Gesetzliche Vertretung bei der Heilbehandlung im ungarischen Recht


Seminararbeit, 2007

22 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Grundfragen

II. Das Recht am eigenen Körper
1. Grenzen der Verfügungsfreiheit

III. Das Arzt – Patient Rechtsverhältnis
1. Rechtsnatur
2. Parteien
3. Begriffe der medizinischen Behandlung
4. Erfordernis der Einwilligung

IV. Handlungsfähigkeit und gesetzliche Vertretung im bürgerlichen Recht und nach dem Eütv
1. Voll handlungsfähige Personen
2. Beschränkt handlungsfähige Personen
a. Minderjährige
b. Erwachsene
3. Handlungsunfähige Personen
4. Gesetzlicher Vertreter
a. Bei Minderjährigen
b. Bei Erwachsenen
5. Vertretender Entscheidungsträger nach dem Eütv
a. Beim handlungsfähigen Kranken
b. Beim handlungsunfähigen Kranken
6. Verhältnis zwischen Eütv und Ptk

V. Art und Umfang des Zustimmungsrechts
1. Beim Handlungsunfähigen
2. Beim beschränkt Handlungsfähigen
3. Verweigerung der Heilbehandlung

VI. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

I. Grundfragen

Das Recht, über den eigenen Körper, dessen Gesundheit und damit über das eigene Leben an sich selbst verfügen zu dürfen, erscheint auf den ersten Blick selbstverständlich und unbeschränkbar. Bei genauer Betrachtung ergeben sich dennoch zahlreiche Situationen, in denen die Ausübung dieses Rechts, dessen Rechtsnatur im Folgenden erörtert wird, nicht unmittelbar vom Betroffenen selbst ausgeübt wird, etwa weil er dazu aufgrund seines Alters oder seiner mangelnden Handlungsfähigkeit nicht in der Lage ist. Derartige Situationen ergeben sich regelmäßig im Zuge von Heilbehandlungen und ärztlichen Eingriffen an minderjährigen oder unmündigen erwachsenen Personen, allen voran dann, wenn die Erteilung einer Zustimmung zum Eingriff vom Patienten nicht erwartet werden kann. Im Hinblick auf solche Fälle ist es notwendig, die Möglichkeiten einer gesetzlichen Vertretungsbefugnis sowie deren Umfang auszuloten und damit zu erörtern, wer diese ausüben darf und muss und welche Wirkungen die vom gesetzlichen Vertreter abgegebene Willenserklärung entfaltet, aber auch welche Maßnahmen das Gesetz zum Schutz des Betroffenen vorsieht. Schließlich sind die Grenzen der gesetzlichen Vertretungs-befugnis abzustecken.

II. Das Recht am eigenen Körper

Das Recht, über den menschlichen Körper zu verfügen, ist im ungarischen Recht nicht einheitlich geregelt. Diesbezügliche Normen finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (Polgári Törvénykönyv – Ptk), im Strafgesetzbuch (Büntetö Törvénykönyv – Btk) und im Gesundheitswesengesetz (Egészségügyi Törvény – Eütv) mit teils unterschiedlicher Terminologie. Neben diesen nationalen ungarischen Gesetzen ist auch das Bioethik-Abkommen von Oviedo aus 1997, das in Ungarn mit dem VI. Gesetz aus 2002 in Kraft getreten ist, von Bedeutung. Das Abkommen hält jene Grundprinzipien fest, die Einrichtungen des Gesundheitswesens einhalten müssen, damit die Menschenrechte und Persönlichkeitsrechte des Patienten im Zuge einer Heilbehandlung nicht verletzt werden.

Wenn das Recht vom „Menschen“ spricht, meint es stets die „Person“. An die „Persönlichkeit“ knüpft die Rechtsfähigkeit an[1]. Die Persönlichkeit des Einzelnen gebührt ihm allein durch seine bloße Existenz[2], unabhängig von sozialen oder gesellschaftlichen Faktoren und ist in großem Umfang geschützt[3]. Der Körper ist Teil der Persönlichkeit, er wird von ihrem Schutz mit umfasst. Obwohl auf den menschlichen Körper der Sachenbegriff angewendet werden könnte, wird er in keiner zivilisierten Rechtsordnung als Sache behandelt[4] und ist daher von der Ausübung des Eigentumsrechts ausgeschlossen. Auch § 94 Abs 1 Ptk legt fest, dass „jede besitzbare Sache Gegenstand des Eigentumsrechts sein kann“. Da am eigenen Köper kein uneingeschränktes dingliches Recht in Form des Eigentums besteht, stellt sich die Frage, in wie weit der Einzelne selbst über seinen Körper verfügen darf bzw ob er hier durch Normen eingeschränkt wird.

1. Grenzen der Verfügungsfreiheit

Im sozialistischen Recht erklärte § 87 Ptk Verträge und einseitige Verfügungen, die Persönlichkeitsrechte einschränkten für nichtig, ohne weitere Differenzierungen vorzunehmen. Konsequent weitergedacht bedeutete das, dass der Patient auch in einen ärztlichen Eingriff, der unzweifelhaft in die Persönlichkeitsrechte des Patienten –vor allem in das Recht auf körperliche Unversehrtheit, möglicherweise aber auch in das Recht auf Freiheit – eingreift und ohne gesetzliche Ausnahme sogar eine Körperverletzung darstellen würde, nicht einwilligen konnte. Der Grund für diese Einschränkung ist vermutlich in der sozialistischen Weltanschauung zu suchen, die in der Erhaltung der Gesundheit des Einzelnen vor allem auch einen gesellschaftlichen Nutzen sah. Diese Bestimmung wurde 1977 aus dem Gesetz gestrichen und durch §75 Abs 3 Ptk neu geregelt, wonach der Verletzte Eingriffe in seine Persönlichkeitsrechte dann wirksam genehmigen kann, wenn durch die erteilte Zustimmung gesellschaftliche Interessen nicht verletzt oder gefährdet werden. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichts[5] wurde die Bestimmung schließlich dahingehend konkretisiert, dass „jedermann sich selber schaden kann, aber nur, wenn er zur freien, informierten und verantwortungsvollen Entscheidungsfindung fähig ist“. Eine Einwilligung in die Verletzung von Persönlichkeitsrechten kann nach dieser Ansicht nur dann wirksam erteilt werden, wenn der Verletzte über die notwendigen Informationen verfügt, um die Tragweite seiner Entscheidung zu überblicken. Dieses Kriterium, nämlich die vorherige umfassende Aufklärung des Patienten über den Ablauf und die Folgen, bildet ein zentrales Merkmal für die wirksame Zustimmung zur ärztlichen Behandlung und ist als eines der wesentlichen Rechte des Kranken in § 13 Eütv normiert. Auch wenn das Zustimmungsrecht durch den gesetzlichen Vertreter oder den vertretenden Entscheidungsträger nach § 16 Abs 2 Eütv ausgeübt wird, ist dessen Einwilligung nur bei vorhergehender Information nach § 13 Eütv gültig. Verweigert er die Informationserteilung, kann der Arzt daher seine Entscheidung übergehen, da sie nicht auf der umfassenden Information basiert und daher ungültig ist. Weiters steht es dem vertretenden Entscheidungsträger nicht zu, zu verhindern, dass der Arzt dem Kranken die Information nach § 13 Eütv erteilt.[6]

III. Das Arzt – Patient Rechtsverhältnis

1. Rechtsnatur

Das Gesetz über das Gesundheitswesen, das Eütv, trifft keine Regelung über die Rechtsnatur des Verhältnisses zwischen dem behandelnden Arzt bzw der Krankenanstalt und dem Patienten. Der Patient kann auf drei verschiedene Arten in eine Rechtsbeziehung mit der Krankenanstalt treten: willentlich, gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen. Da bei den letzten beiden kein Wille des Patienten zum Abschluss eines Vertrages mit der Krankenanstalt zum Ausdruck kommt und es wohl mangels Handlungsfähigkeit auch schwierig wäre – etwa bei einem bewusstlosen Patienten –, einen konkludenten Vertragsabschluss anzunehmen, kann das Rechtsverhältnis nicht als Vertrag angesehen werden, auf den die Regeln des Schuldrechts anzuwenden wären. Zahlreiche gerichtliche Entscheidungen[7] zu Haftungsfällen aufgrund ärztlicher Kunstfehler stellen klar, dass die herrschende Ansicht[8] in Ungarn im Arzt-Patient Rechtsverhältnis dennoch Elemente des Auftrages erkennt: Der Patient beauftragt den Arzt bzw die Krankenanstalt, sich nach bestem Wissen um die adäquate Behandlung zu bemühen. Damit wird klargestellt, dass bei der Erbringung ärztlicher Leistungen nicht die Erzielung eines bestimmten Ergebnisses, sondern das Bemühen um die angemessene und notwendige Behandlung nach dem Stand der medizinischen Erkenntnis und der technischen Möglichkeiten geschuldet wird.

Es gibt eine große Zahl von Eingriffen, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge „routinemäßig“ verlaufen, der Ausgang der Behandlung also mit ziemlich großer Sicherheit vorhergesagt werden kann. Willigt der Patient in derartige Behandlungen ein, erteilt er eine Ermächtigung, wonach der Arzt die Behandlung so vornehmen soll, wie das üblich ist. Eine solche Einwilligung unterscheidet sich kaum davon, wenn der Patient mit dem Arzt einen Werkvertrag über den Eingriff schließen würde, nachdem dieser ihn aufgeklärt hat. Als solche Fälle sieht die ungarische Rechtsprechung[9] etwa die zahnärztliche Behandlung und erkennt das Schulden eines Erfolges an.

Das Eütv nennt sämtliche Rechte und Pflichten sowohl des Kranken als auch der Krankenanstalt und legt selbst die anzuwendenden Verfahrensschritte fest. Aus diesem Grund ist es nicht notwendig, das Verhältnis zwischen Patient und Krankenanstalt zwingend in das vom Ptk normierte privatrechtliche Vertragsrecht einzugliedern, vielmehr wird heute ein spezieller Vertrag nach dem Gesundheitswesengesetz angenommen, der auch öffentlich-rechtliche Elemente trägt.[10] Beispiele für Inhalte mit öffentlich-rechtlichem Charakter sind etwa das Aufhalten gemeingefährlicher Patienten oder die Verhängung der Quarantäne über Patienten mit ansteckender Krankheit. Diese Maßnahmen erfolgen in der Regel im Interesse der Allgemeinheit.

2. Parteien

Das Rechtsverhältnis besteht zwischen dem „Kranken“ und der „Krankenanstalt“. Nur wenn es sich um eine Privatpraxis handelt, entsteht der Vertrag mit dem behandelnden Arzt. Kranker im Sinne des Eütv ist gem § 3 lit a leg cit jene Person, die die Behandlung in Anspruch nimmt oder erfährt, selbst dann, wenn sie unmündig oder minderjährig ist. Solche Personen können die Krankenrechte nicht selbst ausüben. Diese gehen auf bestimmte stellvertretende Entscheidungsträger über, ohne dass diese selbst zum Kranken oder zu Rechtssubjekten des Krankenrechts werden.

3. Begriffe der medizinischen Behandlung

Das Eütv unterscheidet zwischen „medizinischer Versorgung“, „medizinischer Behandlung“, „Untersuchung“ und „Eingriff“. Die medizinische Versorgung bildet nach der Legaldefinition „die Gesamtheit aller Handlungen im Zusammenhang mit der gegebenen Gesundheitslage des Kranken“[11]. Enger gezogen ist die Definition der medizinischen Behandlung, die das Gesetz als all jene Handlungen ansieht, die „auf die Bewahrung der Gesundheit des Einzelnen, der Vermeidung, der rechtzeitigen Erkennung, der Therapie oder der Vermeidung der Verschlechterung des Zustandes abzielen“[12]. Im Rahmen der medizinischen Behandlung ist die Untersuchung jene Handlung, deren Ziel „die Feststellung des Zustandes des Kranken“ und die „Bestimmung seiner konkreten Krankheit und deren Veränderung sowie der Ergebnisse der Heilbehandlung“[13] ist. Schließlich versteht das Gesetz unter Eingriff jene „therapeutisch veranlassten Handlungen, die im Körper des Kranken Veränderungen hervorrufen oder hervorrufen können“[14]. Eingriffe können invasiv[15], lebensrettend[16] oder lebenserhaltend[17] sein.

4. Erfordernis der Einwilligung

Welche Rechte der Kranke im Zuge einer Heilbehandlung selbst oder durch Vertreter auszuüben berechtigt ist, legt das Eütv in den §§ 12-23 Eütv fest. Es sind dies insb das Recht auf Verlassen der Anstalt[18], das Recht auf Information[19], das Recht auf Selbstbestimmung[20] und das Recht auf Ablehnung der Behandlung[21]. Im Falle eines handlungsfähigen Kranken sieht das Gesetz als Regelfall seine persönliche Einwilligung vor. Um zu klären, in welchem Rahmen andere Personen wirksame Einwilligungen stellvertretend für den Kranken erteilen können, ist es zunächst wichtig, die Handlungsfähigkeit näher zu erörtern.

[...]


[1] vgl Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga, S 23

[2] § 8 Abs 1 Ptk: „In der Republik Ungarn ist jeder Mensch rechtsfähig (…)“.

[3] § 75 Abs 1 Ptk: „Jeder ist verpflichtet, die Persönlichkeitsrechte zu achten. Diese Rechte stehen unter dem Schutz des Gesetzes“.

[4] vgl Koziol/Welser, Bürgerliches Recht12 I, S 216

[5] AB 21/1996 (V. 17.)

[6] Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga, S 168

[7] Oberstes Gericht Pfv.I.20.943/1995, Kommitatsgericht Békés 1.Pf.20.750/1989, Kommitatsgericht Hajdú-Bihar 2.Pf.20.976/1992

[8] Somfai, Az élet és a test feletti rendelkezések jogának gyakorlása; ebenso Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga, S 112

[9] Hauptstädtisches Gericht 53.Pf.24.693/1989, Städtisches Gericht Tatabánya 3.P.20.667/1987, Städtisches Gericht Nyíregyháza 18.P.23.521/1984, Kommitatsgericht Szabolcs-Szatmár 2.Pf.21.719/1985/2. Urteil

[10] Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga, S 114

[11] § 3 lit c Eütv

[12] § 3 lit e Eütv

[13] § 3 lit k Eütv

[14] § 3 lit l Eütv

[15] § 3 lit m Eütv; das ist der durch die Haut oder durch Körperöffnungen durchdringende physische Eingriff. Davon ausgenommen sind solche – an sich invasiven – Eingriffe, die für den Kranken aus ärztlicher Sicht lediglich „ein zu vernachlässigendes Risiko“ darstellen.

[16] § 3 lit n Eütv; das ist ein Eingriff, der zur unmittelbaren Rettung des Lebens dringend veranlasst ist.

[17] § 3 lit o Eütv; das ist ein Eingriff zur künstlichen Lebenserhaltung des Kranken.

[18] § 12 Eütv

[19] § 13 f Eütv; insb von Bedeutung für die Gültigkeit der Einwilligung in einen Eingriff, da die wirksame Zustimmung nur bei entsprechender vorheriger Information erteilt werden kann.

[20] § 15 ff Eütv; hierher gehört das Recht zur Bestimmung eines vertretenden Entscheidungsträgers und das Recht auf Erteilung der Zustimmung zum Eingriff.

[21] § 20 ff Eütv

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Gesetzliche Vertretung bei der Heilbehandlung im ungarischen Recht
Hochschule
Universität Wien
Note
1,00
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V82827
ISBN (eBook)
9783638889322
ISBN (Buch)
9783638889414
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde vom beurteilenden Professor mit "Sehr gut" benotet. Sie umfasst 22 Seiten und ist in Deutsch verfasst, die zitierte Literatur ist jedoch größtenteils auf Ungarisch. Wesentliche Gesetzesstellen wurden sinngemäß übersetzt.
Schlagworte
Gesetzliche, Vertretung, Heilbehandlung, Recht
Arbeit zitieren
Balazs Esztegar (Autor:in), 2007, Gesetzliche Vertretung bei der Heilbehandlung im ungarischen Recht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82827

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