Wahlkampf via Weblogs? Thematisierungsprozesse in der Blogosphäre

Eine inhaltsanalytische Untersuchung des Bundestagswahlkampfs 2005


Magisterarbeit, 2006

120 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

2. Besonderheiten der Medienform ‚Weblog’
2.1. Historische Entwicklung von Weblogs
2.2. Technische Innovationen - Publizistische Konsequenzen
2.3. Erscheinungsformen eines neuen Genres
2.4. Forschungsfeld Weblogs: Bisherige Ansätze und Ergebnisse
2.5. Netzwerkstrukturen in der Blogosphäre
2.5.1. ‚The rich get richer’ – Die ‘Power Law- Verteilung’ in der Blogosphäre
2.5.2. Die Gestalt der Öffentlichkeit in der Blogosphäre
2.6. Basisdemokratische Utopien über die Öffentlichkeit in der Blogosphäre
2.7. Versuch einer kommunikationswissenschaftlichen Einordnung

3. Modelle medialer Thematisierung
3.1. Themen
3.2. Zyklenmodelle
3.2.1. Das Lebenszykluskonzept aus interdisziplinärer Sicht
3.2.2. Kommunikationswissenschaftliche Modelle
3.2.3. Themendiffusion in der Blogosphäre
3.3. Nachrichtenfaktoren als Einflussfaktoren auf die Thematisierung
3.3.1. Die Nachrichtenwertforschung
3.3.2. Auswahl relevanter Nachrichtenfaktoren für die empirische Untersuchung

4. Die Rolle von Weblogs in der Wahlkampfkommunikation
4.1. Der US-Präsidentschaftswahlkampf 2004
4.2. Weitere internationale Beispiele für die Rolle von Weblogs in der Wahlkampfkommunikation
4.3. Die Rolle von Weblogs im Bundestagswahlkampf 2005
4.3.1. Die ‚Wahlkampfblogosphäre’ 05
4.3.2. Politiker als Blogger
4.3.3. Akzeptanz und Nutzung von Wahlkampfweblogs

5. Verdichtung der theoretischen Erkenntnisse

6. Forschungsfragen

7. Methodisches Vorgehen
7.1. Zur Wahl der verwendeten Methode – Inhaltsanalyse
7.2. Festlegung der Untersuchungseinheit
7.2.1. Festlegung des Untersuchungszeitraums
7.2.2. Definition der Grundgesamtheit
7.2.3. Ziehung der Stichprobe
7.2.4. Beitragsample
7.2.5. Codiereinheiten
7.3. Entwicklung des Kategoriensystems
7.4. Codierung

8. Analyse und Darstellung der Ergebnisse
8.1. Strukturmerkmale der untersuchten Weblogs
8.2. Dominante Themen und Akteure
8.3. Strukturelle Einflüsse auf Themen und Akteure
8.4. Medienspezifische Merkmale
8.5. Der Einfluss von Nachrichtenfaktoren
8.6. Das partizipatorische Potenzial von Weblogs
8.7. Dynamischer Verlauf der Thematisierung

9. Fazit und Ausblick

10. Literatur

11. Abbildungsverzeichnis

12. Tabellenverzeichnis

Anhang

Codebuch

Tabellenanhang

Vorwort

Die vorliegende Studie ist eine gekürzte Fassung der Untersuchung, die im Herbst 2006 im Rahmen der Erlangung des Magister Artium (M.A.) am Institut für Kommunikationswissenschaft an der LMU München entstanden ist.

Seit dem hat sich die Webloggforschung weiterentwickelt und die Erscheinungen zum Thema sind vielfältig und zahlreich. Das Buch, das Sie gerade zur Hand genommen haben ist eine wissenschaftliche Arbeit mit einem speziellen, kommunikationswissenschaftlichen Fokus. Das primäre Ziel eines jeden Forschungsvorhabens, das ein junges Forschungsfeld beackert, ist es, die Dimension des Neuen abzustecken. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, das Phänomen Weblogs als Forschungsfeld der Kommunikationswissenschaft einzuordnen. Die Aufgabe dieser Studie ist es im Speziellen, die vielfältigen Prozesse der Thematisierung innerhalb der Blogosphäre am Beispiel der Kommunikation während des Bundestagswahlkampfes 2005 zu beschreiben und zu analysieren.

Am Ende dieser Arbeit und am Ende einer Zeit der intensiven Beschäftigung mit dem Thema Weblogs und in Anbetracht der empirischen Ergebnisse, werde ich einige mögliche Entwicklungen der Rolle von Weblogs in Wahlkämpfen aufzeigen, die meiner Meinung nach wahrscheinlich sind. Es bleiben jedoch nur ‚mögliche’ Entwicklungen und letztlich Spekulationen über ein Feld, dessen rasante Entwicklung der Forschung ein Tempo vorlegt, das schwerlich eingehalten werden kann.

Die Arbeit entstand mit der Unterstützung des Lehrbereichs von Prof. Dr. Romy Föhlich mit besonders intensiver Betreuung durch Dr. Wolfgang Schweiger. Ein besonderer Dank gilt auch Herrn Steffen Albrecht vom Institut für Technik und Gesellschaft der Universität Hamburg-Harburg, der mich mit durch die Bereitstellung einer Auflistung der vorhandenen Weblogs im Bundestagswahlkampf 2005 bei der Durchführung dieser Studie unterstützt hat.

Außerdem möchte ich mich an dieser Stelle bei Freunden und Verwandten für die moralische, intellektuelle und fachliche Unterstützung bedanken.

München, 29.09.2007

1. Einleitung

„Für die aus meiner Sicht notwendige Fortführung der Reformen halte ich eine klare Unterstützung durch eine Mehrheit der Deutschen gerade jetzt für erforderlich. Deshalb betrachte ich es als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland als meine Pflicht und Verantwortung, darauf hinzuwirken, dass der Herr Bundespräsident von den Möglichkeiten des Grundgesetzes Gebrauch machen kann, um so rasch wie möglich, also realistischerweise für den Herbst dieses Jahres, Neuwahlen zum Deutschen Bundestag herbeizuführen.“

Mit diesem Satz leitete Gerhard Schröder am Abend des 22. Mai 2005 den kürzesten Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik ein. Wenige Stunden später waren bereits Dutzende Blogger aktiv geworden und der Startschuss für eine in Deutschland neue Form des Internet-Wahlkampfes war gegeben: Für den Wahlkampf via Weblogs. Kaum ein Phänomen hat in den vergangenen Jahren zu einer solch polarisierenden Diskussion bei Beteiligten und Beobachtern geführt, wie das Phänomen ‚Weblog’. Von der einen Seite als überbewerteter Hype abgetan, von der anderen Seite als Mittel der basisdemokratischen Revolution idealisiert, haben Weblogs im Bundestagswahlkampf 2005 bereits eine wichtige Rolle gespielt. Diese Rolle, hängt ganz entscheidend von den thematisierten Inhalten der Kommunikation durch Weblogs während des Bundestagswahlkampfes ab. Aus diesem Grund steht die Frage nach den Thematisierungsprozessen in der Blogosphäre während des Bundestagswahlkampfes 2005 im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit.

,Zunächst solldie neue Medienform ‚Weblog’ als Untersuchungsgegenstand definiert und ein allgemeiner Überblick über das Forschungsfeld gegeben werden. Es werden A) die Netzwerkstrukturen der Blogosphäre und deren Auswirkung auf Verteilung von Aufmerksamkeit und Verbreitung von Themen herausgearbeitet, um medienimmanente Einflussfaktoren auf die Thematisierungsprozesse in der Blogosphäre zu identifizieren, sowie B) der Schwerpunkt auf demokratietheoretische Aspekte der Blogosphäre gelegt, um auf die Relevanz von Weblogs in der politischen Kommunikation im Wahlkampf hinzuweisen. Besondere Aufmerksamkeit wird auch den Modellen medialer Thematisierung, gewidmet, die auf ihre Anwendbarkeit in der Blogosphäre überprüft werden sollen. Um dynamische Verläufe der Thematisierung zu beschreiben, werden verschiedene Themenzyklenmodelle herangezogen. Um den Charakter der thematisierten Themen zu definieren, werden außerdem Anleihen aus der Nachrichtenwertforschung gemacht. Schließlich wird die Rolle von Weblogs in der Wahlkampfkommunikation genauer analysiert und der Forschungsstand auf diesem speziellen Gebiet aufgezeigt. Auf diese Weise werden die drei Kernbereiche der vorliegenden Arbeit miteinander verknüpft: Die Analyse gilt den Thematisierungsprozessen in der Blogosphäre während des Bundestagswahlkampfes 2005. Dabei wird ein Unterschied in der Herangehensweise an die thematischen Kernthemen deutlich: Während für die Theorien der medialen Thematisierung eine Forschungstradition existiert, in der auch Synthesen, Bilanzierungen der Forschung und anerkannte Positionen zu den Theorien bestehen, kann auf diese etablierte Forschungstradition bei Weblogs nicht zurückgegriffen werden. In diesem Fall kann nur die intensive und umfassende Auswertung der Literatur zu einer Einschätzung des Forschungsstandes beitragen.

Im Anschluss wird schließlich die Konzeption der empirischen Studie vorgestellt. Da mit der inhaltsanalytischen Untersuchung einer bestimmten Sparte von Weblogs (Wahlkampfweblogs) praktisch methodisches Neuland beschritten wurde, ist eine ausführliche Beschreibung der verwendeten Methode notwendig. Anschließend wird auf Grund der erhobenen Daten eine Beantwortung der Forschungsfragen angestrebt, die zu einer abschließenden Beurteilung der Rolle von Weblogs für den Wahlkampf und einer Prognose über die weitere Entwicklung des Phänomens ‚Weblogs’ führen soll.

2. Besonderheiten der Medienform ‚Weblog’

Die Definitionsversuche für das Phänomen Weblog sind so vielfältig wie das Phänomen selbst. Eine in der Literatur oft anzutreffende Definition stellt grundsätzlich fest, dass Weblogs „regelmäßig aktualisierte Webseiten“ sind, in denen die Beiträge, die sogenannten ‚Posts’ in „umgekehrt chronologischer Reihenfolge“ angeordnet sind (Schmidt 2006: 13; Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 1; Wjinja 2004: 3).

Mit der Etablierung des Phänomens Weblog haben sich eine Fülle von Fachtermini durchgesetzt, die außerhalb der Weblog-Community noch wenig Beachtung erfahren. So wird der Autor eines Weblogs ‚Blogger’ genannt, weil die Tätigkeit des Verfassens eines Weblogs als ‚Bloggen’ bezeichnet wird.

Die „starke Verlinkung durch Verweise mit anderen Blogs oder sonstigen Internetquellen“ wird als das wichtigste Merkmal eines Weblogs schlechthin genannt (Schmidt 2006: 13; Zerfaß/Boelter 2005: 20, Blood 2000: 4; Herring/Scheidt/Bonus/Wright 2004: 12). Jedes Blog ist durch unterschiedliche Arten von Verweisen mit anderen Blogs und Internetquellen verlinkt. Neben den thematischen Verweisen innerhalb eines Posts sind vor allem die sogenannten Blogrolls ausschlaggebend für die dichte Vernetzung zwischen den Weblogs. Eine Blogroll stellt eine Art ‚Nachbarschaftsindex’ dar (Burg 2004: 2). In dieser Linkliste, die oft am rechten oder linken Seitenrand zu finden ist[1], listet der Blogger all jene Blogs auf, die er selbst gerne liest, oder denen er sich nahe fühlt. Er drückt somit seine Präferenz, Verbundenheit oder schlichtes Interesse an einer Reihe von anderen Blogs aus und empfiehlt sie seinen Lesern. Das sich so ergebende „dicht gespannte Netzwerk von hypertextuellen und sozialen Verknüpfungen“ wird die ‚Blogosphäre’ genannt (Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 1).

Die einzelnen Weblogbeiträge, im folgenden ‚Posts’ genannt, sind einzeln referenzierbar, das heißt, jeder Beitrag ist per Suche mit einer Suchmaschine einzeln zu erreichen (Franz 2005: 1). Die Referenzierung erfolgt durch sogenannte ‚Tags’, die die thematische Zugehörigkeit eines Beitrags schlagwortartig beschreiben sollen und vom Autor des Posts vergeben werden. Außerdem erhält jeder neue Beitrag eine eigene URL, ist also losgelöst von der Homepage des Weblogs zu erreichen. Diese feste URL wird ‚Permalink’ genannt und ermöglicht die Verlinkung, auf einen speziellen Beitrag, der somit durch einen einzigen Klick erreichbar ist. Dabei steht der „Microcontent“, also der einzelne Beitrag, im Mittelpunkt (Zerfaß/Boelter 2005: 33; Burg 2004: 6).

Eine Konsequenz aus dieser Entwicklung ist, dass einzelne Beiträge zunehmend losgelöst von ihrem Erscheinungsort wahrgenommen werden. Das Abbonieren von sogenannten ‚RSS-Feed’s’ verstärkt diese Tendenz zusätzlich (siehe Kapitel 2.2). Eigenschaften, die für eine neue Medienform oder ein eigenständiges Format sprechen, das sich nicht nur in seiner Optik, sondern auch in der Darstellung seiner Inhalte von anderen Webseiten abgrenzt, sind zum Beispiel die chronologische Veröffentlichung der Beiträge und die Dialogorientierung, welche durch die vielfältigen Möglichkeiten der Kommentierung und Verlinkung entstehen (Zerfaß/Boelter 2005: 32). Außerdem wird der expressive Kommunikationsstil häufig als ein kennzeichnendes Merkmal für die Kommunikation in Weblogs genannt (Zerfaß/Boelter 2005: 35).

Aus Nutzersicht kann man vier Hauptcharakteristika ausmachen, die ein Weblog erfüllen muss, um den Erwartungen der Nutzer gerecht zu werden: Regelmäßige Aktualisierung (Aktivität), persönliche Darstellung des Bloggers (Authentizität), Kommentarfunktion (Interaktivität) und die Vernetztheit des Weblogs innerhalb der Blogosphäre (Albrecht/Perschke 2006: 11).

2.1. Historische Entwicklung von Weblogs

Obwohl das Phänomen Weblog erst im Laufe der letzten zehn Jahre entstanden ist, kann man durchaus seine geschichtliche Entwicklung nachzeichnen, denn bei einer extrem beschleunigten Entwicklung wie sie neue Publikationsformen im Internet erfahren haben, sind bereits wenige Jahre eine lange Zeit.

Eine detaillierte und oft zitierte Darstellung der Entwicklung von Weblogs stammt von Rebecca Blood (Blood 2000: 2; Schuster 2004: 2), die in der Entstehung der Weblogs eine Rückkehr zu den Ursprüngen des Internet, in seiner frühesten Form sieht. Michael Schuster sieht die Visionen des Internet-Erfinders Tim Berners-Lee von einem Raum, in dem Individuen „arbeiten, schreiben, kommunizieren und soziale Kontakte knüpfen“ (Schuster 2004: 2) durch die Kommunikation durch Weblogs verwirklicht. Geprägt wurde der Begriff ‚Weblog’ durch den Blogger John Barger, der fälschlicherweise auch als John Borger in der Literatur auftaucht (Zerfaß/Boelter 2005: 20). Bereits 1997 veröffentlichte er auf seiner Webseite ‚Robot Wisdom’[2] eine kommentierte Liste von Links auf Seiten, die ihm auf seinen „Reisen durchs Internet“ (Fiene 2005: 1) begegneten (Herring/Scheidt/Bonus/Wright 2004: 1). Der Begriff setzt sich zusammen aus den Wörtern ‚Web’ und ‚Log’. Vom Wortschöpfer gemeint als Logbuch für die Durchforstung des WWW, in dem interessante Seiten dokumentiert werden. “In the strictest sense, a blog is someone's online record of the Websites he or she visits” (Jensen 2003: 2). In seinem Ursprung sollte das Weblog als kommentierter Wegweiser einer einzelnen Person durch das Internet bereits die Funktion erfüllen, die ihm heute aus öffentlichkeitstheoretischer Sicht zugeschrieben wird: Eine subjektive inhaltliche Vorselektion des Internets bieten, basierend auf Persönlichkeit und Interessen des Bloggers (Schmidt 2006: 15).

Wie ist zu erklären, dass sich seit 1997 neben den großen Portalen und Nachrichtensuchdiensten im Internet wie Yahoo, Google-News etc. auch diese Form der Indizierung des WWW durchgesetzt hat? Daniel Fiene verweist auf den Wert dieser „subjektiven Auswahl“, die nicht wie die großen Nachrichtensuchdienste auf künstlichen Algorithmen, sondern auf der menschlichen, sehr persönlichen Auswahl eines Individuums basiert (Fiene 2003: 1).

Einen Meilenstein in der rapiden Ausbreitung von Weblogs stellt zweifelsohne die Bereitstellung kostenloser Softwaretools wie ‚Pitas’ (Juli 1999) oder ‚Blogger.com’ (1999) dar, die Programmierkenntnisse nicht länger zur Bedingung für die Veröffentlichung eines eigenen Weblogs machten. Zwar waren diese frühen Softwarelösungen noch nicht ausgereift und erforderten im Vergleich zu heute noch eine erhebliche Einarbeitungszeit; dennoch war mit den Softwarelösungen für ‚Personal Publishing Systeme’ der erste Schritt zu einer für breite Bevölkerungsschichten zugänglichen Publikationsform im Internet gemacht. Für Rebecca Blood (2000: 2) waren es vor allem die technischen Eigenheiten dieser Softwaretools, im speziellen von ‚Blogger.com’, die einen Richtungswechsel im Charakter von Weblogs herbeiführten. Waren Blogs zuvor vor allem „filter-style Weblogs“, ...“a mix of links, commentary, and personal notes“, deren Funktion vor allem das ‚Vorfiltern’ und Dokumentieren der rezipierten Internetseiten war (Herring/Scheidt/Bonus/Wright 2004: 2), so häuften sich nach der explosionsartigen Vermehrung von Weblogs nach der Bereitstellung von benutzerfreundlichen Softwarelösungen vor allem sehr persönliche Blogs, die die Gedanken und Erlebnisse des einzelnen Bloggers in den Vordergrund stellten. Ob der Grund für die Entwicklung zu dieser Art von ‚journal-style Weblogs’, wie Blood annimmt, durch die technische Entwicklung der Softwarelösung verursacht wurde, sei dahingestellt. Sicher ist, dass mit diesem Wandel sowohl eine Veränderung der Funktionen von Weblogs, wie auch der Motivationen der Blogger einhergegangen sind

Ein wichtiger Schub in der Verbreitung und Popularisierung von Weblogs erfolgte nach den Ereignissen des 11. September 2001. Als Reaktion auf die Terrorattentate auf das World Trade Center in New York berichteten Blogger in Echtzeit authentisch, persönlich und emotional über die Anschläge (Burg 2004: 7). Erstmals wurde das Potential von Weblogs in der Katastrophenberichterstattung deutlich. Die aktuelle und subjektive Berichterstattung der Betroffenen via Weblogs wurde auch für andere Medien eine ernstzunehmende Quelle. An diesem Punkt sei auf die wichtige Diskussion über journalistische Standards und die Rolle von Weblogs für den Journalismus hingewiesen. Verschärft wurde diese Diskussion während eines weiteren Ereignisses der US-amerikanischen Außenpolitik und den publizistischen Konsequenzen, die dieses Ereignis mit sich trug. Der zweite Golf-Krieg im Irak 2003 und der Einsatz der so genannten ‚Embedded Journalists’, die die alliierten Truppen während der Kampfhandlungen begleiteten, bewirkten eine Verdichtung so genannter ‚Warblogs’, Weblogs in denen Journalisten, aber auch Soldaten, Vertreter von Hilfsorganisationen oder irakische Zivilisten von ihren Erlebnissen während des Krieges berichteten (Burg 2004: 8; Neuberger 2005: 9; Pisani 2005: 1; Przepiorka 2003: 2).

Das bekannteste Warblog des Irak-Krieges ist das Weblog von „Salam Pax“, der von seinen täglichen Erlebnissen während der Besatzung der US-Amerikaner aus Bagdad berichtete (Fischer/Quiring 2004: 4; Schmidt 2006: 129). Der Blogger wurde schließlich von der britischen Zeitung ‚The Guardian’ als Kolumnist engagiert und sein Weblog erschien im Englischen („The Bagdad Blog“ Guardian Books 2003) und unter anderem auch im Deutschen als Buch mit dem Titel „Let’s get bombed. Schöne Grüße aus Bagdad“ (Pax 2003). Deutlich wird bei dieser Art von Weblogs die Gefahr der rapiden Ausbreitung von gezielten Fehlinformationen, welche allerdings in Anbetracht der US-amerikanischen Kommunikationspolitik während des zweiten Golf-Krieges im Irak auch durch die traditionellen Medien bestand.[3] Nach dieser weiteren Entwicklung und der zunehmenden Berichterstattung über das Phänomen Weblog in anderen Medien wurden viele weitere Ereignisse Anlass zur Entstehung von Weblogs. Dazu zählten auch die Anschläge in Madrid und London, sowie die Umweltkatastrophen im Indischen Ozean und in New Orleans. In Deutschland bekamen Weblogs während der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean im Dezember 2004 besondere Relevanz. Bevor die etablierten Nachrichtenmedien die Schauplätze erreichten, waren schon dutzende Blogs entstanden, auf denen nach Vermissten gesucht, aktuelle Bilder veröffentlicht und die Auswirkungen der Katastrophe beschrieben wurden (Zerfaß 2005: 21).

Die verlässlichsten Zahlen zur Verbreitung von Weblogs in den USA liefert die jährlich erscheinende Studie des ‚Pew Internet and American Life Projects’. Nach der Veröffentlichung vom 19. Juli 2006 lesen 57 Millionen US-Bürger regelmäßig Blogs. 12 Millionen betreiben ein eigenes Weblog (Pew Internet 2006: 2). Über die aktuellen Zahlen der Verbreitung von Weblogs in Deutschland liegen nur umstrittene Ergebnisse vor. Deutschland bewegte sich lange im Mittelfeld in der Verbreitung von Weblogs in Europa (Vgl. http://www.eu.socialtext.net/loicwiki/index.cgi?summary_page).

Nach einer Umfrage, die von der Zeitschrift Focus in Auftrag gegeben wurde, betreiben 5% der Deutschen ein Weblog. Die Ergebnisse dieser Befragung werden jedoch in der Blogosphäre als unrealistisch gehandelt.

2.2. Technische Innovationen - Publizistische Konsequenzen

Wie im vorangegangen Kapitel bereits angedeutet wurde, ist die inhaltliche Weiterentwicklung einer neuen Medienform auch immer an neue technische Möglichkeiten gekoppelt. Im Folgenden sollen nun die technischen Eigenschaften eines Weblogs erläutert werden, da diese sich unweigerlich auf Form, Inhalt und die Nutzung von Weblogs auswirken.

Die Technologie, die der Software zur Erstellung eines Weblogs zu Grunde liegt, nennt sich CMS und steht für ‚Content Management System’. Also ein System zur automatisierten Verwaltung von Inhalten. Content Management Systeme werden bereits vielfältig in Firmen oder Online-Redaktionen eingesetzt. Nun ist die Erstellung einer Website wie zum Beispiel eines Weblogs, nicht annähernd so komplex wie beispielsweise das Management einer gesamten Onlinezeitung. Deswegen werden die Software-Tools zur Erstellung von Weblogs auch „Mini-Content-Management-Systeme“ genannt. Auch die Bezeichnung „Personal Publishing System“ findet sich in der Literatur (Burg 2004: 5). Die wichtigsten technischen Eigenschaften haben diese Systeme mit einem CMS gemein: Sie ermöglichen erstmals die Trennung von Form und Inhalt. „In der Regel wird der Content (Text, Bild, etc.) in einer Datenbank abgelegt und im Wege des Publishingprozesses mit einem Template (einer Layout-Vorlage) verknüpft“ (Burg 2004: 5). Die Softwaretools werden von Weblog-Diensten wie ‚livejournal.com’, ‚blogger.com’, ‚blog.com’, ‚20six.com’ usw. kostenlos angeboten und bieten bei der Einrichtung eines Blogs verschiedene Vorlagen zur optischen Gestaltung, sowie den benötigten Speicherplatz für die Webloginhalte (Alphonso/ Pahl 2004: 119-125; Zerfaß/Boelter 2005: 36). Diese Möglichkeit wird als „Weblog-Hosting“ bezeichnet (Schmidt 2006: 14), ist aber nur eine von zwei Möglichkeiten der Veröffentlichung eines Weblogs. Außerdem existieren „Stand-Alone“-Softwarelösungen, bei welchen der Blogger selbst für Speicherplatz sorgt und die aktualisierte Weblogseite eigenständig hochlädt (Schmidt 2006: 61).

Der große Vorteil und das revolutionäre Potenzial der genannten ‚Gesamtlösung’ der Veröffentlichung durch ‚Mini-Content-Management-Systeme’ ergibt sich aus der benutzerfreundlichen, einfachen Handhabung, die keinerlei Kenntnisse über Programmierung von HTML-Seiten oder Upload von Dateien auf einen Server voraussetzt. Die Konsequenz aus dieser technischen Vereinfachung ist, dass einem breitem Publikum der Zugang zu einem publizistischen Medium ermöglicht wird (Fischer/Quiring 2004: 1; Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 7). Während es prinzipiell auch schon vor der Popularisierung von Weblogs jedem möglich war, über das Internet zu veröffentlichen, war dieses Vorhaben immer an technische Kenntnisse des Programmierens geknüpft und mit einem größeren Aufwand verbunden.

Zwei weitere Begriffe sind in diesem Zusammenhang relevant und bedürfen einer Klärung: ‚Social Software’ und ‚Open Source’. Weblogs werden schon einmal als “Speerspitze einer neuen Generation von Social Software bezeichnet” (Zerfaß/Boelter 2005: 22). Was hat es mit der ‚sozialen Software’ auf sich? Als Social Software werden Software-Systeme bezeichnet, die die menschliche Kommunikation, Interaktion und Zusammenarbeit unterstützen. Zu Social Software werden unter anderem Weblogs gezählt, aber auch gemeinschaftliche Wissensorganisationstools wie Wikis oder kollaborative Networkingplattformen (zum Beispiel ‚Groove’ oder ‚Moodle’). Außerdem existieren eine Reihe von Peer-to-Peer-Nachrichtendiensten wie ‚shortnews.de’ oder Netzwerkdienste wie ‚OpenBC’, ‚MySpace’ oder ‚friendster’. Zu den bekannteren Erscheinungsformen der Social Software gehören Instant Messaging und Diskussionsforen. Zu den neueren Entwicklungen gehören Netzwerke, wie sie durch kollaborative Online-Textbearbeitung in Echtzeit oder virtuelle Welten (zum Beispiel: MMOG (Massive Multiplayer Online Gaming) oder Second Live) entstehen (Burg 2004: 20; Fischer 2006: 174; Ude, 2005: 66; Zerfaß/Boelter 2005: 22). All diesen Anwendungen ist gemein, dass sie als „Mittel zur Anbahnung und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen“ (Burg 2004: 21) wirken und dem „Informations-, Identitäts- und Beziehungsmanagement“ einzelner Individuen in sozialen Netzwerken dienen. Tim Fischer konstatiert, dass „der Wert dieser Anwendungen für den Einzelnen“ tendenziell mit der „Anzahl anderer beteiligter Nutzer, die Informationen bereitstellen und für Interaktionen bereitstehen, steigt“ (Fischer 2006: 174). Ein Netzwerk ist immer „intelligenter“ als die bloße Summe seiner Teile (Burg 2006: 2). In einem anderen Artikel geht Thomas N. Burg sogar noch weiter und postuliert „an increase of intelligence within society as a whole“, durch die vermehrte Produktion von Inhalten und die Vermehrung von Kommunikation als solcher (Burg 2004: 3).

Ein Grund für die rasante Verbreitung von Weblogs und anderen Social Software-Technologien ist die ‚Open-Source’-Bewegung, die sich in den letzten Jahren weg von einem kleinen Zirkeln, ausgesprochener Computer-Freaks zu einer großen Gemeinschaft von Softwareentwicklern verändert hat, „welche eine echte Alternative zur Microsoft-Monokultur schaffen: freie Software, die von jedem verwendet, verändert und verbreitet werden kann und damit eine unverzichtbare Grundlage für wirklich freie Medien bildet.“ Dieses Zitat von Erik Möller (Möller 2005: vii) illustriert anschaulich, welche revolutionären Potentiale Open-Source-Verfechter mit dieser Bewegung verbinden. Das Prinzip des Open-Source ist die Qualitätssteigerung eines Produktes durch das Überprüfen von einem größtmöglichen Kreis von Experten. Die Rechte von Open-Source-Programmen liegen nicht bei einer Person oder Organisation, sondern sie sind freies geistiges Eigentum, „dessen Kopieren und Modifizieren ausdrücklich erlaubt sind“ (Fischer 2006: 61). Fast alle CMS-Systeme für Weblogs sind Open-Source-Programme, deren Quellcodes offen gelegt sind und so frei zur Verfügung stehen (Zerfaß/Boelter 2005: 43). Weiterentwicklungen im Bereich von Weblog-Software bieten zum Beispiel neue Designvorlagen, Spamfilter oder andere Zusatzmöglichkeiten in Form von Plug-Ins, die einfach zu installieren sind.

Der Frage, wie sich diese neuen Formen der sozialen Vernetzung auf soziale Beziehungen und gesellschaftliche Diskurse auswirken werden, wird sich die Wissenschaft in Zukunft verstärkt widmen müssen. Die Weiterentwicklung von freier Software wird, neben den wirtschaftlichen Konsequenzen für die traditionellen Anbieter, zu einer rasanten Entwicklung und Verbreitung von Publishing-Systemen führen.

Im Zuge dieser Arbeit ist die Einbettung des Untersuchungsobjektes Weblog in den Kontext anderer, ähnlicher Erscheinungsformen im Internet notwendig, um die Tragweite dieser Innovationen zu verstehen. Nach dieser Einordnung der technischen Besonderheiten von Weblogs in den Kontext der neuen Technologien, folgt nun eine kurze Darstellung der weblogtypischen Features, also technischen Merkmale, die jedes Blog besitzt.

Dazu gehören die Blogroll, die Linkliste mit ‚benachbarten’ Weblogs und die Indizierung der einzelnen Beiträge durch eindeutige URL-Adressen (Permalinks). Eine weitere „Interaktionstechnik“ (Zerfaß/Boelter 2005: 38) ist die Möglichkeit, die Verlinkung des eigenen Posts in anderen Weblogs zu verfolgen. Trackbacks dokumentieren, in welchen Weblogs auf einen Post Bezug genommen wurde. Am Ende eines Posts befindet sich eine Liste mit Links auf die Weblogs, die diesen Post verlinkt haben. Über diese Funktion ist auch das ‚Tracking’, also das Verfolgen eines originären Beitrags durch die Blogosphäre möglich. Man könnte einen Vergleich von Trackbacks mit der wissenschaftlichen Zitation anstellen, bei der der Autor einer Primärquelle automatisch benachrichtigt wird, wenn diese Primärquelle in anderen Literaturquellen oder in Sekundärliteratur zitiert wird.

Eine weitere wichtige Eigenschaft von Weblogs, welche deren interaktiven Charakter unterstreicht, ist die Kommentarfunktion, die beinahe bei allen Weblogs als fester Bestandteil enthalten ist (Schmidt/Wilbers 2006: 15). Der Leser hat die Möglichkeit, zu jedem einzelnen Post einen Kommentar abzugeben. Diese Interaktionstechniken sind es, “that transform something of a monolithic collection of content items into something social“ (Burg 2006: 2). Diese Reihe von Interaktionsformen machen die Besonderheit von Weblogs aus: die Fähigkeit, Inhalte anderer Webseiten (auch Weblogs) automatisiert und ohne technische Vorkenntnisse zu zitieren. „Generally the weblog-author will comment, criticize or affirm contents of other sites by indicating direct sources. This enables the generation of a network of contents” (Burg 2006: 2).

Für die Analyse politischer Weblogs während des Wahlkampfes sind diese Möglichkeiten von Bedeutung, weil sich mit ihnen Idealvorstellungen über den dialogischen Austausch im Internet verbinden. Diese werde ich im Kapitel 2.6 aufgreifen und diskutieren, um dann im empirischen Teil meiner Arbeit darauf einzugehen.

RSS (Real Simple Syndication) sind „offene Standards zum automatischen Austausch (...) von Inhalten mit beliebig anderen Websites, Nachrichtenplattformen und Programmen“. (Zerfaß/Boelter 2005: 37). Ein Blogger bietet die Möglichkeit an, die Beiträge auf seinem Weblog als RSS-Feed zu abonnieren. Das bedeutet, bei jeder Aktualisierung des Weblogs werden die neuen Beiträge direkt auf der Website, dem Weblog, dem Handy oder in eigens dazu entstanden Programmen, den „Feed-Readern“ angezeigt. Durch die durchgängig einheitlichen Standards, die wiederum durch Open-Source schnell an Verbreitung gewinnen, kann der Leser sich so von beliebigen Weblogs, Nachrichtenplattformen etc. seine ganz persönliche Auswahl an aktuellen Beiträgen zusammenstellen, ohne die einzelnen Websites zu besuchen. Teilweise wird die RSS-Technologie als Erfüllung des „lang propagierten Traums der personalisierten ‚Information at your fingertips’“ gehandelt (Zerfaß/Boelter 2005: 40).

In diesem Zusammenhang wird eine weitere technische Entwicklung interessant. Die Integration von Podcasts in Weblogs. Podcasts sind Audio- oder Videodateien, die auf Weblogs und anderen Webseiten sowohl abgespielt wie auch via RSS-Feed heruntergeladen werden können, um dann auf mobilen MP3-Abspielgeräten oder am PC abgespielt werden zu können. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Begriff ‚Ipod’ (der Apple Ipod gehört zu den beliebtesten MP3-Playern weltweit) und dem Begriff ‚Broadcast’, der die Verbreitung von Audio- und Videodateien bezeichnet. Neben Aufzeichnungen der Blogger, die ihre Posts sozusagen ‚sprechen’, sind auch andere Medien dazu übergegangen, Teile ihrer redaktionellen Inhalte als Audiodatei zu veröffentlichen. Neben den Radiostationen, für die diese Entwicklung nur eine technische Neuerung darstellt, haben auch die Deutsche Welle, die ARD und andere mit dieser neuen Technik experimentiert. Eine Besonderheit ist die Veröffentlichung von aktuellen Botschaften unserer Bundeskanzlerin via Podcast.[4] Ein weiterer Trend, der großen Anklang findet ist die Verbreitung von Videos über Portale wie zum Beispiel ‚youtube.com’ oder google Videosearch.

2.3. Erscheinungsformen eines neuen Genres

Sind Weblogs private Online-Tagebücher, Journalismus, Teil der Unternehmenskommunikation oder eine neue Plattform des Austausches in der basisdemokratischen Zivilgesellschaft? Diese Frage lässt sich viermal mit „ja“ beantworten. Mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Erscheinungsformen von Weblogs gehen Kategorisierungsversuche auf wissenschaftlicher Seite einher (Schmidt 2006: 68; Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 2; Zerfaß/Boelter 2005: 16).

Während Jan Schmidt drei Formen des „situativen Gebrauchs“ von Weblogs und damit sogenannte „Nutzungsepisoden“ unterscheidet, definieren Ansgar Zerfaß und Dietrich Boelter fünf verschiedene Kategorien von Weblogs. Für die Annäherung an den Untersuchungsgegenstand ist die Systematisierung der Typen von Weblogs wichtig, um einen Überblick über die unterschiedlichen Kommunikatoren in Weblogs zu verschaffen. Eine Inhaltsanalyse ist zwar im Bereich der Medieninhalts- und nicht der Kommunikatorforschung anzusiedeln, einige wichtige Merkmale von Weblogs sprechen allerdings dafür, dass Kommunikator- und Medieninhaltsforschung bei der neuen Medienform Weblogs notwendigerweise miteinander kombiniert werden müssen, um das Phänomen als Ganzes zu erfassen. Der besonders persönliche Stil, der die gewünschte Authentizität bewirkt und die Möglichkeit der Selbstdarstellung, sowie das Fehlen von Bezahlung für die Tätigkeit weisen darauf hin, dass der Blogger sehr viel enger mit seinen veröffentlichten Inhalten involviert ist, als es zum Beispiel im etablierten Journalismus der Fall ist.

Private Weblogs in Form von persönlichen Online-Tagebüchern bilden die überwältigende Mehrheit der Weblogs. In persönlichen Weblogs berichten Menschen aus ihrem Privatleben, von ihren täglichen Erlebnissen und kommunizieren mit ihrem realen und ihrem ‚cybernetischen’ Umfeld. Im Jahr 2003 machte der Anteil dieser Art von Weblogs 70,6 % aller Weblogs in den USA aus (Herring/Scheidt/Bonus/Wright 2004: 6). Vor allem auf Grund der Dominanz dieser Online-Tagebücher wird das Phänomen Weblog insgesamt oft als irrelevant abgetan (Zerfaß/Boelter 2005: 16). Die Relevanz dieser Art von Weblogs ergibt sich aus ihrer überwältigenden Beliebtheit bei den Nutzern. Für die Motivations- und Nutzungsforschung, sowie für die psychologischen Aspekte der Selbstdarstellung und Identitätsbildung (Schmidt 2006: 70), aber auch für die soziologischen Konsequenzen des Verlustes von Privatsphäre durch die Veröffentlichung des eigenen Privatlebens in Weblogs (Schmidt 2006: 83), ist die Erforschung dieser Art von Blogs durchaus relevant.

Weblogs als Mittel der Unternehmenskommunikation stellen in der Praxis der PR- und Kommunikationsexperten aktuell wohl einen der meist diskutierten Trends dar. Der Einsatz des ‚Corporate Blogging’ ist Gegenstand unzähliger Veröffentlichungen in der Praktikerliteratur, in den einschlägigen Blogs zum Thema (z.B. der PR-Blogger – www.pr-blogger.de), der wirtschafts- und kommunikationswissenschaftlichen Fachpresse, sowie Thema zahlreicher Fortbildungen, Praktikerseminaren und –workshops. Die äußerst kontroverse Diskussion zwischen Praktikern, Wissenschaftlern und nicht zuletzt den Bloggern selbst geht der Frage nach, wie Unternehmen die Medienform Weblog in ihre externe und interne Kommunikation integrieren können und wie gezielte, geplante Kommunikation im Sinne der PR über Weblogs möglich ist. Die Einsatzgebiete für Weblogs in der Unternehmenskommunikation scheinen schier unendlich. Die „kritiklose Euphorie“ und die „Überdramatisierung der Folgen“ (Schmidt 2006: 95) in diesem Bereich haben maßgeblich zu der Einschätzung von Weblogs als überbewerteter Hype beigetragen. Die Veröffentlichungen von Jan Schmidt (Schmidt 2005, 2006), sowie von Ansgar Zerfaß (Zerfaß/Boelter 2005) oder Tim Fischer (Fischer 2005, 2006) bieten einen umfassenden Überblick über die Einsatzmöglichkeiten von Corporate Blogging und geben sehr gut den Diskurs über Sinn und Unsinn, Euphorie und Unterschätzung, sowie teilweise auch eine realistische Einschätzung des Potenzials von Weblogs für die Unternehmenskommunikation wieder. Für die vorliegende Studie sind Weblogs von Unternehmen nicht von Interesse. Allerdings integrieren auch politische Parteien sowie einzelne Politiker zunehmend Weblogs in ihre Kommunikationsstrategien. Dass sich Weblogs während des Wahlkampfes auch im Sinne der Personality-PR auszahlen, hat die Strategie des US-Politikers Howard Dean während des Präsidentschaftswahlkampfes 2004 bewiesen. Sein Weblog ‚www.blogforamerica.com’ konnte zeitweise bis zu 300.000 Leser täglich an sich binden (Zerfaß/Boelter 2005: 30). Auf die Rolle von Weblogs in der politischen Kommunikation im Wahlkampf wird in Kapitel 4 ausführlich eingegangen, da dieser Aspekt die Ausgangssituation der empirischen Studie darstellt.

„Journalistische Weblogs“ (Zerfaß/Boelter 2005: 26) oder „Weblogs als Journalismus“? An dieser Stelle soll nicht die oft gestellte Frage diskutiert werden, ob Weblogs Journalismus sind oder nicht. Vielmehr geht es darum, den Typ der zweifelsfrei existierenden ‚journalistischen Weblogs’, zu charakterisieren. Ansgar Zerfaß und Dietrich Boelter zählen zu journalistischen Weblogs solche, die von „ausgebildeten Medienmachern mit den Zielsetzungen und journalistischen Standards herkömmlicher Online- und Printmedien betrieben werden“. Dazu gehören sowohl Weblogs von Journalisten, die neben ihrer sonstigen journalistischen Tätigkeit über ein selbstgeführtes Weblog die institutionelle Barriere einer Redaktion umgehen, um ihre eigene Sicht der Dinge zu präsentieren. Aber auch Weblogs, die von etablierten Medien wie dem Handelsblatt, der Zeit oder der Frankfurter Rundschau, sowie der ARD und dem ZDF als spezielle Form der Berichterstattung angeboten werden (Zerfaß/Boelter 2005: 26). Im Zusammenhang von Weblogs und Journalismus sind viele Fragen relevant und bedürfen daher noch einer Klärung: Welche Rolle spielen Weblogs für die Journalisten traditioneller Massenmedien als Recherchetool und Trendbarometer? Ansgar Zerfaß zitiert eine Studie, welche am Institut für Journalistik an der Universität Leipzig entstanden ist (Zerfaß/Boelter 2005: 60). Nach dieser Studie kennen ca. 60 % der befragten Journalisten Weblogs und 15 % der Befragten nutzen Weblogs aktiv. Dabei sind Recherche, Meinungsbildung und Themensuche die Hauptnutzungsarten. Das eigene Publizieren via Weblog wurde von 22 % der Befragten genannt.

Der letzte Typ von Weblogs, der für die Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes der vorliegenden Studie von Interesse ist, sind die Weblogs, die „dem normativen Ideal einer basisdemokratischen Informationsgesellschaft am nächsten kommen“, sogenannte zivilgesellschaftliche Weblogs (Zerfaß/Boelter 2005: 28). Diese Weblogs werden von Initiativen, NGOs oder anderen Gruppierungen verfasst, die ein gemeinsames Interesse vertreten und einen meinungsbildenden Anspruch haben. Vor allem im Zusammenhang mit der politischen Kommunikation in Wahlkampfzeiten ist dieser Typus, der als Teil einer alternativen Öffentlichkeit gesehen werden kann, besonders interessant.

Es gibt noch keine Erkenntnisse über die Nutzung der verschiedenen Typen von Weblogs, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Auswahl der Weblogs die ein Leser rezipiert nicht an die Entscheidung für eine dieser Kategorien gebunden ist. Vor allem über die Suche nach Posts über Blog-Suchmaschinen wie Google-Blog Search oder Technorati bleibt der Leser über die Art des Weblogs, in dem der Post erscheint, uninformiert. Es macht also aus Nutzersicht nur wenig Unterschied, wer der Autor des Weblogs ist. Aus diesem Grund finden sich sowohl persönliche Weblogs, wie auch journalistische, zivilgesellschaftliche und Politikerweblogs im Sample der vorliegenden Studie wieder.

2.4. Forschungsfeld Weblogs: Bisherige Ansätze und Ergebnisse

Die Reflexion und Kommunikation über die Entwicklung und Auswirkungen der neuen Medienform Weblog findet in der Blogosphäre selbst in so genannten ‚Metablogs’, wie auch in anderen Medien zunehmend statt. Eine wissenschaftliche Analyse dieser Entwicklungen und Auswirkungen geschieht bis zum jetzigen Zeitpunkt nur sehr zaghaft.

Obwohl die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen noch „in den Kinderschuhen steckt“ (Schmidt/Schöneberger/Stegbauer 2005: 6), sind in den letzten fünf Jahren in den verschiedensten Disziplinen Forschungsarbeiten zum Thema ‚Weblogs’ entstanden, so dass mit Sicherheit bereits von einer ‚Weblogforschung’ die Rede sein kann.

Eine Kategorisierung dieser entstandenen Arbeiten lässt sich an Hand der verschiedenen disziplinären Zugänge vornehmen. Neben den rein technikorientierten Arbeiten aus der Informatik sind in den sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen Ansätze zur Erforschung von Weblogs entstanden. Dazu beigetragen haben ohne Zweifel auch Veranstaltungen wie die Konferenzen ‚Blog Talk’ oder ‚Les Blog’, sowie einschlägige Sammelbände zum Thema (Schmidt 2006; Zerfaß/Boelter 2005).

Aus der sprachwissenschaftlichen Perspektive sind Studien zu nennen, die sich mittels Diskursanalysen den sprachlichen Besonderheiten der Kommunikation in Weblogs nähern. So analysieren zum Beispiel de Moor und Efimova (2004) Argumentationsstrukturen in Weblogs. Auch die psychologische Forschung widmet sich zunehmend dem Thema Weblogs. Denise Sevick Bortree untersuchte 2005 die Selbstdarstellung von Mädchen und jungen Frauen in Weblogs (Bortree 2005).

Betriebwissenschaftlich orientierte Studien gehen der Frage nach, wie Unternehmensweblogs, so genannte ‚Corporate Blogs’ sich als Mittel der internen und externen Unternehmenskommunikation nutzen lassen. In diesem Zusammenhang sind Beiträge zu Weblogs als Mittel des Issues Management, wie bei Tim Fischer (Fischer 2005) zu verstehen. Die Frage nach der Verbreitung spezieller Issues in der Blogosphäre schafft den Berührungspunkt zwischen den betriebswirtschaftlichen Studien aus der Unternehmenskommunikation und den kommunikationswissenschaftlichen Studien, die der Verbreitung von Themen und Meinungen in der Blogosphäre aus einer diffusionstheoretischen Perspektive nachgehen.

Kommunikationswissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich vornehmlich mit der Frage, ob Weblogs als eine Form des Journalismus zu sehen sind und ob Blogger folglich Journalisten sind (Matheson 2004). Arbeiten wie die von Elimine Wijnia (2004) beschäftigen sich mit der Bedeutung von Weblogs für den Öffentlichkeitsbegriff und beziehen sich dabei auf die Habermas’sche Theorie der Öffentlichkeit.

Um die verschiedenen Richtungen der kommunikationswissenschaftlichen Weblogforschung darzustellen, kann der Systematisierung von Jan Schmidt (Schmidt 2006: 23; Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 3) gefolgt werden, die eine Einteilung in „netzwerkzentrierte“ und „handlungszentrierte“ Untersuchungen vorschlägt.

Die Blogosphäre als soziales Netzwerk ist der Forschungsgegenstand solcher „netzwerkzentrierter“ Studien, die Dynamik, Gestalt und Kommunikationswege in der Blogosphäre untersuchen. Ergebnisse dieser Forschungsansätze haben zu Erkenntnissen über ganz spezielle Netzwerkeigenschaften der Blogosphäre geführt, die in Kapitel 2.5 in ihrer Ausführlichkeit beschrieben werden. Zur Abgrenzung der „netzwerkzentrierten“ zu den „handlungszentrierten“ Forschungsansätzen soll diese kurze Darstellung genügen.

Das soziale Handeln der Nutzer von Weblogs ist, der Systematisierung folgend, der zweite Ausgangspunkt der kommunikationswissenschaftlichen Weblogforschung. Die Autoren von Weblogs stehen im Zentrum von Untersuchungen wie der von Michelle Gumbrecht (2004), die die Nutzung von Weblogs als kommunikative Möglichkeit einer Person mit ihrer Umwelt beschreibt. In diese Kategorie fallen auch Studien, die nach den Motivationen von Bloggern und/oder deren Persönlichkeitsmerkmalen fragen (Schmidt/ Wilbers 2006). An dieser Stelle werden Überschneidungen mit den genannten psychologischen Ansätzen sichtbar.

Andere Studien beschäftigen sich mit der Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Weblogs (Sonnabend 2005) oder neuen Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit (Viegas 2005). Besondere Beachtung gilt in diesem Zusammenhang der Umfrage von Jan Schmidt: „Wie ich blogge?“, die erstmalig spezifische Strukturdaten über die deutschsprachige Blogosphäre liefert (Schmidt/Wilbers 2006). In dieser Online-Befragung von Weblognutzern aus dem Jahre 2005 sind vor allem interessante soziodemographische Eigenschaften von Weblognutzern veröffentlich: So zeigen erste Ergebnisse, dass das soziodemographische Profil der Weblognutzer im Großen und Ganzen der, der als ‚internetaffin’ bezeichneten Gruppe entspricht (hohe formale Bildung, ca. 30 Jahre). Eine Besonderheit stellt allerdings die geschlechtsspezifische Verteilung dar: 44,7 % der Blogger/-Innen sind Frauen. Auffallend ist vor allem, dass „bei den Teenagern Mädchen und junge Frauen im Verhältnis 2:1 dominieren…“ (Schmidt/Wilbers 2004: 8; Schmidt 2006: 20). Diese Ergebnisse bestätigen die früherer Untersuchungen (z.B. Bortree 2005). Warum gerade junge Frauen unter 20 Jahren Weblogs nutzen, stellt eine interessante Frage für zukünftige Forschungsarbeiten dar.

Auch über die dominierenden Inhalte in der deutschen Blogosphäre gibt die Studie „Wie ich blogge?“ Auskunft. Demnach bloggt die Mehrzahl der befragten Blogger über Privates (75%). Über das Arbeitsleben schreiben 58 % der Blogger und ein nicht unerheblicher Teil der Blogger (41,3%) gibt an, auch Kommentare über aktuelle politische Themen in seinem Weblog zu veröffentlichen (Schmidt/Wilbers 2004: 13). Studien wie die von Susann Herring (Herring 2004) oder die Magisterarbeit von Frank Unger an der TU Dresden (Unger 2005) versuchen, das Phänomen Weblogs phänomenologisch zu erfassen, indem durch Inhaltsanalysen Klassifizierungen von Weblogs vorgenommen werden.

2.5. Netzwerkstrukturen in der Blogosphäre

Wie soeben im Kapitel 2.4 angesprochen wurde, beschäftigen sich eine Vielzahl von kommunikationswissenschaftlichen, soziologischen und informationstechnologischen Studien bereits heute mit dem speziellen Netzwerkcharakter der Blogosphäre (Drezner/ Farrel 2004; Shirky 2003; Schuster 2004).

Die starke Vernetzung der einzelnen Weblogs wird in der Literatur einstimmig als das charakteristische Merkmal der Blogosphäre schlechthin genannt (Blood 2000: 4, Herring/Scheidt/Bonus/Wright 2004: 12; Schmidt 2006: 13; Zerfaß/Boelter 2005: 20). Jeder Blogger verlinkt in seinem Blog über Blogrolls oder einfache Links in Posts oder Kommentaren auf andere Weblogs (Drezner/Farrell 2004: 7). Durch diese einzelnen Akte des Verlinkens entsteht „unintendiert eine hypertextuelle Struktur“. Mit „unintendiert“ meint Jan Schmidt in diesem Zusammenhang, dass die „tatsächliche Gestalt der Blogosphäre nicht vom Einzelnen geplant werden kann“ (Schmidt 2006: 54). Es entsteht also ein komplexes, computervermitteltes soziales Netzwerk, das in seiner Struktur ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt und sich durch eine charakteristische Eigendynamik auszeichnet. Die wissenschaftliche Betrachtung dieser sozialen Netzwerke in Weblog-Communities hat in den letzten Jahren erhebliche Beachtung erlangt und in der Netzwerkanalyse einen starken methodischen Partner gefunden (Schuster 2004: 1).

Für die Verbreitung von Inhalten oder Memen (Möller 2004: 1), Themen (Schmidt 2006: 58), sowie Meinungen (Schmidt 2006: 52) innerhalb der Blogosphäre sind diese Strukturen von großer Bedeutung. Aus diesem Grund werden sie im Folgenden nun genauer betrachtet.

2.5.1. ‚The rich get richer’ – Die ‘Power Law- Verteilung’ in der Blogosphäre

Die meisten netzwerkbasierten Studien über die Blogosphäre basieren auf den Theorien sozialer Netzwerke. Bereits 1998 entstanden erste Untersuchungen der Netzwerkstrukturen im WWW. Dabei wurde zum ersten mal belegt, dass Netzwerke im WWW keineswegs der wissenschaftlich anerkannten Zufallsverteilung („random network“) entsprechen. Viel mehr fanden Forscher bei der Analyse von Verlinkunkstrukturen heraus, dass Netzwerke im WWW einem anderen Gesetz folgen: Man spricht von einem „Scale-free Network“ (Barabasi 2003: 54; Schuster 2004: 4) oder zu deutsch „einem skalenvarianten Netzwerk“ (Schmidt 2006: 55). Das Gesetz lässt sich auch auf die Strukturen in der Blogosphäre anwenden: In einem ’random network’ hat jeder Knoten eines Netzwerkes, in unserem Fall jedes Weblog die gleiche Chance, von einem anderen Knoten verlinkt zu werden, was zu einer Normalverteilung in der Verteilung von Links im Netzwerk führt.

In einem skalenvarianten Netzwerk allerdings verhält sich die Verteilung anders: Eine kleine Anzahl von Weblogs vereint eine große Anzahl von eingehenden Links auf sich, während die große Mehrheit der Weblogs auf Grund sehr schwacher Verlinkung nur minimale Aufmerksamkeit erreicht (Drezner/Farrell 2004: 9; Franz 2005:7; Schmidt 2006: 55-56; Schuster 2004: 4). Diese Verteilung wird ‚Power-Law-Verteilung’ genannt.[5] Wie kommt es zu dieser Verteilung und welche Auswirkungen hat diese Dynamik auf den Informationsfluss in der Blogosphäre?

Die ‚Power-Law-Verteilung’ unterliegt einer Eigendynamik, die sich wie folgt beschreiben lässt: Bereits vielfach vernetzte Weblogs besitzen nicht nur eine höhere Aufmerksamkeit; durch ihre ‚Prominenz’ ist ihre Chance, von weiteren Weblogs verlinkt zu werden exponentiell höher als bei den Weblogs im Netzwerk, die nur geringe Beachtung finden (Drezner/Farrel 2004: 11; Fischer 2006: 57; Franz 2005: 7). Diese Dynamik begünstigt die Herausbildung sogenannter „focal points“ (Fischer 2006: 54). ‚Focal Points’ sind die wenigen, stark verlinkten Weblogs, die im Netzwerk als Knoten eine besondere Rolle bei der Kanalisierung der Aufmerksamkeit spielen. Die Verteilung von Verweisen auf Weblogs ergibt in ihrer Darstellung eine Exponentialverteilung und wird aus diesem Grund auch ‚The Long Tail’ genannt (Drezner/Farell 2004: 9; Fischer 2006: 57; Franz 2005: 14; Gruhl/Guha/Liben-Nowell/Tomkins 2004: 492; Schuster 2004: 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. ‚Die Power Law Verteilung in der Blogosphäre’ aus Kottke 2003

2.5.2. Die Gestalt der Öffentlichkeit in der Blogosphäre

Welche Auswirkungen hat diese Verteilung im Netzwerk auf die Aufmerksamkeitsverteilung und die Gestalt der Öffentlichkeit in der Blogosphäre? Michael Schuster beschreibt folgende Eigenschaften, die ein Netzwerk mit ‚Power-Law-Verteilung’ charakterisieren. Mit „Small World Properties“ meint er, dass die Welt der Blogosphäre eine kleine Welt ist: „any node just needs connection to a hub, in order to reach many other nodes“. Über einen ‚Hub’ also einen der stark verlinkten Knoten im Netzwerk, kennt sozusagen ‚jeder jeden’. Die „Achilles Heel“, die Achilles-Ferse stellen demnach diese ‚Hubs’ dar, weil sie eine „crucial role in the stability and security of the network“ spielen. Fallen einer oder mehrere dieser Knotenpunkte aus, destabilisiert sich das Netzwerk. Außerdem beschreibt Schuster eine „growing difference“: Je größer das Netzwerk wird, desto weiter klafft die Schere zwischen den stark verlinkten und den schwach verlinkten Knoten auseinander (Schuster 2004: 4-7).

Netzwerkanalysen beschäftigen sich mit der Erforschung der Strukturen und Dynamik innerhalb dieser Netzwerke. Das Verständnis der Öffentlichkeitsstruktur in der Blogosphäre ist grundlegend für das Verständnis der neuen Medienform Weblog und muss deshalb Teil der theoretischen Annäherung an das Untersuchungsobjekt sein. Die beschriebene Dynamik hat Auswirkungen auf die Diffusion von Themen und Meinungen in der Blogosphäre, welche im Zentrum von Kapitel 3.2.3 stehen. Außerdem haben diese Erkenntnisse über die Aufmerksamkeitsverteilung in der Blogosphäre Konsequenzen für die Idealvorstellungen über eine neue ‚basisdemokratische’ Öffentlichkeit.

2.6. Basisdemokratische Utopien über die Öffentlichkeit in der Blogosphäre

Im Folgenden sollen nun die spezifischen Hoffnungen, aber auch Ängste, die sich mit der Veränderung der Öffentlichkeit durch Weblogs verknüpfen dargestellt werden, um anschließend eine realistische Einschätzung des tatsächlichen Potenzials von Weblogs für öffentliche Diskurse zu machen.

In den Kapitel 2.1 bis 2.3 wurde beschrieben, wie die technischen Entwicklungen der Weblog-Technologien zu einer „Senkung der Zutritts- und Transaktionkosten“ (Schmidt 2006: 128) öffentlicher Kommunikation geführt haben. Der einfache Zugang zur Öffentlichkeit und die geringen Vorraussetzungen und Kosten für die Veröffentlichung der eigenen Meinung in Weblogs haben Hoffnungen im Hinblick auf das demokratische Potenzial von Weblogs geschürt (Ito 2004; Franz 2005; Burg 2004; Reißmann 2005; Möller 2005; Neuberger; Schmidt/Schnönberger/Stegbauer 2005; Coenen 2005). Der „sehr euphorisch-utopische Ton“ dieser Hoffnungen (Schmidt 2006: 128) verschleiert in vielen Fällen die tatsächlichen Potenziale von Weblogs und macht eine objektive und realistische Einschätzung schwierig.

Weblogs ist das demokratische Potenzial inhärent, da sie prinzipiell allen Menschen, die lesen und schreiben können und über einen Internetzugang verfügen, zugänglich sind. Ihre einfache und kostengeringe Handhabung macht sie zur „Plattform der freien Meinungsäußerung“ schlechthin (Franz 2005: 9). Außerdem macht die „vernetzte Dezentralität“ (Schmidt 2006: 130) von Weblogs eine Kontrolle oder Beeinflussung schwierig, was die Entstehung einer unabhängigen Gegenöffentlichkeit ermöglicht (Neuberger 2004: 1; Schmidt 2006: 129). Weiter sind Weblogs frei von den ökonomischen und politischen Zwängen, welche die klassischen Massenmedien beeinflussen (Burg 2004: 3; Franz 2005: 9) und verhelfen auch bisher marginalisierten Gruppen zu einem Zutritt zur Öffentlichkeit. Weblogs schaffen also Gegenöffentlichkeiten und fördern die Entstehung von Öffentlichkeiten in Nischen (Schmidt 2006: 130; Zerfaß/Boelter 2005: 79). Hinzu kommt, dass Weblogs als Symbol für die „Pluralität von Wahrheiten“ stehen, da eine „Perspektivenvielfalt durch die differenten Weblogs hergestellt wird“ (Franz 2005: 10).

Eine besondere Rolle kommt Weblogs in Gesellschaften mit eingeschränkter Meinungs- und Pressefreiheit zu (Franz 2005: 9; Ito 2004; Schmidt 2006: 130). Als Beispiel ist die wachsende Blogosphäre im Iran (Nasreen 2005) und in China zu nennen. Wenn die klassischen Medien durch das staatliche Regime kontrolliert werden, sind Weblogs eine neue, revolutionäre Möglichkeit der anonymen Meinungsäußerung.

Aber auch in funktionierenden Demokratien erfüllen Weblogs eine ergänzende Funktion zu den traditionellen Massenmedien und somit stellt die Blogosphäre im liberalen Mediensystem eine Ergänzung der bestehenden Öffentlichkeit dar (Schmidt 2006: 130). Insbesondere bei aktuellen Ereignissen wie Krisensituationen (Tsunami, Hochwasser etc.) oder in der Lokalberichterstattung werden die Berichte sogenannter „Mikropublizisten“ positiv aufgenommen. „Graswurzel-Journalismus“ (Schmidt 2006: 131) aus dem Englischen: ‚grasroot journalism’ wird auch ‚Bürgerjournalismus’ genannt. In diesem Zusammenhang taucht der Begriff „emergent democracy“ vermehrt in der Literatur auf (Burg 2004: 3; Ito 2004; Franz 2005: 9; Schmidt 2006: 129). Der Begriff geht auf den japanischen Weblogautor Joichi Ito zurück (2004), der Weblogs wegen der genannten demokratiefördernden Potenziale als Teil einer neuen, funktionalen und direkten Demokratie versteht, die erst durch die neuen Technologien ermöglicht wird und die existierende repräsentative Demokratie ablösen soll. Der politische Diskurs über Weblogs sei demnach ein basisdemokratischer, weil er die Machtkonzentration, die bei Unternehmen und Regierungen liegt umgeht (Ito 2004).

Außerdem werden die verschiedenen Interaktionstechniken als Chance für den direkten Austausch konträrer Meinungen gesehen. Als ‚Teilhabemechanismen’ werden die Möglichkeiten der Beteiligung an offenen Weblogs oder die Kommentarfunktion bezeichnet (Zerfaß/Boelter 2005: 79). Die Kommentarfunktion stellt eine Besonderheit der Interaktion mit dem Leser dar, weil durch die Verfolgung der Kommentierung auf anderen Weblogs durch die Trackback-Funktion eine vernetzt geführte Diskussion möglich ist (Albrecht/Perschke 2006: 1). Manche Autoren sehen mit den Möglichkeiten der Kommunikation über Weblogs das Habermas’sche Modell der idealen Sprechsituation verwirklicht (Coenen 2005: 4; Neuberger 2003; Plake 2001: 108; Reißmann 2005: 64; Schmidt 2006: 129; Wijnia 2004).

Die teilweise utopischen Hoffnungen, die der Rolle von Weblogs in der Demokratie zugeschrieben werden, bedürfen einer nüchternen und sachlichen Betrachtung. Folgende Tendenzen zwingen zu dem Schluss, dass sich die Utopien über das basisdemokratische Potenzial von Weblogs nicht halten lassen: Zum einen stößt das Ideal der freien Meinungsäußerung in Weblogs dort auf seine Grenzen, wo es in Konflikt mit organisations-und unternehmensinternen oder staatlichen Normen und Regelungen gerät (Blogger-Normen für Angehörige von Firmen oder Militär, Sanktionen für Blogger in nicht-demokratischen Staatsformen wie in China). Zum anderen ist die immer stärkere Verflechtung von Weblogs in politische und wirtschaftliche Zusammenhänge nicht zu unterschätzen. Erste empirische Ergebnisse weisen zudem darauf hin, dass die erhofften Effekte der verstärkten „Integration in den politischen Meinungsbildungsprozess“ nur bei „einer kleinen Subgruppe der wahlberechtigten Bevölkerung auftreten, die bereits überdurchschnittlich politisch interessiert und involviert ist und dabei die Möglichkeiten des Internet intensiv nutzt“ (Abold 2006: 19). Christoph Neuberger wendet gegen die euphorische Beschwörung der demokratiefördernden technischen Möglichkeiten ein, dass das technische Potenzial nicht allein den Gebrauch eines Mediums bestimmt (technikdeterministischer Kurzschluss) (Neuberger 2003:1). Außerdem ist für das Selektieren, Filtern und Bewerten der Informationen aus Weblogs eine gesteigerte Medienkompetenz erforderlich (Franz 2005: 17). Hauptargument für die Relativierung des demokratisierenden Potenzials von Weblogs ist aber die bereits beschriebene Aufmerksamkeitsverteilung in der Blogosphäre. Für die Gestalt der Öffentlichkeit in der Blogosphäre bedeutet das, dass der tatsächliche Zugang zur Öffentlichkeit in der Blogosphäre keinesfalls gleichberechtigt ist, sondern dass ‚Focal Points’ im Netzwerk als Gatekeeper fungieren und dass die, durch die Verlinkungsdynamik entstehenden Inklusions- und Exklusionmechanismen (Franz 2005: 17) weniger populären Weblogs den Zugang zu einer breiten Weblogöffentlichkeit praktisch verwehren (Schmidt 2006: 133). Das Potential von Weblogs, Nischenthemen in den öffentlichen Diskurs einzuspeisen, entkräftet Jan Schmidt, indem er die Blogosphäre als „eco chamber“ bezeichnet, in der massenmediale Informationen und Meinungen zwar aufgegriffen und verstärkt, aber nicht generiert werden. Schließlich werden die partizipatorischen Möglichkeiten, durch Kommentarfunktion etc. durch die Möglichkeiten der Selektion und Löschung von Kommentaren durch den Betreiber relativiert (Schmidt 2006: 137). Über den Umgang von Bloggern mit Kommentaren wissen wir aus der kürzlich veröffentlichten Studie von Schmidt und Wilbers (Schmidt/Wilbers. 2004: 5), dass bei ca. 97 % der Weblogs eine Kommentarfunktion zu jedem einzelnen Post integriert ist.

Neben den Utopien verbinden sich auch Dystopyen mit der Veränderung der Öffentlichkeit durch die Blogosphäre: Als wichtigste Befürchtung gilt die Entstrukturierungshypothese, welche die Fragmentierung der Öffentlichkeit und somit den Verlust der sozialen Kohäsion und Integration beschreibt (Neuberger 2003: 2; Schmidt 2006: 138). Gegen diese Befürchtungen spricht die Vernetzungsstruktur der Blogosphäre, die keine Aufsplitterung, sondern eine Kanalisierung der Öffentlichkeit bewirke. Außerdem konstatieren Kritiker, dass die Bereitschaft und Fähigkeit der Weblognutzer, sich in Weblogs aktiv politisch zu betätigen überschätzt würde.

Kritiker ignorieren allerdings, dass bereits einige Beispiele der demokratisierenden Funktion von Weblogs bestehen und vor allem im Zusammenhang mit der politischen Kommunikation zum Beispiel in Wahlkampfzeiten an Bedeutung gewinnen. Die zivilgesellschaftlichen Weblogs, die Plattformen für eine öffentliche Diskussion zur Bundestagswahl 2005 boten, wurden intensiv genutzt, unabhängig von der theoretischen Diskussion über mögliche basisdemokratische Potenziale. Aus diesem Grund ist eine pragmatische, objektive und realistische Einschätzung des Potenzials von Weblogs angebracht.

Die Diskussion dreht sich hauptsächlich um die Auswirkungen von Weblogs auf die Fragmentierung der Gesellschaft, oder um die möglichen Potenziale von Weblogs zum massenmedialen Agenda Setting. Ein anderer Ansatz scheint jedoch viel pragmatischer an der gelebten Kommunikation in Weblogs anzusetzen: Weblogs erfüllen „eine Schanierfunktion zwischen gesellschaftlicher und persönlicher Agenda“ (Schmidt 2006: 139). Weblogs speisen Informationen aus der massenmedialen Öffentlichkeit in die kleinteilig-lokalen sozialen Netzwerke ein und fördern andererseits dort die Artikulation und den Austausch von persönlichen Meinungen. Jan Schmidt zitiert die Studie „Soziale Netzwerke und Massenmedien“ in der Schenk (1995) nachgewiesen hat, dass vor allem für die politische Kommunikation und die persönliche Einschätzung von Themen und Informationen die interpersonale Kommunikation von großer Bedeutung ist, während die massenmediale Kommunikation zur Erstinformation über bestimmt Themen dient. In dieser Argumentation werden Weblogs als ‚Übergangsbereich’ zwischen gesellschaftlicher Öffentlichkeit und interpersonaler Kommunikation begriffen (Schmidt 2006: 138). Die Relevanz für die Kommunikation während des Wahlkampfes ist offensichtlich, da Weblogs im Zwischenraum zwischen der Beschaffung von politischen Informationen und dem Bilden der eigenen Meinung wirken und somit mittelbar das Fällen der Wahlentscheidung beeinflussen.

Die theoretische Diskussion über die demokratisierenden Potenziale von Weblogs kann zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Nur die intensive empirische Beschäftigung mit dem Feld kann Aufschlüsse über die tatsächliche Rolle von Weblogs geben.

2.7. Versuch einer kommunikationswissenschaftlichen Einordnung

Die Definitionen des Phänomens ‚Weblog’ sind vielfältig. Neuberger bezeichnet Weblogs als Medienschema (Neuberger 2005: 79), während Herring, Scheidt, Bonus & Wright den Begriff ‚Genre“ vorziehen und damit besondere Merkmale, wie das Verfolgen eines gemeinsamen Kommunikationsziels, ähnliche Strukturen, stilistische Merkmale und Inhalte und ein spezifisches Publikum hervorheben (Herring/Scheidt/Bonus/Wright 2004: 2). Jan Schmidt definiert Weblogs als ein Medienformat (Schmidt 2006: 13). An anderer Stelle werden Weblogs als Medium bezeichnet (Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 1). Im Vergleich und in Abgrenzung zu anderen Medienformaten im Internet scheinen die Begriffe ‚Medienformat’ und ‚Genre’ angebracht.

Auf Grund der Vielfalt von Einsatzfeldern, scheint es „wenig sinnvoll, von den Weblogs zu sprechen“ (Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 2). Das Phänomen Weblog lässt sich wohl kaum als Ganzes in einen kommunikationswissenschaftlichen Zusammenhang einbetten. Schmidt, Schönberger & Stegbauer (2005) kritisieren, dass der Großteil der Weblogforschung sich mit den Weblogs beschäftigt, die „auf das öffentliche Räsonieren und Reflektieren ausgerichtet sind“ (Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 4). Es sind also hauptsächlich solche Weblogs Gegenstand der Forschung, die gesellschaftlich relevante Themen öffentlich diskutieren und so auch für demokratietheoretische Überlegungen von Bedeutung sind. Diese Definition trifft auf die überwältigende Mehrheit der Weblogbetreiber nicht zu, die nicht diesen Anspruch an sich und ihr Weblog stellt (Pew Internet American Life Project 2006: 8). Die große Mehrheit der Weblogs stellen die persönlichen Online-Journale von Privatpersonen dar. Sind diese Weblogs als „irrelevant“ für die Öffentlichkeit einzustufen? Der Begriff der Öffentlichkeit wird sich dahingehend verändern, dass nicht mehr ausschließlich gesellschaftlich relevante Themen in die Öffentlichkeit gelangen, sondern von den Bloggern vermehrt auch Dinge von „persönlicher Relevanz“ artikulieren werden. Diese Entwicklung geht mit der Tendenz aller Internetformate einher, die Rolle von Agenten, Mediatoren oder Gatekeepern zu schwächen und stattdessen die direkten publizistischen Kompetenzen des Einzelnen zu stärken. „Weblogs knüpfen damit letztendlich an die Versprechungen der Radiotheorie Berthold Brechts an, nach denen jeder und jede ein Sender (bzw. ein Blogger) sein kann, im Sinne einer herrschaftsfreien Öffentlichkeit sogar sein sollte“ (Schmidt/Schönberger/Stegbauer 2005: 5).

Durch Weblogs findet sowohl öffentliche, wie auch interpersonale Kommunikation statt (Schmidt 2006: 139). Die klassische Definition der eindirektionalen Kommunikation in Massenmedien nach Maletzke (1963: 32) trifft für viele Formate der ‚Neuen Medien’ nicht zu, da direkte Interaktionsmöglichkeiten gegeben sind. Das ist auch bei Weblogs der Fall. Ein Merkmal, welches die Kommunikation in und durch Weblogs von der in anderen Medienformaten des Internets abgrenzt, ist eine neue Art von „netzwerkartiger Kommunikation“, die die klassische One-to-many-Kommunikation ablöst (Fischer 2006: 1; Fischer/Quiring 2004: 3; Plake/Jansen/Schumacher 2001: 100). Für die Kommunikationswissenschaft bedeutet dies, dass die Entwicklung anderer massenmedialer Kommunikationsmodelle erforderlich wird, welche die veränderten Einflussfaktoren mit einbeziehen. In einem Projekt der Universität Hamburg-Harburg wurde ein Modell entwickelt, das die Kommunikation in neuen Formaten des Internets beschreiben soll. „Kommunikation ohne Agenten“ ist der Ansatz des „Communication-Oriented Modelling“ (Malsch/Schlieder 2004), der die Kommunikation zwischen den Mitgliedern eines Netzwerkes beschreibt und speziell auf Formate wie Internet-Foren, Chats und Weblogs zugeschnitten ist.[6] Die grundlegenden Unterschiede zwischen klassischen Modellen der Massenkommunikation und dem Modell der netzwerkartigen Kommunikation sind die Rollen von Kommunikator und Rezipient, sowie die Richtung der Kommunikation. In den klassischen Kommunikationsmodellen verläuft die Kommunikation vom Kommunikator unidirektional in Richtung des Rezipienten und im Falle der Interpersonalen Kommunikation bidirektional zwischen zwei Kommunikatoren.

Bei der netzwerkartigen Kommunikation jedoch ist jeder Kommunikator zugleich auch Rezipient und die Kommunikationswege verlaufen gleichberechtigt zwischen den Teilnehmern des Netzwerkes. Die One-to-Many Kommunikation der klassischen Medien wird ersetzt durch eine Kommunikation im Netzwerk, die sowohl one-to-one, one-to-many als auch many-to many sein kann (Gillmor 2004: 28). Die Grenze zwischen massenmedialer und interpersonaler Kommunikation verschwimmt bei Weblogs also zunehmend (Schmidt 2006: 138). Auch wenn nicht von einem Massenmedium im klassischen Sinne die Rede sein kann, so handelt es sich bei Weblogs auf jeden Fall um ein „Medium für die Massen“ (Möller 2004: 34).

3. Modelle medialer Thematisierung

Die vorangegangen Kapitel hatten zum Ziel, die neue Medienform ‚Weblog’ als Untersuchungsgegenstand zu definieren und einen allgemeinen Überblick über ein Forschungsfeld zu geben, das von einer Konstituierung und Etablierung noch weit entfernt ist.

Im folgenden Kapitel sollen nun die Modelle medialer Thematisierung vorgestellt werden, die Aufschluss darüber geben könnten, wie die Thematisierung in der Blogosphäre verläuft und welche Erklärungsversuche sich für diesen Verlauf finden lassen. Um den dynamischen Aspekt der Thematisierung theoretisch zu verorten, werden in Kapitel 3.2 verschiedene Modelle von Themenkarrieren herangezogen, die den dynamischen Verlauf von Themen beschreiben. In Kapitel 3.3 werden mit Hilfe der Nachrichtenwerttheorie mögliche Anhaltspunkte für die Thematisierung bestimmter Themen in der Blogosphäre gesucht. Zunächst steht jedoch die Definition des Begriffs Thema in Abgrenzung zu anderen Begriffen im Vordergrund der Ausführungen.

[...]


[1] Eine Skizze der typischen Bestandteile eines Weblogs befindet sich auf Seite 55.

[2] http://www.robotwisdom.com/home.html

[3] Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die US-Armee im Juni 2005 erstmals Richtlinien veröffentlichte “nach denen Soldaten ihre Weblogs zwar nicht vorab zensieren lassen, aber bei ihrer militärischen Einheit anmelden müssen“ (Schmidt 2006: 130).

[4] http://www.bundeskanzlerin.de/Webs/BK/DE/Aktuelles/VideoPodcast/video-podcast.html . Am Rande sei bemerkt, dass bei diesem Angebot das wichtigste Element, nämlich die Möglichkeit zur Verlinkung des Podcasts, nicht angeboten wird. Eine weitere Anekdote am Rande: die Erstellung der Podcasts kostete die Bundesregierung für die ersten 4 Folgen 26.000 Euro. Eine Nachricht, die in der Blogosphäre schnell verbreitet wurde und zu einer Diskussion über Verschwendung von Steuergeldern führte.

[5] Das ‚Power Law’ oder Potenzgesetz drückt aus, dass eine Verteilung einem exponentiellem Wachstum folgt (Schmidt 2006: 55).

[6] Einen guten Überblick über COM (Communication –Oriented Modelling) bietet der Aufsatz von Thomas Malsch und Christoph Schlieder oder die Homepage des Projektes unter der URL: http://www.tu-harburg.de/tbg/Deutsch/Projekte/COMM/COM1_Index.htm

Ende der Leseprobe aus 120 Seiten

Details

Titel
Wahlkampf via Weblogs? Thematisierungsprozesse in der Blogosphäre
Untertitel
Eine inhaltsanalytische Untersuchung des Bundestagswahlkampfs 2005
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Kommunikationswissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
120
Katalognummer
V82185
ISBN (eBook)
9783638847858
ISBN (Buch)
9783638849623
Dateigröße
1210 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Studie ist eine für die Veröffentlichung überarbeitete Fassung meiner Magisterarbeit.
Schlagworte
Wahlkampf, Weblogs, Thematisierungsprozesse, Blogosphäre
Arbeit zitieren
Susanne Dietrich (Autor:in), 2006, Wahlkampf via Weblogs? Thematisierungsprozesse in der Blogosphäre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82185

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