Ist der lutherische Christ schizophren?

Zur Kritik von Ernst Troeltsch an Luthers Ethik


Hausarbeit, 2006

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


1. Einleitung

Ihr habt gehört, daß den Alten gesagt ist: `Ein Auge um ein Auge,

einen Zahn um einen Zahn.´ Ich aber sage euch, man soll keinem

Übel widerstehen, sondern so dich jemand auf den rechten Backen

streicht, dem halte auch den anderen dar.[i]

Obwohl es nun nicht so scheint, daß Würgen und Rauben ein Werk der Liebe ist, weshalb ein Einfältiger denkt, es sei nicht ein christliches Werk und zieme auch einem Christen nicht zu tun, so ist es doch in Wahrheit auch ein Werk der Liebe.[ii]

Diese beiden Zitate, das erste aus Martin Luthers Schrift „ Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gefolgschaft schuldig sei “ und das zweite aus seiner Schrift „ Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können “, sind grundverschieden. Die Frage, der nachgegangen werden soll, lautet: Ist das nun schizophren gedacht – oder etwa verantwortlich? Oder ist es letztlich von einer tiefen Einsicht in die wahre Natur des Menschen geprägt?

1.1 Gegenstand der Arbeit

In der vorliegenden Arbeit sollen die ethischen Sichtweisen Martin Luthers und die des Ernst Troeltsch vergleichend betrachtet werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dabei die Frage, ob - wie Troeltsch behauptet - die Ethik Luthers paradox ist und wodurch sich beide Ansichten unterscheiden. Zur Untersuchung der o.g. Fragestellungen werden als Quellen Martin Luthers Schrift „ Ob Kriegsleute auch in seligem Stand sein können “ sowie „ Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen “ von Ernst Troeltsch herangezogen.

In der vorliegenden Arbeit wird, nach einer kurzen Definition des Begriffes Schizophrenie, zunächst eine getrennte Untersuchung der lutherischen Amtsethik anhand Luthers Sichtweise des christlichen Soldaten zum einen und zum anderen die der Kritik von Ernst Troeltsch an der lutherischen Amtsethik vorgenommen. Die zu Beginn zunächst herauszuarbeitenden biographischen Hinweise sollen mögliche Einflussfaktoren bestimmen, die auf Luther und Troeltsch bei Entwicklung ihrer Ansichten gewirkt haben könnten. Der darauf folgende Abschnitt beinhaltet den Vergleich beider Positionen. Der letzte Abschnitt dient schließlich dazu, zu einem Fazit zu gelangen.

1.2 Schizophrenie. Eine Definition

Schizophrenie [grch.] die (Dementia praecox), Gruppe von psych. Erkrankungen, bei denen der Strukturzusammenhang der Persönlichkeit verloren geht und für die tief greifende, unterschiedlich ausgeprägte Störungen kennzeichnend sind.[iii]

Bei der Betrachtung und Untersuchung der lutherschen Ethik soll der Begriff „Schizophrenie“ jedoch eher als Chiffre für „in-zwei-Welten-lebend“ verstanden werden. Es geht im Folgenden vielmehr um die Untersuchung, ob den Ausführungen Luthers in den zu betrachtenden Schriften eine Art „duplizierte Ethik“ zugrunde liegt. Insofern ist der Begriff „Schizophrenie“ nicht pathologisch zu verstehen.

2. Martin Luther

Martin Luther wurde 1483 in Eisleben geboren. Obwohl er zunächst auf Wunsch seines Vaters Rechtswissenschaften studierte, verspürte er eine Affinität zur Theologie. Er brach das Jura-Studium nach zwei Monaten ab und trat ins Erfurter Augustiner-Eremitenkloster (17.7.1505) ein. Äußerer Anlass war das Erlebnis eines schweren Gewitters, bei dem Luther das Gelübde ablegte: „Hilf du, hl. Anna, ich will ein Mönch werden.“ 1512 wurde er an den Wittenberger Ordenskonvent versetzt, promovierte zum Doktor der Theologie und Prof. für Bibelauslegung. Wahrscheinlich gegen 1515/1516 erfolgte der Durchbruch seines theologischen Denkens zu den Positionen der späteren Reformation.[iv]

2.1 Luthers Ethik des Amtes

Luthers Sichtweise des Jahres 1526 war von der Überzeugung geprägt, dass Gottes Macht sich in einem unversöhnlichen, endzeitlichen Kampf mit der Macht des Bösen [Reich des Teufels] befand. Diese Macht des Bösen versuchte, die Schöpfung von der heilvollen Beziehung zu Gott abzubringen. Gott kämpfte gegen die Macht des Bösen in allen Dimensionen des kreatürlichen Seins. Den Menschen gab er dafür verschiedenartige Fähigkeiten, ihre Angelegenheiten eigenverantwortlich zu meistern [„Das weltliche Regiment Gottes“]. Die weltliche Obrigkeit durfte also ihre öffentlich kontrollierte und legitimierte Gewalt zum Schutz des Gesamtwohls einsetzen. Zur Umsetzung dieser Gewalt hatte die Obrigkeit ausführende Organe mit bestimmten Funktionen. Luther führte dies näher in seiner Drei-Stände-Lehre von 1539 aus, nutzte aber auch schon früher den Begriff des Amtes[v]. Im heutigen Sprachgebrauch würde man von Berufen sprechen.

Für Luther waren Stände oder Ämter „göttliche Ordnungen und Stände“, da Gott sie durch sein Wort eingesetzt hat. Daher waren sie als heilige Ordnungen zu sehen und zu respektieren.[vi]

Nach Luther waren alle Ämter oder Stände sinnvoll, wenn es denn gute Ämter waren. In ihrer Verschiedenheit brauchten die einzelnen Stände einander.[vii] Sie waren sozusagen ein Instrument, um den Auftrag des Menschen auf Erden zu erfüllen. Der Erhalt der Menschheit hing daher von den einzelnen Ämtern und Ständen ab. Luther unterstellte, dass solche Ämter unverändert weiter existieren und keinerlei Modifizierung oder Verfall unterliegen.[viii] Es fügte sich nicht in sein Weltbild, dass Ämter in ihrer Definition überholt sind, sich weiterentwickeln oder gar neu entstehen können.

2.2. Luthers Position zum Amt des christlichen Soldaten

„Das ist auch ein Beruf, der aus dem Gesetz der Liebe hervorquiellet.“[ix] Hiermit machte Luther deutlich, dass es sich um einen Dienst der Nächstenliebe handelt und der Soldatenberuf zu den Berufen gehört, die recht sind.

In seiner Schrift „ Ob Kriegsleute auch in seligem Stand sein können “ von 1526, die er seinem Freund, dem Hauptmann Assa von Kram, widmete, artikulierte er es klar. In einer Metapher beschrieb er den Beruf des Arztes, der beim Bekämpfen einer schweren Krankheit Hände, Füße, Ohren oder Augen abschlagen muss, um den Leib, um das Leben des Patienten zu retten und verglich dies mit dem Soldaten:

Ebenso ist es auch, wenn ich das Kriegsamt betrachte, wie es die Bösen straft, die Ungerechten würgt und solchen Jammer anrichtet: Da scheint es ein ganz unchristliches Werk zu sein und durchaus wider die christliche Liebe. Betrachte ich aber, wie es die Rechtschaffenden schützt, Weib und Kind, Haus und Hof, Gut und Ehre und dadurch den Frieden erhält und bewahrt, so findet sich´s, wie köstlich und göttlich das Werk ist, und ich erkenne, daß es auch ein Bein oder eine Hand abhaut, auf daß der ganze Leib nicht vergehe.[x]

Diese Worte mögen dem Hauptmann von Krams eine Last von der Seele genommen haben, denn dieser hatte während der herrschenden Bauernkriege eine Menge Gräueltaten seiner Soldaten ansehen müssen. Dies war mit seiner Weltsicht als gläubigem Christen nicht in Einklang zu bringen, wodurch ihm gewisse Zweifel an der ethischen Rechtfertigung seines Berufes kamen. Luther war der Überzeugung, dass das Schwert seinen Sinn hat und dem Unrecht und dem Bösen wehren muss, damit nicht der Unfrieden die Welt verderbe. Er [Luther, Anmerkung des Autors] sah folglich in einem Krieg eine kurze, negative Eruption, einen seismischen Ausschlag der Gewalt, der jedoch gegen die Etablierung eines langfristigen, vielleicht immerwährenden Unfrieden opponiert und damit als kleines Unglück dem größeren Unglück wehrt.[xi]

Nach Luther führte Gott jedoch das Schwert und der Mensch solle nicht glauben, dass er selbst es sei, der es einsetze oder gar erfunden habe. Das Kriegswerk war aus Luthers Sicht demnach auch per se Gottes ureigenstes Werk.[xii]

Nun räumte Luther allerdings auch ein, dass es Personen gibt, die dieses Amt nicht so ausführen, wie man es sich gemeinhin vorstellt. Sie gehen nicht verantwortlich, mit der Macht um und missbrauchen sie. Sie üben Gewalt aus um der Gewalt willen oder um niedrige Instinkte auszuleben. Diese Personen, darunter z. B. auch Soldaten, gehörten demnach zum allgemeinen Unfrieden, von dem er sprach. Gleichzeitig war er hier sehr deutlich, indem er Amt und Person trennte. Er fragte, welches Amt so gut sei, „[…] daß die mutwilligen, bösen Leute es nicht missbrauchen.“[xiii] Hier schloss er den Kreis für Assa von Kram, indem er abermals auf die Arzt-Metapher verwies. Nunmehr beschrieb er den „bösen Arzt“, der aus lauter Mutwillen, eine gesunde Hand abschlägt.[xiv] Dies alles legitimierte das Handeln des Assa von Kram als christlichem Soldaten und trug zur Auflösung dessen innerlichen Konflikts bei.

Gleichzeitig führte er aber auch aus, dass mutwillige, böse Personen dem Amt nichts anhaben können. Sie stellen mit ihrem falschen, unredlichen Tun das Amt nicht infrage, sondern nur die Person. Darum führte er Johannes den Täufer an, der ebenfalls das Amt der Kriegsleute nicht verdammte, sondern sie bestätigte, gleichzeitig den Missbrauch abwehrte und verbat.[xv] Die unredlichen, bösen Personen wurden jedoch durch das jüngste Gericht gestraft; sie wurden von Gott, dessen Willen sie auf Erden in seinem Sinne ausüben sollten – und dies nicht getan haben – verfolgt und konnten ihm nicht entrinnen, wie Luther hier am Bespiel des Bauernkrieges deutlich machte.[xvi]

Letztlich ging Luther im Zusammenhang mit seiner Sichtweise von Amt und Person auch noch auf die Gerechtigkeit des Krieges ein. Aus Sicht Luthers waren Kriege, die ohne Grund und Notwendigkeit begonnen wurden, nicht vertretbar. In diesem Sinne war dann auch der Krieg ein „böses Werk“[xvii]. Der Christ, respektive der christliche Soldat, durften sich verteidigen, aber keinen Angriffskrieg führen. Der christliche Soldat kämpfte im Falle der Verteidigung also im Rahmen der „Nothilfe“, um die Christenheit zu schützen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass Luther den Soldatenberuf für gut befand. Der Beruf des Soldaten sei von Gott gegeben und daher ein guter Beruf, wenngleich in Einzelfällen ein Missbrauch des Amtes betrieben wird. Allerdings greift der Missbrauch die Substanz des Amtes nicht an, sondern muss von der ausführenden Person verantwortet werden. Aus Einzelfällen kann, nach Luther, nicht auf das Amt geschlossen werden, und so unterschied er zwischen Amt und Person.

Denn, alles in allem, so Luther, habe schon Christus, vor Pilatus stehend, bekannt, dass Krieg führen nicht unrecht sei, da er sprach: „Wäre ich von den Königen dieser Welt, so würden meine Diener dafür streiten, daß ich nicht den Juden überantwortet würde.“[xviii]

[...]


[i] Luther, Martin, Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei [1523] in: Karin

Bornkamm, Gerhard Ebeling, 4. Bd., Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1995, Seite 41

[ii] Luther, Martin, Ob Kriegsleute auch in seligem Stand sein können [1526] in: Karin Bornkamm,

Gerhard Ebeling, 4. Bd., Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1995, Seite 176

[iii] Vgl. DIE ZEIT, Das Lexikon, Band 13, Zeit-Verlag Gerd Bucerius, Hamburg, 2005, Seite 73

[iv] Vgl. DIE ZEIT, Das Lexikon, Band 09, Zeit-Verlag Gerd Bucerius, Hamburg, 2005, Seite 186

[v] Vgl. Luther, Martin, Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei [1523] in: Karin

Bornkamm, Gerhard Ebeling, 4. Bd., Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1995, Seite 44

[vi] Vgl. Luther, Martin in: Paul Althaus, Die Ethik Martin Luthers, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn,

Gütersloh 1965, S. 43

[vii] Vgl. ders., S. 44

[viii] Vgl. ders., S. 44

[ix] ders., S. 45

[x] Luther, Martin, Ob Kriegsleute auch in seligem Stand sein können [1526] in: Karin Bornkamm,

Gerhard Ebeling, 4. Bd., Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1995, Seite 176

[xi] Vgl. ders., Seite 176, 177

[xii] Vgl. ders., Seite 177

[xiii] ders., Seite 178

[xiv] Vgl. ders., Seite 178

[xv] Vgl. ders., Seite 178

[xvi] Vgl. ders., Seite 178

[xvii] ders., Seite 178

[xviii] ders., Seite 178

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Ist der lutherische Christ schizophren?
Untertitel
Zur Kritik von Ernst Troeltsch an Luthers Ethik
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
14
Katalognummer
V84297
ISBN (eBook)
9783638892247
ISBN (Buch)
9783638905565
Dateigröße
391 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Christ
Arbeit zitieren
Martin Lammert (Autor:in), 2006, Ist der lutherische Christ schizophren?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84297

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