Zu: Ernst Jüngers "Annäherungen - Drogen und Rausch"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

21 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Zum Textaufbau von Annäherungen - Drogen und Rausch

3. Zeit, Rausch und Mythos

4. Literatur

1. Einführung

Ernst Jüngers Annäherungen - Drogen und Rausch, erschienen im Jahre 1970, ist, wie der Titel eingeschränkt erahnen lässt, eine Textkonzeption, die sich auf mehreren Ebenen, nämlich biographisch, historisch, mythologisch, phänomenologisch, etymologisch und metaphysisch entfaltet. Die genannten Dimensionen des Werkes werden dem Leser durch facettenreiche Ausführungen und Bebilderungen vorgeführt.

Annäherungen ist einerseits ein essayistischer, biographischer Erfahrungsbericht, der die Erlebnisse eines bei der Veröffentlichung 75jährigen Mannes enthält. Die in Aphorismen verfassten Anekdoten umfassen einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert. Der Leser wird in den nummerierten Abschnitten durch die Zeit vor, während und nach den Weltkriegen geführt. Dominant sind hierbei individuelle und subjektive Erfahrungen, die der Psychonaut Ernst Jünger anhand von Experimenten und Erlebnissen mit den Rauschmitteln der „Gattungen“ Narcotica, Stimulantia und Phantastica illustriert. Dieser biographische Teil umfasst in Ich-Form verfasste Eindrücke der Jüngerischen Vita und lässt den Rezipienten an solchen Zusammentreffen teilhaben, wie die mit Gottfried Benn und dem „LSD-Erfinder“ Albert Hofmann.

Andererseits charakterisiert sich Annäherungen, wie aus den vorangehenden Werken Jüngers bekannt ist, als ein kultur- und geschichtsphilosophisches Werk. Wiederum wird nach der Stellung des Menschen und nach dem Sinn in seiner Epoche gefahndet. Das Hauptaugenmerk Jüngers in dieser Untersuchung liegt in dem Versuch anhand der Kunst, der Musik und der Philosophie, vor allem die der Frühen Moderne (1890-1920), sogenannte - im Jüngerischen Jargon - Übergänge, Weißungen und Mythenbildungen zu transzendieren.

Beiden Ausrichtungen ist gemein, dass Jünger in ihnen dem Nachweis einer transzendenten Omnipotenz nachgeht. Erstrebenswert ist die Annäherung an eine alles durchdringende „Kraft“, die durch den Tod als die letzte Annäherung determiniert ist. Sie findet in Fülle von 315 Paragraphen ihre Entfaltung. Die Paragraphen bilden in Form von sich überschneidenden und wieder einholenden Kreisen ein aphoristisches, essayistisches Puzzle. Annäherungen erscheint zwar in sich kohärent, ist jedoch inhaltlich nicht stringent aufgebaut.

Eine Schwierigkeit beim Studium des Buches erfährt der nicht herausragend gebildete Leser durch die häufig betriebenen Exkurse, die gewollt in einer skizzenhaften Andeutung verharren. Das Verständnis der erwähnten Referenztexte, Werke und Themenkomplexe, wie z. B. die Nietzsches, werden von Jünger jedoch in derselben Weise vorausgesetzt, wie bestenfalls die Kenntnisse der jeweiligen Rauschwirkungen.

Ungewöhnlich und deplaziert erscheinen gleichermaßen die Exkurse in die Kunstgeschichte bzw. die in den Surrealismus, welche mit Drogen und Rausch keinen direkten, doch mittelbaren Bezug aufzuweisen haben. Sie dienen neben ihrer theoretischen Funktion der Stimmung und des Eingestimmtseins auf den Gesamttext. Ihre Bedeutung für Annäherungen tritt letztendlich erst dann hervor, wenn sie in dem Umfang erfasst werden, den Jünger durch sie beabsichtigt.

Die Beispiele der Rauscherfahrungen Jüngers werden durch Anleihen bei Autoren und Dichtern, wie Dostojewski, de Quincey, Beaudelaire, Maupassant, Aldous Huxley und weiteren unterstützt und bestätigt. Ergo gesellt sich Jünger in einen Kreis von Autoren, die Träger von Erfahrungen oder Erkenntnissen zu sein scheinen, denen auch er sich sukzessive anzunähern versucht.

Es gilt aber festzuhalten, dass sich prima vista keine ideellen, thematischen Neuerungen in diesem Werk befinden, die nicht in Jüngers vorangehenden Werken Gegenstand der Betrachtung gewesen wären. Annäherungen kann somit als ein entradikalisierter Sammelband früher verfasster Ideen angesehen werden, die um die Komponente des expliziten Schwerpunktes der Annäherung, der Drogen und des Rausches erweitert wurden, wobei das Motiv des Rausches im gesamten Werk Jüngers präsent ist. Es bleibt Annäherungen aber eigen, dass es wesentlich individualistischere Züge aufweist, statt hauptsächlich gesamtgesellschaftliche und epochale Phänomene, sprich den Zeitgeist aufzuspüren.

Eine Auswahl an Parallelen zu Annäherungen sind in den folgenden Werken Jüngers auszumachen: Hier sei zum einen auf Das abenteuerliche Herz verwiesen, worin Jünger eine metaphysische Weltsicht umreißt, die hinter der Maske des Alltags eine „innere und magische Harmonie“[1] konstatiert, die durch eine Dekonditionierung des Verhaltens, wie der inneren Einstellung, spürbar wird. In Annäherungen hat das Rauschmittel, das große emotionale Erlebnis, die Musik, die Askese oder die Meditation die Funktion eines solchen Konventionenbruchs und dient als Schlüssel zu neuen Erkenntniswelten.

Am Beispiel des geschichtsphilosophischen Essays An der Zeitmauer greift Ernst Jünger auf eine aus dem 12. Jahrhundert stammende Drei-Weltalter-Lehre zurück. Die hierin enthaltene Geschichtsmetaphysik zieht Jünger zu Rate, wenn er sich und dem technischen und verwalteten Zeitalter Hoffnung geben möchte, dadurch dass er hinter der Zeitmauer der Weltgeschichte eine neue Epoche der Geistnatur, der Vergeistigung, der Großzeit des Geistes als unmittelbare Manifestation des Göttlichen sieht. Auch in Heliopolis spricht Jünger von einem dritten Reich des Geistes. Vergleichbar ist die Zuhilfenahme von Geschichts- und Kulturmodellen mit den Modellen, die Jünger in Annäherungen von Oswald Spengler, Franz von Baader oder Léon Bloy übernimmt. Im Gesamtwerk Jüngers stehen er und seine Protagonisten in der Konstellation zu dem Eintretenden. Es geht ihm und/oder seinen Figuren immer wieder um die Aktivität von Archaischem, um ein Anhalten der momentanen Zeitkonstante, um einen Ausbruch aus den empirischen Zwängen hinein in eine Geistnatur - in einen Zustand der Ewigkeit. Dieses Modell findet sein Äquivalent im Werk Drogen und Rausch am Exempel der Annäherung an das Ungesonderte:

1. In der Lebenswelt wird dies durch das Weißungsmodell, durch den Ablauf der Übergänge oder im Stilwechsel symbolisiert - eine Rückführung zur katharsischen „Nacktheit“, zum Weltgeist.
2. Für das Individuum ist unter anderem der Rausch Mittel zur Annäherung an das Ungesonderte, an die Identität und das Unbekannte, die Transzendenz.

Die von Jünger verwendeten nihilistischen Geschichtsmodelle folgen einem astrologischen Verlaufsgesetz und wirken auf den Mikro- wie den Makrokosmos ein. Sie werden von Jünger jedoch nie vollständig ausgelegt und bleiben daher utopischen oder spekulativen Charakters. Der empirische Nachweis der visionären Beurteilung vom Weltablauf wie auch von Schicksal kann dem Autor gewiss nie gelingen, da dieser der Dimension der Zeit unterlegen bleibt. Ernst Jünger sieht jedoch das Ende einer nihilistischen Phase in dem Merkmal der Errichtung eines neuen Mythos durch ein Logos. Der erschaffene Mythos dient als Indikator einer weiteren, neuen Epoche des Weltgeistes im Menschen. Im Menschen als mehr oder weniger geistiges Lebewesen, im Dichter als Seismographen seiner Umgebung und im Psychonauten Ernst Jünger als geistiger Abenteurer wird dieser Weltgeist durch das Individuum hindurch ergründbar.

Soweit gelangt, bleibt zu konstatieren, dass sich Annäherungen im großen und ganzen auf der Ebene subjektiver und existentieller Erfahrungen des Autors bewegt. Annäherungen kann insofern auch als existenzphilosophisches Werk verstanden werden. Der Existentialismus ist jedoch nicht avantgardistisches Programm der Annäherung, er steht vielmehr ohne reflektierte Intention in und zwischen den Zeilen. Er ist aber stetig präsent. Zeugnis für existenzphilosophische Theoreme des Werkes liefern allein die vielfachen Nennungen und Betrachtungen der Zeit (Chronos) und des Todes (Thanatos). Dieses Begriffspaar gilt in der Existenzphilosophie als inhaltliche Basis für eine geistige Auseinandersetzung mit dem Sein. Ein außerordentlich existentielles Erlebnis bzw. ein Zurückgeworfenwerden auf die eigene Identität hat daneben die Einnahme von Rauschmitteln zur Folge. Der Konsum von Surrogaten ist eine innere (Grenz-) Erfahrung, ein lediglich in den Grenzen des Körpers ablaufender Prozess. Der Rausch schließt eine individualistische Veränderung der Realität für bestimmte Zeit mit ein, die zudem eine Auswirkung über den Rauschzustand hinaus im Menschen ausübt. Das Thema Rausch wurde von Ernst Jünger unter anderem am Beispiel des Drogenforschers Antonio Peri sowie auch in dem 1936 erschienenen Afrikanische Spiele anhand eines Opiumessers exemplifiziert. Der letztgenannte registriere als höchstes transzendentes Stadium des Rausches einen Zustand, in dem in einer völligen Klarheit der Weltenplan als Anordnung ewiger, platonischer Urformen sichtbar werde. An diesem Beispiel kann man erahnen, was den Autor Ernst Jünger existentiell und psychologisch beschäftigt. Es sind ontologische, eschatologische und existenzphilosophische Anliegen, wie die Fragen nach kosmischer Ordnung und Ewigkeit. In diesem Zusammenhang werden in Annäherungen diese Fragestellungen und damit einhergehend bestimmte Weltanschauungen am Beispiel der Sensitiven und Hochsensitiven thematisiert. Im Gegensatz und deutlicher Abgrenzung zu profanen Rauschgiftkonsumenten beabsichtigen die Sensitiven einen Zustand des Rausches, der gleich der Ekstasis „(...) ein Fahrzeug zur Annäherung an eine in sich unbewegte, ruhende Welt“[2] ist. Der Rausch ist die Möglichkeit zu „geistigen Abenteuern“ aufzubrechen und „sie (die Droge) ist ein Schlüssel zu Reichen, die der normalen Wahrnehmung verschlossen sind, doch nicht der einzige.“ (§22)[3]

[...]


[1] Kindlers Literaturlexikon. Band 8. Zum Eintrag: Ernst Jünger. (Seite 933)

[2] Norbert Dietka. Ernst Jünger nach 1945. Frankfurt a.M. 1987. (Seite 232)

[3] Der Paragraph (§...) sowie die fortfolgenden entsprechen den Zuordnungen aus: Ernst Jünger. Sämtliche Werke. Band 11. Annäherungen - Drogen und Rausch. Zweite unveränderte Auflage. Klett-Cotta. Stuttgart. 1998

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Zu: Ernst Jüngers "Annäherungen - Drogen und Rausch"
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Germanistik und Kunstwissenschaft)
Veranstaltung
Ernst Jünger
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
21
Katalognummer
V6299
ISBN (eBook)
9783638139038
ISBN (Buch)
9783638781336
Dateigröße
544 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ernst, Jüngers, Annäherungen, Drogen, Rausch, Ernst, Jünger
Arbeit zitieren
Benjamin Pauwels (Autor:in), 2001, Zu: Ernst Jüngers "Annäherungen - Drogen und Rausch", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6299

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