Länderanalyse Afghanistan: Externe islamistische Einflüsse und Ideologietransfer


Studienarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Islamistische Konzepte
1.1. Jihad-Ideologie
1.1.2. Traditionalismus und Reformismus
1.1.3. Exk.: Abdallah Azzam als Jihad-Ideologe und „Vater der arabischen Afghanen“
1.1.4. Deobandische Lehre
1.1.5. Wahabitische Einflüsse

2. Einflussstaaten in der Region
2.1 Pakistan
2.2. Pro-islamistisch/ pro-paschtunische Strömungen
2.3. Die sunnitisch-paschtunischen Parteien
2.4. Saudi-Arabien
2.4.1. Geopolitische Interessen Saudi-Arabiens

3. Conclusio

4. Medienanalyse der deutschen Wochenzeitung Der Spiegel mit Fokus auf die Berichterstattung über Islamismus in Afghanistan sowie internationale Reaktionen auf die Angriffe am 7.Okober 2001

Literatur

Zeitschriften

Onlinequellen

1. Islamistische Konzepte

1.1. Jihad-Ideologie

Im Zuge des Kampfes verschiedener Gruppen gegen die sowjetischen, seit 1979 in Afghanistan massiv präsenten Truppen, trat unter den anti-sowjetischen Kämpfern eine Jihad-Ideologie[1] salafitischer Prägung auf, auf die Gruppierungen wie Al-Qaida auch heute Bezug nehmen. Viele mudjahedin, die in den Achtziger Jahren in Afghanistan kämpften, sind heute Mitglieder der Al-Qaida.

Die Jihad-Bewegung verfolgt die Doktrin „Al wala wa-lbara“, „Treue und Bruch“. Damit wird Bezug auf die Blütezeit des Islam unter den Kalifaten der Nachfolger Mohammads genommen[2]: Treue soll die umma einen und ihr zu ihrer Stärke im Kampf gegen ihre Feinde (Bruch) verhelfen. Als Feinde werden, im Kontext der von dem ägyptischen Arzt und Chefideologen Al-Qaidas Aiman al-Zawahiri in westlichen Medien veröffentlichten Kommuniqués „Kreuzfahrer“ und „Juden“ deklariert. So forderte ein im Oktober 2001 erschienener Aufruf Al-Zawahiris als Reaktion auf den „Kreuzzug gegen Afghanistan“[3], also den Beginn der Operation Enduring Freedom durch ein massives Bombardement Afghanistans, den totalen Jihad.

1.1.2. Traditionalismus und Reformismus

Die neue islamistische Strömung, besonders die in den pakistanischen Madrassen gelehrte hanafitische Rechtsschule (madhhab hanafi), lehnt zum Teil gemäßigte Schulen, wie die des afghanischen Reformatoren Saijid Jamal al-Din al-Afghani (circa 1839-1897) ab. Al-Afghani vertrat gegenüber der britischen Kolonialmacht in Ägypten und im Nahen Osten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwar eine Position eines stark politisierten Islams, forderte dabei aber gleichzeitig die Übernahme modernistischer, europäischer Elemente, die eine „neue Lesart der heiligen Texte“[4] als Minimalkonsens einer neuen, an einer „Aussöhnung“ interessierten islamischen Ära verstand. Die Neudeutung des Koran und der Hadithe wurde von den nahda -Gelehrten (Renaissance/Wiedergeburt) als eine zum Gemeinwohl der umma notwendige Anpassung an neue Einflüsse aus dem Westen, man denke an die Philosophie der Aufklärung, empfunden. Die Idee eines pluralistischen, demokratischen Staates „auf der Basis eines reformierten Islam, der auf einer modernen rationalen Interpretation des koranischen Textes basiert“[5], wurde als attraktivere und realistischere Option als ein radikal-puritanischer, wahabitischer Gottesstaat gehandelt; außerdem sei die Reform, so die nahda -Gelehrten, dem „Wiedererwachen eines arabischen und islamischen Selbstbewusstseins“[6] nur dienlich. Damit gilt al-Afghani, dessen afghanische Herkunft nach wie vor umstritten ist, als ein Vertreter eines modernen, gemäßigten Islam. Seine Lehre und die seines Anhängers Mohammad Abduhs, die, auf das 20. Jahrhundert übertragen, eine erstaunlich liberale und offene religiöse Haltung als Interpretation anbieten- sowohl für liberale Modernisten als auch islamistische Ideologen- , stießen jedoch bald auf Ablehnung innerhalb der Ulama, unter anderem wegen des Vorwurfs der Rückständigkeit im Denken der islamischen, traditionellen Gelehrten.[7] Spätestens die Lehre des Ägypters Saijid Qutbs, nahm die Doktrin des Bruches mit der dschahilia (Gottlosigkeit, Häresie) wieder auf. Die heilige Pflicht der muslimischen Avantgarde zum Jihad gegen Ungläubige, die salafiyya dschihadiyya, ist seit den 1960er Jahren als ein Grundverständnis militant-islamistischer Gruppierungen zu verstehen und macht so die Lehre Qutbs zu einem zentralen Bezugspunkt in der Jihad-Ideologie. Auch die Ideologie Al-Zawahiris und Usama ibn-Ladins greift das Vorbild Qutbs dankbar auf und leitet so eine Legitimationsgrundlage für einen weltweiten Jihad ab.

1.1.3. Exk.: Abdallah Azzam als Jihad-Ideologe und „Vater der arabischen Afghanen“

Um die ideologischen Einflüsse auf Bewegungen wie die Taliban und Al-Qaida zu vervollständigen und zu veranschaulichen, wie der Afghanistan-Krieg zu einem pan-muslimischen Jihad wurde, ist es notwendig auch auf die durch Abdallah Azzam neu eingeführte separate Struktur und Organisation der arabischen Kontingente einzugehen, die bis in die Mitte der 1980er Jahre lediglich eine marginale Erscheinung unter den mudjahedin darstellten: Azzam, selbst promovierter Azhar-Absolvent aus Palästina, trieb unter anderem mit Publikationen wie Die Verteidigung der muslimischen Gebiete (1984) eine Vernetzung der Peshawar-Gruppen mit religiösen Einrichtungen und islamistischen Gruppierungen im Nahen Osten voran. Azzam war dadurch aufgrund seiner exzellenten Kontakte zur Muslimbruderschaft, saudisch-wahabitischen Bildungsinstitutionen, Palästinensern sowie islamistischen Oppositionen in Syrien und Jordanien privilegiert. Obwohl erst wenige Jahre in Pakistan, gelang es Azzam, als Pendant zum arabischen Netzwerk, die Beziehungen zu den afghanischen Warlords und den Anführern der Peshawar-Gruppen zu festigen. Später kam ihm gar eine Vermittlerrolle zwischen den entzweiten Führern Massud und Hekmatyar zu.

Als anerkannte geistliche Autorität erließ Azzam 1983 eine fatwa[8], die den afghanischen Jihad als „individuelle Pflicht“(fard ´ayn) eines jeden Muslims erhebt; diese Forderung wird auch in seinen weiteren Veröffentlichungen wiederholt.[9]

1985 wurde in Peshawar der so genannte Islamische Koordinationsrat gegründet, der aus circa zwanzig internationalen muslimischen Wohlfahrtsorganisationen bestand- Azzam kam so auch eine nicht zu unterschätzende Funktion als Organisator eines globalen Finanzierungssystems für den afghanischen Jihad zu. Kepel schreibt Azzam zudem den Verdienst zu, die vereinzelten Operationen islamistischer Gruppierungen auf der Basis eines regionalen Konfliktes in Form eines „weltweiten“ Konfliktes institutionalisiert zu haben, wobei damit eher eine Internationalisierung des pakistanisch/afghanischen Islamismus gemeint ist.[10] Für die aktuellen Entwicklungen wurde durch Azzams Wirken somit auch ein religiös-legitimiertes Fundament gelegt; ähnliche Versuche ibn-Ladins, beispielsweise durch eine fatwa, die den Mord an Amerikanern als verpflichtenden Bestandteil des Jihad fordert, konnten, aufgrund der fehlenden geistlichen Autorität ibn-Ladins, nie den Wirkungsgrad von Azzams theoretischem Werk erreichen. So ist die Ideologie Al-Qaidas und deren folgender Transfer von Seiten jüngerer Jihad-Generationen ohne ein Mentorat Azzams undenkbar.

1.1.4. Deobandische Lehre

Ein, überwiegend in Indien, Pakistan und Afghanistan verbreiteter Zweig der hanafitischen Rechtsschule vertrat gegenüber dem eher unter westlichen Sunniten verbreiteten, die traditionelle Rechtssprechung bevorzugende Hanafismus einen Ansatz, in dem die puritanisch-strenge Auslegung des Wahabismus vorherrscht. Institutionalisiert wurde diese Schule durch die Deoband Schule (dar-ul-ulum), die 1867 im indischen Uttar Pradesh gegründet wurde. Ihr Studienprogramm besticht durch eine, im wahabitischen Sinne, traditionelle Lehre, die bewusst auf die Vermittlung modernistischer, unorthodoxer Inhalte verzichtet und ein „einfaches Leben“(tariqah=Weg) für ihre Studenten propagiert. Das Konzept der Deoband-Schule wurde maßgeblich beschleunigt durch die Abtrennung und Staatsgründung Pakistans 1947 und die dadurch hervorgerufene Migration von indischen Muslimen in die Nordprovinzen Pakistans exportiert. Dort nahm es Einzug in den Madrassen und stellte so die Basis für eine religiöse Grundbildung, die viele afghanische Flüchtlinge in Anspruch nahmen.[11] Das Studium bei den Deobandi zielt darauf ab, die Absolventen ihrerseits als Lehrende missionarisch tätig werden zu lassen (dawa), das Studium von Jurisprudenz (fiqh), Koranexegese (tafsir), Überlieferungen und Aussprüchen (hadithe), Theologie (kalam) und Philosophie (falsafah) wird dabei als das unentbehrliche, „geistige Rüstzeug“ gesehen.[12]

Die Deobandi-Schule stellt im sunnitischen Islam nach der Al-Azhar in Kairo das zweitgrößte und anerkannteste Glaubens- und Bildungszentrum der Geistlichkeit dar- fatwas der Dar-ul-Ulum genießen unter sunnitischen Gläubigen internationale Anerkennung. Die Deobandis lehnen in ihrer Grundideologie die Scharia wie jede Form der Hierarchie ab, ein Faktum, das unter den Taliban radikalisiert wurde und damit einem Grundprinzip der deobandischen Lehre zutiefst widerspricht.[13]

1.1.5. Wahabitische Einflüsse

Der Wahabismus (wahhabya) geht mit seinem Aufkommen gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf Muhammad Abd Al-Wahab (ca. 1703-1793) zurück und stellt eine extreme Ausprägung der Sunna dar, beruft sich jedoch auf die hanbalitische Rechtsschule[14]. Diese Doktrin hebt besonders die Einheit Gottes (tauhid) vor und lehnt Praktiken, die vom Koran und den Hadithen abweichen, kategorisch ab. Die wahabitische Lehre ist, folgt man diesem Ansatz weiter, als eine ursprünglich innerislamisch-fundamentalistische Bewegung gegen alles unislamische im Rahmen der umma zu sehen. So wird die Schia als sektiererische Bewegung abgelehnt, die Anhänger des Wahabismus erheben den Anspruch, alleinige Repräsentanten des „wahren Islam“ zu sein. fatwas werden in diesem Zusammenhang als legitimes Mittel der Exkommunikation gegenüber muslimischen Anhängern anderer Schulen anerkannt.[15]

Besonders in Saudi-Arabien findet der Wahabismus seine größte Ausbreitung- circa 73% der Bevölkerung lassen sich religiös der wahabitischen Lehre zuordnen. Ein von ihr propagierte und als äußerst puritanisch zu bewertende Lebensstil- Wahabiten werden mitunter auch als „muslimische Calvinisten“[16] bezeichnet- erlegt seinen Anhängern einen sowohl religiösen als auch gesellschaftlichen Konservativismus auf, der im Alltag Luxus, Tanz und Glücksspiel sowie Genussmittel verbietet. Mit empfindlichen Strafen werden mitunter auch Musik und lautes, unverhältnismäßiges Lachen und Weinen geahndet. Den Bedürfnissen und Verhaltensweisen des Individuums wird in der wahabitisch argumentierenden Rechtssprechung die öffentliche Meinung, das Bedürfnis der Glaubensgemeinschaft, ihr Leben am wahren Glauben auszurichten, übergeordnet. Weiter ist es die Pflicht jedes Muslims, das Verhalten seines Nachbarn zu beobachten und gegebenenfalls zu maßregeln. Moralischer Maßstab und Vorbild für konformes, gottgewolltes Verhalten sind dabei im öffentlichen Leben die Mutawwiin - „public ministers of the religion“, so Gohari.[17] Eine ähnliche religiöse „Wächterinstanz“ wurde von den Taliban ab 1996 in Afghanistan eingeführt: Ihr oblag die Überwachung der Einhaltung der islamischen Kleiderordnung, der Öffnungszeiten der Händler sowie der Pünktlichkeit der Gläubigen beim Gebet.

[...]


[1] Kepel (2004): S.161

[2] Anm.: Im Rahmen des Salafismus als Konzept orientiert sich die Vorstellung „urislamischer“ Zustände, also der bestmöglichen islamischen Lebensweise, an den Gefährten und Nachfolgern des Propheten Mohammad, an den „Altvorderen“.

[3] Siehe „Kommuniqué des Politbüros der Organisation Qa´idat al Jihad“, in: Kepel (2004): S.165

[4] Ebd.: S. 172

[5] Sicherheit-Heute(2005): online

[6] Halm (2004): S. 100 f.

[7] Kepel (2004): S. 173

[8] vgl. dazu die kommentierte Auszüge aus der fatwa, an die Die Verteidigung der muslimischen Gebiete anschließt. Kepel (2006): S. 174-192

[9] Ebd.: S. 156-161

[10] Ebd.: S. 164 f.

[11] Gohari (2002): S. 29-31

[12] Deoband India (2001): online

[13] Rashid (2001): S.162 ff

[14] Flores (2005): S. 253

[15] Gohari (2002): S. 38

[16] Ebd.: S. 41

[17] Ebd.: S. 42 f.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Länderanalyse Afghanistan: Externe islamistische Einflüsse und Ideologietransfer
Hochschule
Universität Wien  (Wirtschafts- und Sozialgeschichte)
Veranstaltung
SE Islamismus
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V74395
ISBN (eBook)
9783638713009
ISBN (Buch)
9783638794879
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Länderanalyse, Afghanistan, Externe, Einflüsse, Ideologietransfer, Islamismus
Arbeit zitieren
B.A. Malte Gaier (Autor:in), 2007, Länderanalyse Afghanistan: Externe islamistische Einflüsse und Ideologietransfer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74395

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