Gehetzte Kinder. ADHS als Konsequenz eines beschleunigten Umgangs mit der Zeit?

Ein Klärungsversuch


Hausarbeit, 2004

56 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Gesellschaftliche Bedingungen und kindliche Entwicklung heute
2.1 Die beschleunigte Gesellschaft
2.2 Familie im Wandel
2.3 Bewegungsmangel
2.4 Kindheit im Wandel

3 Begriffsklärung ADHS
3.1 Beschreibung der Leitsymptome
3.2 Diagnosestellung
3.3 Entwicklung und Ausdehnung
3.4 Genese/Ursachen
3.4.1 Primäre Ursachen
3.4.2 Sekundäre Ursachen
3.4.3 Psychosoziale Verursachungsfaktoren der Hyperaktivität
3.4.4 Die ökonomisch-kulturellen Einflussfaktoren
3.4.5 Die Einflussfaktoren des sozialen Umfeldes
3.4.6 Die psychoemotionalen Einflussfaktoren
3.5 ADHS – ein multifaktorielles Geschehen
3.6 Erweiterte Perspektiven

4 Relevanz für die Soziale Arbeit

5 Schlussbetrachtungen

6 Literaturverzeichnis

Dies ist für die Kinder, die anders sind;

Die Kinder, die nicht immer „Einser“ bekommen.

Die Kinder, die Ohren haben,

Zweimal so groß wie die der Altersgenossen.

Oder Nasen, die tagelang laufen.

Dies ist für die Kinder, die anders sind;

Die Kinder, die einfach aus dem Schritt sind,

Die Kinder, die alle hänseln,

Die Schnittwunden auf ihren Knien haben,

Und deren Schuhe ständig naß sind.

Dies ist für die Kinder, die anders sind;

Die Kinder mit einem Hang zum Schabernack,

Denn wenn sie erwachsen sind,

Die Geschichte hat es gezeigt,

Sind es die Unterschiede, die sie einzigartig machen.

Digby Wolfe[1]

1 Einleitung

Im Dezember 1844 machte sich der Frankfurter Arzt Dr. Hoffmann auf die Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für seinen dreijährigen Sohn Carl. Am liebsten wollte er ihm ein Bilderbuch schenken. Im Buchladen ärgerte er sich über die uninteressanten Abbildungen und die vielen nüchternen Belehrungen, Vorschriften und Ermahnungen in den Kinderbüchern. Er entschloss sich ein eigenes Kinderbuch zu verfassen. Dies war der Startschuss für den „Struwelpeter”[2].

Die Geschichten vom „Zappelphillip” und vom „Hans Guck – in – die – Luft” verdeutlichen, dass es sich bei dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom um ein schon lang bekanntes Störungsbild handelt[3].

In der heutigen Zeit taucht der Begriff ADHS mehr und mehr im Zusammenhang mit unkonzentrierten, zappeligen und/ oder verträumten Kindern auf. Eltern, Lehrer und Erzieher stellen eine Zunahme der Anzahl der sogenannten „schwierigen“ Kinder fest, die nur mit sehr großem Aufwand an Zuwendung und Verständnis im Kindergarten, in der Schule oder ihrem eigenen Zuhause „funktionieren”. Sowohl in Zeitschriften als auch in der Fachliteratur nehmen die Zappelphilippe und Tagträumer einen immer größer werdenden Raum ein[4].

Themen wie z.B. „das unkonzentrierte und unruhige Kind” erscheinen fast in jeder Elternzeitschrift. Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle und das Phänomen wird aus den verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet: Ist es ein Erziehungsproblem? Liegt es an den Genen? Stimmt irgend etwas mit unserer Gesellschaft nicht mehr, dass immer mehr dieser „Unruhegeister” aus dem Rahmen fallen? Liegt es am Fernsehen? Oder doch nur an der Ernährung? Warum sind Eltern und Lehrer häufig hilflos?[5]

ADHS ist aber keine Katastrophe. Man kann ADHS erfolgreich behandeln, allerdings setzt dies voraus, dass man gut darüber informiert ist. Das größte Problem für ADHS – Kinder ist, dass ihre Umgebung noch viel zu wenig über ADHS aufgeklärt ist. Daher werden solche Kinder häufig missverstanden. Die Menschen, die täglich mit ihnen zu tun haben, gehen nicht richtig auf sie ein.

Während der Vorbereitung auf das Thema dieser Arbeit und auch schon bei der Themenfindung, wurde mir schnell klar, wie vielschichtig dieses ist und wie viele verschiedene und konträre Theorien und Erklärungsansätze es dazu gibt. ADHS scheint überall das Thema der Stunde zu sein. Die Veröffentlichungen in Büchern, Fachzeitschriften und Zeitschriften wie dem Spiegel und dem Stern sowie Videomaterial, Berichte, Analysen und Fernsehbeiträge sind kaum noch zu überblicken. So haben sowohl der Spiegel als auch Geo eine Spezialausgabe zu den Themen Wissen und Bildung herausgegeben, die Fachzeitschriften Ergotherapie und Rehabilitation sowie Praxis Ergotherapie in den letzten Jahren immer wieder Artikel zum Thema ADHS veröffentlicht. Auch die Zeitschrift „Spielen und Lernen“ setzen sich vermehrt mit Erziehung und ADHS auseinander. In den letzten fünf Jahren sind allein in Deutschland mehr als sechzig Bücher zum Thema ADHS erschienen[6]. Dies hat mich auf der einen Seite bestärkt über dieses Thema zu schreiben, auf der anderen Seite war es ein Abenteuer, sich durch die Informationsflut zu arbeiten und sich auf einen Teil des Ganzen zu beschränken, da alles auf eine Art zusammenhängt und hochinteressant ist.

Aus meiner eigenen Arbeit als Ergotherapeutin in einer Praxis und einem Sonderkinderarten kann ich diese Tendenz bestätigen. In Gesprächen mit Eltern, Erziehern und Therapeuten wurde mir immer wieder bestätigt, dass verhaltensauffällige Kinder, meist mit der Diagnose ADHS, in den letzten Jahren vermehrt auftreten und sich eine zunehmende Ratlosigkeit diesbezüglich verbreitet. Auch in Schulen werden diese Kinder immer zahlreicher und Lehrer sind meist überfordert.

Um eine Klärung in diesem Themenkomplex zu erreichen oder zumindest eine Annäherung an die „Medizinisierung abweichenden Verhaltens bei Kindern“[7] und die damit verbundene Medikalisierung dieser zu versuchen, habe ich mich für die Bearbeitung des Zusammenhangs von sogenannten ADHS – Diagnosen und den momentan vorherrschenden gesellschaftlichen Einflüssen (auf Kinder) entschieden. Dieses Thema zieht sich in viele, wenn nicht alle Bereiche der Sozialen Arbeit. Besonders in der Arbeit mit Kindern, der Eltern- und Familienberatung aber auch im Bezug auf die Jugendberufshilfe, da ADHS nicht nur eine Erkrankung des Kindesalter ist und sich unbehandelt in Jugend und Erwachsenenleben fortsetzt. Diese Erkrankung wird als einer der Faktoren benachteiligter Jugendlicher mit Schwierigkeiten in der Schule, dem Ausbildungs- und auf dem Arbeitsmarkt genannt.

Die Frage, die ich mir im Zusammenhang mit der beschriebenen Präsenz von ADHS in den Medien stelle ist, warum gerade jetzt eine so enorme Zunahme der betroffenen Kinder? Gibt es tatsächlich eine Zunahme der Erkrankung? Oder wird nur unsere Wahrnehmung für diese Kinder sensibler? Ist wirklich jedes aktive, von der Norm abweichende und verhaltensoriginelle Kind ein ADHS´ ler? Was ist denn eigentlich normal? Gibt es einen Zusammenhang mit den äußeren Umständen? Macht die Gesellschaft in der wir leben unsere Kinder Krank? Ist ADHS eine Modekrankheit? Ein Erziehungsdefizit? Müssen diese Kinder ruhig gestellt werden? Ist Ritalin der adäquate „Ausschalter“?

Letztendlich fiel mir das Buch „Die Ritalingesellschaft. Eine Generation wird krank geschrieben.“[8] in die Hände, in dem genau diese Fragen diskutiert werden.

Meine Erkenntnisleitende Frage lautet schlussfolgernd also: ADHS – Tatsächliche Erkrankung oder ein Ergebnis unserer beschleunigten Gesellschaft?

Die ‚Krankheit’ ADHS ist meiner Meinung nach in erster Linie eine „Erziehungs-Defizit-Störung“, aber auch eine Auswirkung der mangelnden Sinneswahrnehmungs- und Bewegungsmöglichkeiten unserer schnelllebigen Zeit.

Auch Margarete Liebrand spricht davon, dass die „Ursachen für ADS / ADHS - Phänomene einem Interaktionsgefüge von psychosozialen und biologischen Faktoren zuzuweisen sind...“. Sie geht darauf ein, dass die Entwicklung der Aufmerksamkeit auch durch die Anregungen der Umwelt beeinflusst wird, wobei sich sowohl zu hohe als auch zu geringe Anreize negativ auswirken. Im Weiteren geht sie auf den Zusammenhang sensomotorischen Lernens (Jean Ayres), der Psychomotorik (E. J. Kiphard) und ADHS ein. Sie sagt, dass Aufmerksamkeit und Körpergefühl sich bedingen und weist auf „...mögliche Zusammenhänge zwischen dem Aufbau komplexer Prozesse der Aufmerksamkeit sowie der Aktivität und dem Bezug zum eigenen Körper, der diesem Verständnis zufolge als ein ganzheitlich gedachter Selbstbezug mehr beinhaltet als einzelne Wahrnehmungskompetenzen und motorische Fertigkeiten“ hin[9].

Die Ursachen von ADHS werden einseitig biologisch erklärt, es existieren keine klaren Definitionen und Abgrenzungen zu anderen Lernstörungen. „Es besteht die Gefahr einer Reduzierung von Lern- auf Aufmerksamkeitsstörungen, was zu einer vorschnellen Pathologisierung von sozial nicht erwünschten Verhaltensweisen und dazu führen kann, dass Kinder medikamentös behandelt werden, bei denen das nicht sinnvoll ist.“ Besonders auffällig ist, dass Eltern betroffener Kinder meist sehr positiv gegenüber der Behandlung mit Ritalin und sehr kritisch den Theorien des ADHS als „Modekrankheit“ oder Erziehungsdefizit[10] sind.

Auch in Deutschland werden bereits Untersuchungen zur Arzneimittel - Versorgung von Kinder mit hyperkinetischen Störungen gemacht. Als Grund hierfür war der Anstieg der Ritalin - Verordnungen von 1990 bis 2000 um das 40fache. „Wegen dieses auffälligen Anstiegs befürchten Experten daher schon eine Verschreibungspraxis wie in den USA, wo ebenfalls Kritik an der häufigen Verordnung laut wird.“[11] Es steht hier die Frage im Raum, „ob hier eventuell eine Medikalisierung psychosozialer Probleme stattfindet...Gegenwärtig wird mitunter der Verdacht einer zu >leichtfertigen< Verschreibung geäußert, besonders problematisiert wird die Verordnung an Säuglinge und Kleinkinder sowie die Verordnung durch Arztgruppen, die in der Regel keine Kinder behandeln.“[12]

Um die gestellte erkenntnisleitende Frage zu bearbeiten und evtl. zu klären, gilt es in dieser Arbeit auf die beinhalteten Aspekte einzugehen. Das heißt erstens, die wesentlichen gesellschaftlichen Bedingungen zu diskutieren. Dies ist Inhalt des zweiten Kapitels dieser Arbeit, welches sich unterteilt in die Vorstellung der beschleunigten Gesellschaft, eine Beschreibung der Familie im Wandel, des vorherrschenden Bewegungsmangels und dem veränderten Verlauf der heutigen Kindheit.

Zweitens muss der Begriff der ADHS geklärt werden, was Thema des dritten Kapitels ist. Hier wird über die Beschreibung der Leitsymptome, die Diagnosestellung, die Entwicklung und Ausdehnung und die Ursachen von ADHS ein erstes Verständnis der „Erkrankung“ ermöglicht. In den erweiterten Perspektiven werden diese bisherigen Erkenntnisse kritisch beleuchtet. Im vierten Kapitel wird kurz der Bezug zur Sozialen Arbeit hergestellt.

Der folgende Beitrag eines selbst an ADHS erkrankten Vaters eines ADHS - Kindes soll als Einstieg in die weiteren Überlegungen dienen.

„In meiner Kindheit war ADHS wahrscheinlich nicht so ein großes Problem. Vor allem die Hyperaktivität, Impulsivität und auch Aggressivität konnte in höherem Maße auf natürliche Weise abgebaut werden. Es ist für ein ADHS krankes Kind, das den Großteil des Tages mit der Dorfjugend herumtobt, viel einfacher angestauten emotionalen Ballast los zu werden, als für die meisten Kinder heute. Diese leben heute unter ganz anderen Vorraussetzungen als ihre Eltern oder gar ihre Großeltern. Fußball am Computer oder der Playstation, hat mit Sicherheit eine andere Wirkung, als das Kicken auf dem Bolzplatz. Bewegungsmangel und Leistungsdruck nehmen in unserer Gesellschaft immer mehr zu. Daher ist es verständlich, dass immer mehr Kindern die Diagnose ADHS gestellt wird. Der prozentuale Anteil der betroffenen Kinder wächst also meines Erachtens nicht, weil diese Krankheit sich stetig ausbreitet, sondern weil sie in unserer stressigen und leistungsorientierten Zeit mehr auffällt und es für die ADHS’ ler schwerer ist als früher. Es wird also viel häufiger ADHS diagnostiziert, ohne dass die Zahl der Betroffenen wächst.“[13]

Sinn und Zweck dieser Arbeit soll auch sein, zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der wachsenden (Über-) Diagnostizierung von ADHS anzuregen oder zumindest einen Denkanstoß in eine andere Richtung zu geben.

Begonnen werden soll mit einer Beschreibung der oben erwähnten Einflüsse unserer Gesellschaft.

2 Gesellschaftliche Bedingungen und kindliche Entwicklung heute

Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen sind charakterisiert durch Auflösung privatsozialer Systeme, die Zunahme des Bedürfnisses nach Individualität und Abnahme der Solidarität. Bestimmte Wohnsituationen nehmen den Kindern Beziehungen und Bezugspersonen. Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft nehmen ab, die Reizüberflutung durch neue Medien lässt die Menschen vermehrt in die Zuschauermentalität verfallen. Der kindliche Drang nach Abenteuern, Selbsterfahrung und Entdecken wird durch „zweckmäßige“ Architektur wie z.B. Hochhäuser oder Straßen gebremst und unterdrückt. Dieses nicht erleben können wird oft mit einer Reizüberflutung durch die immer besser entwickelten Medien kompensiert. Erlebt wird nicht hautnah, sondern über Personen, die stellvertretend Abenteuer durchleben[14].

Alle westlichen Industriegesellschaften sind gekennzeichnet einen Veränderungsprozess, der in der Soziologie als „gesellschaftlicher Pluralisierungs- und Individualisierungsprozess“ bezeichnet wird. Dies hat unter anderem zu einer Vielfalt von Wertorientierungen und Lebensstilen geführt („Pluralismus“) und damit auch zu einer Vielgestaltigkeit und Offenheit der Eltern - Kind - Beziehungen und der Kindheit als Lebensphase und eines biographischen Abschnitts.

Mit „Individualisierung ist die mit dem Pluralisierungsprozess einhergehende soziale „Freisetzung“ gemeint, die das einzelne Gesellschaftsmitglied aus seinen traditionellen Bindungen, Versorgungsbezügen und verinnerlichten (Geschlechts-) Rollen herauslöst, aber gleichzeitig den Zwängen des Bildungs-, Arbeits- und Konsummarktes aussetzt. Jeder hat – und das ist historisch neu – die Chance (und gleichzeitig den Zwang/die Aufgabe), zwischen all den Möglichkeiten, die unsere Gesellschaft ihm bietet, frei wählen zu können, aber jeder trägt gleichzeitig das Risiko sich falsch zu entscheiden[15].

Die Rolle des Kindes in der Gesellschaft hat sich verändert und wird besonders durch folgende Faktoren beeinflusst:

- die Auflösung sozialer Bindungen im Familienleben
- die wachsende Bedeutung der Freizeit
- der wachsende Einfluss der Medien mit ihren Informationsmöglichkeiten, ihrem Informationsüberschuss und ihrer Förderung von passiven Verhaltensweisen die Intensivierung und Verdichtung der Leistungsanforderungen
- Unsicherheit und Zukunftsangst bezüglich des späteren Berufs oder eventueller Arbeitslosigkeit
- die Zunahme von sozialen und kulturellen Spannungen
- der beschleunigte Umgang mit der Zeit

Auf einige Aspekte der genannten und, für diese Arbeit relevanten, gesellschaftlichen Bedingungen soll im Folgenden eingegangen werden.

2.1 Die beschleunigte Gesellschaft

Heute, so schreibt DeGrandpre in seinem schon mehrfach genannten Buch, ist das Leben „ein nicht endender Strom von Tagen, erfüllt mit Hast und Unruhe und Jetlag – Nächten... Entweder sind wir in Hetze oder erholen uns davon oder hetzen zu neuer Hetze.“[16]

Die beschleunigte Gesellschaft ist nicht selbstbestimmt, sondern wie er sagt „eine seltsame und scheinbar chronische kulturelle Erkrankung.“[17] Wir sind zu einer Gesellschaft geworden, die süchtig nach Abwechslung und Erregung ist. Die >Freuden der Langsamkeit< sind verschwunden. Muße, Langsamkeit, Faulheit, Entspannung, Einfachheit... vieles davon gehört in der westlichen Kultur der Vergangenheit an und wurde ersetzt durch eine >Geschwindigkeitsmanie<.

DeGrandpre bringt ADHS und die >Ritalin - Lösung< ganz klar mit unserer Sucht nach Geschwindigkeit und unserer Beschleunigungsgesellschaft in Verbindung.

Das Tempo unseres Lebens nimmt fortlaufend zu, die Schnelllebigkeit übertrifft bei weitem die jeder anderen Gesellschaft. Eine Untersuchung kam 1971 zu dem Ergebnis, dass jeder fünfte befragte Erwachsene sich „immer“ unter Druck fühlt. 1992 hatte sich der Anteil auf einen von dreien erhöht. Selbst die „fortschrittlichste“ Technologie wird so schnell wie nie ein alter Hut. Mit dem technologischen Fortschritt wurde unser Leben vereinfacht aber zugleich auch beschleunigt.

Der Gesichtspunkt der Quantität schiebt sich vor den der Qualität. So wird immer mehr das Gute und Solide durch Kurzlebiges und Billiges ersetzt. Die Dinge nutzen sich schneller ab und werden eher weggeworfen als repariert – was leider auch oft unsere persönlichen Beziehungen mit einschließt. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. „Die Härte des täglichen Lebens formt und verformt die zwischenmenschlichen Beziehungen, von der sozialen über die romantischen bis zu den Beziehungen von Eltern und Kindern.“[18]

Wir leben in ständiger Bewegung. Entweder sind wir selbst in Bewegung oder etwas in unserer Nähe. Dies und die vollständige Überflutung mit Reizen bewirkt, dass wir ständig mit der so entstehenden Unruhe ausgefüllt und von ihr angetrieben sind. Wo auch immer wir uns befinden, umgeben uns eine Vielzahl unterschiedlichster Sinneseindrücke[19]. „Selbst wenn wir die ständige Geräuschkulisse aus Summen, Piepsen, Pfeifen etc. nicht als störend empfinden, werden wir ihr gegenüber wahrscheinlich eine psychische Toleranz entwickeln.“[20]

Viele Eltern haben in der heutigen Gesellschaft augrund der Anforderungen von Arbeitsplatz und Wohlstand immer weniger Zeit, sind in ständiger Eile und stehen unter Stress. Daraus resultiert, dass es ihnen nicht mehr gelingt, die Entwicklungs- und Erlebniswelt ihrer Kinder zu erhalten und zu schützen. Die beschleunigte Gesellschaft bringt also eine Menge von kulturellen Bedingungen und Konsequenzen mit, die für die Entwicklung von Kindern nicht förderlich sind. So z.B. das gehetzte, unstrukturierte Leben der Kinder und deren ständige Überflutung mit Sinnesreizen. Das Fehlen eines berechenbaren, gleichbleibenden (und langsamen!) Tagesablaufs zu Hause führt dazu, dass das Kind keine Strukturen der Selbstorganisation und Selbstkontrolle entwickeln kann. Struktur heißt jedoch nicht nur Routine und Ritual, sondern auch geduldig da zu sein, wenn das Kind Aufmerksamkeit braucht, denn wir wissen, dass die gesunde Kindesentwicklung von der emotionalen Bindung des Kindes an seine Eltern abhängt.

Der Tagesablauf ist immer weniger durch Zeit für wohltuende Stille und Ruhe sondern durch den Konsum leichter Unterhaltung gekennzeichnet. Für Kinder beinhaltet ein Tag auch den ständigen Transport von einem Betreuer und Termin zum nächsten, was eine turbulente Lebensweise bedeutet. Diese vielfältigen Aktivitäten lösen häufig eine Abscheu gegen Strukturiertheit aus und ein größeres Bedürfnis nach Stimulation, die beide dazu führen können, dass das Kind in langsamen Lebensbezügen völlig überfordert ist – in der Schule, beim Essen, zur Bettgehzeit, bei der Hausarbeit, den Schulaufgaben oder wenn dem Kind etwas verboten wird.

In der frühen Kindheit ließ die Qualität der Zuwendung sehr viel deutlichere Voraussagen auf Ablenkbarkeit, einen frühen Vorläufer von Hyperaktivität, zu als frühe biologische Faktoren oder solche des Temperaments. Zuwendung und kontextuelle Faktoren lassen eine Vorhersage auf Hyperaktivität in der mittleren Kindheit zu. All diese Faktoren sind direkt oder indirekt von der Beschleunigungskultur oder der Kultur der Vernachlässigung beeinflusst.

Alleinerziehende und Eltern, die nur geringe Unterstützung von außen erhalten, geraten schnell in eine Überforderungssituation, die von den Prioritäten, die eine Beschleunigungskultur setzt, noch verschärft wird. Diese Faktoren schaffen auch die Bedingungen für eine ruhelose und reizüberflutete Lebensweise der Kinder. Die Eltern geben unbewusst ihr eigenes hektisches, gehetztes (Zeiter-) Leben an ihre Kinder weiter, was zu einer weiteren Überstimulierung führt und sich zerstörerisch auf die kindliche Welterfahrung auswirkt. Wird eine solche Art der Betreuung chronisch, lässt sich das Kind immer leichter ablenken und befindet sich in einem Vorstadium späterer Hyperaktivität. Ablenkungsquellen aus der Umwelt wie das Tempo der Aktivitäten im Tagesverlauf und der Umgang mit elektronischen Medien addieren sich zu den genannten Faktoren. Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsdefizite hängen also mit Merkmale zusammen, die sich in vielen Familien von heute identifizieren lassen[21].

Auch Geissler setzt sich in seinem Artikel „Haben sie Zeit!“[22] mit dem Thema der Beschleunigung und Schnelllebigkeit der heutigen Zeit auseinander. „Wir leben beschleunigt – Fortschritt ist vor allem Schnelligkeit. Der Preis für diese >Schnellebigkeit< steigt, die psychischen und ökologischen Kosten werden immer deutlicher sichtbar. Streß und Hektik sind die Kehrseite des Zeitsparens. Wie lässt sich die Langsamkeit entdecken, und wann lernen wir endlich, wie produktiv sie sein kann?“[23]

Bis zum 14./15. Jahrhundert war Zeit kein Thema, denn Zeit war Natur und man lebte mit der Natur. Die regelmäßig wiederkehrenden Zyklen der Jahreszeiten, der Rhythmus von Tag und Nacht, Ebbe und Flut, von Wachsen und Vergehen, von Geburt und Tod strukturierten das Zeiterleben und

-verhalten. Mit der globalen Industrialisierung schritt und schreitet auch die Beschleunigung fort durch die man zu vielem, nur nicht mehr zu sich selber kommt. Wir sind hektisch und suchen nach gefüllter statt nach erfüllter Zeit. „Hohe Geschwindigkeiten gehen mit Wahrnehmungseinschränkungen einher.“[24] Aufgrund der fortgeschrittenen Bewegungsmöglichkeiten hat die Einsamkeit zugenommen. Beschleunigung verursacht Gleichgültigkeit und ist der Feind des Sozialen und jeder echten Gemeinschaft. Die Produktivität der Langsamkeit sollte erkannt und gefördert werden. Nur sie ermöglicht Gemeinschaft, Liebe und Vertrauen. Hektische Menschen sind dazu nicht fähig. Geissler beschreibt die Langsamkeit bzw. Trägheit als eine wichtige und positive Kraft. Erst durch geduldiges Verstehen und Handeln wird wirkliche Entwicklung möglich und nicht durch Zerstreuung und Ablenkung. Friedfertigkeit und Friedlichkeit brauchen Langsamkeit um sich zu entwickeln. Die Langsamen haben die Freundschaft erfunden. Neue Erfahrungen und Entdeckungen sind auf Bedächtigkeit und Geduld angewiesen. „Das Abdrängen der Langsamkeit – ob in Altersheime oder Sonderschulen – ist der Tod der Gemeinschaft.“[25] Sorgfalt, Zärtlichkeit, Nachdenken, Überlegen, Pflegen – all dies und vieles mehr geht durch die fortschreitende Beschleunigung unserer Gesellschaft verloren. Das Warten könnte man nicht als verlorene Zeit, sondern als die Möglichkeit etwas Neues, Unerwartetes an sich herankommen zu lassen sehen. Für Kinder würde dies Zeit für (kreative) Langeweile, spielen und geordnetes Sammeln von Wahrnehmungen bedeuten. Alles Dinge, die für ihre gesunde Entwicklung mehr als wichtig sind. Es wird oft genug verkannt, welche Produktivität das Warten – und somit auch die Langeweile – haben könnte. Im Grimm´ schen Wörterbuch wird ‚warten’ erklärt mit: ’wohin schauen, seine Aufmerksamkeit auf etwas richten, versorgen, pflegen, einem dienen’ und nicht als ‚verlorene Zeit’. Warten ist, gerade für unsere Kinder, produktiv, spannend und wichtig, denn sie lernen hier unter anderem Geduld und Abwarten aber auch sich selbst zu beschäftigen. Pausen sollten wieder gemacht werden und als Möglichkeiten der Verarbeitung und Neuorientierung gesehen und genutzt werden.

„Alles geht so schnell, dass ich gar nicht damit Schritt halten kann.“ (Mädchen, 11 Jahre)[26]

Die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit lässt kaum oder keinen Raum zur Wahrnehmung, zum Genuss und zur Gelassenheit. Eingeschränkte Wahrnehmungs- und Körpererfahrungen und Möglichkeiten hierfür sind nur einige Folgen.

„Heute sind wir ständig in Eile. Wir können uns niemals entspannen, da so viele Zeiten zu beachten sind; in den Kinderhort, die Schule und zur Arbeit gehen. Wir müssen das Essen hinunterschlingen, um hinauszukommen und etwas Spaß zu haben.“ (Mädchen, 11 Jahre)[27]

Hallowell schreibt in DeGrandpre „Es ist nicht schwer, einzusehen, wie unsere Kultur einen ADS – ähnlichen Zustand induzieren kann. In den fünfziger Jahren, als ich ein kleiner Junge war, hatte das Fernsehen gerade erst Einzug in die amerikanischen Wohnstuben gehalten, und Telefone mit Wählscheiben waren in unserem kleinen Städtchen noch unbekannt. Heute können wir uns alle jederzeit und überall erreichen... Computer, Handys und Autotelefone, Satelliten – Technologie, Fax, Kopierer und Anrufbeantworter, Videorecorder, Kabelfernsehen, das Internet, Schaltkonferenzen – all dies ist nichts Ungewöhnliches mehr. Wir sind, wie es klischeehaft heißt, verkabelt – wir werden Tag und Nacht stimuliert und beschleunigt, ohne Unterbrechung versenden und empfangen wir Nachrichten...“[28]

Ein neun Jahre altes Mädchen hat gesagt: „Ich glaube, dass man zum Denken Zeit braucht.“[29] Das glaube ich auch.

Wie schon angedeutet, wird auch das Familienleben durch die beschleunigte Gesellschaft beeinflusst. Dies wird im nächsten Punkt weiter ausgeführt.

2.2 Familie im Wandel

Die Familie ist ein Ort des Privaten, abgetrennt von der Öffentlichkeit und beinhaltet die Aufgabe, Kinder zu schützen, zu versorgen, zu erziehen und zu bilden. Die Stabilitätsrisiken familiärer Lebensgemeinschaften nehmen kontinuierlich zu. Unter positiven Bedingungen ist die Familie Raum erlebter Solidarität, der Liebe und des Schutzes. Unter negativen Bedingungen dagegen kann sie Ort schwerwiegender emotionaler und körperlicher Schädigungen sein. Besonders in den ersten Jahren ist die Familie wichtiger Bezugspunkt für die Kinder. Die in dieser Zeit erworbenen Fähigkeiten beeinflussen und prägen deren Leben bis ins Erwachsenenalter.

Der Wandel und Bedeutungsverlust in den familiären Strukturen und Funktionen werden zunehmend thematisiert und deren wachsende Instabilität problematisiert.

Als Indikatoren für den Zerfall / die Veränderungen heutiger Familien werden genannt:

- geringere Heiratsneigung
- steigende Scheidungsraten
- rückläufige Fertilität
- verändertes generatives Verhalten

Aufgrund der wachsenden Pluralisierung der Lebensformen wurden unterschiedliche Formen des familiären Zusammenlebens möglich, was viele individuelle Gestaltungs- und Lebensstile eröffnet. Bevorzugt wird allerdings nach wie vor die Zwei - Generationen - Familie. Dieser Familientyp gilt als Standardtyp der westlichen Industriegesellschaften, hat sich jedoch im familiären bzw. menschlichen Lebenszyklus als spezielle Lebensphase verkürzt.

Das Zusammenleben von Partnern wird nicht mehr nur an die Institution Ehe gebunden, andere Formen der Partnerschaft nehmen zu. Bei Kinderwunsch heiraten jedoch die meisten Paare. Die Pluralisierung der Lebens- und Haushaltsformen bewirkt eine Verminderung des Haushaltstyps ‚verheiratetes Paar mit Kind(ern) im Haushalt’. Die Familie stellt sich also in unterschiedlichsten Lebensformen da, so dass es ‚die’ Familie nicht mehr gibt. Unter erweiterter Familie wird das ganze soziale Netz mit einbezogen, welches nicht nur auf der Kernfamilienstruktur, sondern auch auf verwandtschaftlichen Kontakten und Beziehungen basiert und sind somit dynamische soziale Gebilde.

Durch rückläufige Kinderzahlen, steigende Lebenserwartung, sowie Änderungen im Heirats- und Scheidungsverhalten finden heute und in Zukunft Strukturveränderungen im Bevölkerungsaufbau statt, die auf Familien und deren Kinder zurückwirken. Zunehmend erleben Kinder Beziehungswechsel durch Scheidungen und / oder erneute Heirat oder Partnerschaft der Eltern und müssen sich in neue Familienkonstellationen hineinfinden. Außerdem leben immer mehr Kinder mit nur einem Elternteil (meist die alleinerziehende Mutter) in der Regel nach der Scheidung der Eltern zusammen. Die Konsequenzen hieraus sind nicht völlig geklärt. Für die Praxis gilt, dass Familienberatung dort ansetzt, wo sich Probleme andeuten, und nicht erst, wenn sie manifest sind.

Die Erwerbstätigkeit der Eltern prägt stark das Familienleben und die Situation heutiger Kinder. Besonders für die Mütter ergeben sich häufig Schwierigkeiten bei der Kombination von Familienleben und Berufstätigkeit. Frauen ohne Kinder sind häufiger berufstätig als Frauen mit Kindern. Die Angebote auf dem Arbeitsmarkt sind jedoch trotz unverändert hoher Nachfrage schon lange unzureichend. So belasten Arbeitslosigkeit und damit verbunden existenzielle Nöte die Familien. Der Vater oder besser der Alleinverdiener steht somit unter einem hohen Leistungsdruck seine Arbeit zu behalten. In der heutigen Zeit ist es ökonomisch kaum noch möglich, dass nur ein Partner arbeitet. Lange Arbeitszeiten und teilweise lange Anfahrtsstrecken zur Arbeit gehen auf Kosten der verfügbaren Zeit der Eltern für ihre Kinder. Für die Realisierung des Familientypus mit erwerbstätiger Ehefrau und Mutter ist außerdem ein ausreichendes und vielseitiges Angebot an außerfamiliärer Betreuung der Kinder eine unabdingbare Voraussetzung. Dies gilt auch besonders für alleinerziehende Mütter, die teilweise aufgrund dieser schlechten Versorgung nicht arbeiten gehen können und unweigerlich in die Sozialhilfe abgleiten[30].

Ein weiterer Faktor, der die Entwicklung von Kindern heute beeinflusst, ist der nun beschriebene Mangel an Bewegungserfahrungen.

2.3 Bewegungsmangel

Der Münchner Pädagoge Professor Dr. Helmut Zöpfl zeichnet in einem Interview in der „P.M.“[31] ein erschreckendes Bild von der Bewegungsunfähigkeit heutiger Kinder und behauptet, dass die Bewegungsarmut der Kinder Schuld an der derzeitigen Bildungsmisere sei. Demnach können sie nicht nur schlecht lesen, sondern auch nicht die einfachsten Bewegungsformen beherrschen. Die körperliche Verfassung hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verschlechtert; so können beispielsweise viele Kinder nicht mehr rückwärts laufen. Vieles, was Kinder früher ganz selbstverständlich konnten, geht heute nicht mehr. Während sich die Eltern in Fitnessstudios einen Waschbrettbauch antrainieren werden ihre Kinder dick und ungelenk. Fast 40% der Kinder und Jugendlichen sind heute übergewichtig. Die Mehrzahl kann nicht mehr auf Zuruf aus vollem Lauf stoppen. Es wurde schon in Erwägung gezogen, die Turnhallenwände mit Schaumstoff zu verkleiden, um Unfälle dagegen rennender Kinder zu vermeiden. Zöpfl fordert an Stelle des Lamento über den Bildungsnotstand sich Gedanken über die körperliche Kondition der nachwachsenden Generation zu machen. Kinder sind aufgrund des Zustands der Gesellschaft in ihrer natürlichen Beweglichkeit und Bewegungslust stark eingeschränkt. Die defizitäre Entwicklung der körperlichen Fähigkeiten hat Auswirkungen auf das ganze Kind – auf den Geist, das Gemüt, die Bildung, auf alles. Hier wird das Sprichwort „Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper“ wieder aktuell. Dieser Ausspruch hat durch die Gehirnforschung dramatische Aktualität bekommen. Das Gehirn produziert vor der Geburt im Überschuss Nervenzellen. Diese werden bis zum achten bzw. zehnten Lebensjahr abgebaut, wenn sie nicht durch Bildung von Synapsen verschaltet werden. Besonders motorische Aktivitäten sorgen für die Herstellung von Verschaltungen und die Freisetzung von Gehirnzellen erhaltenden Substanzen. Vor mehr als 15 Jahren waren von der nachlassenden Beweglichkeit vorwiegend Jugendliche ab 14 Jahren betroffen. Inzwischen hat sich das Problem jedoch immer weiter in die unteren Altersstufen verschoben. Es sind also Kinder, die normalerweise von Natur aus motiviert sein müssten sich zu bewegen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei sicherlich die kleinen Wohnungen und die bewegungsfeindliche Architektur der Städte. Das ist jedoch nicht alles. Steht freies Gelände zum Spielen zur Verfügung, wird dieses Angebot oft gar nicht angenommen. Zöpfl nennt hierfür viele Faktoren, so z.B. den modernen Lebensstil, die Erwartungen der Gesellschaft und der Eltern, die moderne Pädagogik; besonders aber der Medienkonsum und die Computerfaszination. Kinder können aufgrund mangelnder Übung kaum noch etwas mit einem echten Ball anfangen. Zwar schulen Computerspiele die visuelle Intelligenz und die Reaktionsfähigkeit, wichtige Primärerfahrungen bleiben jedoch auf der Strecke. Gemeint sind Erfahrungen, bei denen alle Sinne angesprochen werden, auch der taktile Sinn mit dem wir buchstäblich die Welt begreifen. Sie sind die Basis für unsere Intelligenz. Langes sitzen vorm Computer und Fernseher sowie der damit verbundene Bewegungsmangel bewirken bei 40% der Kinder Rückenschmerzen und 65% haben Haltungsschäden. Zöpfl bemängelt, dass das Zappen zu einer Grundhaltung dem Leben gegenüber wird. Wichtige menschliche Erfahrungen bleiben dabei auf der Strecke. Zum Beispiel die Erfahrung, dass man Langeweile aushalten kann oder dass es sich lohnen kann, ein Spiel nicht vorzeitig verloren zu geben, auch wenn sich eine Niederlage abzeichnet. So stellen viele Kinder den Schwierigkeitsgrad ihrer Computerspiele so ein, dass sie gerade noch gewinnen können. Tests aus den USA belegen, dass Sprachkompetenz und Gedächtnisleistung deutlich nachlassen. Beim Thema Gedächtnis spielt neben vielen anderen Faktoren auch wieder Bewegungsmangel eine große Rolle. Es gilt als physiologisch gesichert, dass bereits ein kurzer Spaziergang die Hirndurchblutung um 15% steigert – und damit auch die Gedächtnisleistung. Laut Zöpfl müssen wir uns sehr wahrscheinlich auf eine Zunahme von körperlichen und seelischen Problemen bei den kommenden Generationen einstellen. Auch er hat beobachtet, dass die Zahl der unruhigen unkonzentrierten Kinder zunimmt und sagt, dass sich die Pädagogik auf die veränderte Situation der Kinder einstellen muss[32]. Für Zöpfl geht es auch nicht in erster Linie um die Intelligenz, sondern „um etwas, was ich Klugheit nenne – Lebensklugheit. Die bekommt ein Kind durch Erfahrungen mit seinem Körper, mit der Natur, mit anderen Menschen. Ein Kind muss nicht nur lernen, das Wort Baum richtig zu buchstabieren – es muss auch auf einen Baum klettern und wieder runterspringen können, ohne sich die Haxen zu verstauchen.“[33]

[...]


[1] Pauli, S. und Kisch, A. (1996), Seite 7

[2] vgl. Krowatschek, D., Alles über ADS, Düsseldorf und Zürich 2001, S.13

[3] vgl. Farnkopf, R., ADS und Schule, Weinheim, Basel, Berlin 2002, S.11

[4] vgl. Reinmann – Höhn, U., ADS – So stärken sie ihr Kind, Freiburg 2001, S.13

[5] vgl. Aust-Claus, E., Hammer, P., – M., Das ADS – Buch, Ratingen 2000, S.16

[6] vgl. Hüther und Bonney, Seite 7

[7] Titel eines Beitrags aus „Thema Jugend“ von 1991, Nr. 6, Seiten 4 bis 6

[8] DeGrandpre (2002)

[9] "Kindheit heute - das Schwinden der Sinne" (Film)

[10] vgl. ADHS – Voll daneben und doch genial, Seite 7

[11] Untersuchung zur Arzneimittel – Versorgung von Kinder mit hyperkinetischen Störungen (2002)

[12] Hyperkinetische Störung als Krankenscheindiagnose bei Kindern und Jugendlichen, Seite 5

[13] Hyperkinetische Störung als Krankenscheindiagnose bei Kindern und Jugendlichen, Seite 8

[14] vgl. Praktische Erlebnispädagogik (2003), Seite 23

[15] vgl. „Kinderreport Deutschland“ (2002), Seite 43 bis 62

[16] DeGrandpre (2002), Seite 15

[17] ebenda, Seite 16

[18] ebenda, Seite 25

[19] ebenda, Seite 20 bis 27

[20] ebenda, Seite 27

[21] vgl. DeGrandpre (2002)

[22] vgl. Psychologie heute, November 1992, Seiten 21 bis 26

[23] ebenda, Seite 21

[24] ebenda, Seite 22

[25] ebenda, Seite 23

[26] Adam, B., Geißler, K. A., Held, M. (1998), Seite 103

[27] Adam, B., Geißler, K. A., Held, M. (1998), Seite 102

[28] Hallowell in DeGrandpre (2002), Seite 19

[29] ebenda, Seite 103

[30] vgl. Die Situation von Kindern in Niedersachsen, Seite 15 bis 49

[31] vgl. P.M., 3/2004, Seite 76 bis 78

[32] vgl. P.M., 3/2004, Seite 76 bis 78

[33] Prof. Dr. Helmut Zöpfl in P.M., 3/2004

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Gehetzte Kinder. ADHS als Konsequenz eines beschleunigten Umgangs mit der Zeit?
Untertitel
Ein Klärungsversuch
Hochschule
Hochschule Hannover
Note
2,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
56
Katalognummer
V82499
ISBN (eBook)
9783638898096
ISBN (Buch)
9783638910323
Dateigröße
706 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gehetzte, Kinder, ADHS, Konsequenz, Umgangs, Zeit
Arbeit zitieren
Andrea Warda (Autor:in), 2004, Gehetzte Kinder. ADHS als Konsequenz eines beschleunigten Umgangs mit der Zeit?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82499

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