Der Aulos. Historische Entwicklung und Aufführungstechnik


Seminararbeit, 2006

27 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Definition

2 Die Entwicklungsgeschichte des Aulos
2.1 Von der Frühgeschichte bis zur dorischen Wanderung
2.2 Die Zeit der Geometrischen Stile und die Archaische Zeit
2.3 Von der Klassik bis zur Spätantike

3 Das Mundstück des Aulos

4 Aufführungstechnik
4.1 Dopplung der Röhren
4.2 Überblasen

5 Literaturverzeichnis

5.1 Antike Autoren

5.2 Sekundärliteratur

6 Abbildungsverzeichnis

1 Definition

„ So heißt das Musikinstrument ‚ Aulos ’ , weil die Luft hindurch geht, und alles was, geradlinig ausgestreckt ist, nennen wir Aulos, wie das Stadion und den Blutstrom. “

(Athenaios, Deipnosophistai V, 189 b,c) 1

Auf diese Weise erklärt Athenaios (um 200 nach Chr.) in seinem „Gelehrtenmahl“ das Wort ‚Aulos’ (αυλός), und führt anschließend weitere Übersetzungsmöglichkeiten für ‚Aulos’ oder etymologisch sehr nah verwandte Wörter auf. So seien auch ‚Hof’, ‚Abgrund’, ‚Höhle’ und ‚Palast’ damit bezeichnet worden. 2 Das Wort selbst ist indogermanischer Herkunft; 3 ob die Indogermanen darunter jedoch schon ein Blasinstrument verstanden, oder aber damit einfach eine Röhre oder einen Hohlraum bezeichneten, hat sich bis heute noch nicht klären lassen. Man ist sich nicht einmal sicher, ob in der früheren Instrumentengeschichte ‚Aulos’ nicht nur als ein übergeordneter Sammelbegriff für Blasinstrumente fungierte.

Der Aulos war ein Instrument, das in der Regel paarig gespielt wurde. Das bedeutet, dass zwei unabhängige Röhren, in einem spitzen Winkel zueinander, gleichzeitig verwendet wurden, und dass der Aulet zwei Mundstücke zugleich bewältigen musste. Daraus geht auch die häufig gebrauchte Pluralform ‚Auloi’ hervor, die demnach nicht unbedingt mehrere Instrumentalisten voraussetzen muss.

Die Bohrung der Röhren war meist zylindrisch 4 oder nur minimal konisch, wie es dem natürlichen Wachstum von Knochen, Schilfrohren oder Hölzern entspricht. Den ursprünglichen, einfachen Aulos beschreibt der griechische Schriftgelehrte Pollux (2. Hälfte des 2. Jh. nach Chr.) in seinem „Namenslexikon“5 derart exakt, dass man sich genaue Vorstellungen von diesem Instrument machen kann (Abbildung 1): Bombyx (βόµβυξ) bezeichnet die Röhre, in die die Trypemata (τρυπήµατα), die Grifflöcher, eingearbeitet sind. Zwischen Bombyx und dem Mundstück Zeugos (ζευγος), das manchmal auch nur durch das Teilstück Glotta (γλωττα), die sogenannte Zunge, umschrieben wird, sitzen zwei eiförmige Zwischenstücke, Holmos (όλµος) und Hypholmion (υφόλµιον).

Abbildung 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2 Die Entwicklungsgeschichte des Aulos

2.1 Von der Frühgeschichte bis zur dorischen Wanderung

Die griechische Kultur, und damit auch die Musikkultur, entsprang aus zwei Quellen, nämlich der vorgriechisch-ägäischen und der indogermanischen. 6 Um das Jahr 2000 v. Chr. setzte mit den Ioniern, um 1800 mit den Achaiern die erste Welle von indogermanischen Wanderungen nach Griechenland ein. Diese Völker sollten später zum Hauptträger der mykenischen Kultur werden. Nach Aign brachten sie aber kaum Musikinstrumente mit, sondern lernten diese bei den Minoern kennen, die von den Mykenern, wie die anderen vorgriechischen Stämme auch, ab dem 16. Jahrhundert immer mehr verdrängt wurden.

Die zweite Wurzel der griechischen Musik ist neben der indogermanischen die ägäische. Der ägäische Raum wurde erst ab dem 4. Jahrtausend durch die buntkeramischen Wanderung aus dem Osten besiedelt. 7 Deshalb ist ein Teil der Musikkultur auch im palästinensisch-mesopotamischen Gebiet zu suchen.

Von dort stammt der früheste Beleg für ein aulosartiges Instrument. Die fünf Bruchstücke zweier silberner, zylindrischer Röhren, die aus der ersten Dynastie von Ur (um 2450 vor Chr.) stammen, fand man bei den Ausgrabungen des Königsfriedhofs von Ur. (Abbildung 2) Mehrere Rekonstruktionsversuche des wohl paarig geblasenen Instruments lassen unterschiedliche Möglichkeiten für die Anordnung der Fingerlöcher zu. Genauere Informationen dazu gibt der Aufsatz von Lawergren. 8 Der endgültige Nachweis jedoch, dass es sich um ein Rohrblattinstrument handelt, steht noch aus.

Abbildung 2

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Die älteste Darstellung eines aulosartigen Instruments bzw. eines Aulosspielers in der Ägäis ist ein Kykladenidol von der Insel Keros, das um 2200- 2000 einzuordnen ist. 9 Die 20 cm hohe Marmorfigur wurde gemeinsam mit einer Harfe spielenden Figur in einem Grab gefunden und ist männlichen Geschlechts. Obwohl das vom Spieler aus gesehen linke Schallrohr beschädigt ist, vermutet man, dass die beiden verhältnismäßig kurzen Röhren wohl ursprünglich einmal gleich lang gewesen sind. (Abbildung 3) Jedoch lässt sich auch hier nicht erkennen, um welche Art von Blasinstrument es sich handelt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3

Auch in der minoischen Kultur auf Kreta war ein aulosartiges Instrument bekannt. Dies belegen verschiedene Fresken und der berühmte Alabastersarkophag aus dem Palast von Hagia Triada, der um 1400 datiert ist. (Abbildung 4) Auf dem Sarkophag erkennt man zum einen sehr gut die Intention des Aulosspielens, nämlich die Begleitung eines Stieropfers, zum anderen sind aber auch die Spielhaltung und die Schnüre, mit denen die beiden Rohre verknüpft worden sind, 10 schön dargestellt. Obwohl das Bild beschädigt ist und man deshalb keine vollständige Sicherheit haben kann, lässt sich auf der Rekonstruktion am linken Rohrende ein Schalltrichter erkennen.

Abbildung 4

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Selbstverständlich wurden wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zu anderen hoch entwickelten Völkern von den Menschen der Ägäis schon im 3. Jahrtausend gepflegt. Das beweisen Gefäßformen und Darstellungselemente in der bildenden Kunst. 11 Weitaus komplexer ist wohl die gegenseitige Einflussnahme auf die Musikinstrumente, die als einfache Handelsware eigentlich nicht in Betracht kommen. Musikinstrumente, vor allem die Melodie tragenden, waren jeweils eng an die Kultur der Völker gebunden. Darüber hinaus ist die Weitergabe der Instrumente allein nicht ausreichend für deren Verbreitung. Die richtige Spielweise und einige handwerkliche Fähigkeiten wie zum Beispiel das Fertigen der Mundstücke mussten ebenso vermittelt werden. Und dies konnte nur durch Menschen geschehen, die intensiv mit anderen Kulturen in Berührung kamen, die entweder als Sklaven oder Kriegsgefangene in fremden Gegenden leben mussten oder das Land wechselten, zum Beispiel als Teil eines Hochzeitsgefolges.

Ein Wandbild aus der 18. Dynastie (1580-1320) zeigt, dass das Spielen auf aulosartigen Instrumenten auch in Ägypten verbreitet war. (Abbildung 5) Der Maler des Bildes hat sich nicht nur mit der seltenen en-face-Darstellung der Spielerin große Mühe gegeben, sondern auch zusätzlich noch den Materialunterschied zwischen dem Korpus des Instruments und den Mundstücken farblich gestaltet.

Abbildung 5

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Die günstigen Witterungsumstände, der trockene Wüstensand und die hermetisch abgeschlossenen Grabkammern ließen einige Instrumentenfunde zu, die sich in anderen Gebieten nicht erhalten haben. Das ist bei den vergänglichen Materialen Holz, Schilfrohr und Getreide, die neben Bronze, Gold und Silber verwendet wurden, ein sehr glücklicher Umstand. Neben den Doppelrohrblattinstrumenten existierten auch solche mit einfachem Rohrblatt, die paarig wie der Aulos gespielt wurden. Die klarinettenartigen Instrumente waren aber fest miteinander verbunden und konnten nur parallel gehalten werden.

Keine Beweise bis um 750 vor Chr. wurden für den Aulos hingegen auf dem griechischen Festland gefunden. Die Frage, ob die frühhelladischen Völker und die Mykener den Aulos kannten bzw. spielten, ist bis heute ungeklärt. Ebenso wenig weiß man über den Aulos während der „dunklen Periode“12 zwischen 1400 und 700 in der Ägäis.

Um das Jahr 1200 wanderten schließlich die Dorer aus dem nordwest- und mittelgriechischen Raum nach Südgriechenland ein, und eine neue Epoche in der griechischen Geschichte brach an.

2.2 Die Zeit der Geometrischen Stile und die Archaische Zeit

Zur Zeit der Geometrischen Stile (11. Jh. bis Anfang des 7. Jh.) und während der Archaischen Epoche (frühes 7. Jh. bis Ende 6. Jh.) nehmen die Zeugnisse für den Aulos, die für den Zeitraum der „dunklen Periode“ (1400 bis 700) noch weitgehend fehlen, nach und nach zu. Erstmals in der Literatur wird das Instrument von Homer (um 800) genannt. Huchzermeyer weist aber in seiner Dissertation darauf hin, dass die Verse als „spätere Einschiebsel“ gelten könnten. 13 Das Instrument Aulos wird bei Homer nie in der Odyssee und nur zweimal in der Ilias erwähnt, und dies darüber hinaus mindestens einmal als trojanisches, also als nicht-griechisches, Instrument. Bernhard Aign bemerkt in seiner Dissertation, dass mit dem Wort Aulos weniger das Instrument, sondern eher die Röhre im Allgemeinen aber auch der Speerbehälter (Ilias, 19, 387) im Besonderen gemeint sein kann. 14 Interessant an den Textstellen, die das Instrument betreffen, ist, dass der Aulos in völlig unterschiedlichen Situationen gespielt wurde:

„ Denn sooft er hinüber zur troischen Ebene blickte, Staunte erüber die Feuer, die vielen, die brannten vor Troja,über Syringen- und Flötengetön [Auloigetön] und das Lärmen der Menschen. “ (Homer, Ilias 10, 11-13 ) 15

„ Bräute führten sie da aus den Kammern beim Scheine der Fackeln durch die Stadt, und viele Stimmen sangen das Brautlied; Jünglinge drehten sich da im Tanze, und Bläser des Aulos Gaben ihnen den Klang und Leiern;... “ (Homer, Ilias 18, 492-495) 16

Ob der Aulos ein griechisch-autochthones, also ein einheimisches Instrument ist, lässt sich bis heute nicht beweisen. Die Griechen sahen jedenfalls in Kleinasien die Ursprungsregion des Aulos. 17 Aus Mysien und Phrygien stammten auch die ersten noch sagenhaften Auleten Hyagnis, Marsyas und Olympos der Ältere, die eng mit der Entstehungsmythologie des Aulos verknüpft sind. Die Existenz dieser mythischen Auleten symbolisiert die hohe kleinasiatische Musikkultur, die die griechische Musik sehr stark beeinflusste. Hermann Abert spricht sogar von einer „Invasion der asiatischen Auloskunst in Griechenland“18 . Besonders das solistische Spielen, also die reine Instrumentalmusik (ψιλη αύλησις) 19 galt als phrygische Erfindung oder Eigenheit.

Ein entscheidender Faktor für die Verbreitung des Aulos scheint die Verbreitung des Dionysoskultes zu sein. Da der Aulos das wichtigste Instrument des Kultes darstellte, ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Ausdehnung des Kultes und die des Instrumentes Hand in Hand verliefen. Ab dem siebten Jahrhundert finden sich erste Abbildungen von Auleten auf Vasen. Sind die geometrischen Vasen noch eher selten, so mehrt sich das Aufscheinen der Vasen in der Archaischen Epoche. Einen guten Überblick über die Abbildungen kann man bei Max Wegener „Musikgeschichte in Bildern“ erhalten. 20 Neben den Abbildungen häuft sich auch das Auftreten des Aulos in der Literatur. Der um 650 lebende Dichter Archilochos und die um 600 lebende Lyrikerin Sappho erwähnten den Aulos als Begleitinstrument zu Tanz und Gesang.

Aber nicht nur durch die Literatur ist der Aulos belegt, sondern auch durch Ausgrabungen (im Artemis-Heiligtum Orthia in Sparta). Dort fand man kleinere Terrakottafiguren, die ungefähr in die Jahre 700 bis 625 eingeordnet werden. Sogar die Mundbinde Phorbeia kann man schon erkennen. Genauer beschrieben werden diese Statuetten bei Aign 21 und bei Wace. 22 Neben den Figurinen wurden auch Bruchstücke von Auloi gefunden. Diese in die zweite Hälfte des siebten Jahrhundert datierten Exemplare sind die ersten Aulosfunde im griechischen Raum überhaupt. Obgleich man den ursprünglichen Zustand der 14 Teilstücke, die zu mehreren Instrumenten gehören, nicht mehr vollständig rekonstruieren kann, geben sie erstmals Auskunft über die Beschaffenheit des Aulos.

[...]


1 Friedrich, Athenaios, Das Gelehrtenmahl I - VI, 1998, Seite 395 f.

2 Deipnosophistai, V, 189 c-f.

3 Huchzermeyer, Aulos und Kithara in der griechischen Musik, 1930, Seite 13.

4 Deutlich konisch gebohrte Instrumente sind durch einige Abbildungen belegt, jedoch existieren keine Funde solcher Auloi.

5 Pollux, Onomastikón, IV,70.

6 Aign, Geschichte der Musikinstrumente, 1963, Seite 362.

7 Aign, Geschichte der Musikinstrumente, 1963, Seite 359 f.

8 Lawergren, Extant Silver Pipes from Ur, 2000.

9 Vgl. Ekschmitt, Kunst und Kultur der Kykladen, 1986, Seite 95 ff.

10 Aign, Geschichte der Musikinstrumente, 1963, Seite 47 f, 145 f.

11 Aign, Geschichte der Musikinstrumente, 1963, Seite 125.

12 Aign, Geschichte der Musikinstrumente, 1963, Seite 294.

13 Huchzermeyer, Aulos und Kithara, 1930, Seite 2.

14 Aign, Geschichte der Musikinstrumente, 1963, Seite 293.

15 Hampe, Homer, Ilias, 1979, Seite 184.

16 Hampe, Homer, Ilias, 1979, Seite 393.

17 Thiemer, Der Einfluß der Phryger auf die Altgriechische Musik, 1979.

18 Abert, Antike, 1977, Seite 54.

19 Vgl. Huchzermeyer, Aulos und Kithara, 1930, Seite 17.

20 Vgl. Wegener, Musikgeschichte in Bildern, 1970.

21 Vgl. Aign, Geschichte der Musikinstrumente, 1963, Seite 245 ff.

22 Vgl. Wace, Lead Figurines, 1909, Seite 127 ff.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Der Aulos. Historische Entwicklung und Aufführungstechnik
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Musikwissenschaft)
Veranstaltung
Historisch musikwissenschaftliches Seminar
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2006
Seiten
27
Katalognummer
V79665
ISBN (eBook)
9783638872225
Dateigröße
1176 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aulos, Historisch, Antike, antike Musik
Arbeit zitieren
Mag. Art; Mag. Phil Heike Sauer (Autor:in), 2006, Der Aulos. Historische Entwicklung und Aufführungstechnik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79665

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