"Ich bin eine Dichterin, ja das weiß ich" - Interpretation von Gertrud Kolmars Gedicht "Die Dichterin"


Hausarbeit, 2004

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 „Ich bin eine Dichterin, ja, das weiß ich.“ . Interpretation von Gertrud Kolmars Gedicht „Die Dichterin“

2 „Dem scheinbar Sinnlosen einen Sinn zu geben“ – Zeitgeschichtliche Einordnung ihres Werks

3 „Ich bin die Kröte...“ – Biographische Aspekte

4 „Die Geburt der Dichterin“ – Dichtung als Medium der Kommunikation

5 „Die Dichterin“ – Interpretation des Gedichts

6 „...und trage den Edelstein“ - Resümee

7 Anhang:
7.1 Die Dichterin
7.2 Literatur:

1 „Ich bin eine Dichterin, ja, das weiß ich.“. Interpretation von Gertrud Kolmars Gedicht „Die Dichterin“

Komm denn und töte![1]

Mag ich nur ekles Geziefer dir sein:

Ich bin die Kröte

Und trage den Edelstein...

Spätestens seit der ersten Gesamtausgabe ihres „Lyrischen Werks“ im Rahmen der Veröffentlichung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im Jahr 1955 ist Gertrud Kolmar keine Unbekannte mehr. Dennoch ist ihr zu Lebzeiten wie auch nach ihrem Tod der Durchbruch zum Ruhm einer Nelly Sachs etwa versagt geblieben. Johanna Woltmann, Nachlassverwalterin und mehrfache Herausgeberin Kolmarscher Schriften, verweist als Begründung für Kolmars geringen Bekanntheitsgrad auf eine „starke abwehrende, abweisende Kraft“, die von deren Gedichten ausgeht und „die noch immer eine Art Barriere für eine größere Publizität bildet“[2]. Kolmars Lyrik, ihre mythische Bilderwelten gelten als schwer zugänglich, als schwer einzuordnen. Versuche der Annäherung an die Kolmarsche Lyrik wurden über ihre Vita, über die Deutung ihrer spezifischen Bildlichkeit oder auch literarhistorisch einordnend vorgenommen. Auch mein Zugang zu Gertrud Kolmars Gedicht „Die Dichterin“ wird sich innerhalb dieser drei Ebenen bewegen. Ich bin überzeugt, dass sich ein Zugang zu Gertrud Kolmars Gedichten nicht aus ihrem Lebensende her erschließt. Kolmars Gedichte sind ihre Kinder. Sie werden von ihr zu Lebzeiten erschaffen und tragen das von ihr gelebte Leben in sich. Sie sind traumhaft-visionär und bergen in sich zwar durchaus den Aspekt einer Bedrohung, doch würde Kolmars Tod, der Tod einer Jüdin in Auschwitz, allein den Zugang zu ihren Gedichten auf eine Schmalspuranklage verdinglichen und reduzieren. Und gerade daraus scheint vor allem „Die Dichterin“ ausbrechen zu wollen.

2 „Dem scheinbar Sinnlosen einen Sinn zu geben“ – Zeitgeschichtliche Einordnung ihres Werks

„Die Dichterin“ war ursprünglich Teil des Gedichtbands „Die Frau und die Tiere“, der im Herbst 1938 bei Erwin Löwe im Jüdischen Buchverlag erschienenen war, kurz vor der Reichskristallnacht. Gertrud Kolmar war Jüdin und aktives Mitglied des Jüdischen Kulturbundes. Dieser Gedichtband wurde bald nach Erscheinen eingestampft und erst nach Kriegsende rekonstruiert und als Teil des lyrischen Werks 1955 veröffentlicht.[3]

Kolmar schrieb weder angepasst und regimekonform oder –stützend, noch opportunistisch-radikal. Sie lebte als Jüdin in Nazi-Deutschland in einem Zustand der Isolation. Aus Liebe und Treue zu ihrem alten Vater emigrierte sie nicht, sondern blieb in Deutschland, bis sie verschleppt wurde. Kolmars Werk wird zur Literatur des Inneren Exils gerechnet.

Die Literatur des Inneren Exil bezeichnet politisch literarische Opposition, kalkulierten getarnten Protest gegen das NS-Regime, aber auch einen Zustand der völligen Isolation. Der Begriff steht in bildhafter Parallele zur Exil-Literatur, wie die Literatur der ins Ausland geflohenen SchriftstellerInnen bezeichnet wird. Synonyme für den Begriff „Inneres Exil“ sind „Geistiges Exil“, „Emigrantendasein“, „aristokratische Form der Emigration“. Die AutorInnen außerhalb der politischen Indienstnahme durch das Regime schreiben unter Zensur. Sie rufen nicht direkt auf zum Widerstand, sondern sie bieten Trost und moralischen Rückhalt. Insbesondere durch das Medium der Lyrik distanzieren sie sich vom Regime.

In diesen grob skizzierten Rahmen, lässt sich Gertrud Kolmar gut einbetten. Sie ruft nicht zum Widerstand gegen den Terror der Nationalsozialisten auf, sie erwähnt ihn kaum. Stattdessen offenbart sie sich selbst in ihrer Verletzlichkeit[4]. Die provozierte Fürsorge ist der Trost, den sie bietet, denn sie zeigt dem Herz, dass es - immer noch - fähig ist zu fühlen. Schlimmer als die Schreckensherrschaft und die Isolation ist die Angst vor der Hoffnungslosigkeit, vor der Gefühllosigkeit. Der Absolutheitsanspruch, dem sich die Menschen innerhalb eines totalitären Systems ausgeliefert sehen, muss gebrochen, und die Sensibilität für eine überzeitliche Wirklichkeit geschaffen werden. Diesen Anspruch hat Gertrud Kolmar, wenn sie versucht, „für die Ewigkeit zu schaffen“[5]. Sie berührt den Leser durch Magie und Metaphorik, sie sensibilisiert sie für ein größeres Ganzes. Sie klagt und fordert für die Schutzbedürftigen dieser Welt, Frauen, Kinder und Kreaturen.

Kolmar wurde am 2. März 1943 mit dem 32. Osttransport nach Auschwitz deportiert und kam dort ums Leben. Manuskripte, Typoskripte und Erstdrucke ihrer Dichtung wurden von ihr rechtzeitig ins Ausland geschickt oder bei „arischen“ Verwandten untergebracht.

3 „Ich bin die Kröte...“ – Biographische Aspekte

Die Suche nach einem Zugang zu ihrer verschlossen wirkenden, hermetischen Dichtung erfordert das Schaffen von Zusammenhängen, die zum besseren Verständnis eines historischen Lebenslaufs, einer großen Dichtung und eines ganz persönlichen Ichs dienen. Woltmann schreibt in ihrer Einleitung:

Gertrud Kolmar schuf ihr Werk nicht nur als eine „Kunst“, so kunstvoll es sich stellenweise gibt, sie schuf es nicht ausschließlich als ein Denkmal ihres literarischen Könnens. Sie versuchte damit auch, sich selbst darzustellen und über sich zu sprechen. Dieses Werk ist also auch Autobiographie, auch Bekenntnis und möchte als solches ernstgenommen werden – „denn sieh, du blätterst einen Menschen um.“[6]

Selbstdarstellung und Bekenntnis im Medium der Kunst waren umso wichtiger für sie, als ihr schon so früh andere Wege der Kommunikation versperrt waren. Hinter ihren Gedichten stehen nicht so sehr der Antagonismus der Geschlechter, noch die bewusste Wahl einer Außenseiterexistenz, sondern vielmehr eine frühkindliche Problematik. Sie scheint prädestiniert zu sein für die spätere Existenz als verfemte, isolierte jüdische Exil-Literatin. Um das Verständnis des Menschen, der Frau und Jüdin Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert zu erleichtern, werde ich das größere soziale Umfeld kurz skizzieren und anschließend auf die familiäre Konstellation in ihrer Kindheit eingehen. Woltmann nimmt diese als Ausgangslage dafür, dass Kolmar in ihrer Kindheit weder zu sich selbst noch zu den von ihr ersehnten menschlichen Beziehungen gefunden hat.

Ab 1871 ist das „Toleranzgesetz“ im gesamten deutschen Reich gültig und damit die Gleichberechtigung der Juden rechtskräftig. Die Epoche in die Gertrud Kolmar kurz darauf geboren wird, ist eine Epoche der Emanzipation, Assimilation und Akkulturation der Juden.

Zwischen Mann und Frau herrscht Ende des 19. Jahrhunderts jedoch immer noch die „klassische“, polarisierende und hierarchisierende Geschlechterstruktur. In der allmählichen Auflösung dieses Selbstverständnisses, bereits im 19. und erst recht im 20. Jahrhundert, sieht Woltmann eine Ursache für die typische Unsicherheit dieser Zeit[7]. Einfache Dualismen wurden aufgespaltet und ließen die Menschen haltlos und in Verunsicherung. Die schlimmstmögliche Reaktion auf diese Verunsicherung war eine Radikalisierung und Festschreibung der Dualismen in ein Weiß-Schwarz, ein Gut-Böse, wie es im Dritten Reich geschah.

[...]


[1] Kolmar, Gertrud: Briefe. Hg. von Johanna Woltmann. Göttingen 1997, S. 94.

[2] Woltmann, Johanna: Gertrud Kolmar. Leben und Werk. Göttingen 1995, S. 16.

[3] Kolmar: Briefe, S. 103

[4] „In einem amerikanischen Gefängnis in Lorton, Virginia, stellte man in einer Langezeitstudie an Schwerstkriminellen fest, dass die Rückfallquote bei Tätern, denen man tagsüber kleine Tiere zur Pflege anvertraute, bei 20% lag, währen bei der Vergleichsgruppe, die nicht an dieser „Emotionsschulung“ teilgenommen hat, 80% der Täter wieder rückfällig wurden.“

In: Miller, Alice: Das Drama des begabten Kindes. Frankfurt am Main 1996. S. 167.

[5] Kolmar: Briefe, S. 95.

[6] Woltmann: Kolmar, S. 7.

[7] vgl.: Woltmann: Kolmar, S. 9

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
"Ich bin eine Dichterin, ja das weiß ich" - Interpretation von Gertrud Kolmars Gedicht "Die Dichterin"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V76644
ISBN (eBook)
9783638805322
ISBN (Buch)
9783638816663
Dateigröße
471 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dichterin, Interpretation, Gertrud, Kolmars, Gedicht, Dichterin
Arbeit zitieren
Marion Lichti (Autor:in), 2004, "Ich bin eine Dichterin, ja das weiß ich" - Interpretation von Gertrud Kolmars Gedicht "Die Dichterin", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76644

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: "Ich bin eine Dichterin, ja das weiß ich" - Interpretation von Gertrud Kolmars Gedicht "Die Dichterin"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden