Neo-Phantastisches Schreiben in Julio Cortázars "Reunión con un circulo rojo"


Hausarbeit, 2007

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Strukturanalyse der Kurzgeschichte Reunión con un circulo rojo
2.2 Das Konzept Cortázars von Realität und Phantastik
2.3 Cortázar im Diskurs der (Neo-) Phantastik. Philosophische Hintergründe

3. Ausblick

Spanischer Abstract
Bibliographie
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Internetquellen
Weitere Quellen

1. Einleitung

Die argentinische Prosa des 20. Jahrhunderts und das Genre der (Neo)- Phantastik wurden wesentlich von den beiden argentinischen Schriftstellern Cortázar und Borges geprägt. Ihre Arbeit war wegweisend für das literarische Schaffen nachfolgender Autoren in Lateinamerika. In dieser Arbeit soll insbesondere das phantastische Schreiben und Erzählen Julio Cortázars näher behandelt werden anhand der Kurzgeschichte Reunión con un circulo rojo, erschienen 1988 in Alguien que anda por ahí [1]. Es soll darum gehen herauszufinden, auf welche Art und Weise und mit welchen Mitteln Cortázar in seiner Kurzgeschichte das Phantastische etabliert und wie er es schafft eine neue Form des phantastischen Schreibens zu schaffen, die sich wesentlich abhebt von der traditionellen Phantastik des 19. Jahrhunderts. Auch soll der philosophische Ansatz beleuchtet werden, der sein Schaffen wesentlich beeinflusst hat und ihn als inkonform und rebellisch dem Diskurs der traditionellen Phantastik gegenüberstellt. Für Cortázar gibt es keine binäre Opposition zwischen Realität und Übernatürlichem, vielmehr sind beide Systeme eins, was wir aber nur unzulänglich zu erfassen vermögen. Für ihn stellen diese Dimensionen ein Ganzes dar, was sich aber nicht mit unserer wissenschaftlichen Empirie und unserem rationellen Verständnis erklären lässt. In seinen Werken macht sich diese Sympathie für das Übernatürliche, den Zwischenraum bemerkbar, der eine uns unbekannte Dimension erahnen lässt. Diese Sphäre des Übernatürlichen ist nach Cortázar fest in unserer gewohnten Realität verankert. Er möchte den Leser mitnehmen auf eine literarische und intellektuelle Reise, an deren Ende keine eindeutige Erkenntnis steht, aber dennoch eine Erweiterung der Perspektive stattgefunden hat. Somit sind Cortázars Werke gerichtet an einen lector- complice[2], der sich inspirieren lässt, selbst die Grenzen des Phantastischen auszuloten und unser normiertes Realitätssystem zu hinterfragen.

In dieser Arbeit sollen vor allem die Erzählstrategien untersucht werden, die das Eindringen einer dritten, phantastischen Sphäre ermöglichen. Der Einbruch des Unvorstellbaren in den alltäglichen Kontext, dieser subtile Übergang in einen plötzlich freigewordenen scheinbar irrealen Raum zwischen zwei Momenten in der realen Dimension soll hier eingehender untersucht werden. Anhand der Strukturanalyse von Reunión con un circulo rojo sollen diese Erzählstrategien aufgedeckt und Cortázars philosophischer und intellektueller Hintergrund beim phantastischen Schreiben veranschaulicht werden.

2. Hauptteil

2.1 Strukturanalyse der Kurzgeschichte Reunión con un circulo rojo

In diesem Kapitel wird ein kurzer strukturanalytischer Überblick gegeben, anhand dessen die Erzählstrategien Cortázars herausgearbeitet werden sollen.

Betrachten wir zunächst einmal die Erzählinstanz[3], stellen wir fest, dass es sich um eine Erzählung aus der Ich- Perspektive handelt, nämlich aus der Perspektive der verstorbenen turista inglesa. Diese Ich- Erzählsituation manifestiert sich in den Worten „yo“ und „a mí me parece“, der Leser erfährt jedoch erst ganz am Ende der Geschichte, dass diese Perspektive nicht die des Protagonisten Jacobo ist. Die Ich- Erzählerin ist nämlich der Geist der englischen Touristin, die umgebracht wurde von den Kellnern und der Restaurantbesitzerin, el enclave transilvánico. Die Erzählerin bezeichnet den Protagonisten Jacobo mit „usted“ und kommentiert sich selbst in der dritten Person, in einem distanzierten, ironischen Ton „ Había en ella algo de torpe o de tímido[…]“ (1976: 225 ), „[…] el pobre topo miope[…]“ (1976: 225), „[…] todo era torpeza en ella […]“ (1976: 226). Die Glaubwürdigkeit der Erzählerin wird somit in Frage gestellt, da sie erstens ein Geist ist und zweitens die Perspektive einer anderen Person (Jacobo) scheinbar objektiv wiedergeben soll, was bei einem Ich- Erzähler aber nie der Fall sein kann, da er immer in seiner eigenen subjektiven Perspektive gefangen ist. Hieraus resultiert ein für die Moderne typisches unzuverlässiges Erzählen (span.: narración infidente[4]). Die Analyse der Erzählinstanz, die Cortázar hier einsetzt, ist äußerst komplex und soll hier kurz vertieft werden. Zunächst müssen wir feststellen, dass die Erzählinstanz la turista inglesa sich gleich im ersten Satz an einen expliziten Adressaten wendet, nämlich an Jacobo. Die Erzählinstanz berichtet hier nicht nur aus ihrer persönlichen Einschätzung des Geschehens heraus, sondern sie gibt auch die Perspektive, Gedanken und Gefühle einer anderen Figur (Jacobo) wieder. Weil der Leser dies erst am Ende erfährt, drängt sich ihm die Vermutung auf, dass es sich hier um einen auktorialen Erzähler handelt, der objektiv und allwissend die Handlung und die Gedanken der Figuren schildert. Cortázar führt den Leser so doppelt hinters Licht, da er erstens bis zum Schluss nicht preisgibt, wer der Erzähler ist und zweitens dem Leser so eine konstruierte Wahrnehmung der fiktiven Wirklichkeit präsentiert, die sich am Ende als höchst zweifelhaft herausstellt. Auf die Frage was dies für den literarischen Diskurs und den philosophischen Hintergrund bedeutet, werde ich im nächsten Kapitel noch näher eingehen.

Darüber hinaus wendet Cortázar weitere Strategien zur Destabilisierung der Erzählinstanz an. Zum Beispiel wird von der Restaurantbesitzerin die Glaubwürdigkeit der Erzählerin explizit angezweifelt: „Pero no tienen fuerza, solamente pueden hacer algunas cosas y siempre las hacen mal, es tan distinto de como la gente los imagina.“ und „ […] ya van dos veces que viene y tiene que irse porque nada le sale bien. “ (1976: 229 ). Diese Destabilisierung der Erzählinstanz ist eine Strategie zur Etablierung des Vagen und Unvorhersehbaren, der Leser kann sich nicht darauf verlassen, dass die Erzählerfigur auch wirklich einen objektiven Tatsachenbericht vorlegt und wird damit im Ungewissen gelassen. Wie schon weiter oben erläutert, dient dieses Verfahren dazu den Leser zu verwirren, ihm seine konstruierte Wahrnehmung von Realität und Fiktion vor Augen zu führen. Auch dieser Aspekt soll im nächsten Kapitel noch einmal aufgegriffen und vertieft werden.

Betrachten wir nun den Modus, in dem die Handlung geschildert wird, stellen wir fest, dass es sich hier hauptsächlich um eine deskriptive und szenische Darstellung handelt und nur ganz zum Schluss der Geschichte finden wir einen kurzen Dialog, der Figuren Jacobo und la mujer del restaurante. Auch dies schürt eine Atmosphäre, in der der Leser zwar bis ins kleinste Detail über die konkrete Umgebung und Atmosphäre („frío“, „lluvia“) informiert wird und die Stimmung nachvollziehen kann, jedoch nicht weiß, worin die Gedanken, Absichten und Rollen der einzelnen Figuren bestehen in dieser Konstellation. Diese Informationen bleiben unscharf. Die konkreten geographischen und räumlichen Angaben („Wiesbaden“, „Zagreb“) dienen dazu, einen für den Leser nachvollziehbaren realen geographischen Raum zu schaffen, indem er das Unheimliche nicht vermutet. Darüber hinaus wird die Alltagssituation genau und nachvollziehbar für den Leser geschildert, er hat keinen Zweifel daran, dass es sich bei der Erzählung wirklich um die Perspektive Jacobos handelt und identifiziert sich mit seiner Situation. Als dann die ersten Zweifel Jacobos geäußert werden, wird auch der Leser stutzig und alles was eben noch so alltäglich und harmlos wirkte und scheinbar kausalen Gesetzen folgte gerät jetzt ins Wanken:

La mano que vertía el vino en la alta copa estaba cubierta de pelos, ya usted le llevó un sobresaltado segundo romper la absurda cadena lógica y comprender que la mujer pálida ya no estaba a su lado […] (1976: 223)

[…] la doble manía de cruzarse de brazos apenas terminaban su trabajo hubiera sido divertida pero de alguna manera no lo era, ni tampoco que la mujer se pusiera en el ángulo más alejado del mostrador […] (1976: 225)

Los camareros se habían situado detrás del mostrador, a los lados de la mujer, y esperaban también con los brazos cruzados, tan parecidos entre ellos que el reflejo de sus espaldas en el azogue envejecido tenía algo de falso, cómo una cuadruplicación dificil o engañosa. (1976: 224 )

Usted, como pasa tantas veces, no hubiera podido precisar el momento en que creyó entender; también en el ajedrez y en el amor hay esos instantes en que la niebla se triza y es entonces que se cumplen las jugadas o los actos que un segundo antes hubieran sido inconcebibles. (1976: 226)

[...]


[1] Cortázar, Julio 1976: Julio Cortázar. Los relatos. 1. Ritos. Madrid: Alianza Editorial

[2] Siehe Gatzemeier, Claudia: Phantastik im erzählerischen Schaffen von Julio Cortázar. In: Schenkel, E.; Schwarz, W.; Stockinger, L. und de Toro, A. 1998: Die magische Schreibmaschine: Aufsätze zur Tradition des Phantastischen in der Literatur. Frankfurt am Main: Vervuert Verlag

[3] Die Verfasserin richtet sich hier nach der Terminologie von Hartmut Stenzel 2005: Einführung in die spanische Literaturwissenschaft. Stuttgart: J.B. Metzler

[4] Vgl. hierzu Stenzel, Hartmut 2005: 79

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Details

Titel
Neo-Phantastisches Schreiben in Julio Cortázars "Reunión con un circulo rojo"
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Romanistik)
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
16
Katalognummer
V77757
ISBN (eBook)
9783638823043
ISBN (Buch)
9783638845120
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neo-Phantastisches, Schreiben, Julio, Cortázars, Reunión
Arbeit zitieren
Nathalie Solis Pérez (Autor:in), 2007, Neo-Phantastisches Schreiben in Julio Cortázars "Reunión con un circulo rojo", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77757

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