt 4. dieser Arbeit genauer erläutert werden.

2.2. Gegenstand Kohlbergs Theorie: moralisches Urteilen

Kohlberg beschäftigt sich mit der Begründung moralischer Urteile. Zentral sind dabei nicht die moralischen Inhalte der Begründungen, sondern die der Entscheidung zu Grunde liegenden Begründungsmuster. Das bedeutet, dass für die Beurteilung der Zugehörigkeit zu einer Stufe nicht darauf ankommt, zu welchem moralischen Urteil das Subjekt in der Konfliktsituation kommt, sondern auf die Rechtfertigung dieser Wahl.

Davon abzugrenzen ist auch zunächst das moralische Handeln, das voraussetzungsreicher ist als moralisches Denken, da die affektiv-motivationale Entwicklung des Subjekts und insbesondere auch situationsspezifische Faktoren wie handlungsleitend sein können. Die Fähigkeit, moralische Urteile eines fortgeschrittenen Niveaus zu vertreten kann aber als notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für moralisches Handeln angesehen werden. Kohlberg führt dazu aus, dass man nicht prinzipienorientiert handeln kann, wenn man Prinzipien nicht versteht, sehr wohl aber prinzipiengeleitet argumentieren kann, ohne nach ihnen zu leben. (1976, 126).

Das prinzipiengeleitete Handeln stellt dabei nach Kohlberg die Spitze von 2 verschiedenen Entwicklungsrichtungen dar: „So wie es eine vertikale Abfolge von Schritten in der Aufwärtsbewegung von der ersten zur zweiten und dann zur dritten Moralstufe gibt, so gibt es auch eine horizontale Abfolge von Schritten in Form einer Bewegung von der Logik zur sozialen Wahrnehmung und dann zum moralischen Urteil“ (Kohlberg, 1976, 125), das wiederum als Voraussetzung für moralisches Handeln gilt.

Die Fähigkeit des allgemeinen logischen Denkens kann somit als Grundbedingung auch moralischer Urteile angesehen werden. Laut Flammer können hier mäßig hohe positive Korrelationen zwischen den Piaget´schen Stufen kognitiver Entwicklung und den Moralstufen nach Kohlberg gefunden werden. Die nächsthöhere Stufe besteht in horizontaler Ebene sodann aus der Entwicklung der Fähigkeit zur Perspektiv- und Rollenübernahme wie sie Selman ebenfalls in einer Stufenabfolge beschrieben hat. „Sie erfassen das Niveau, auf dem die Person andere Menschen wahrnimmt, ihre Gedanken und Gefühle interpretiert und ihre Rolle bzw. Stellung in der Gesellschaft versteht“ (Kohlberg: 1976, 125). Mit guten Fähigkeiten der Perspektivübernahme erwirbt die Person eine weitere wichtige Voraussetzung für ein fortgeschrittenes moralisches Urteil, da für das moralische Urteil (wie es noch zu zeigen gilt) das Berücksichtigen und Integrieren der Standpunkte möglichst vieler Beteiligter von zentraler Bedeutung ist.

2.3. Kohlbergs Untersuchungsdesign: Dilemma-Situationen

Zur Untersuchung des Niveaus moralischer Urteilsfähigkeit verwendet Kohlberg moralische Dilemmata wie das berühmte Heinz-Dilemma, in dem ein Apotheker ein Medikament überteuert verkauft, das die todkranke Ehefrau von Heinz retten kann. Heinz kann das Geld für das Medikament nicht aufbringen und steht nun vor der Entscheidung, ob er das Medikament für seine Frau stehlen sollte.

Charakteristisch für ein solches Dilemma ist es, dass mehrere Normen, deren Geltung unstrittig ist (wie hier der Schutz des Eigentums und der Schutz des Lebens der Ehefrau) nicht gleichzeitig befolgt werden können. Diese Konstellation erfordert von dem Individuum eine begründete Entscheidung für die eine und gegen die andere Norm. „Das heißt im Falle eines Dilemmas mit konfligierenden Verpflichtungen, dass der (notwendige) Verstoß gegen eine Verpflichtung moralisch gerechtfertigt werden kann, weil er aus der Perspektive des unparteiischen Beobachters für alle Betroffenen akzeptierbar werden kann“ (Keller: 2001, 112). Personen einer höheren moralischen Stufe können dabei die Situationen umfassender hinsichtlich ihres psychologischen Gehaltes definieren und komplexere Standpunkte der Beteiligten in ihrem Urteil integrieren.

2.4. Kohlbergs Stufenmodell

„Menschen auf unterschiedlichen moralischen Ebenen und Stufen haben hinsichtlich moralischer Konfliktsituationen verschiedene Ansichten darüber, welches die richtige Handlungsweise ist und warum sie richtig ist“ (Gielen: 2001, 47).

Wenn aber die Einordnung in die moralischen Stufen inhaltsunabhängig erfolgen soll, bleibt die Frage, wie die Ordnung der Stufen gerechtfertigt werden kann. Kohlberg geht davon aus, dass eine Problemlösung einer höhere Stufe der Moralentwicklung moralischen Problemen besser gerecht wird. Diese Annahme bedarf einer moralphilosophischen Begründung, die die Kriterien für eine angemessenere Lösung eines moralischen Problems herausarbeitet. Mit Hilfe eines Rückgriffes auf die sokratische Moralphilosophie, die über Kant bis zu Habermas und Dewey reicht, definiert Kohlberg den „idealen Endpunkt“ (ebd., 53) von moralischem Urteilen in der Fähigkeit, eine autonome, prinzipiengeleitete Entscheidung zu treffen. Diese handlungsleitenden Prinzipien müssen so eine Entscheidung erzeugen, die „der hypothetischen Zustimmungsfähigkeit aus der Perspektive aller potentiell Betroffener“ genügen (Nunner-Winkler: 1999, 87). In seinen früheren Schriften stellt Kohlberg stark auf die Gerechtigkeit als die zentrale Modalität der Moral ab. „In moralischen Situationen geraten Perspektiven oder Interessen in Widerstreit; Gerechtigkeitsprinzipien sind Lösungskonzepte für diese Konflikte, sie dienen dazu, jedem das Seine zu geben“ (Kohlberg: 1976, 144). Eine gerechte normative Entscheidung muss dabei dem Kriterium der Generalisierbarkeit der Norm gerecht werden und auf allgemeinen Prinzipien wie der Fairness, Achtung vor den Personen oder der Gleichbehandlung beruhen. „Gerechtigkeit ist zentral für die Bewertung sozialer Verhältnisse und der Verteilung von Gütern und Lasten, von Rechten und Pflichten, des Austausches zwischen Interaktionspartnern, der Würdigung besonderer Leistungen sowie der Bewertung von Entscheidungsverfahren und der Verfahrensführung durch Autoritäten“ (Montada: 1995, 635).

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Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Kohlbergs Theorie der moralischen Entwicklung und ihre pädagogischen Implikationen
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Bildungswissenschaften)
Veranstaltung
Seminar Kindheit und Jugend
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V85229
ISBN (eBook)
9783638006323
ISBN (Buch)
9783638913157
Dateigröße
562 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kohlbergs, Theorie, Entwicklung, Implikationen, Seminar, Kindheit, Jugend
Arbeit zitieren
Michaela Stahl (Autor:in), 2007, Kohlbergs Theorie der moralischen Entwicklung und ihre pädagogischen Implikationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85229

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