Chilia etê: Motiv- und traditionskritische Untersuchung zu Offb 20,1-10


Seminararbeit, 2003

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Einleitung

1 Text und Übersetzung

2 Kontextanalyse
2.1 Äußere Abgrenzung
2.2 Standort im Kontext
2.3 Strukturanalyse

3 Motivanalyse
3.1 Die tausendjährige Fesselung des Drachen VV 1-3
3.2 Der Mittelteil VV 4-6: Das tausendjährige Reich
3.3 Abschluß der Rahmenhandlung VV 7-10: Der letzte Kampf mit dem Drachen und dessen Vernichtung

4 Schlußbetrachtung

5 Abkürzungsverzeichnis

6 Literaturverzeichnis
6.1 Quellen
6.2 Hilfsmittel
6.3 Verlautbarungen kurialer Behörden
6.4 Sekundärliteratur

0 Einleitung

In konservativ-evangelikalen Kreisen der USA, die einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die dortige Politik haben, herrscht eine apokalyptische Endzeiterwartung, u. a. genährt von der Romanreihe Left behind.[1] So etwa läßt sich der jüngst erschienene Artikel „Apokalyptik statt Politik“ des Freiburger Theologen Joachim Valentin[2] zusammenfassen.

Dieses Beispiel zeigt, daß die Wirkungsgeschichte der Apokalyptik[3] bis heute nicht abgeschlossen ist. In dieser Arbeit wird ein Teilbereich des großen Gebiets der Apokalyptik, der Chiliasmus bearbeitet. Auch dessen Wirkungsgeschichte[4] ist bedeutsam.

Doch nicht die Darlegung der Rezeptionsgeschichte steht hier im Vordergrund. Vielmehr werde ich die Motivgeschichte und die Motivzusammenhänge der Zeitraumangabe ci,lia e;th (tausend Jahre) in Offb 20,1-10 schwerpunktmäßig darlegen. Dieses Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch die Perikope und ist verbunden mit dem Gedanken an ein tausendjähriges Reich Christi und der treuen Christen vor dem Äonenwechsel auf der Erde.

Um sich dem Motiv zu nähern, ist zunächst zu fragen, wie der Textabschnitt aufgebaut ist. Wo und wie ist er mit seinem Kontext, also dem ihn umgebenden Text der Offenbarung verbunden?

Danach ist das Motiv in der Perikope zu betrachten. Die Herkunft des geprägten Begriffs wird soweit möglich erläutert werden. Woher kommt das Motiv? Findet sich eine solche Vorstellung in den Schriften des Alten Testaments, des Frühjudentums oder in nichtjüdischen Schriften? Falls es einen gibt, müssen die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Schriften aufgedeckt werden.

Schließlich ist zu erörtern, welche Funktion das Motiv speziell in diesem Text hat. Dazu verwende ich kritisch verschiedene Kommentare.

Diese Hausarbeit ist also eine kontextbasierte Analyse über die Perikope Offb 20,1-10, bei der die jeweiligen Vorkommen der Zeitraumangabe ci,lia e;th je nach ihrer Stellung betrachtet werden.

1 Text und Übersetzung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2 Kontextanalyse

Die Erzählung Offb 20,1-10 steht in einem größeren Textzusammenhang, von dem sie einerseits als eigenständige Einheit abzugrenzen ist, mit dem sie andererseits aber in Verbindung steht. In der folgenden Kontextanalyse geschieht dies in drei Schritten. Zunächst muß man die Perikope von ihrem Mikrokontext abgrenzen. Die Beziehungen, die der Text zum Makrokontext hat, müssen im zweiten Schritt herausgearbeitet werden. Zuletzt ist die Struktur der Perikope herauszuarbeiten.

2.1 Äußere Abgrenzung

Den Mikrokontext, in den Offb 20,1-10 eingebettet ist, bildet 19,11-22,4. Die Perikope wird in Offb 20,1 durch die formelhafte Wendung kai. ei=don eröffnet, mit der der Ich-Erzähler (Johannes) eine neue Vision beginnt. Im voranstehenden Abschnitt 19,11-21 wird die Vision einer Schlacht geschildert, bei der bereits das Tier und der falsche Prophet in einen Feuersee geworfen und die Könige der Erde und ihr Heer getötet werden. Der Ort, an dem diese Handlung spielt, ist nicht direkt benannt. Offb 19,11 läßt aber an den Himmel als Ort des Geschehens denken.

Die Konstellation in 20,1-10 ist eine ganz andere. Johannes schildert hier zunächst die Gefangennahme des Teufels durch einen Engel, der dazu vom Himmel kommt, für tausend Jahre. Die Zeitraumangabe der tausend Jahre (ci,lia e;th) wird sechs Mal genannt, je einmal in den VV 2-7. Man kann sagen, sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Vision.

Anfang und Ende der Perikope sind deutlich durch eine neue Vision angezeigt. In V 11 setzt der Seher wieder neu mit kai. ei=don ein. Es handelt sich bei 20,11-15 wiederum um eine Gerichtsvision. Der Seher gibt keinen Ortswechsel an. Die Personenkonstellation ändert sich aber. Geschildert werden ein weiteres, zweites Gericht und eine „zweite Auferstehung“ der Toten. Eine nicht näher identifizierte Person, vielleicht ein Engel, wirft den Tod und den Hades in den Feuersee, in dem schon der Drache, das Tier und der Lügenprophet sind.

Beachtet man die Personenkonstellation, das durchgängige Motiv der tausend Jahre und die unterschiedlichen Handlungen, läßt sich Offb 20,1-10 als eigenständige Perikope deutlich abgrenzen.

2.2 Standort im Kontext

Als Makrokontext zu 20,1-10 ist der bei GIESEN „»apokalyptische« Hauptteil“[5] genannte Bereich 4,1-22,5 anzusehen. Unsere Perikope ist die mittlere der drei Gerichtsvisionen[6] am Ende dieses Textbereichs, die Giesen insgesamt unter der Überschrift „endgültiges Gericht über die gottfeindlichen Mächte und Heilsvollendung der treuen Christen“[7] zusammenfaßt. Daran schließt sich der Buchschluß 22,6-21 an. Vorweg stehen die Einleitung (1,1-20) und die sogenannten „Sendschreiben an die sieben Gemeinden“ (2,1-3,22). Der Hauptteil selbst läßt sich nach Giesen wieder in verschiedene Visionsreihen (4,1-8,1; 8,2-11,19), die Gegenüberstellung der endzeitlichen Gegenspieler[8] (12,1-14,20), eine weitere Visionsreihe (15,1-16,21) und die Darstellung des Geschicks der großen Hure Babylon (17,1-19,10) gliedern.

Die Vision 20,1-10 beginnt mit der letzten der in der Offenbarung genannten Engelsvisionen. Mit ihr beendet der Seher Johannes die Reihe der Engelssichtungen (5,2.11; 7,1.2; 8,2; 9,1; 10,5; 14,6; 15,1; 17,18; 19,17; 20,1).

Die Ergreifung des Drachens ist im Zusammenhang mit dem Satanssturz in V 12,7 ff zu sehen. Dort wird der Drache, der durch die selbe Aneinanderreihung seiner Namen (mit Ausnahme der Bezeichnung „Irreführender der ganzen Welt“ (o` planw/n th.n oivkoume,nhn o[lhn)) beschrieben wird wie in 20,2[9] (to.n dra,konta( o` o;fij o` avrcai/oj( o[j evstin Dia,boloj kai. o` Satana/j), aus dem Himmel auf die Erde gestürzt. Damit ist zum einen sicher gestellt, daß es sich in beiden Fällen um denselben Drachen handelt. Zum anderen beginnt hier der Niedergang des Drachens, der in 20,1-10 vervollständigt wird. Dieser Erzählbogen beginnt also in Kapitel 12 und endet in Kapitel 20. Dies deutet auch 12,12 an, wo es heißt, der Drache wisse, daß er nur wenig Zeit habe. Mit dem Ende dieser kurzen Zeit findet alles Widergöttliche sein Ende.

Einen weiteren Bogen finden wir von 5,10 b aus gespannt. Der Sprecher prophezeit, daß diejenigen, die Christus durch seinen Kreuzestod für Gott kaufte und zu einem Königtum und zu Priestern machte, als Könige auf der Erde herrschen werden. Die Realisierung dieser Prophezeiung ist in 20,4-6 beschrieben.

Außerdem kann man in den drei Schlußgerichten (19,11-20,15) eine dreigliedrige Steigerung erkennen. Laut 19,20 werden zunächst die Gehilfen des Drachen, das Tier und der Lügenprophet, in den Feuersee geworfen (ba,llein). Dann wird nach 20,10 der Teufel ebenfalls dorthin geworfen. Schließlich folgen ihnen Tod und Hades (vgl. 20,14) in den Feuersee, der daraufhin vom Seher als der zweite Tod identifiziert wird. Auffällig ist hier, daß Johannes jedesmal das gleiche Verb in der Form des passiven Aorists verwendet. Dies weist auf eine parallele Konstruktion hin. Am Ende des Dreischritts sind die gottfeindlichen Mächte vernichtet.

Zugleich wird die Verwirklichung eines in 2,11 begonnenen Erzählbogens vorbereitet, die des zweiten Todes (deu,teroj qa,natoj). Am Beginn des Bogens im ersten Sendschreiben an die Gemeinde in Smyrna liegt eine Verheißung für diejenigen vor, die treu sind bis in den Tod. Ihnen kann der zweite Tod nichts anhaben, und sie bekommen nach der Aussage in 2,10 den „Kranz des Lebens“.[10] Jedoch wird an dieser Stelle nicht erklärt, was dieser Kranz ist. Auch im Makarismus[11] 20,6 erfolgt keine Deutung des Begriffs. Es wird jedoch die Personengruppe, die an der hier beschriebenen ersten Auferstehung Anteil hat, vom zweiten Tod ausgenommen. Sie werden selig und heilig (maka,rioj kai. a[gioj) genannt. Dadurch, daß hier die erste Auferstehung beschrieben wird, schafft Johannes die Möglichkeit für das endgültige, in 20,11-15 geschilderte Gericht und den zweiten Tod. Schließlich erfolgen in 20,14 und in 21,8 zwei Erklärungen für das Motiv des zweiten Todes: In 20,14 wird der zweite Tod mit dem Feuersee (h` li,mnh tou/ puro,jÅ) identifiziert. In 21,8 erfolgt eine Präzisierung des Feuersees. Er besteht aus brennendem Feuer und Schwefel (th/| kaiome,nh| puri. kai. qei,w|). Man kann sagen, das erste Gericht und die erste Auferstehung sind die conditio sine qua non für das zweite Gericht und den zweiten Tod.

[...]


[1] Die Reihe beginnt mit einem Roman gleichen Titels: T. LaHaye / J. B. Jenkins: Left behind: a novel of the earth's last days, Wheaton/Ill. 1998. Ebenfalls unter diesem Titel existiert eine Homepage (http://www.leftbehind.com), auf der für die einzelnen Romane der Reihe und andere Bücher ähnlichen Inhalts geworben wird.

[2] Vgl. J. Valentin: Apokalyptik statt Politik. In den USA boomen Endzeit-Romane, in: HerKorr 59 (2005) 30-34. In diese Richtung äußerte sich 1981 vorsichtig auch R. Bauckham: Art. Chiliasmus IV. Reformation und Neuzeit, in: TRE 7, 737-745, indem er schreibt: „Heute sind chiliastische Vorstellungen unter konservativen christlichen Kreisen – britischen konservativen Evangelikalen, amerikanischen Fundamentalisten, der Pfingstbewegung – wahrscheinlich weiter verbreitet als je zuvor.“

[3] G. S. Oegema: Zwischen Hoffnung und Gericht. Untersuchungen zur Rezeption der Apokalyptik im frühen Christentum und Judentum (= WMANT 82), Neukirchen-Vluyn 1999, 18, Anm. 76, schreibt zur Problematik einer Rezeptionsgeschichte der Apokalyptik:

„Eine umfassende Untersuchung der Frage des Weiterlebens und der Wirkung der apokryphen Literatur gibt es noch nicht. Sie ist wohl auch nur sehr schwer zu erstellen. Denn es geht hier um ganz unterschiedliche und vielschichtige Probleme. Die Fülle des Materials in vielen Sprachen macht eine Zusammenfassung beinahe unmöglich.“

[4] Einen Überblick bietet z. B. O. Böcher: Art. Chiliasmus I. Judentum und Neues Testament, in: TRE 7, 723-729.

[5] Vgl. H. Giesen: Die Offenbarung des Johannes (= RNT 9), Regensburg 1997, 53.

[6] Es handelt sich um folgende Abschnitte (vgl. ebd., 8 f):

19,11-21: Das Gericht über das Tier und über den falschen Propheten;

20,1-10: Tausendjährige Herrschaft der Christen mit Christus und Gericht über den Satan; 20,11-15: Gericht über die Ungläubigen und Überwindung von Tod und Hades.

[7] Vgl. ebd.

[8] Vgl. ebd., 269.

[9] Eine ähnliche Formulierung findet sich in auch in Jes 27,1: th/| h`me,ra| evkei,nh| evpa,xei o` qeo.j th.n ma,cairan th.n a`gi,an kai. th.n mega,lhn kai. th.n ivscura.n evpi. to.n dra,konta o;fin feu,gonta evpi. to.n dra,konta o;fin skolio.n kai. avnelei/ to.n dra,konta..

[10] Vgl. zum „Kranz des Lebens“ die Interpretation bei Giesen: Offenbarung, 110. Der Kranz ist laut Giesen „im NT Metapher des Erfolgs, des Sieges und Triumphs“.

[11] Vergleiche zum Begriff „Makarismus“ Kap. 3.2 in dieser Arbeit.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Chilia etê: Motiv- und traditionskritische Untersuchung zu Offb 20,1-10
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (AB Neutestamentliche Literatur und Exegese)
Veranstaltung
Die Offenbarung des Johannes
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
33
Katalognummer
V76494
ISBN (eBook)
9783638855990
ISBN (Buch)
9783638854078
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Chilia, Motiv-, Untersuchung, Offb, Offenbarung, Johannes
Arbeit zitieren
Dip.-Theol. Michael Bollesen (Autor:in), 2003, Chilia etê: Motiv- und traditionskritische Untersuchung zu Offb 20,1-10, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76494

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