"Das Wort stirbt und gebiert den Gedanken": Zum inneren Sprechen


Hausarbeit, 1996

16 Seiten, Note: Leistungsnachweis erbracht


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung/Historie

2. Anstöße durch L. S. Wygotski

3. Allgemeine Definition nach Wygotski

4. Methodische Probleme

5. Entwicklung und Entstehung der inneren Sprache

6. Belege für die Existenz der inneren Sprache

7. "Zerebrale Position" der inneren Sprache

8. Funktionen der inneren Sprache

9. Die Art der inneren Sprache

10. Die Syntax der inneren Sprache

11. Wortschatz der inneren Sprache

12. Semantik der inneren Sprache

13. Verständlichkeit der inneren Sprache für andere

1. Einleitung/Historie

Der Begriff des "inneren Sprechens", selten auch "Endophasie" genannt, hat eine lange Tradition. Seit der Antike ist der Begriff, als sprachphilosophisches Konzept, mit der Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sprechen verknüpft. (WAHMHOFF, S. 1) Die Frage nach der Funktion des inneren Sprechens war auch, mit Unterbrechungen in den 50er und 60er Jahren diesen Jahrhunders, ein klassisches Thema der Leseforschung. (NEUMANN, S. 4)

Zu Beginn der Forschung wurde innere Sprache mit der Reproduktion von Wörtern oft gleichgesetzt. "Denken heißt schweigend zu sich selbst sprechen", hatte man schon im Altertum formuliert. Beginnend mit Plato, haben Philosophen, Linguisten und Psychologen diesen Gedanken weiterentwickelt. (WILD, S. 63)

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde die menschliche Sprache in erster Linie von Philologen und Philosophen wissenschaftlich betrachtet. (KLATT, S. 40) Es wurde lange Zeit angenommen, daß die innere Sprache die selbe Struktur wie die äußere Sprache habe. (LURIJA, S. 153)

Eine der ersten zusammenhängenden Darstellungen einer Theorie der inneren Sprache gab Samuel Stricker im Jahre 1880. In der Einleitung zu seinem "Studien über die Sprachvorstellungen" beschreibt er eine Selbstbeobachtung:

"Ich kann bei der größten Anspannung meiner Aufmerksamkeit in den Sprachorganen keine Spur einer Bewegung entdecken. Und doch kommt es mir vor, als ob ich den Vers, den ich still durchdenke, mitreden würde."

Stricker untersucht seine eigenen Gefühle bei bestimmten Lauten. Dabei stellt er fest, daß er die selben Gefühle hat - ob er den Laut nun laut spricht, oder ob er ihn still denkt. Damit beschreibt Stricker eine enge Beziehung zwischen artikulierter Sprache und sprachlichen Vorstellungen. (WAHMHOFF, S.41)

Englische Neurologen gingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sogar davon aus, daß jedes Wort einen festgelegte lokale Position im Gehirn hat; sie zeichneten entsprechende Diagramme. (FURTH, S. 73) Französische Autoren sahen die innere Sprache dabei als "verbales Gedächtnis", nachdem sie untersucht hatten, in welchen Gedächtnismustern das Erinnern an Wörter erfolgt. (WYGOTSKI, S. 63)

Während K. Goldstein mit "innere Sprache" dann all das bezeichnete, was dem motorischen Sprechakt vorausgeht - "die gesamte innere Seite der äußeren Sprechtätigkeit" - betrachteten die französischen Forscher jedoch die innere Sprache als nicht motorisch. Stattdessen sei sie bestimmt von "Lautvorstellungen", von "Lautbildern". Diese seien beispielsweise notwendig, so Victor Egger 1881 in seiner Theorie der "parole intérieure", um still zu lesen - das geschehe durch die Umwandlung der Schriftsprache in die innere Sprache. (WAHMHOFF, S. 44ff)

Viele Forscher sahen das innere Sprechen dagegen als einen verkürzten Sprechakt: Innere Sprache sei die nicht ausgesprochene, stumme Sprache. "Sprache minus Laut" sei das innere Sprechen, erklärte Miller; dasselbe wie äußere Sprache sei die innere, "nur nicht zu Ende geführt", meinte der Begründer des Behaviorismus, John Watson. (WYGOTSKI, S. 63f) Inneres Sprechen hat für ihn nichts mit Vorstellungen zu tun, sondern muß in "Termini von verbalen Motorkontraktionen" beschrieben werden. (WAHMHOFF, S.62)

Von "Reflexen" sprachen W. M. Bechterew und I. M. Setschenow. Die innere Sprache sei ein sprachlicher Reflex, der in seinem motorischen Teil nicht geäußert werde (Bechterew) - für Setschenow war die innere Sprache ein "nach zwei Dritteln seines Weges abgebrochener Reflex". (WYGOTSKI, S. 63f)

2. Anstöße durch L. S. Wygotski

In seinem 1934, kurz nach seinem Tode, in Moskau erschienenen Hauptwerk "Denken und Sprechen" stellt L. S. Wygotski den Begriff des inneren Sprechens in den Mittelpunkt seiner Modelle. Das begründet er wie folgt: "Ohne das richtige Verständnis der psychologischen Natur der inneren Sprache kann es keine Möglichkeit geben, die komplizierten Beziehungen des Gedankens zum Wort zu erklären." (WYGOTSKI, S. 311)

Wygotski hat das Phänomen aufgegriffen, neu beschrieben und definiert. Damit hat er den Grundstein gelegt für eine ganze Forschungsrichtung, die von den Anhängern seiner Schule bis heute intensiv verfolgt wird. (WAHMHOFF, S. 33)

Wygotski forschte mit empirischen Methoden, wertete die physischen und psychischen Eigenschaften von Kindern testexperimentell und objektiv aus. Wygotski war somit in Verfechter der Pädiologie, der sowjetischen Variante der differentiellen Psychologie, die durch die Anwendung von Intelligenztests den Gleichheitsbegriff im sowjetischen System herauszufordern schien.

Im Zuge eines staatlichen Feldzugs gegen die Pädiologie wurde auch Wygotskis Standardwerk "Denken und Sprechen" 1936 verboten. Erst in der Mitte der 50er Jahre wurden Wygotskis Schriften wieder neu aufgelegt. (WAHMHOFF, S. 10f) Nachdem der "Eiserne Vorhang" fiel, wurden Wygotskis Werke auch im Westen wertgeschätzt - teils sogar weitgehend kritiklos akzeptiert. (WAHMHOFF, S.2)

3. Allgemeine Definition nach Wygotski

Die Natur der inneren Sprache, so Wygotski, werde bestimmt vom Moment des sprachlichen Gedächtnisses. "Aber es erschöpft diesen Begriff nicht und deckt sich nicht damit." (WYGOTSKI, S. 311) In der Auffassung Goldsteins erkennt Wygotski den Mangel, daß sie die Kategorie des "inneren Erlebens" beeinhaltet. Und damit entziehe sie sich einer objektiven Analyse. (WYGOTSKI, S. 312, 313)

Und Wörter lautlos auszusprechen, bemerkt Wygotski, "macht diese in keiner Weise zur inneren Sprache." (WYGOTSKI, S.312) Dieser Auffassung ist auch sein Schüler und Mitarbeiter Alexander Romanowitsch Lurija, der dies in seiner Vorlesungs-Sammlung "Sprache und Bewußtsein" zudem mit dem Zeitfaktor begründet: Wenn die innere Sprache lediglich eine "Dublierung" der äußeren Sprache wäre, würde sie auch mit der gleichen Geschwindigkeit wie die äußere Sprache ablaufen. Bekanntlich aber gehe der intellektuelle Akt recht schnell vor sich, mitunter in extrem kurzer Zeit, manchmal in Zehntelsekunden. "In dieser kurzen Frist kann man auf keine Weise den vollständigen Satz und schon gar nicht einen ganzen Gedankengang `für sich` sprechen." (LURIJA, S. 157)

[...]

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Details

Titel
"Das Wort stirbt und gebiert den Gedanken": Zum inneren Sprechen
Hochschule
Universität Siegen
Note
Leistungsnachweis erbracht
Autor
Jahr
1996
Seiten
16
Katalognummer
V9821
ISBN (eBook)
9783638164313
ISBN (Buch)
9783638757249
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wort, Gedanken, Sprechen
Arbeit zitieren
Frank Rosenbauer (Autor:in), 1996, "Das Wort stirbt und gebiert den Gedanken": Zum inneren Sprechen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9821

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