Giacomo Leopardi und der "Canto notturno di un pastore errante nell'Asia"


Seminararbeit, 2002

22 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Leopardis Weltsicht und Lebensanschauung
1.1 Die Entwicklung des Pessimismus
1.2 Leopardis Naturverständnis

2. Leopardis Vorüberlegungen – Die gedanklichen Quellen

3. „Canto notturno di un pastore errante nell’Asia“ – Die Umsetzung
3.1 Der Anfang der Diskussion – die Szene der Befragung und Betrachtung
3.2 Der Lebensweg des Menschen
3.3 Die Geburt und der Tod – die bittere Realität
3.4 Der Sinn des Lebens – Wissen und Nichtwissen
3.5 Der Neid und der „tedio
3.6 Die Ausweglosigkeit und die endgültige Erkenntnis

Ausblick

Einleitung

Diese Hausarbeit versucht einen Einblick in die Lebensanschauung Leopardis und dessen Motivierung für den Canto notturno di un pastore errante nell’Asia (Canto notturno) zu vermitteln.

Leopardi durchläuft in seinem Leben verschiedene Stationen des Pessimismus. Seine Grundstimmung ist ein unheilbarer Weltschmerz. Alle Gegenwart ist schal, leer und nichtig. Trost und Ansporn zu Tätigkeit findet das Gemüt nur in zwei unüberwindlichen Täuschungen: Hoffnung und Erinnerung, sie allein verklären „l’infinita vanità del tutto“. Mit jeder neuen Station ändern sich seine Weltsicht, seine Lebensanschauung und sein Naturverständnis. Der Canto notturno entstand in einer fortgeschrittenen Phase des leopardischen Pessimismus und kann daher als Synthese seiner Reflexionen angesehen werden. Die Motivierung zu diesem Gedicht resultiert aus den großen Themen der leopardischen Konzeption des Lebens.

Ziel dieser Arbeit ist also, anhand des Canto notturno und dessen Prämissen, Leopardis finale Lebensauffassung und deren Aufkommen darzustellen und zu beschreiben.

Die von mir zu diesem Zwecke ausgesuchten Texte sind vor allem Gedichte aus der Sammlung Canti und aus den Operette morali. Des Weiteren wird anhand einiger Auszüge aus dem Zibaldone seine Konzeption des Lebens und der Dinge unterstrichen, die für die Motivierung des Canto notturno eine wichtige Rolle spielt.

Kapitel eins befasst sich zunächst mit Leopardis Weltsicht und Lebensanschauung mittels der Darstellung der Entwicklung seines Pessimismus und Naturverständnisses. Im zweiten Kapitel werden die signifikanten Reflexionen aus dem Zibaldone beschrieben, die als gedankliche Vorüberlegungen seine Motivierung für den Canto notturno markieren. Anschließend erfolgt im dritten Kapitel die Darstellung und Beschreibung des Canto notturno.

1. Leopardis Weltsicht und Lebensanschauung

Im folgenden Abschnitt soll auf die Entwicklung des leopardinischen Pessimismus und sein Naturverständnis eingegangen werden, da aus diesen Reflexionen auch die Motivierung für den Canto notturno resultiert.

Leopardi vertritt einen Pessimismus, der einen Widerstand gegen die Natur und das Schicksal des Menschen impliziert und dabei Lebensüberdruss und Ekel gegenüber der Welt ausdrückt. Zu dieser Ansicht kam er vor allem durch die in Italien und Europa herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Er lebte in einer Umbruchszeit, die als ein Knotenpunkt von der Aufklärung zur Romantik angesehen werden kann. Diese Zeit war gekennzeichnet durch die Umstrukturierung und Transformierung von Werten. Die romantische Strömung nahm in Italien im Gegensatz zum Rest Europas andere Züge an. Denn hier präsentierte sich die neue Strömung vor allem als Leitkultur der politischen Bewegung, der literarische Aspekt war hier weniger ausgeprägt. Leopardi sah in dem Programm der Moderne eine Entzauberung der Welt und formulierte eine erbitterte Kritik an der modernen Vernunft und deren Verengung auf zweckrationale Denkformen (Boschi 1973: 191).

1.1 Die Entwicklung des Pessimismus

Leopardis Pessimismus artikuliert sich in drei wichtige Phasen. Jede Phase ist von einem differenten Pessimismus-Konzept und einer sich jeweils ändernden Beziehung zur Natur charakterisiert.

Die anfängliche Phase ist vor allem durch einen persönlichen Pessimismus gekennzeichnet, welcher sich zu einem historischen entwickelt und seine Unzufriedenheit mit der Gesellschaft seiner Zeit zum Ausdruck bringt. Letztlich wandelt sich sein Pessimismus hin zu einem kosmischen, allumfassenden Pessimismus, wobei er hier die gesamte menschliche Existenz an das Unglück gebunden sieht und die Realität des Universums einzig im Nichts vermutet.

Die einzelnen Texte Leopardis bezeugen somit in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge das bedrohliche Heranwachsen eines absoluten kosmischen, das Leben insgesamt verneinenden Pessimismus in der Seele des Autors. Im folgenden Abschnitt soll daher kurz auf diese einzelnen Phasen eingegangen werden.

Die erste Phase seines Pessimismus kann zwischen 1819 und 1821 datiert werden, sie stellt den so genannten persönlichen Pessimismus dar. Leopardi glaubt in dieser Zeit der einzig Unglückliche auf der Welt zu sein, während alle anderen Menschen glücklich seien. Deutlich wird also ein Gegensatz zwischen individueller Entfremdung und allgemeiner Lebensfreude.

Die Natur, die ein starkes Element darstellt, auf der Leopardi seine Reflexionen basiert, wird von ihm noch mit positiven Blicken betrachtet. Sie verbirgt die göttliche Größe und Liebe, in welcher der Dichter im Mittelpunkt steht und in einer mystischen Inspiration sich mit ihr in der Dichtung vereinigt. Dem frühen Leopardi ist die Natur noch ein liebevoller Ansprechpartner, am deutlichsten kommt diese im Gedicht Alla luna (Canti 2000: 96) zum Ausdruck:

O graziosa luna, io mi rammento

Che, or volge l’anno, sovra questo colle

Io venia pien d’angoscia a rimmirarti:

E tu pendevi allora su quella selva

Siccome or fai, che tutta la rischiari. (V. 1-5)

Dies ändert sich im Laufe der Entwicklung seines Denkens zu ernsthafter Bitterkeit und Herausforderung, wie es später im Canto notturno deutlich wird. Die Natur ist also in dieser ersten Phase noch Personifikation des Lebens und der Jugend, die Quelle wunderschöner Illusionen.

In der darauf folgenden Phase, die in den Jahren 1821 und 1823 situiert ist, wird sich Leopardi bewusst, nicht nur der einzig Unglückliche zu sein, sondern dass dieser Zustand auch den Rest der Gesellschaft seiner Zeit betrifft (Biral 1978: 203). Danach sind alle Menschen dem Unglück geweiht, da sie das grenzenlose Verlangen nach Glück, das ihrer Natur innewohnt, niemals befriedigen können. Diese Phase bezeichnet also einen historischen Pessimismus. Mit dem Übergang zum historischen Pessimismus erweitert sich somit der Unglückszustand vom Dichter auf seine äußere Welt.

In diesem Zusammenhang wird der von Leopardi immer wieder betonte Unterschied zwischen antikem und modernem Lebensgefühl herausgearbeitet. Für ihn liegt der Ursprung des Glücks in der Antike, da der Mensch noch im Einklang mit der Natur lebte. Die Illusionen und der schöne Wahn, welche die Möglichkeit zum Glück und zu großen Leistungen in sich birgt, sind in der Antike noch nicht verloren (Boschi 1973: 190). Die Ratio enthüllt dagegen dem modernen Menschen die Wahrheit und zerstört somit den schönen Wahn, der allein das Leben lebenswert scheinen lassen kann.

Leopardi trauert dem Zeitalter der Antike nach, denn er befindet sich in einer Gesellschaft, die von zerstrittenen politischen Machtverhältnissen dominiert wird. Für ihn stellt diese Gesellschaft die Quelle jeglichen Unglücks dar, denn das Individuum kann sich nicht mehr in ihr wieder erkennen. Der Fortschritt und die Vernunft unterdrücken für Leopardi die Individualität und die Kreativität des Einzelnen. Je mehr die Vernunft im Menschen an Macht erlangt, desto größer wird der Weltschmerz und das Unglück der Menschheit. Jede Freude, jedes Glück sei immer entweder vergangen oder zukünftig, niemals aber gegenwärtig. Das entspricht dem pessimistischen Grundkonzept des Zibaldone, nach der jede positive Einstellung zum Leben auf Illusion beruht.

So ist der moderne Mensch, der sich immer stärker dem Denken statt dem Handeln verschreibt, notwendig unglücklicher als der antike. Nur die unwissende und unbeschwerte Kindheit lässt Platz für Illusionen und somit für Glück. Die Illusion, der schöne Wahn, wird so für Leopardi zum Sinnbild des Schicksals des modernen Menschen mit seiner trostlosen Überzeugung, dass die Wahrheit nur schadet und Leben Überwindung der Wahrheit bedeutet.

Solange Leopardi glauben konnte, dass die Menschen wenigstens in der klassischen Antike die Fülle des Lebens auskosten konnten, betrifft sein Pessimismus nur die unselige Gegenwart – „questo secol di fango“ nennt sie Leopardi im Gedicht Ad Angelo Mai (Canti 2000: 60, V. 179), in der er leben muss. Im Jahre 1824 erweitert sich sein Pessimismus zum kosmischen oder universalen Pessimismus, der nun auch für die Menschen der Antike zutrifft und ihn bis zu seinem Tode im Jahre 1837 begleiten wird.

Die intensive Beschäftigung mit den Philosophen des Hellenismus, die ihn mit dem Phänomen des Pessimismus in der Antike vertraut machen, das Studium der französischen Aufklärer sowie die Lektüre der Bücher der Madame de Staël bewirken in ihm einen Wandel. Das Unglück des Menschen wird nun als existentielles Schicksal empfunden. In dieser Phase erreicht seine Philosophie ihren tragischen Höhepunkt. Bis zum Ende seine Lebens begleitet ihn der Gedanke eines universalen Weltschmerzes, der nicht nur die Menschen heimsuche, sondern alle Lebewesen des gesamten Universums einschließe. Alles ist von Beginn seiner Existenz einer ungewissen und unbezwingbaren Macht unterworfen, aus deren Zwängen man sich nicht befreien kann (Boschi 1973: 198). Das menschliche Dasein wird ganz allgemein und überall von Nichts beherrscht, und die einzige Realität des Universums ist Nichts.

1.2 Leopardis Naturverständnis

Besonders für Leopardis Canto notturno ist der Naturbegriff und das Naturverständnis eines der wichtigsten Elemente und stellt das zentrale Thema dar.

So wie jede Phase des leopardinischen Pessimismus einer differenten pessimistischen Konzeption unterliegt, kennzeichnen diese Phasen auch eine sich jeweils ändernde Beziehung zur Natur. Denn am Beispiel des Naturbegriffs lässt sich auch die innere Entwicklung Leopardis nachvollziehen, indem aus der anfänglich idealen, idyllischen und wohlwollenden Natur in einem späteren Stadium eine kalt und ungerührt waltende und schließlich eine böse, lebenszerstörende Macht wird, als Manifestation des universellen Leidens. Die Natur bekommt Züge einer blinden Macht, die in ihrem ewigen Zyklus von Verfall und Blüte keine Rücksicht auf das Individuum kennt.

O natura, natura

Perché non rendi poi

Quel che prometti allor? perché di tanto

Inganni i figli tuoi? (A Silvia, V. 36-39 in: Canti 2000: 126)

Die Natur sieht nicht nur unbekümmert den Leiden der Menschen zu, sondern beherrscht auch despotisch das Leben des Menschen, indem sie ihn täuscht und in die Irre führt. Der Mensch, der mit einem tiefen Bedürfnis nach Glückseligkeit geschaffen wurde, ist nicht mehr in der Lage, in der modernen Zeit eine harmonische Beziehung zur Realität zu finden (Biral 1978: 194)

In der Krise von 1819, in der Leopardi mit seiner Flucht aus dem väterlichen Zuhause scheitert, entwickelt er ein dualistisches Schema von Natur und Vernunft: Natur sei die positive Realität und Vernunft der negative Pol. Die Natur habe die Welt inspiriert. Die Vernunft, welche ein großer Fortschritt zu sein scheine, habe in Wirklichkeit eine Verarmung erzeugt, welche zur moralischen Dekadenz des modernen Europas geführt habe (Biral 1978: 195). Im Gegensatz zum modernen Menschen sei der Mensch in der Antike noch glücklich gewesen. Es war die Zeit, in der der Mensch die Sprache der Natur noch verstand und deshalb nicht unglücklich zu sein schien, weil er sich noch als Teil des Ganzen sah und in einem harmonischen Verhältnis mit seiner Umwelt leben konnte. In dieser Zeit bildeten das Irdische und das Himmlische noch eine harmonische Einheit. Für Leopardi scheint die Welt der griechischen Mythologie dieses ideale Verhältnis darzustellen (Biral 1978: 194f.). Die Menschen verstanden die Signale der Natur und respektierten sie für das was sie war, nämlich als eine unentschlüsselbare, perfekte Einheit, der man einfach zugehörte. Mit der Entwicklung der Wissenschaften aber begann der Mensch sich von der Natur abzutrennen und sich ihr bewusst gegenüberzustellen, um sie zu erforschen und regelrecht zu manipulieren. Das Resultat bedeutete die Unverständigkeit zwischen Natur und Mensch.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Giacomo Leopardi und der "Canto notturno di un pastore errante nell'Asia"
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar - Giacomo Leopardi
Note
1-
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V24027
ISBN (eBook)
9783638270069
ISBN (Buch)
9783638848169
Dateigröße
711 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Giacomo, Leopardi, Canto, Asia, Proseminar, Giacomo, Leopardi
Arbeit zitieren
Clara La Terra (Autor:in), 2002, Giacomo Leopardi und der "Canto notturno di un pastore errante nell'Asia", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24027

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