Wahrheit und Fiktion bei Bret Easton Ellis


Seminararbeit, 2006

22 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wahrheit und Fiktion als literarische Größen

3. Inszenierte Realität oder reale Inszenierung: Fiktionale Elemente in American Psycho und die Welt des Patrick Bateman

4. Grenzen der Literatur? Postmodernes Erzählen bei Bret Easton Ellis

5. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dass es nicht Aufgabe des Dichters ist mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte, dass heißt das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit Mögliche. [...] Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, dass sich der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt [...]; sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, dass der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte.[1]

Aristoteles

1. Einleitung

Die folgende Seminararbeit mit dem Thema Wahrheit und Fiktion bei Bret Easton Ellis präsentiert literaturwissenschaftlich kontroverse Begriffe und wendet diese auf einen Text aus der sogenannten Postmoderne an.

Um einen begrifflichen Referenzrahmen abzustecken, werden zunächst die Begrifflichkeiten Wahrheit und Fiktion unter Einbeziehung der Wortgeschichte untersucht und theoretische Untersuchungen betreffs des Fiktionsbegriffs näher beschrieben. Da bis heute keine einheitliche Theoriebildung Einzug in die Geisteswissenschaften gehalten hat, wird auf die von Hans Vaihinger 1911 veröffentlichte Theorie des Als-Ob[2] zurückgegriffen und durch weiterführende Ansatzpunkte unter anderem von Wolfgang Iser[3] und Uwe Japp[4] ergänzt.

Nachdem der theoretische Teil der Untersuchung näher definiert ist, wird das Augenmerk auf den textimmanenten Teil der Arbeit gerichtet. Grundlage ist der 1991 von Bret Easton Ellis veröffentliche Roman American Psycho[5], der nicht nur aufgrund seiner Beschreibung von Gewalt und Pornografie bis heute heftig diskutiert wird. Dennoch weist der Roman im derzeitigen Literaturbetrieb hohe Aktualität nicht nur im Rahmen der Debatte um die Postmoderne auf.

Mittels Analyse des Romans im Hinblick auf die Begrifflichkeiten Wahrheit und Fiktion soll in einem weiteren Schritt aufgezeigt werden, mit welchen Elementen der Fiktion gearbeitet wird und welche Funktion Fiktionalität innerhalb der Literatur übernimmt. Die Frage nach der Erkenntnis der fiktionalen Literatur stellt hierbei leitende Funktion dar.

In einem weiteren Denkansatz wird der Versuch unternommen, Grenzen der Literatur sichtbar zu machen. Dass Bret Easton Ellis Grenzen überschritten haben muss, zeigt nicht nur die Problematik der Veröffentlichung des Buches. Es sollen insbesondere eben die Grenzen aufgezeigt werden, die der Autor scheinbar zu überschreiten gewagt hat, seien sie methodologischer oder inhaltlicher Natur.

Die abschließende Schlussbetrachtung fasst noch einmal alle Gesichts-punkte der vorangegangenen Untersuchung zusammen, um Wahrheit und Fiktion im Kontext literaturwissenschaftlicher Rezeption erscheinen zu lassen.

2. Wahrheit und Fiktion als literarische Größen

Ein einheitlich anerkanntes Theoriegebäude bzw. eine Definition der Begrifflichkeiten Wahrheit und Fiktion ist sowohl von den Geistes-wissenschaften als auch von kulturtheoretischen Forschungsbereichen bislang nicht ausgearbeitet worden. Einzig Hans Vaihingers 1918 herausgegebene Theorie des Als-Ob[6] bietet einen Ansatzpunkt zu Überlegungen im Umgang mit den oben genannten Begrifflichkeiten.

Um den so häufig verwendeten Fiktionsbegriff besonders in Bezug auf postmoderne Literatur mit Inhalt zu füllen, bietet sich daher zunächst eine kleine Definitionsgeschichte an, um Text und Fiktion miteinander in Beziehung setzen zu können und auf Basis des Begriffsverständnisses im textimmanenten Teil der Arbeit eine Analyse des Romans American Psycho von Bret Easton Ellis vornehmen zu können.

Eine erste Annäherung bietet das Metzler Literatur Lexikon, in der Fiktion im Sinne eines literaturwissenschaftlichen Begriffs bezeichnet wird, der der Geschichtsschreibung gegenübersteht und sich als

Grundelement der mimetischen Dichtungsarten, die reale oder nichtreale (erfundene) Sachverhalte als wirkliche darstellen, aber prinzipiell keine feste Beziehung zwischen dieser Darstellung und einer von ihr unabhängigen, objektiv zugänglichen und verifizierbaren Wirklichkeit behaupten, versteht.[7]

Das Metzler Lexikon der Literatur- und Kulturtheorie erweitert die vorgenannte Beschreibung des literarischen Begriffs um die „Gegensätze wie Realität, Sinn, Bedeutung, Referenz“[8] und bezieht sich auf den „erfundenen bzw. imaginären Charakter der in literarischen Texten dargestellten Welten“.[9]

Der Fiktion den Begriff der Wahrheit gegenüberzustellen, wie es in der Literaturwissenschaft gängig erscheint[10], birgt aber ebenso die Problematik der semantischen Besetzung. Auch hier müsste ebenfalls geklärt werden, was sich hinter diesem Begriff verbirgt oder ihn von der Wirklichkeit unterscheidet. Uwe Japp macht den Begriff der Fiktion an dessen Wortgeschichte fest, in dem er sich auf die folgende Übersetzung des lateinischen Wortes fictio stützt: “Lehm“, “Darstellung“, “Annahme“, “Erfindung“ und “Lüge“.[11] Nach Herausarbeitung der zunehmende Entmaterialisierung des Begriffs werden die Vokabeln “Lehm“ und “Lüge“ disqualifiziert, wobei er sich hierbei auf zahlreiche Forschungsliteratur bezüglich der Thematik von Wahrheit und Dichtung beruft.[12] Demnach handelt es sich sowohl bei dem Fiktionsbegriff als auch beim Wahrheitsbegriff um eine abstrakte Kategorie, ein universales Abstraktum. Wolfgang Iser begründet die Gegenüberstellung von Wahrheit und Fiktion wie folgt:

Die Opposition von Wirklichkeit und Fiktion gehört zu den Elementarbeständen unseres ‚stummen Wissens’, und mit dieser von der Wissenssoziologie geprägten Bezeichnung ist jener Vorrat an Gewissheit gemeint, der so gesichert scheint, dass er als selbstverständlich gelten darf.[13]

Trotzdem untersucht er jene Methode der binären Opposition und stellt die Frage, ob eine derartige Einordnung als theoretischer Hintergrund noch ausreiche. Er fordert die Aufhebung dieses Denkansatzes und wünsch sie durch eine dritte Begrifflichkeit zu erweitern. Ergebnis ist die Triade bestehend aus “Realem, Fiktivem und Imaginärem“.[14] Auch Japp verweist auf die Triade, indem den Opposita Wirklichkeit und Fiktion das Imaginäre hinzugefügt wird. Er verweist aber auch auf die kritische Überprüfung dieses Denkkonstruktes durch H. J. Piechotta.[15]

Hans Joachim Zelter beschäftigt sich ebenfalls mit dieser Thematik und erkennt eine früh angelegte „Themen- und Wertstruktur“[16], die dem Dualismus unterliegen: Die Wahrheit als solche wird innerhalb der Gesellschaft hoch geschätzt, während die Fiktion Ablehnung und Abwertung erfährt.[17] Er nähert sich dem Fiktionsbegriff auf zweierlei Wegen: einerseits versteht sich Fiktion als wirklich-fiktiv, das meint die Darstellung fiktiver Gegebenheiten, die in einem literarischen Text neben den scheinbar “realen“ Ereignissen und Geschehnissen stehen; andererseits kann Fiktion autoreflexiv thematisiert werden, dass heißt die Fiktion kann ihre Fiktivität zum Gegenstand einer meta-fiktiven Selbstbespiegelung machen.[18] Dies unterstreicht ebenfalls Uwe Japp, wenn er schreibt:

Zu den Freiheiten der literarischen Fiktion gehört es, dass sie ihre eigene fiktionale Verfasstheit zum Thema machen kann. Die Fiktion wird folglich zur Metafiktion.[19]

Gottfried Gabriel stellt seinerseits der Fiktion die Faktizität gegenüber, und in Betracht einer derartig diskutierten Definition scheint einheitlicher Konsens nur darin zu bestehen, dass der Fiktion der Anspruch auf Erfüllbarkeit fehlt.[20] Bisher blieb das Imaginäre relativ unberührt, und was sich der geisteswissenschaftlich Interessierte unter der die Triade bildenden Begrifflichkeit vorzustellen hat, ist demnach noch genauer zu erörtern. Festgehalten werden kann allenfalls, dass die Darstellung verschiedener literarisch aufgezeigten Welten und insbesondere deren Vermischung „das Fiktionale innerhalb der Literatur“[21] erzeugen können und die Fiktion ein “Signalrepertoire“ besitz, die jenes Moment ermöglichen[22] oder mit Uwe Japps Zusammenfassung gesprochen: “Literarische Fiktionen sind Darstellungen und Erfindungen von Wirklichkeiten im Medium der Sprache.“[23]

3. Inszenierte Realität oder reale Inszenierung: Fiktionale Elemente in American Psycho und die Welt des Patrick Bateman

Nachdem die aus dem Titel der Arbeit hervorgehenden Begrifflichkeiten (aufgrund divergierender Inhalte ohne Anspruch auf Vollständigkeit) näher erläutert wurden, soll nun auf die eigentlichen Textkörper eingegangen werden. Gegenstand der Untersuchung bleibt die Fiktion bei Bret Easton Ellis im Allgemeinen und die Untersuchung fiktionaler Elemente im literarischen Text im Besonderen, immer im Hinblick auf die Funktion der Fiktionalität und dem Erkenntniswert dieser Literatur.

Dass Fiktion immer auch autoreflexiv, dass heißt sich selbst thematisierend in Erscheinung treten kann, zeigt folgender Zusatz noch vor dem Einsetzen des eigentlichen Romaninhaltes, auch als Paratext klassifiziert:

This is a work of fiction. All of the characters, incidents, and dialogue, except for incidental references to public figures, products, or services, are imaginary and are not intended to refer to any living persons or to disparage any company’s product services.[24]

Diese Selbstreferentialität der Fiktion nimmt dem Text noch vor der Lektüre selbst jeglichen Anspruch auf Authentizität und impliziert einen rein fiktiven Wirklichkeitsbezug.[25] Obwohl zu Beginn des Romans klar definiert wird, dass es sich im Folgenden um „fiction“ handelt, wird der Roman nach Erscheinen 1991 heftig diskutiert. Wird American Psycho seitens der Liebhaber als Meisterwerk betitelt, werden sogleich Stimmen der Ablehnung laut, die dem Autor vorwerfen, er habe einen solchen Roman nur verfasst, um über den Misserfolg seines zuvor erschienenen Buches The Rules of Attraction 1987 hinwegzutäuschen. Verdeutlicht wird die Kontroverse über den Inhalt des Romans in der Öffentlichkeit ebenfalls durch die problematische Rezeption, die mit dem Erscheinen des Romans im Verlag Simon & Schuster erkennbar wird. Kurt vor der geplanten Veröffentlichung will der Verlag 300,000 $ zahlen, aber die Veröffentlichung annullieren. Schließlich publiziert Vintage American Psycho, wenngleich sich bis dato ein enormes Medieninteresse entwickelt hat und dem Verlag Simon & Schuster ein Akt der Zensur vorgeworfen wurde. Kritische Reaktionen wurden besonders seitens der Frauenorganisationen, unter anderem der National Organization for Woman (NOW) laut, da sich die Gewalt und Pornografie innerhalb des Romans hauptsächlich gegen Frauen richteten.[26]

[...]


[1] Fuhrmann, Manfred. Aristoteles. Poetik. Stuttgart: Phillip Reclam, 1994, S. 29.

[2] Vaihinger, Hans . Die Philosophie des Als-Ob. Leipzig: Meiner Verlag, 1920.

[3] Iser, Wolfgang . Akte des Fingierens oder Was ist das Fiktive im fiktionalen Text? In: Henrich, Dieter / Iser, Wolfgang: Funktionen des Fiktiven. München: Wilhelm Fink Verlag, 1983, S. 121-151.

[4] Japp, Uwe. Die literarische Fiktion. In: Hilmes, Carola / Mathy, Dietrich (Hg). Die Dichter lügen nicht. Über Erkenntnis, Literatur und Leser. Würzburg: Königshausen und Neumann, 1994, S. 47-59.

[5] Ellis, Bret Easton. American Psycho. London: Picador, 1991.

[6] Vaihinger, Theorie des Als-Ob.

[7] Schweikle, Günter / Schweikle, Irmgard. Metzlers Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen. Stuttgart: Metzler, 1990, S. 157.

[8] Nünning, Ansgar. Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler, 2004, S. 181.

[9] Nünning, Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, S. 181.

[10] Vgl. Iser, Akte des Fingierens.

[11] Japp, Die Literarische Fiktion.

[12] Japp, Die Literarische Fiktion, S. 47.

[13] Iser, Akte des Fingierens, S. 121.

[14] Iser, Akte des Fingierens, S. 122.

[15] Japp, Die Literarische Fiktion, S. 55f.

[16] Zelter, Joachim. Sinnhafte Fiktion und Wahrheit. Untersuchungen zur ästhetischen und epistomologischen Problematik des Fiktionsbegriff im Kontext europäischer Ideen- und englischer Literaturgeschichte. Tübingen: Max Niemeyer, 1994, S. 75.

[17] Zelter, Sinnhafte Fiktion und Wahrheit, S. 75.

[18] Zelter, Sinnhafte Fiktion und Wahrheit, S. 44.

[19] Japp, Die Literarische Fiktion, S. 57.

[20] Gabriel, Gottfried, Fiktion und Wahrheit. Eine semantische Theorie der Literatur. Stuttgart: Friedrich Frommann Verlag, 1975, S. 21.

[21] Japp, Die Literarische Fiktion, S. 50.

[22] Iser, Akte des Fingierens, S. 135.

[23] Japp, Die Literarische Fiktion, S. 56.

[24] Ellis, American Psycho, booklet.

[25] Nünning, Ansgar, Von der fiktionalen Biographie zur biographischen Metafiktion. Prolegomena zu einer Theorie, Typologie und Funktionsgeschichte eines hybriden Genres. In: Zimmermann, Christian v., Fakten und Fiktionen. Strategien fiktionalbiographischer Dichterdarstellungen in Roman, Drama und Film seit 1970.Tübingen, Gunter Narr Verlag, 2000, S. 15-37.

[26] Vgl Murphet, Julian, Bret Easton Ellis’s American Psycho. A reader’s guide. New York, London: Continuum 2002.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Wahrheit und Fiktion bei Bret Easton Ellis
Hochschule
Universität zu Köln  (Englisches Seminar)
Note
2,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V79440
ISBN (eBook)
9783638863834
ISBN (Buch)
9783638864589
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wahrheit, Fiktion, Bret, Easton, Ellis
Arbeit zitieren
Stefanie Udema (Autor:in), 2006, Wahrheit und Fiktion bei Bret Easton Ellis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79440

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