Kopftuch und Schulunterricht


Seminararbeit, 2006

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

A Von den Themenkomplexen im Allgemeinen
I. Die einzelnen religiösen Symbole
1. Religiöse Symbole: Grundsatz zur Bestimmung
2. Das Kopftuch: Ein mehrdeutiges Symbol
a) Kein ausdrückliches Gebot zum Tragen des Kopftuches
b) Verschiedene Deutungen des Kopftuches
3. Das Kreuz (Kruzifix) als Symbol
II. Die einzelnen religiösen Symbole vor Gericht
1. Kopftuch: Der „Fall Ludin“
a) Gegenstand und Gang des Verfahrens
b) Das Kopftuchurteil (BVerfGE 108, 282)
2. Kruzifix: Anbringung in Unterrichtsräumen staatlicher Schulen
a) Gegenstand und Gang des Verfahrens
b) Der Kruxifixbeschluss (BVerfGE 93, 1)

B Von den Themenkomplexen in der Rechtssprechung der Senate
I. Zur Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG)
1. Gemeinsamkeiten
2. Unterschiede und Widersprüche
a) Zugrunde liegendes Grundrechtsverständnis
b) Schrankenerrichtung durch den Gesetzgeber
c) Bestimmung des Vorliegens religiöser Symbole
d) Staatlich angeordnete und geduldete religiöse Symbole
II. Zum Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 II 1 GG)
III. Zu den besonderen Verhältnissen in der Schule
1. Neutralitätspflicht des Staates
2. Lösung von auftretenden Spannungsverhältnissen
3. Einfluss der religiösen Symbole auf die Schüler
IV. Zum beamtenrechtlichen Aspekt

C Schlussfolgerung

D Literaturverzeichnis

E Anhang: Aus dem Wortlaut einzelner Koranstellen

Vorwort

Das Vorhandensein religiöser Symbole im schulischen Raum stellte das Bundesverfassungsgericht zweimal innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit vor die Aufgabe, zur Zulässigkeit solcher Symbolik Stellung zu beziehen.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes fällte im Jahre 2003 am 24. September das viel beachtete und gleichsam heftig diskutierte „Kopftuchurteil“[1]. Hierin ging es um die Frage, ob eine Lehrerin mit Kopftuch in einer staatlichen Schule unterrichten dürfe. Im Jahre 1995 sah sich der Erste Senat mit der Frage nach der Zulässigkeit der Anbringung von Kruzifixen in Unterrichtsräumen einer staatlichen Schule konfrontiert. Hier kam es am 16. Mai 1995 zu dem ebenfalls recht kontrovers debattierten „Kruzifixbeschluss“[2] des Gerichtes.

Um Orientierung in diesen Themenkomplexen zu bieten, stellt diese Arbeit eingangs unter A kurz die den jeweiligen Senatsbeschlüssen zugrunde liegenden Problematiken und Verfahrensgänge dar.

Sodann werden unter B die Ausführungen der Senate zu den einzelnen Grundrechten systematisch gegenübergestellt um aufzuzeigen, welche Gemeinsam­keiten, Unterschiede aber auch Widersprüche es in den zu behandelnden Beschlüssen gibt und sogleich anhand von Rechtssprechung und Literatur durch den Verfasser bewertet.

Schließlich wird das Ergebnis dieser Wertungen unter C zusammenfassend dargestellt.

A Von den Themenkomplexen im Allgemeinen

I. Die einzelnen religiösen Symbole

1. Religiöse Symbole: Grundsatz zur Bestimmung

Bei der Bestimmung, ob ein religiöses Symbol im konkreten Fall vorliegt, muss auf mehrere Kriterien abgestellt werden. Einerseits ist auf das Selbstverständnis des jeweiligen Grundrechtsträgers abzustellen.[3] Andererseits ist auch von Belang, wie ein Symbol nach seiner näheren Gestaltung, seiner Verwendung und dem Auftreten seiner Verwender – insbesondere der Religionsgemeinschaft – nach Außen hin wirkt; entscheidend ist der objektive Empfängerhorizont.[4]

2. Das Kopftuch: Ein mehrdeutiges Symbol

a) Kein ausdrückliches Gebot zum Tragen des Kopftuches

Es ist im Einzelnen unklar, ob für muslimische Frauen ein religiös-verbindliches Gebot zum Tragen eines Kopftuches besteht,[5] eine Instanz, die dies verbindlich festlegen könnte, existiert im Islam nicht.[6] Gemeinhin werden von den Befürwortern eines solchen Gebotes die Suren 24, 31 und 33, 59[7] genannt.[8]

b) Verschiedene Deutungen des Kopftuches

Dass es sich beim Kopftuch auch um ein religiöses Symbol handelt, lässt sich aus der Nennung des Kopftuches im Koran herleiten. Hiervon geht der überwiegende Teil der Rechtssprechung und Literatur[9] aus.

Ferner wird das Kopftuch auch als Ausdruck einer Tradition oder als bloßes Kleidungsstück verstanden.[10]

Weiterhin wird das Kopftuch teilweise als Symbol des politischen Islamismus mit den einhergehenden fundamentalistischen und intoleranten – also verfassungsfeindlichen – Grundhaltungen wahr-genommen.[11] Die bewusste Verwendung des Kopftuches als solch politisches Symbol darf niemandem a priori unterstellt werden. Für eine solche Deutung – zumindest in gewissen Kreisen – spricht jedoch ein Vorfall in neuester Zeit: Die Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/Die Grünen) forderte in der „Bild-Zeitung“ von muslimischen Frauen, sie sollen im Heute ankommen und das Kopftuch ablegen. Frau Deligöz erhält seitdem Beleidigungen und Morddrohungen – teilweise unter Bezugnahme auf den Mörder Theo van Goghs.[12]

3. Das Kreuz (Kruzifix) als Symbol

Im Kruzifix ist das Glaubenssymbol des Christentums zu sehen. Es steht für den Opfertod Christis, der die Menschheit von ihrer Erbschuld erlöst hat. Das Kruzifix versinnbildlicht die Auferstehung von dem Tode, dessen Besiegung und dem Sieg des göttlichen Reiches über Satan.[13]

Dem Kruzifix wird auch zugesprochen, es sei ein Symbol für die überkonfessionelle Werte des christlich geprägten Abendlandes und dessen ethischen Werten.[14]

Das Kreuz erscheint auch in profanem Zusammenhang. So findet es Verwendung als Kennzeichen des „Roten Kreuzes“. Ebenso findet es teilweise Verwendung als bloßer Schmuckgegenstand oder gar in kommerziellem Zusammenhang als Unternehmenszeichen.

II. Die einzelnen religiösen Symbole vor Gericht

1. Kopftuch: Der „Fall Ludin“

a) Gegenstand und Gang des Verfahrens

In den Blickpunkt der Öffentlichkeit geriet das Kopftuch im schulischen Raum durch den Fall der Frau Fereshta Ludin. Frau Ludin, im Jahre 1995 eingebürgert, bestand nach Ableistung des Vorbereitungsdienstes im Juli 1998 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen des Landes Baden-Würtemberg. Daraufhin beantragte sie die Einstellung in den Schuldienst als Beamtin auf Probe. Dieser Antrag wurde vom Oberschulamt Stuttgart mit der Begründung abgelehnt, ihr fehle die notwendige Eignung, da sie im vorangegangenen Einstellungsgespräch erklärt habe, das Kopftuch im Unterricht nicht ablegen zu wollen. Das hiergegen angestrengte Widerspruchsverfahren und die hiernach erhobene Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart führten zu keiner Aufhebung des Bescheides[15]. Frau Ludin ging hiergegen in Berufung beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim – ohne Erfolg[16]. Die daraufhin beim Bundesverwaltungsgericht eingelegte Revision zeitigte ebenfalls keinen Erfolg[17].

b) Das Kopftuchurteil (BVerfGE 108, 282)

Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde führte zur Aufhebung der Urteile. Die Beschwerdeführerin wäre durch das Kopftuchverbot in ihren Grundrechten aus Art. 33 II i.V.m. Art. 4 I, II GG und mit Art. 33 III GG verletzt. Für ein Kopftuchverbot für Lehrkräfte in Schule und Unterricht fehle es an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage im Recht des Landes Baden-Württemberg.[18]

2. Kruzifix: Anbringung in Unterrichtsräumen staatlicher Schulen

a) Gegenstand und Gang des Verfahrens

Nach § 13 I 3 der Schulordnung für die Volksschulen in Bayern (VSO) vom 21. Juni 1983[19] war in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen. Dies führte zu Konflikten mit Eltern, deren drei Kinder im Sinne der anthroposophischen Weltanschauung nach der Lehre Rudolf Steiners erzogen wurden. Die Eltern verlangten stets, dass die Kruzifixe in den Klassenräumen ihrer Kinder entfernt werden sollten. Zeitweilig verlieren sie ihrer Forderung dadurch Nachdruck, dass sie ihre Kinder nicht zur Schule schickten. Diese Konflikte konnten weitgehend durch Entfernung der Kruzifixe in den Klassenräumen, nicht aber in sämtlichen Unterrichtsräumen, der betroffenen Kinder erreicht werden. Eine verbindliche Zusage, dass diese Kompromisslösung stets eingehalten werden könne, gab es von der Schulverwaltung zu keinem Zeitpunkt. Im Februar 1991 erhoben die Eltern vor dem Verwaltungsgericht Klage – verbunden mit einem Antrag auf einstweiliger Anordnung – gegen den Freistaat Bayern, mit dem Ziel, dass aus sämtlichen Unterrichtsräumen ihrer Kinder die Kruzifixe entfernt werden sollen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof blieb ohne Erfolg.[20]

b) Der Kruxifixbeschluss (BVerfGE 93, 1)

Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde führte zur Aufhebung der angegriffenen Beschlüsse. Die Beschlüsse verletzten die Beschwerdeführer in ihren Rechten aus Art. 4 I i.V.m. 6 II 1 GG. Weiterhin erklärte das Bundesverfassungsgericht den § 13 I 3 VSO für mit Art. 4 I GG unvereinbar und nichtig.[21]

B Von den Themenkomplexen in der Rechtssprechung der Senate

Zwischen den hier zu erörternden Beschlüssen des Bundesverfassungsge-richtes bestehen im Einzelnen Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede und gar Widersprüche. Es gibt folgenden grundlegenden Unter-schied: Dem Kruzifixbeschluss liegt ein staatlicher Eingriff in die Grundrechtssphäre des Bürgers zugrunde. Es handelt sich folglich um ein bipolares Verhältnis zwischen dem Staat (Schulbehörde) als Grundrechtsadressaten und den Grundrechtträgern (Schüler und Eltern). Indem das Bundesverfassungsgericht in seinem Kopftuchurteil den Be-diensteten (Lehrern) ebenfalls als primäre Grundrechtsträger[22] im Schulbetrieb auffasst, legt es dieser Entscheidung ein tripolares Verhältnis zugrunde.[23]

I. Zur Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG)

1. Gemeinsamkeiten

Der Erste und Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes stimmen in ihren Urteilen darin überein, dass die in Art. 4 I, II GG garantierte Glaubensfreiheit[24] vorbehaltlos gewährleistet sei. Mögliche Ein-schränkungen müssten sich aus der Verfassung selbst ergeben. Das Grundrecht der Glaubensfreiheit gestatte es dem Einzelnen, einen Glauben zu haben oder nicht zu haben und ihn nach den eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln.[25] Auch stimmen beide Senate darin überein, dass Art. 4 I, II GG es der Entscheidung des Einzelnen überlasse, welche religiösen Symbole er ablehne und welche er anerkenne und verehre. Zwar hätte er in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Zu unterscheiden sei davon aber eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeit dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen sich dieser manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist. Insofern entfalte die Glaubensfreiheit seine freiheitssichernde Wirkung gerade in Lebens-bereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden sind[26]. Das Verbot nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 IV WRV, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen, bekräftige diesen Grundsatz.[27]

[...]


[1] 2 BvR 1436/02 = BVerfGE 108, 282 = NJW 2003, 3111.

[2] 1 BvR 1087/91 = BVerfGE 93, 1.

[3] BVerfGE 24, 236, 247 f.; NJW 2003, 3111, 3112; VG Lüneburg NJW 2001, 767, 770.

[4] BVerfGE 24, 236, 247f.; 35, 367, 375 f.; 93, 1, 32; NJW 3111, 3114; BVerwG NVwz 1988, 937, 938; Goerlich, NJW 1999, 2929, 2930.

[5] BVerfG NJW 2003, 3111, 3112; Pofalla, NJW 2004, 1218, 1219; Mann, Kopftuch, 9.

[6] VG Lüneburg NJW 2001, 767, 771.

[7] Wortlaut im Anhang wiedergegeben.

[8] Pofalla, NJW 2004, 1218, 1291; Mann, Kopftuch, 9, Summer in FS für Fürst , Suren 24 & 33 und das deutsche Beamtenrecht, 327, 328f..

[9] VGH Mannheim NJW 2001, 2899, 2901; EGMR NJW 2001, 2871; Janz/Rademacher, JuS 2001, 440, 443; Pofalla, NJW 2004, 1218, 1219 f.; a.A. VG Lüneburg NJW 2001, 767, 770.

[10] BVerfG NJW 2003, 3111, 3114; Mann, Kopftuch, 31; VG Lüneburg NJW 2001, 767, 770.

[11] BVerfGE NJW 2003, 3111, 3121; VG Lüneburg NJW 2001, 767, 770.

[12] Carstens, FAZ, Nr. 254 vom 01. November 2006, 3.

[13] BVerfGE 35, 367, 374; 93, 1, 19; Mann, Kopftuch, 25.

[14] BVerfGE 93, 1, 32; Pofalla, NJW 2004, 1218, 1219.

[15] NVwZ 2000, 959.

[16] NJW 2001, 2899.

[17] NJW 2002, 3344.

[18] BVerfG NJW 2003, 3111.

[19] GVBl., 597.

[20] BVerfGE 93, 1 ff..

[21] BVerfGE 93, 1.

[22] BVerfG NJW 2003, 3111, 3117.

[23] Ipsen, NVwZ 2003, 1210, 1212; Morlok/Krüper, NJW 2003, 1020 f..

[24] Vgl. hierzu 2. a).

[25] BVerfGE 93, 1, 25; BVerfG NJW 2003, 3111, 3112.

[26] So schon BVerfGE 41, 29, 49.

[27] BVerfGE 93, 1, 16; BVerfG NJW 2003, 3111, 3113.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Kopftuch und Schulunterricht
Hochschule
Fachhochschule Trier - Hochschule für Wirtschaft, Technik und Gestaltung
Veranstaltung
Grundrechte: Aktuelle Rechtssprechung
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V70889
ISBN (eBook)
9783638626705
ISBN (Buch)
9783638769228
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Verfasser dieser Arbeit stellt die Aussagen des "Kruzifixbeschlusses" denen des "Kopftuchurteils" gegenüber, und bewertet die so zu Tage getretenen Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Widersprüche anhand von Rechtssprechung und Stimmen der Literatur. Die Arbeit kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass einer Lehrerin das Tragen des islamischen Kopftuches nicht gestattet werden kann.
Schlagworte
Kopftuch, Schulunterricht, Grundrechte, Aktuelle, Rechtssprechung
Arbeit zitieren
Francisco José Alvarez-Scheuern (Autor:in), 2006, Kopftuch und Schulunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70889

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Kopftuch und Schulunterricht



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden