Was ging schief beim "Untergang des Morgenlandes"? Eine exemplarische Sichtung der Geschichtsdarstellung von Bernard Lewis


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Darstellung und Deutung von Geschichte
2.1. Der monolithische Islam
2.2. Europa als Träger von Wissenschaft und Kultur
2.3. Die kulturelle Ignoranz der Muslime
2.4. Vom Scheitern der Muslime
2.5. Zwischenspiel der Europäer
2.6. Die Lösung der orientalischen Frage durch Frauenemanzipation
und Säkularisierung?

3. Exkurs: Lewis und die US-Kriege nach 9/11

4. Resümee
4.1. „Kampf der Kulturen“ als politischer Mythos

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Anschläge vom 11. September 2001 haben die Aufmerksamkeit einer breiteren westlichen Öffentlichkeit auf den Nahen und Mittleren Osten, den Islam und die Muslime gelenkt. In diesem Zusammenhang erschienen zahlreiche Publikationen, die sehr unterschiedliche Erklärungsmuster und Lösungsansätze vorgaben. Ein Teil der Autoren machten die globale Dominanz der USA[1] und die wirtschaftliche Vormachtstellung des Westens als Konflikt-ursache aus, und begriff die Anschläge als eine Reaktion auf diese Machtverhältnisse. Um zu verhindern, dass solche Anschläge sich wieder-holten, sei es auch nötig, die ungerechte Behandlung und Ausbeutung der Dritten Welt zu beenden und nicht-westliche Kulturen mehr zu respektieren.

Dagegen argumentierten andere Autoren, dass die islamistischen Organisa-tionen keinesfalls als antikoloniale, bzw. antiimperialistische Kräfte in einem politisch und ökonomischen Sinne verstanden werden könnten. Vielmehr seien die Entstehung und Stärkung der Islamisten ein Resultat der undemokratischen Verhältnissen in den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Demokratische Kräfte würden staatlich unterdrückt, und dies würde dazu führen, dass als politische Akteure nur noch undemokratische Staaten und islamistische Opposi-tionsbewegungen übrig blieben. Als Lösung wird dann eine umfassende und tiefgehende Demokratisierung des Nahen und Mittleren Osten vorgeschlagen.

Einer der bekanntesten Vertreter dieser These ist Bernard Lewis. Die Bedeutung von Bernard Lewis basiert zum einen auf seiner selten infrage gestellten wissenschaftlichen Autorität und zum anderen darauf, dass politische Entscheidungsträger in den USA auf seine Geschichtsdeutungen, Begriffe und Konzepte zurückgreifen, wenn es um Analysen der politischen Vorgänge im Nahen und Mittleren Osten geht. Auch das vielzitierte Konzept vom „Kampf der Kulturen“ („Clash of Civilizations“) im Zusammenhang mit dem Westen und dem Islam geht auf Lewis zurück[2].

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf das Buch „Der Untergang des Morgenlandes“ (Originaltitel “What went wrong?”) von Bernard Lewis, das 2002 erschienen ist. Die Publikation als Untersuchungsobjekt bietet sich auch deswegen an, weil Lewis in einer Vorbemerkung explizit Bezug auf die Anschläge vom 11. September 2001 nimmt, und sich nach Auskunft des Autors mit “größeren Zusammenhängen, Ideen und Einstellungen beschäftigt, die diesen Ereignissen [gemeint ist 9/11, A.d.A.] vorausgingen und sie bis zu einem gewissen Grad mit verursacht haben” (Lewis 2002: 7). Auf weitere Publika-tionen von Lewis wird Bezug genommen, wenn es relevant für die Argumen-tation ist.

Zuerst soll die Argumentationslinie in „Der Untergang des Morgenlandes“ dargestellt werden. Die Darstellung wird von einer genaueren Betrachtung der wissenschaftlichen Methoden, der Geschichtsdeutung, der Schlüsse und Lösungsvorschläge von Lewis begleitet. Die kleinschrittige Vorgehensweise in Unterpunkten empfiehlt sich, da eine stringente Argumentation nicht festzustellen war. Es folgt eine Diskussion über Defizite und Widersprüche auf formeller, methodischer und inhaltlicher Ebene.

2. Die Darstellung und Deutung von Geschichte

In einem ersten Schritt ist es notwendig, die geographischen Grenzen in der Geschichtsdarstellung von Lewis kenntlich zu machen, weil zwar immer wieder von Morgenland, Orient und dem Islam als Region (sic!) die Rede ist, tatsächlich aber mehrheitlich das Osmanische Reich gemeint ist. Araber und Perser tauchen sehr selten, und wenn dann im Zusammenhang mit dem Osmanischen Reich, auf: So etwa beim Krieg zwischen den Safawiden und Osmanen (Lewis 2002: 16-17), oder bei den Konflikten zwischen den lokalen Machthabern auf der arabischen Halbinsel und den Osmanen, die sich um die Frage der Sklaverei drehten (Lewis 2002: 131-133).

2.1. Der monolithische Islam

Wie bereits der englische Titel andeutet, ist für Lewis die Frage danach zentral was schief gelaufen ist. Diese Frage würden sich die Muslime stellen, die begreifen wollten wie die “Welt des Islam” ihre “Spitzenposition” (Lewis 2002: 9) im Lauf der Geschichte bis zur Moderne verloren habe.

Dabei wird die Geschichte des Islam bis zum 16. Jahrhundert als eine Geschichte von erfolgreichen Eroberungen dargestellt: „Im 7. Jahrhundert rückten islamische Armeen von Arabien aus nach Syrien, Palästina, Ägypten und Nordafrika vor und eroberten diese bis dahin christlichen Gebiete“ (Lewis 2002: 10), und „im 9. Jahrhundert nahmen sie Sizilien und Teile des italienischen Festlands in Besitz” (Lewis 2002: 11). Die osmanische Expansion im 13. und 14. Jahrhundert wird als „eine dritte Welle muslimischer Angriffe” (Lewis 2002: 11) bezeichnet. Lewis vereinheitlicht die zeitlich, räumlich und politisch sehr unterschiedlichen Vorgänge zu einer islamischen Bewegung. So wird auch die Aussage „der Islam verfügte über die größte Militärmacht weltweit” (Lewis 2002: 12) ermöglicht. Dabei bleibt ausgeblendet, dass diese Macht aus verschiedenen politischen Systemen bestand, die sich z.T. auch gegenseitig bekämpften und deren einzige Gemeinsamkeit war, dass die herrschende Elite muslimisch war. So wird die Entscheidung des Osmanischen Reiches, sich auf Kosten einer möglichen Expansion im Indischen Ozean auf die militärischen Konflikte in Südosteuropa zu konzentrieren, ebenfalls allein über den Islam erklärt: „Sie konzentrierten [...] alle ihre Kräfte auf den Kampf in Europa, das sie – nicht ohne Grund – als wichtigsten Kriegsschauplatz im Kampf zwischen dem Islam und der Christenheit betrachteten. Beide Glaubenslehren rivalisierten um Erleuchtung – und Beherrschung – der Welt“ (Lewis 2002: 26). Politische, wirtschaftliche und militärische Gründe bleiben untererwähnt. Die Entscheidung des Osmanischen Reiches kann aber ebenso aus dem agrarbasierten Charakter des Reiches heraus verstanden werden. Aus einer solchen sozio-ökonomischen Perspektive könnte argumentiert werden, dass die herrschende Schicht im Osmanischen Reich ihre ökonomische Grundlage in der Landwirtschaft und nicht im Handel hatte. Aus der Sicht dieser Schicht gesehen war die Beherrschung des Fernseehandels im Indischen Ozean uninteressant, so dass man sich stattdessen auf die Expansion im Kontinent Europa konzentrierte um weitere landwirtschaftlich nutzbare Regionen zu erobern. Wie relevant es war, dass durch die Eroberungen in Südosteuropa auch mehr Gebiete als Timar-Ländereien an osmanische Soldaten zugewiesen werden konnten, und wie wichtig dieser Punkt in den militärischen und politischen Entscheidungen des Osmanischen Reiches war, kann hier nicht diskutiert werden[3], eine gewisse Bedeutung diesen Aspekts ist aber zumindestens denkbar.

2.2. Europa als Träger von Wissenschaft und Kultur

Der islamischen Welt gegenübergestellt wird eine europäische Zivilisation, die in der Zeit der Renaissance eine „sprunghafte Entwicklung“ in Wissenschaft und Kultur machte und „das islamische Erbe […] weit hinter sich“ (Lewis 2002: 13) ließ. Die politische und militärische Überlegenheit der europäischen Staaten wird so als ein Ergebnis der „kulturelle[n] Fortschritte“ (Lewis 2002: 13) und der wissenschaftlichen Entwicklung gesehen. So wird der Vertrag von Karlowitz 1699, in dem das besiegte Osmanische Reich Ungarn an Österreich abtreten musste, folgendermaßen erklärt: „Es waren [...] der Erfindergeist und die Experimentierfreudigkeit der Europäer, die [...] zu einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen den beiden Seiten geführt hatten“ (Lewis 2002: 34).

Die Muslime hätten auf diese Verschiebung des Kräfteverhältnisses zuerst damit reagiert, westliche Waffen einzusetzen (Lewis 2002: 21-22). Doch im 18. Jahrhundert hätten die Osmanen verstanden, „dass es nicht mehr genügte […] westliche Waffen zu benutzen“, sondern dass es nötig sei „westliche Ausbildungsmethoden, militärische Strukturen und Strategien zu übernehmen“ (Lewis 2002: 33). Doch hätte auch die „Übernahme dieser westlichen Methoden nicht die gewünschten Ergebnisse“ (Lewis 2002: 34) erzielt. So sei auch die Krim 1783 an die Russen verloren gegangen. Und spätestens durch die französische Besetzung Ägyptens 1798 sei deutlich: Die „Kriege ließen die Schwäche der islamischen Staaten gegenüber den europäischen Mächten offen zutage treten. Militärische Lösungen hatten sich als wirkungslos erwiesen“ (Lewis 2002: 53).

[...]


[1] Siehe Halliday 2001 und Fisk 2001

[2] Siehe Lewis 1990: 60

[3] Zum Timar-System System im Kontext des sozio-ökonomischen Geschichte des Osmanischen Reiches siehe The Encyclopedia of Islam (Band 10): 502-508 und Inalcik 1994: 9-179.

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Details

Titel
Was ging schief beim "Untergang des Morgenlandes"? Eine exemplarische Sichtung der Geschichtsdarstellung von Bernard Lewis
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Veranstaltung
Osmanische Europareisende
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V70017
ISBN (eBook)
9783638614351
ISBN (Buch)
9783638754576
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Untergang, Morgenlandes, Eine, Sichtung, Geschichtsdarstellung, Bernard, Lewis, Osmanische, Europareisende
Arbeit zitieren
Ismail Küpeli (Autor:in), 2006, Was ging schief beim "Untergang des Morgenlandes"? Eine exemplarische Sichtung der Geschichtsdarstellung von Bernard Lewis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70017

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