Darstellung und Funktion von Großstadt im 'Kinderkrimi' von Erich Kästner


Bachelorarbeit, 2006

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Abgrenzungen
2.1 Großstadt
2.2 Die Kriminalliteratur
2.2.1 Der Kriminalroman in der Kinder- und Jugendliteratur
2.2.2 Emil und die Detektive als Thriller

3. Erich Kästners Berlin Kontakte

4. Großstadt und Kriminalität in der Weimarer Zeit als Gegenstand in der Kinderliteratur

5. Darstellung und Funktion von Großstadt in „Emil und die Detektive“

6. Reflexion

Verzeichnis der benutzten Literatur
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Internet

1. Einleitung

Diese Arbeit untersucht die Darstellung und Funktion von Großstadt in Erich Kästners Kinderkrimi. Die Untersuchung findet anhand von Erich Kästners Roman „Emil und die Detektive“[1] statt. Ich wählte dieses Buch, da es sich zum einen um eine Kriminalgeschichte und zum anderen um eine Großstadtgeschichte handelt.

Die Handlung lässt sich folgendermaßen umreißen: Der Realschüler Emil Tischbein fährt zum ersten Mal alleine nach Berlin. Auf der Zugfahrt werden ihm hundertvierzig Mark gestohlen, die Emil in Berlin seiner Großmutter überbringen soll. Für das Geld musste seine Mutter sehr hart arbeiten. Emil hat einen Mann aus seinem Abteil in Verdacht, traut sich jedoch aus Angst vor Bestrafung nicht zur Polizei, weil er in Neustadt[2] ein Denkmal beschmiert hat. Also begibt er sich, in Berlin angekommen, auf eine Verfolgungsjagd. Während Emil den Dieb, Herrn Grundeis beschattet, lernt er eine Gruppe Berliner Jungen kennen, die ihn bei seiner Verfolgungsjagd unterstützen wollen. Am Ende können die Kinder den Dieb überführen, der sich zudem als gesuchter Bankräuber entpuppt. Emil bekommt eine Belohnung und wird als Held gefeiert.

Erich Kästner verarbeitet in seinem Roman das Erlebnis eines eigenen Detektivabenteuers, das er in seiner Kindheit in Dresden-Neustadt erlebt hat.[3]

Neben den jungen Detektiven spielt die Metropole Berlin als Symbol des modernen Lebens in den 1920er-Jahren eine tragende Rolle. In dieser Arbeit soll unter anderem geklärt werden wie Kästner das Berlin der damaligen Zeit darstellt und welche Funktion die Großstadt für die Verfolgungsjagd hat.

Meine Hypothese ist, dass der Kinderkrimi „Emil und die Detektive“ und die Metropole Berlin unweigerlich miteinander verknüpft sind, was bedeutet, dass eben dieser Krimi nicht auf dem Dorf hätte spielen können. Kästner entscheidet sich in seinem Vorwort gegen einen Südseeroman und für eine Großstadtgeschichte. Somit tritt die Großstadt, die als faszinierendes Gebiet dargestellt wird, an die Stelle der bis dahin weit verbreiteten Indianergeschichten. Des Weiteren versuche ich mit dieser Arbeit herauszustellen, dass Kästner mit seinem Kinderroman „Emil und die Detektive“ einen neuen Grundstock in der Kinder- und Jugendliteratur setzt.

Um meine Hypothese zu beweisen, beginne ich meine Arbeit mit einer Abgrenzung der Begriffe „Großstadt“, „Kriminalliteratur im Allgemeinen“ und deren „Bedeutung für die Kinder- und Jugendliteratur“. Anschließend nehme ich eine Einordnung des Werkes „Emil und die Detektive“ vor. Hierauf folgt eine kurze Darstellung der Lebensstadien Kästners, die für diese Arbeit eine besondere Rolle spielen. Wie kam Erich Kästner dazu Kinderkrimis zu schreiben? Wie empfand er Berlin, als er selber dort wohnte?

Im darauf folgenden Teil werde ich einen kurzen Überblick über Großstadt und Kriminalität in der Weimarer Zeit als Gegenstand in der Kinderliteratur geben. Hieran schließt eine Ausarbeitung von Kästners Darstellung und Funktion Berlins an:

- Wie stellt Kästner das Berlin der Weimarer Zeit dar?
- Welche Funktion übt die Metropole in Bezug auf die Kriminalhandlung aus?
- Warum wählt Kästner gerade eine Großstadt als Schauplatz seiner Verfolgungsjagd?

Wie wir später erfahren werden, war der Handlungsraum Großstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchaus nicht üblich für einen Kinderroman. Diese Arbeit schließt mit einer Reflexion der Arbeitshypothese ab.

2. Abgrenzungen

2.1 Großstadt

Die folgenden Ausführungen sollen dazu dienen, sich ein Bild der Großstadt der 1920er/1930er-Jahre machen zu können. Insbesondere wird auf die Größe der Fläche, die Größe der Einwohnerzahl und auf weitere Kennzeichen Berlins, wie die elektrische Straßenbahn, der damaligen Zeit eingegangen. Ein Vergleich mit Dresden soll den Unterschied zwischen einer großen Stadt (Dresden) und einer Großstadt (Berlin) aufzeigen. Dresden ist die Geburtsstadt von Erich Kästner. Auch seinen Romanhelden Emil zieht es von Dresden-Neustadt nach Berlin.

„Großstädte sind nach einer Begriffsbestimmung der Internationalen Statistikkonferenz von 1887 alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern.“[4]

1929 ist Berlin die Hauptstadt des Deutschen Reiches und des Freistaates Preußen. 1927 hat Berlin knapp 4,2 Millionen Einwohner zu verzeichnen und hat damit mehr Einwohner als der Freistaat Württemberg mit 2,6 Millionen Menschen. Berlins Stadtgebiet umfasst zu besagter Zeit 880 km² und ist damit ausgedehnter als New York mit 846 km².[5]

1925 ist Dresden die Hauptstadt des Freistaates Sachsen mit einer Gesamtfläche von 113 km² und 1,3 Millionen Einwohnern. Dresden-Neustadt liegt rechts von der Elbe und ist das Hauptgeschäftsgebiet Dresdens.[6] Vor 1872 ist der Pferdeomnibus das gängige Transportmittel für Menschen. 1872 löst die erste Pferdebahn den Pferdeomnibus ab. 1893 wird in Dresden die erste elektrische Straßenbahnlinie eröffnet. Nach und nach lösen die elektrischen Bahnen die Pferdebahnen ab. Von nun an sind die Vororte untereinander und auch mit der Stadt Dresden durch elektrische Straßenbahnen verbunden. Außerdem gibt es wenig später Autobuslinien neben den 4 großen Bahnhöfen mit ihren acht Haltestellen.[7] 1929, in dem Jahr in dem „Emil und die Detektive“ spielt, sind die elektrischen Straßenbahnen schon verbreitet, jedoch kann man davon ausgehen, dass es innerhalb der Vororte noch keine elektrischen Stadtbahnen gibt, sondern lediglich die Pferdebahn, die zwar auf Schienen fährt, jedoch von einem Pferd gezogen wird.

Berlin ist Dresden in Bezug der Verkehrsentwicklung einen Schritt voraus. Die erste elektrische Straßenbahn der Welt fährt dort bereits ab dem 16.5.1881. Die Umstellung dauert ungefähr elf Jahre, so dass ab 1902 die meisten Linien elektrisch betrieben werden.[8]

2.2 Die Kriminalliteratur

Die Kriminalliteratur (von lat. crimen = Verbrechen) geht im weitesten Sinn bis zum Ödipus-Mythos zurück und über die Schwank- und Schelmenliteratur bis zur Räuberliteratur im 18./19. Jahrhundert. Im engeren Sinn beginnt die Geschichte der Kriminalliteratur im 18. Jahrhundert und steht in Verbindung mit der Trivialliteratur, die sich zu dieser Zeit herausbildet.[9] Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird der Kriminalroman genutzt um erzählende Prosatexte, die als Grundlage das Thema Verbrechen gemeinsam haben, zu bezeichnen.[10]

Es gibt in der Literaturwissenschaft keine einheitliche Terminologie für die Gattung „Kriminalroman“. Man ist sich zwar einig, dass der Begriff „Kriminalroman“ oder kurz „Krimi“[11] einen Oberbegriff darstellt, ist sich jedoch über den Begriffsumfang als solchen uneinig. Für Edgar Marsch[12] zum Beispiel fällt unter den Begriff „Kriminal erzählung[13] sowohl die „Detektiv“-, wie auch die „Verbrechensliteratur“. Um eine nähere Definition der Gattung „Krimi“ zu geben, wird an dieser Stelle dem Ansatz von Peter Nusser nachgegangen, da dieser im Gegensatz zu anderen, wie zum Beispiel Richard Alewyn,[14] die Einteilung um einen dritten Strukturtypus ergänzt: den „Thriller“, der für diese Arbeit von besonderer Bedeutung ist (siehe Punkt 2.2.2). Nach P. Nusser müsse zunächst eine Unterscheidung zwischen Kriminalliteratur und Verbrechensliteratur getroffen werden. Die Verbrechensliteratur untersucht nach P. Nusser ein Verbrechen auf Ursprung, Wirkung und Sinn hin und bezüglich der Gründe, die der Täter für seine Tat hatte, wie zum Beispiel in dem Ödipus-Mythos. Die Kriminalliteratur hingegen stellt zudem die Schwierigkeiten dar, die bei der Klärung und Verhaftung des Täters auftauchen und ist nach P. Nusser der Oberbegriff für folgende Untergliederungen:

1. Der Detektivroman (von engl. to detect = aufdecken, enthüllen; detective = Geheimpolizist) ist eine besondere Form des Kriminalromans und entstand im 19. Jahrhundert. Seine Form geht auf E. A. Poe und seinen Roman „Mord in der Rue Morgue“ (1841) zurück. Im Detektivroman steht nicht mehr die Tat an sich (in den meisten Fällen ein Mord) im Vordergrund, sondern vielmehr die Aufklärung des Verbrechens, bei der der Leser nicht selten mit einbezogen wird.[15] Die Klärung des Verbrechens findet analytisch statt, dass heißt, durch Verhöre und Untersuchungen von bereits geschehenen Handlungen.
2. Bei dem Thriller (von engl. to thrill = schauern, erbeben) hingegen ist das Verbrechen kein Rätsel, welches gelöst werden muss, vielmehr steht die Verfolgung des Täters im Vordergrund. Bei der Verfolgungsjagd kommt es nicht selten zu Hindernissen, die der Detektiv überwinden muss, wie zum Beispiel Personen, die die Erfassung des Täters verhindern wollen. Ziel des Thrillers ist damit die Verhaftung des Verbrechers und nicht wie bei einem Detektivroman die Lösung des Verbrechens. Des Weiteren handelt es sich beim Thriller um eine chronologische Erzählung.

[...]


[1] Die Erstausgabe erschien 1928. Das Buch war einer der großen Erfolge Kästners, wurde mehrmals verfilmt und in über 50 Sprachen übersetzt. Insgesamt gab es 147 Auflagen. Zudem gab es eine Fortsetzung: „Emil und die drei Zwillinge.“ Diese erschien 1934. (Für meine Untersuchungen benutze ich folgende Ausgabe: Erich Kästner: Gesammelte Schriften. Band 6. Romane für Kinder. Als ich ein kleiner Junge war. Emil und die Detektive. Emil und die drei Zwillinge. Pünktchen und Anton. – Köln 1959.

[2] Es handelt sich wohl um Dresden-Neustadt, den Stadtteil Dresdens, in dem Erich Kästner geboren wurde. (Vgl. http://www.kaestnererich.de/, 20.06.2006).

[3] Als Erich Kästner ein Kind war, bekam er mit, wie eine Frau Strempel einen Großauftrag für eine Hochzeit bei seiner Mutter, die Friseuse war, aufgab. Am Tag der angeblichen Hochzeit erschien jedoch niemand und die Kasse der Mutter blieb leer. Kurze Zeit später sieht Erich die besagte Frau Strempel auf der Straße und verfolgt sie bis in ein Geschäft. Wie sich herausstellte, war Frau Strempel Verkäuferin und hat sich die Hochzeit zusammengeträumt. Diesen Traum musste sie teuer in Raten bei Erichs Mutter abbezahlen. (Vgl. http://www.zlb.de/projekte/kaestner/prolog/erlebnis.htm, 8.06.2006).

[4] http://wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fstadt (18.06.2006)

[5] Berlin. – In: Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden. Zweiter Band. Afu-Bla. – 15. Auflage. Leipzig 1929, S. 571.

[6] Dresden. – In: Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden. Fünfter Band. Doc-Ez. – 15. Auflage. Leipzig 1930, S. 103.

[7] Dresden. – In: Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden. Fünfter Band. Doc-Ez. – 15. Auflage. Leipzig 1930, S. 104.

[8] http://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fenbahn_Berlin (18.6.2006)

[9] Vgl. Malte Dahrendorf: Kriminalgeschichte für Kinder und Jugendliche. In: Klaus Doderer (Hrsg.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 2. - Weinheim/Basel 1977, S. 259.

[10] Thomas Wörtche: Kriminalroman. In: Harald Fricke (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 2 O-H. – 3. Auflage. Berlin 2000, S. 342.

[11] Bei dem Wort „Krimi“ handelt es sich um ein Kurzwort für Kriminalroman, welches umgangssprachlich benutzt wird. (Vgl. Ruth Klappenbach, Wolfgang Steinitz (Hrsg.): Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Berlin 1969, S. 2236). Das erste Mal ist das Wort 1950 aufgekommen, vielleicht beim Münchener Verlag Wilhelm Goldmann. (Vgl. Heinz Küpper: Pons. Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. Stuttgart 1987, S. 463.)

[12] Edgar Marsch: Die Kriminalerzählung. Theorie, Geschichte, Analyse. München 1972, S. 16.

[13] E. Marsch benutzt an dieser Stelle das Wort „Erzählung“, aufgrund der Kürze, der begrenzten Anzahl der handelnden Personen und der kompakt strukturierten Handlung eines Krimis. (Vgl. Günter Lange: Krimis für Kinder und Jugendliche. In: Günter Lange (Hrsg.): Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. Band 1. Grundlagen-Gattungen. Baltmannsweiler 2000, S. 525.)

[14] Vgl. Richard Alewyn: Anatomie des Detektivromans. In: Jochen Vogt (Hrsg.): Der Kriminalroman. Poetik, Theorie, Geschichte. München 1998, S. 52-72.

[15] Vgl. Malte Dahrendorf: Kriminalgeschichte. S. 259.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Darstellung und Funktion von Großstadt im 'Kinderkrimi' von Erich Kästner
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig  (Seminar für deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Erweiterungsmodul 1
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V86289
ISBN (eBook)
9783638907958
ISBN (Buch)
9783638907972
Dateigröße
638 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Darstellung, Funktion, Großstadt, Kinderkrimi, Erich, Kästner, Erweiterungsmodul, Thema Erich Kästner
Arbeit zitieren
Nina Lamprecht (Autor:in), 2006, Darstellung und Funktion von Großstadt im 'Kinderkrimi' von Erich Kästner, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86289

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